Allversöhnung

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Demian
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#541 Re: Allversöhnung

Beitrag von Demian » Fr 18. Okt 2013, 13:13

closs hat geschrieben:Da verstehe ich Remembering schon - allerdings passt der Begriff "negativ" nicht so ganz. Der sogenannte "Sündenfall" ist gleichzusetzen mit der Konkurrenz von Gott-Bewusstsein und Ich-Bewusstsein

Ja - aber die gesamte moderne Psychologie beruht auf dem Begriff des Selbst. Da hat er eine sehr vielseitige und keine durch die Theologie einseitig zugewiesene Bedeutung. Entsprechend wehre ich mich gegen solche Bedeutungsmuster, die einfach den Bereich der Theologie übersteigen. Die Psychologie ist nicht deren Expertise, aber fruchtbar wäre ein interdisziplinärer Dialog, um Theorie und Praxis in ein gesundes Verhältnis zu bringen. Die Psychologie kann spirituelle Inhalte ebenso vertragen, wie Religion psychologische Reflexion benötigt, um nicht in irgendwelchen Projektionen, Verblendungen und Komplexen zu versteinern.

dies keine Aufgabe des Ich, sondern eine Aufhebung des Ich (im hegelschen Sinne), also eine Veredelung des Ich ist.

Richtig - diese Argumentation ist in sich schlüssig und folgerichtig, aber eine einseitige Abwertung des Ichs, des Einzelnen, der Person, der individuellen Seele ist für mich nicht hinnehmbar. Oft wird die östliche Spiritualität einseitig kritisiert, obwohl sie nicht mal intensiv studiert wurde. Das ist allein schon ein Wissensgebiet das mehrjährige Bildungs- um nicht zu sagen Seelenarbeit voraussetzt, damit man wenigstens eine gewisse Kenntnis der Ideengeschichte hat. Allein Indien und China sind zwei völlig verschiedene Kulturen, jahrtausende alt, sehr fein vernetzt mit komplexen Weisheitslehren. Da kann man doch einen gewissen Respekt voraussetzen. ;)

Was das Selbst, "Selbsterlösung", die Seele, das göttliche Wesen, die Spiritualität der Liebe, Bilder und Gleichnisse oder etwa den Mythos der Reinkarnation anbelangt, so haben alle diese Ideenkreise verschiedenste Gestaltungen erfahren. Schon die Reinkarnationsmythologie wäre ein tiefgreifendes Thema für sich ( und dann auch noch das Verständnis in der jeweiligen Einbettung kultureller und sozialer Identität, was nicht nur Studium und Meditation, sondern auch Empathie für eine fremde Kultur voraussetzt - wenn man all dies bedacht hat, kann man fundiert darüber urteilen )
Zuletzt geändert von Demian am Fr 18. Okt 2013, 13:16, insgesamt 3-mal geändert.

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Magdalena61
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#542 Re: Allversöhnung

Beitrag von Magdalena61 » Fr 18. Okt 2013, 13:13

lovetrail hat geschrieben:@Naqual: Deinen Punkten kann ich nur zustimmen :-)

Ich vermute, dass die meisten Christen diese Denkkonsequenzen ausblenden.

lg lovetrail
Jesus hat(te) offenbar das gleiche Problem wie die o.g. Christen.
Er predigte Umkehr und Buße und thematisierte eine klare Trennung der Schafe von den Böcken.

Er warnte vor Leichtfertigkeit und vor einem Glauben, die nur das eigene Wohlbefinden im Auge hat. Überhaupt predigte Er ziemlich viel über die "Hölle" als letzte Konsequenz für "Verdammte".
LG
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#543 Re: Allversöhnung

Beitrag von closs » Fr 18. Okt 2013, 13:14

Naqual hat geschrieben:Kannst Du das kurz näher beschreiben?
Nach Kierkegaard begreift sich der Mensch als ein Selbst, dem nur von Gott als dem Unendlichen Existenz zukommt. Daher ist das Ziel des religiösen Menschen, in ein existenzielles Verhältnis zu Gott zu treten. Dies kann allein im Glauben geschehen (vgl. auch wiki) - in diesem Sinne wird K. als "Existenzialist" bezeichnet.

Nach Sartre gibt es keinen Gott, so dass der Mensch auf seine Existenz zurückgeworfen ist - man hat nichts als sich selbst. Daraus enttspringt das "Erfinde Dich selbst"- in diesem Sinne wird Sartre ebenfalls als "Existenzialist" bezeichnet.

Das eine ist das Gegenteil vom anderen - beide bedienen sich jedoch des Wortes "Existenzialismus".

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#544 Re: Allversöhnung

Beitrag von closs » Fr 18. Okt 2013, 13:16

Demian hat geschrieben:Richtig - diese Argumentation ist in sich schlüssig und folgerichtig, aber eine einseitige Abwertung des Ichs,
Da liegt das Missverständnis - "Veredlung" (Aufhebung/Hochhebung) und "Abwertung" werden für das selbe Phänomen gebraucht.

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Demian
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#545 Re: Allversöhnung

Beitrag von Demian » Fr 18. Okt 2013, 13:32

closs hat geschrieben:Da liegt das Missverständnis - "Veredlung" (Aufhebung/Hochhebung) und "Abwertung" werden für das selbe Phänomen gebraucht.

Als ein Liebhaber sprachlicher Entwirrungen gehe ich ja von diesem Gedanken aus - um im christlichen Jargon zu bleiben: es ist eine satanische ( egozentrische ) Geisteshaltung, das eigene Wortverständnis für etwas in sich völlig schlüssiges und abgeschlossenes zu halten. Das ist die Sprachverwirrung. Selbstliebe und Selbstsucht sind aber zwei grundverschiedene Ausrichtungen, die man sprachlich sehr klar differenzieren kann, sofern man das beabsichtigt.

Es ist so, wie Erich Fromm in seinem Werk 'Die Kunst des Liebens' schrieb:"Ist die Selbstsucht des modernen Menschen tatsächlich ein liebevolles Interesse an sich selbst als einem Individuum mit allen seinen intellektuellen, emotionalen und sinnlichen Möglichkeiten? Ist "er", der moderne Mensch, nicht vielmehr zu einem Anhängsel an seine sozio-ökonomische Rolle geworden? Ist seine Selbstsucht wirklich dasselbe wie Selbstliebe, oder ist die Selbstsucht nicht geradezu die Folge davon, daß es ihm an Selbstliebe fehlt?"

Wenn im mystischen Blick vom Selbst die Rede ist, so wird heute üblicher Weise ein sich selbst bewusst gewordener und selbstranszendierender Mensch gemeint, in dessen Selbst die Selbst- und Weltliebe "zu sich" kommt, also die unio mystica ( mystische Hochzeit ) geschieht. Dieses "Transparent-Werden" auf alles und nichts hin, ist aber zugleich das Gegenteil der Anhaftung an die Egostruktur.

Im übrigen - wenn man schon solche Zäune installiert und Niveaus postuliert - wäre erst mal der Beweis zu erbringen, dass die christliche Religion wirklich "selbstloser" liebt bzw. die Christen allgemein eine höher entwickelte Liebespraxis haben. Betrachten wir den relativ friedlichen Verlauf der buddhistischen mit der vergleichsweise relativ gewalttätigen christlichen Geschichte, könnte ein solcher ( in meinen Augen unzulässiger ) Vergleich für die Christen ungünstig ausfallen.

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#546 Re: Allversöhnung

Beitrag von closs » Fr 18. Okt 2013, 13:57

Demian hat geschrieben:Betrachten wir den relativ friedlichen Verlauf der buddhistischen mit der vergleichsweise relativ gewalttätigen christlichen Geschichte, könnte ein solcher ( in meinen Augen unzulässiger ) Vergleich für die Christen ungünstig ausfallen.
O ja - andererseits darf man den Anspruch einer geistigen Lehre nicht mit deren Umsetzung verwechseln.

Demian hat geschrieben:Das ist die Sprachverwirrung. Selbstliebe und Selbstsucht sind aber zwei grundverschiedene Ausrichtungen, die man sprachlich sehr klar differenzieren kann, sofern man das beabsichtigt.
Für sich kann man es gut unterscheiden - innerhalb einer Gruppe kann es auch einvernehmlich so festlegen. - Nach außen wird es kritisch - denn allein die Unterscheidung zwischen Selbstliebe und Selbstverliebtheit wird nicht jedem gelingen. - Immerhin weiß ich jetzt, was Du mit "Selbstliebe" meinst.

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#547 Re: Allversöhnung

Beitrag von Demian » Fr 18. Okt 2013, 14:10

closs hat geschrieben:Nach außen wird es kritisch - denn allein die Unterscheidung zwischen Selbstliebe und Selbstverliebtheit wird nicht jedem gelingen. - Immerhin weiß ich jetzt, was Du mit "Selbstliebe" meinst.

Darum ist es wichtig klarzustellen, dass die Sprache ein dichterisches System ist, das mit Bildern und Gleichnissen arbeitet und die Welt niemals eindeutig "auf den Begriff" bringen kann, wie die Philosophen sagen. Die mystische Einheitserfahrung kennzeichnet sich maßgeblich durch die Unmöglichkeit der sprachlichen Mitteilung, was selbst für einen Hölderlin gegolten hat.

Aber - und da würde ich prinzipiell Kritik betreiben - wer Selbstliebe zuerst und völlig reduziert mit Egozentrismus oder Narzissmus übersetzt, hat einen sehr fragwürdigen Liebesbegriff. Mein Liebesbegriff ist positiv und bejahend, weshalb ich ihn an "Altruismus" kopple - das Ego kommt erst in der Mit-Welt ganz zu sich. Das kann man nicht voneinander trennen, wie Naqual richtig sagte ( was auch den Kenntnissen der modernen Psychologie entspricht - und es wäre ratsam, dass die Religion den derzeitigen Wissensstand integrieren und dabei nicht jedes Wort durchtheologisieren würde )

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#548 Re: Allversöhnung

Beitrag von Naqual » Fr 18. Okt 2013, 14:46

Magdalena61 hat geschrieben:
lovetrail hat geschrieben:@Naqual: Deinen Punkten kann ich nur zustimmen :-)
Ich vermute, dass die meisten Christen diese Denkkonsequenzen ausblenden.
Jesus hat(te) offenbar das gleiche Problem wie die o.g. Christen.
Er predigte Umkehr und Buße und thematisierte eine klare Trennung der Schafe von den Böcken.
Das widerspricht nur weder der geschilderten Problematik mit der Verdrängung, noch der Allversöhnung.
Das liegt daran, dass die Allversöhnung eben nicht in schwarz-weiß denkt, nicht in entweder schwupps selig oder verdammt.
Sondern die Böcke haben einen leidvollen Weg vor sich der Läuterung. Vor diesem Schmerz der Gottesferne warnt Jesus.
Allerdings versperrt sich Gott nicht dem Reumütigen und Umkehrenden, sondern hilft ihm.
Unversöhnlichkeitsbefürworter sehen hier nur ein Ultimatum im leiblichen Tod Gottes. Die Allversöhnung sieht eine sich entwickelnde Seele, die über den Tod hinaus entwicklungsfähig ist bei einem Gott, dessen Bereitschaft zur Gnade zeitlich nicht begrenzt ist.
Leider wird gegen die Allversöhnung immer wieder vorgebracht, sie würde nicht zwischen Schafen und Böcken unterscheiden. Letztlich wäre es egal, ob man gut oder böse ist, man kommt ja zu Gott. Das sagt diese Anschauung jedoch eben nicht.


Er warnte vor Leichtfertigkeit und vor einem Glauben, die nur das eigene Wohlbefinden im Auge hat. Überhaupt predigte Er ziemlich viel über die "Hölle" als letzte Konsequenz für "Verdammte".
Das Wort "Hölle" wird in den Evangelien 12x gebraucht. Und selbst hier in sehr unterschiedlichen Worten im altgriechischen Ausgangstext, die man nur mit Hölle übersetzt hat. Das ist mit Sicherheit nicht der Schwerpunkt der Lehre Jesu gewesen, wenn das Wort Himmel alleine fast 300x im NT vorkommt, "Reich Gottes" immerhin 77x.
Jesus predigte das Reich Gottes, als Reich der Liebe, das bereits diesseitig vorhanden ist.
Daraus würde ich nun nicht eine Lehre jenseitiger Verdammnisvermeidung machen. Was sollte das auch bringen, wenn Leute "lieben" wollen, nur weil sie sonst dafür in der Hölle schmoren? Deswegen sind die Leute nicht lieber wie "Heiden", die auch das tun, was man ihnen sagt, solange die Peitsche laut genug geschwungen wird.

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#549 Re: Allversöhnung

Beitrag von closs » Fr 18. Okt 2013, 15:49

Demian hat geschrieben:wer Selbstliebe zuerst und völlig reduziert mit Egozentrismus oder Narzissmus übersetzt, hat einen sehr fragwürdigen Liebesbegriff.
Das ist eher ein Problem der Konnotation - auch ich werde in einer Welt, die das Ich zum Zentrum des Seins macht (auf existentialistische Weise gemäß Sartre) misstrauisch, wenn das Wort "Selbstliebe" kommt. - Das es in einem gereinigten Sinne etwas ganz anderes bedeuten kann, sei unbenommen.

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#550 Re: Allversöhnung

Beitrag von Demian » Fr 18. Okt 2013, 15:49

Naqual hat geschrieben: Das Wort "Hölle" wird in den Evangelien 12x gebraucht. Und selbst hier in sehr unterschiedlichen Worten im altgriechischen Ausgangstext, die man nur mit Hölle übersetzt hat. Das ist mit Sicherheit nicht der Schwerpunkt der Lehre Jesu gewesen, wenn das Wort Himmel alleine fast 300x im NT vorkommt, "Reich Gottes" immerhin 77x.
Jesus predigte das Reich Gottes, als Reich der Liebe, das bereits diesseitig vorhanden ist.
Daraus würde ich nun nicht eine Lehre jenseitiger Verdammnisvermeidung machen. Was sollte das auch bringen, wenn Leute "lieben" wollen, nur weil sie sonst dafür in der Hölle schmoren? Deswegen sind die Leute nicht lieber wie "Heiden", die auch das tun, was man ihnen sagt, solange die Peitsche laut genug geschwungen wird.

Sehr gut - und richtig!

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