closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Nein, ganz und gar nicht ok. Man kommt - zumal auf wissenschaftlicher Ebene - nicht zu verschiedenen "nachweisbaren Ergebnissen"! Man gelangt nur zu ganz bestimmten, wissenschaftlich nachweisbaren Ergebnissen! Und auch nicht im Sinne des "jeweiligen" Modells, denn es gibt nur ein einziges wissenschaftliches Modell!
Oje - das klingt jetzt wirklich sehr naiv.
[...]
Bei einem Gespräch mit einem Stochastik-/Demoskopie-Professor haben wir das mal thematisiert - er hat sinngemäß gesagt:
"Ich darf Dir gar nicht sagen, für wen wir alles statistische Tabellen machen - oft sind es nämlich gegenseitige Interessen zum selben Thema, die wir gleichzeitig bearbeiten müssen ...
[...]
So ist die Realität - und die mir damals bekannten Wissenschaftler waren wirklich seriös ...
Du sprichst hier wiederum von etwas Anderem, closs. Du sprichst von bestimmten
Erkenntnisinteressen in der praktischen wissenschaftlichen Arbeit, die die Ergebnisse wissenschaftlichen Arbeitens beeinflussen. Dies ist ebenfalls ein Thema der Wissenschaftstheorie (Stichwort: Wissenschaftskritik der
Frankfurter Schule), aber es ist nicht unseres an dieser Stelle.
Unser Problem betrifft
die philosophische Wesensbestimmung von Wissenschaft, es betrifft die Defintion von Wissenschaft und ihre wesentlichen Merkmale. Die sind ein Thema der Wissenschaftstheorie und vor allem der Wissenschaftsgeschichte.
Unser heutiger moderner Wissenschaftsbegriff ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung der Wissenschaften und vor allem der Emanzipierung der Wissenschaften (im Besonderen der Naturwissenschaften) von dogmatischer Philosophie, Theologie und Glauben.
Ich hatte versucht, dies in aller Kürze exemplarisch zusammenzufassen:
Thaddäus hat geschrieben:
Und es ist auch gerade keine Setzung, sondern es ist das zentrale Ergebnis der historischen Entwicklung der Wissenschaften selbst, der Natur-, wie der Geisteswissenschaften. Noch bis tief in das christliche Spätmittelalter hinein, wurde nämlich auch in den Wissenschaften noch selbstverständlich davon ausgegangen, dass z.B. Gott existiert und die Bibel sogar jede naturwissenschaftliche Wahrheit enthält. Bert Brechts Leben des Galilei greift die Emanzipation zuerst der Naturwissenschaften, später auch der Geisteswissenschaften von diesem Glauben als Drama auf. In Brechts Galilei fordert dieser die anwesenden Kirchenvertreter auf, durch sein Fernrohr zu schauen, wo sie selbst sehen können, dass der Jupiter Monde hat, die ihn umkreisen, was belegt, dass auch die Erde um die Sonne kreisen kann. Aber die Kirchenvertreter weigern sich hindurchzusehen, weil sie es nicht für nötig halten, denn in der Bibel stehe ja bereits die Wahrheit, dass dies nicht sein kann. Genau das bedeutet es, sich auf eine übersinnliche, wahrheitsgarantierende Erkenntnisquelle zu berufen. Und genau davon haben sich die Wissenschaften ab der Neuzeit emanzipieren können, wodurch sie überhaupt erst zu wirklichen Wissenschaften werden konnten.
Zum modernen Wissenschaftsverständnis (aller Wissenschaften) gehört es wesentlich, dass die Erkenntnisquellen, die wissenschaftliches Arbeiten und die wissenschaftlichen Ergebnisse legitmieren, nicht
subjektiv sein dürfen. Vor dem Beginn der Neuzeit (zeitlich mit Descartes) durften diese Erkenntnisquellen durchaus subjektiv sein. Dies bedeutete, Gott und die Bibel galten bis dahin als legitime Erkenntnisquellen, auf die sich "Wissenschaftler" jederzeit berufen durften. Da diese (in Europa de facto christlichen) Beweisquellen aber weder selbst bewiesen werden können, noch intersubjektive Gültigkeit für sich beanspruchen konnten, erwiesen sie sich in der Historie der Wissenschaften als letztlich unbrauchbar.
Dies führte letztlich zum
methodischen Atheismus der Wissenschaften. Mit methodischem Atheismus der Wissenschaften ist nun nicht gemeint, dass sich die Wissenschaftler vor Beginn ihrer Arbeit hinsetzen und zunächst beschließen, dass sie alle Atheisten zu sein haben, bevor sie überhaupt mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit beginnen dürfen.
Methodischer Atheismus bedeutet lediglich, dass die Frage, ob Gott existiert oder nicht; ob die Bibel (der Koran etc.) ein heiliges und damit wahrheitsgarantierendes religiöses Zeugnis ist oder nicht oder ob die subjektive Überzeugung eines Menschen, er kommuniziere direkt mit Gott oder anderen transnaturalen Wesen, die ihm die Wahrheit der Dinge verkünden, korrekt ist oder nicht ...
in den Wissenschaften keine Rolle spielen darf. Nur so ist es möglich, dass gewisse Naturwissenschaftler religiös sein können, aber gleichzeitig redlich ihrer wissenschaftlichen Arbeit nachgehen.
Ihr persönlicher Glaube darf für ihre Arbeit schlicht keine Rolle spielen.
Methodischer Atheismus in den Wissenschaften bedeutet also nicht ein Bekenntnis zum Atheismus. Es bedeutet lediglich, dass die persönlichen Glaubensüberzeugungen zu was auch immer keine Rolle spielen bei der wissenschaftliche Arbeit. Die Frage nach den persönlichen Glaubensüberzeugungen, soweit solche vorhanden sein mögen, wird für die Wissenschaft und das wissenschaftliche Arbeiten als irrelevant ausgeklammert. Der methodische Atheismus der Wissenscahften ist also keine infame Erfindung gehässiger Atheisten, die die Weltherrschaft an sich reißen möchten, sondern er ist das Ergebnis einer geistesgeschtlichen Entwicklung der Wissenschaften, die mühsam lernen mussten, dass subjektive und wahrheitsgarantierende religiöse oder metaphysische Überzeugungen die Wissenschaften in ihrem Fortgang aktiv behindern und die als intersubjektiv auch nicht als allgemeingültig vermittelbar, schlicht und ergreifend irrelevant und überflüssig sind.