Hi Barbara,
barbara hat geschrieben:Sola hat geschrieben:Und "Dogma" finde ich bei Paulus überhaupt nicht, sondern gerade den Einsatz gegen Vorschriften und Dogmen für die Freiheit im Geist.
Die Schwierigkeit bei Paulus ist für viele Christen, dass sie die Hinweise, die Paulus sehr konkret an einzelne Gemeinden mit ihren besonderen Problemen und Schwierigkeiten schrieb, eins zu eins auf heute übertragen wollen. Und sich dabei an diesen Details festklammern.
Auch, aber nicht nur. Das liegt daran, dass die nicht auf Konkretes bezogenen allgemeinen Aussagen bei ihm durchaus diskussionswürdig sind.
Die Ehe wird bei ihm als etwas Zweitklassiges beschrieben, also am besten ohne Ehe auskommen, aber zur Unzuchtvermeidung sollte man dann eben doch. Die Funktion von Ehe würde ich so NIE beschreiben und aus gutem Grund.
Paulus wird auch von Bibelprofis sehr unterschiedlich ausgelegt, man denke z.B. an die verschiedenen Formen einer Prädestinationslehre bis hin zu Calvin.
Paulus ist vieldeutig und das ist genau das, was seine Bedeutung AUCH ausmacht. Die antiken Gnostiker hatten auch Paulus als Lieblingsautor und sie kamen auf VÖLLIG verschiedene Ergebnisse (In sich selbst aber schlüssig in der Interpretation).
Er verwendet Begriffe teils mit unterschiedlichen Bedeutungen. Das erschwert das Verständnis.
Die Art und Weise, wie er das AT interpretiert und für seine Ausagen hernimmt, hat er sicher nicht von seinem Lehrmeister Gamaliel, geschweige denn, dass es heutigen Ansprüchen biblischer Exegese auch nur annäherend gerecht werden würde.
Beispiel Gal 3,10: Denn die aus den Werken des Gesetzes leben, die sind unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben (5.Mose 27,26): »Verflucht sei jeder, der nicht bleibt bei alledem, was geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, dass er's tue!« Die Schlussfolgerung, dass wer nach dem mosaischen Recht lebt unter einem Fluch steht, ist genau das Gegenteil von dem was im 5. Buch Mose steht, der dortige Sinn ist, dass man sich tunlichst an das Gesetz hält um möglichst nicht unter dem Fluch zu stehen. Also die Bedeutung im 5. Buch Mose ist: Die NICHT nach den Werken des Gesetzes leben, stehen unter einem Fluch. Man kann zwar über die Aussage als solche durchaus diskutieren und für richtig befinden, aber die Begründung, die er angibt, ist in dieser Form nicht haltbar und schlicht ungeschickt ausgedrückt.
Exegetisch fragwürdig ist dann auch gleich Gal 3,13 nachdem jeder der an einem Holz hängt verflucht ist. Die Referenzstelle in 5. Mose 21,22 sieht es anderes herum: Wer eine todeswürdige Sünde begannen hat, also ein Werk des Gesetzes nicht erfüllt hat (!) wird an ein Holz gehängt (und ist damit verflucht). Hier wird einfach passend gemacht, dass Jesus einen Fluch auf sich genommen hat.
Eine andere "gute" Möglichkeit Paulus misszuverstehen ist, sein jüdisches Denken nicht zu kennen und zu ignorieren (leider der Normalzustand im heutigen Christentum). Beispiel: "Seid untertan der Obrigkeit die Macht über euch hat, es gibt keine Obrigkeit ohne von Gott". Das klingt erst einmal makaber bei einer terrormäßig agierenden Kolonialmacht, die später Christen zu Hunderten verbrannte und in die Arenen schickte. Der Satz sagt aber nicht aus, dass die Obrigkeit "gut" ist, weil sie von Gott kommt (!) Im jüdischen Denken kommt sowohl "Gutes" wie "Böses" von Gott. Letzteres ist nicht wirklich böse, sondern dient dem Guten. Also ein Pharao ist auch nur in Amt und Würden, weil Gott dies so gemacht hat oder zulässt. Aber genau wegen dem bösen Pharao kann nun Gott über das Volk Gottes verherrlicht werden. Und so wird dann auch das Römische Reich gesehen.
Zum anderen gibt es gute Gründe, dass es ein erhebliches Spannungsverhältnis zwischen der jüdischen "Fraktion" der ersten Christen in Jerusalem und den Paulus-Leuten gab. Jakobus nimmt direkt Bezug auf die Lehre von Paulus Werke und Glaube zu trennen und führt dies polemisch (!) ad absurdum.
Paulus wird mit einem Lichterlebnis vor Damaskus bekehrt und braucht danach Jahre (!) um überhaupt einmal die Apostel zu treffen. So als wenn ihn die Erfahrungen der Apostel, die Jesus noch persönlich kannten, nicht einen Deut interessierten. Von Jesus berichtet Paulus eigentlich nur Kreuz und Auferstehung, auch die Evangelien schienen ihm unbekannt zu sein.
Der einzige Zeuge für die Harmonie zwischen Aposteln und Paulus scheint Lukas zu sein. Er berichtet (kommt sonst in keiner einzigen antiken Schrift bzw. in NT vor) als einziger von dem Apostelkonzil, in dem man sich darauf einigt, dass das Gesetz inkl. Beschneidung nur für die Juden gilt. Das ist insofern abstrus, weil die sich damals gar nicht darauf einigen brauchten, es war sonnenklar für die Juden, dass das mosaische Recht nur den Juden gegeben war. Also warum auf etwas einigen, was eh klar war? So was wirkt nicht authentisch. Bei Lukas, dem Weggefährten des Paulus, kommt auch die Schilderung vor, wie Petrus eine Vision von Gott hat, nach deren Deutung man die jüdischen Speisevorschriften nicht einhalten muss (anscheinend als Vorbereitung zum "Apostelkonzil"). Also Petrus, der die gesamte Wirkenszeit Jesu jahrelang begleitet hatte, muss noch einmal extra belehrt werden, was dem "Superapostel" Paulus ohne Extravision schon korrekt gegeben ist. Jesus scheint demnach Petrus nicht richtig auf sein Amt vorbereitet zu haben. Das klingt alles eigenartig und ist m.E. durchaus Grund für ein gewisses Misstrauen, das man hier haben sollte.
Eigenartig auch, dass zwar die Apostel und besonders genannt Petrus von Jesus beauftragt wird, aber der Paulus in keinster Weise angekündigt wird (siehe Evangelien).
Interessant auch, dass Jesus ein Leben in Werken predigte, Paulus einen Glauben der alleinig selig mache. Man wird bei Jesus nichts Entsprechendes finden.
Bei Paulus sehe ich tendenziell einen Menschen, der mit Schuldgefühlen beladen, Auswege suchte.
z.B. so:
Röm 7,17 So tue nun nicht ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
Also wenn das so ist, bin ich sündenfrei. Es bin ja nicht ich, der sündigt, sondern etwas was in mir wohnt. Praktisch.
Kein Wunder, dass er dann die Christen in seinem Umfeld "Vollkommene" nennt.
Jesus predigt eine schwere Religion. Der Weg ist schmal und er ist unglaublich hart in seinen Forderungen (z.B. liebet eure Feinde, oder wer ihm nachfolgen will soll allem absagen und das Kreuz auf sich nehmen) . Paulus predigt eine leichte Religion für die Massen. Eigentlich hat Jesus schon alles getan, der Christ bräuchte "nur noch Glauben", quasi als Geschenk Gottes, denn der Glaube kommt bei Paulus alleinig von Gott.
Eine Religion der "Ich-losen" entstand hier. Das Böse, dass ich tue, ist nicht von mir, sondern von der Sünde, das Gute das ich tue ist nicht von mir, sondern von Gott.