Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Anton B.
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#551 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Anton B. » Di 28. Jul 2015, 00:54

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Das tue ich doch. Ich empfehle es Dir.
Da werden wir uns nicht verstehen.
Da habe ich keinen Zweifel dran.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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Münek
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#552 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Di 28. Jul 2015, 11:28

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Der Spruch vom "Gottesreich in eurer Mitte" ist im Neuen Testament nur im lukanischen Sondergut belegt. Er ist an die Pharisäer adressiert - also an Gegner Jesu
Das macht Sinn - wahrscheinlich waren sie es, die die Naherwartung äußerlich verstehen wollten.

Deine voreilige Schlussfolgerung ist z.B. mit folgendem Ausspruch Jesu in der Bergpredigt unvereinbar (Mt. 5,20):

"Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und PHARISÄER, werdet ihr nicht IN DAS HIMMELREICH KOMMEN."


Hier zwei weitere Beispiele von "Einlassworten Jesu", welche Bedingungen für das künftige EINGEHEN in das Gottesreich formulieren:

"Wahrlich ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht HINEINKOMMEN". (Mk. 10,15)

"Nicht jeder der zu mir sagt: Herr! Herr! wird IN DAS Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters erfüllt (Mt. 7,21)


Besonders aufschlussreich das echatologische Abendmahlswort Jesu (Mk. 14,25):

"Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks, bis an den Tag, an dem ich aufs neue davon trinken werde IM REICH GOTTES."

Ich könnte noch mit vielen weiteren Beispielen aufwarten. Deine These vom "inneren Gottesreich" macht also keinen Sinn und wird auch nach meiner Kenntnis von den Kirchen nicht vertreten.

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#553 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Di 28. Jul 2015, 11:52

Münek hat geschrieben:Ich könnte noch mit vielen weiteren Beispielen aufwarten.
Dein letztes Zitat verstehe ich auch nicht - da müsste man Insider fragen - die ersten drei Zitate sprechen nicht gegen "inneres Gottesreich".

Vielleicht gibt es hier folgendes Missverständnis, dass man meine könnte, das nahe innere Gottesreich würde "schicksalhaft" da sein, ob man will oder nicht. - So ist das aber nicht gemeint - gemeint ist, dass der Mensch bei entsprechender Öffnung etwas haben kann, was er im AT NICHT hätte haben können. - Insofern sind die drei ersten Zitate auszulegen mit:

* Falls Eure Gerechtigkeit - also solange es nicht anders ist.
* Falls einer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind - also bis es anders ist.
* Herr!Herr! nützt nix, bevor man nicht das erkennt und es tut, was gott-gewollt ist.

Also: Das passt voll in das Motiv "inneres Reich".

Münek hat geschrieben: Deine These vom "inneren Gottesreich" ... wird auch nach meiner Kenntnis von den Kirchen nicht vertreten.
Ich kenne keinen Theologen, für den das nicht Standard ist - da muss was aneinander vorbei gelaufen sein. - Dass es natürlich das apokalyptische ("äußere") Reich Gottes ohnehin gibt, ist auch klar.

Es gibt ein "präsentisches" und ein "futurologisches" Reich Gottes - so hört man es aus der Theologie. - Und mein Verdacht ist eben, dass in den HKM-Abhandlungen zum Thema "Parusie" diesbezüglich etwas schiefgelaufen ist - ich behaupte es nicht, es kommt halt so rüber.

Anton B.
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#554 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Anton B. » Di 28. Jul 2015, 12:04

Münek hat geschrieben:Ich könnte noch mit vielen weiteren Beispielen aufwarten. Deine These vom "inneren Gottesreich" macht also keinen Sinn und wird auch nach meiner Kenntnis von den Kirchen nicht vertreten.
Also nach Theißen & Merz sowie Schnelle hat der "HKM-rekonstruierte" Jesus gleichermaßen eine präsentische als auch eine futurische Reich-Gottes-Erwartung vertreten: Mit dem Wirken Johannes des Täufers sei das Werden des Reiches Gottes eingeleitet. Allerdings sei die Vollendung gemäß dem rekontruierten Jesus verzögert, um den Menschen die Gelegenheit zur persönlichen Umkehr zu geben. In diesen Kontext werden auch die meisten Deiner Zitate gesetzt. Einerseits betone Jesus die Ungewissheit der Vollendung. Vermutlich aber andererseits, so sagen die Autoren, habe Jesus diese Vollendung an seine eigene Person gebunden.

Zumindest die RK (siehe Katechismus, 2816) sieht das Reich Gottes ebenfalls als vorhanden, aber nicht vollendet.
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Münek
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#555 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Di 28. Jul 2015, 16:06

Anton B. hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Ich könnte noch mit vielen weiteren Beispielen aufwarten. Deine These vom "inneren Gottesreich" macht also keinen Sinn und wird auch nach meiner Kenntnis von den Kirchen nicht vertreten.
Also nach Theißen & Merz sowie Schnelle hat der "HKM-rekonstruierte" Jesus gleichermaßen eine präsentische als auch eine futurische Reich-Gottes-Erwartung vertreten

Dass Jesus in seinen Reden über das "Reich Gottes" sowohl "präsentische" als auch "futurische" Aussagen machte, ist in der Tat nichts Neues und jedem Neutestamentler bekannt. Dieses Nebeneinander von "Gegenwart" und "Zukunft" ist sogar einem theologischen Laien bei der Lektüre der synoptischen Evangelien relativ leicht ersichtlich. Die Professoren Theißen/Merz äußern sich in ihrem Buch "Der historische Jesus" ausführlich zu diesem Thema.

Für den lieben Kurt aus diesem Buch ein erhellender Kurzüberblick, Seiten 232-241:

[§ 9: Jesus als Prophet: Die Echatologie Jesu. - 4. Das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft. - 4.1. Die zukünftige Gottesherrschaft. - 4.2. Die gegenwärtige Gottesherrschaft. - (4.2.1. Erfüllungsworte. - 4.2.2. Kampfworte. - 4.2.3. Anbruchsworte.) - 4.3. Die Verbindung von Gegenwart und Zukunft im Vaterunser.]


Nur ist die "präsentische Gottesherrschaft" nicht mit einem sog. "inneren Reich Gottes" gleichzusetzen. Die Evangelisten kennen diesen Begriff nicht; sie benutzen einheitlich den Begriff: "basileia tou theou" (Reich Gottes, Gottesherrschaft, Königsherrschaft Gottes).

In diesem Zusammenhang aufschlussreich ist folgende Feststellung von Theißen/Merz in ihrem Buch S.222 als Fußnote 3:

"Der Ausdruck "basileia tou theou" umfasst sowohl den Vollzug der Herrschaft Gottes als auch die räumliche Vorstellung
eines Herrschaftsbereiches. Ersteres wird besser durch die Übersetzung "(Königs-)herrschaft Gottes", letzteres durch die
Wiedergabe mit "Reich Gottes" ausgedrückt.

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#556 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Di 28. Jul 2015, 16:22

Anton B. hat geschrieben:Also nach Theißen & Merz sowie Schnelle hat der "HKM-rekonstruierte" Jesus gleichermaßen eine präsentische als auch eine futurische Reich-Gottes-Erwartung vertreten:
Inhaltlich guter Beitrag. :thumbup:

Münek hat geschrieben:Dass Jesus in seinen Reden über das "Reich Gottes" sowohl "präsentische" als auch "futurische" Aussagen machte, ist in der Tat nichts Neues und jedem Neutestamentler bekannt.
Wie schön.

Münek hat geschrieben:Nur ist die "präsentische Gottesherrschaft" nicht mit einem sog. "inneren Reich Gottes" gleichzusetzen. Die Evangelisten kennen diesen Begriff nicht; sie benutzen einheitlich den Begriff: "basileia tou theou" (Reich Gottes, Gottesherrschaft, Königsherrschaft Gottes).
Diesen Begriff haben wir hier verwendet, damit es keine Verwechslung mit der "äußeren" apokalyptischen Wiederkunft Jesu gibt. - Niemand hat behauptet, dass dieser unser Behelfs-Begriff so in der Bibel steht.

Wenn "präsentische Gottesherrschaft" nicht gleichzusetzen ist mit dem, was wir hier behelfsweise als "inneres Gottesreich" benannt haben: Was soll es denn sonst sein? - Wie auch immer: Wir scheinen schon mal darüber einig zu sein, dass "präsentische Gottesherrschaft" etwas anderes ist als "futurische (apokalyptische) Gottesherrschaft" am Ende der "Weltzeit".

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#557 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Halman » Di 28. Jul 2015, 21:22

Münek hat geschrieben:
closs hat geschrieben: Wie war das denn mit dem Lukas-Zitat des "Reiches Gottes"? -

Lukas 17,21:

"Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten kann; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! Oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch."

Dazu Theißen/Merz in "Der historische Jesus":

Der Spruch vom "Gottesreich in eurer Mitte" ist im Neuen Testament nur im lukanischen Sondergut belegt. Er ist an die Pharisäer adressiert - also an Gegner Jesu.... Das Wort bleibt ein Rätsel.
Sind Theißen und Merz Vertreter der Zweiquellentheorie? Nun, dabei handelt es sich um eine Hypothese, die zutreffen kann oder auch nicht. Sie wird meiner Meinung nach doch etwas euphemistisch als Theorie bezeichnet wird.

Jesus konfrontierte seine Gegner damit, dass er in ihrer Mitte war. (Ja, ich weiß - christlicher Unsinn.)
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#558 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Di 28. Jul 2015, 21:27

Halman hat geschrieben:Jesus konfrontierte seine Gegner damit, dass er in ihrer Mitte war.
Und da ist meine aufrichtige Frage, wie solche geistigen Paradigmenwechsel von AT zu NT historisch-kritisch erfasst werden KÖNNEN. - Aus meiner Sicht geht es - aber ich weiss nicht, wie es von Theißen und Merz gesehen wird.

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#559 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Halman » Di 28. Jul 2015, 21:36

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Für eine Gläubigen ist es aber eine entscheidende Frage, denn damit steht und fällt das Glaubensgerüst.
Stimmt - deshalb bekennen sich Christen ja zu ihrer Weltanschauung - sagen also: Wir haben eine Prämisse namens Gott. - SChwierig wird's, wenn Naturalisten sagen, sie hätten KEINE Prämissen, aber gleichzeitig postulieren, Geist wäre sui generis Folge von Materie.
Hier wird, wenn ich das recht verstehe, eine Dichotomie angenommen, die sich bei näheren Hinsehen als falsches Dilemma erweisen könnte. Wenn man diesem Gedanken folgt, könnte man ja überprüfen, ob Gott vor dem materiedominierten Universum da war, indem man Hirnforschung betreibt, um zu sehen, ob der Geist vom materiellen Gehirn erzeugt wird, oder ob hinter dem Gehirn ein supernaturalistischer Geist steckt.
Diesen Ansatz halte ich für irreführend (falls es so gemeint war), weil er einen Zusammenhang willkürlich herstellt, auf Basis des Wortes Geist. Könnte es nicht sein, dass der Begriff bezüglich Gott etwas ganz anderes bedeutet als bezüglich des menschlichen Geistes. Wäre es nicht möglich, dass der Geist Gott vor allem war, das Universum erschuf und damit auch den materiellen Menschen, dessen Geist vom Gehirn über hochkomplexe, neurologische Erregungsmuster erzeugt wird? Diese Erkenntnis tangiert meinen Glauben an GOTT nicht einmal peripher.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#560 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Halman » Di 28. Jul 2015, 21:57

Münek hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Der Spruch vom "Gottesreich in eurer Mitte" ist im Neuen Testament nur im lukanischen Sondergut belegt. Er ist an die Pharisäer adressiert - also an Gegner Jesu
Das macht Sinn - wahrscheinlich waren sie es, die die Naherwartung äußerlich verstehen wollten.

Deine voreilige Schlussfolgerung ist z.B. mit folgendem Ausspruch Jesu in der Bergpredigt unvereinbar (Mt. 5,20):

"Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und PHARISÄER, werdet ihr nicht IN DAS HIMMELREICH KOMMEN."
Interessant ist ja, dass Matthäus den Ausdruck Himmelreich verwendet, womit er auf ein bestehendes Gottesreich im Himmel hinweist.

Münek hat geschrieben:"Nicht jeder der zu mir sagt: Herr! Herr! wird IN DAS Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters erfüllt (Mt. 7,21)
Warauf passt dieser Vers wie eine Faust auf's Auge, wenn man die Geschichte betrachtet? Ich gebe Dir ein "K".

Münek hat geschrieben:Besonders aufschlussreich das echatologische Abendmahlswort Jesu (Mk. 14,25):

"Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks, bis an den Tag, an dem ich aufs neue davon trinken werde IM REICH GOTTES."
Dies war ja auch Jesu letztes Mahl vor seiner Kreuzigung.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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