closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Du kannst aber nicht so tun, als könntest du die Naherwartung des jüdischen Wanderpredigers Jeschua abstreiten und damit gleichzeitig ein Ergebnis wissenschaftlicher Untersuchungen vorlegen.
Das setzt voraus, was man innerhalb der Theologie als "Wissenschaft" versteht.
Wenn man, wie einige, davon ausgeht, dass nur das Historisch-Kritische eine Wissenschaft sei,
heisst dies, dass man die Rezeptions-Geschichte des tatsächlichen Geschehens (das wir nicht kennen, weil es keine Filmaufnahmen aus Zeit gibt) zum Maßstab nimmt.
Du hast eine merkwürdig falsche Aufassung davon, wozu die Historisch-Kritische Methode angewendet wird.
Die Historisch-Kritische Methode untersucht biblische und außerbiblische Texte bzw. berücksichtigt die historisch-sozialen Umwelten des alten und neuen Testamentes, UM im Idealfalle tatsächliche historische Geschehnisse und tatsächliche, historisch-originale Aussagen z.B. des jüdischen Wanderpredigers Jeshua (Logien)
mit der höchst möglichen wissenschaftlichen Sicherheit zu rekonstruieren. Nur so kann wissenschaftlich das "tatsächliche Geschehen", von dem du sprichst, überhaupt rekonstruiert werden, soweit das möglich ist.
Man kann aber gerade NICHT das machen, was du machst: nämlich ein "tatsächliches historisches Geschehen"
annehmen (auf welcher Grundlage denn?) und dann sagen, die Historisch-Kritische Methode könne sich diesem "tatsächlichen Geschehen" nur rezeptionsgeschichtlich annähern.
Nein! Was dieses "tatsächliche Geschehen" gewesen ist, muss erst einmal historisch-kritisch rekonstruiert werden. Alles andere, was du als "tatsächliche Geschehen" annimmst, ist lediglich Phantasie.
Das gilt für alle tatsächlichen Geschehnisse im Zusammenhang mit Jeshua, wie für die tatsächlichen Geschehnisse bei der Schlacht im Teuteburger Wald, in Cäsars "Gallischem Krieg" gegen die Nervier und andere germanische Stämme oder die tatsächlichen Geschehnisse der Belagerung von Troja durch die Griechen, wie sie in der
Ilias geschildert wird und die genau so, wie sie dort geschildert wird, sicherlich nicht stattgefunden hat.
closs hat geschrieben:
Nimmt man diese aber zum Maßstab, nimmt man auch deren Kontaminationen zum Maßstab.
Nein, genau umgekehrt! Nur mit den Mitteln der Historisch-Kritischen-Methodik (und der Archeologie) kann man die Rezeption und Überlieferung von Texten und ihren diversen Fassungen von der rezeptionsgeschichtlichen und überlieferungsgeschichtlichen Kontaminationen befreien! Wobei die Veränderung der Texte von einfachen Abschreibefehlern bis hin zu rein dazu "erfundenen Geschehnissen" der natürlichen Entwicklung von Texten in einem Überlieferungsprozess entspricht. So z.B. die ausführlich ausgeschmückte Weihnachtsgeschichte bei Lukas. Weder gab es zu dieser Zeit eine Volkszählung, noch gab es drei Weise aus dem Morgenland, die im Laufe der Überlieferungsgeschichte zu Königen mutierten und schließlich auch noch Namen erhielten, die in keinem der Evv. zu finden sind.
Es gab dieses historische Geschehen nicht. Genau das ist der wissenschaftliche Erkenntisstand dazu. Dennoch spiegelt sich in der Ausschmückung der Weihnachtsgeschichte der Glaube der damaligen Menschen. Nicht das vermeintlich historische Geschehen ist ernst zu nehmen (denn das gab es nicht), sondern allein der Geist, den die lukanische Weihnachtsgeschichte vermitteln will. Deswegen heißt es im NT:
"Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig".
Genau dies ist übrigens die Herangehensweise des ev. Neutestamentler
Rudolf Bultmann. Er ist ein Mitbegründer der Historisch-Kritischen-Mehode und legt ein exegetisches Konzept vor, das aus der so genannten
Entmythologisierung und gleichzeitigen
existenzialen Interpretation (die das
Kerygma des Textes herausarbeitet) besteht.