Pluto hat geschrieben:closs hat geschrieben:Das geht nicht in den Geisteswissenschaften. - Dort muss "Wissenschaft" anders definiert werden - oder man lässt es einfach weg und sagt: "Wissenschaft = ausschließlich Naturwissenschaft". - Echt nichts dagegen.
Das ist okay, wenn man auch eingesteht, kanonische Theologie ist keine Wissenschaft.
Aber dagegen wehren sich ja bekanntlich die Kanoniker.
Warum eigentlich? Was ist so schlimm daran zuzugeben, dass sie eine weltanschauliche Exegese vertreten? Weltanschauungen können doch auch aus Wissenschaften schöpfen. Dies ist vermutlich bei den Meisten, wenn nicht allen Usern hier im Forum so.
Es mag sein, dass ein biblischer begründeter Glaubensentscheid bei Kanonikern eine große Rolle spielt, doch die kanonische Exegese lässt sich auch
kulturwissenschaftlich begründen. Dazu verweise ich auf einen der größten Exegeten seiner Zeit:
Zitat von
Zenger:
Die kanonische Perspektive war auch über die Jahrhunderte hinweg eine im Christentum übliche Leseweise, deren Basisaxiom lautete: Sacra Scriptura sui ipsius interpres.
Diese Methode hat gewiss die Gefährdung, dass sie in den biblischen Texten das findet, was sie finden will, also zur Eisegese mutiert. Der Siegeszug der historisch-kritischen Exegese in der Neuzeit hängt auch mit derartigen Fehlentwicklungen dieser Methode zusammen. Ihre aktuelle Wiederaufnahme durch die christliche Bibelwissenschaft wurde zum einen durch den christlich-jüdischen Dialog angestoßen, zum anderen hat sie nicht nur mit der skizzierten Bewertung des komplexen Prozesses der Kanonisierung der biblischen Schriften zu tun, sondern auch mit den neuen kulturwissenschaftlichen Einsichten über die Funktion von heiligen und kanonischen Texten überhaupt. Ich kann dies alles hier leider nicht breiter und differenzierter darstellen.
Aber ich möchte festhalten, dass die Option des Papstes für die kanonische Lektüre bibel- und kulturwissenschaftlich begründbar ist.
Deshalb ist der von verschiedenen Kritikern erhobene Einwand, mit dem Projekt der kanonischen Exegese werde im Papstbuch ein doch sehr fragwürdiges Instrument als Problemlöser mobilisiert, weder überzeugend noch begründet. Die kanonische Methode gründet im spezifischen Charakter der Bibel selbst und ist so alt wie die Bibel selbst, deren Vernunftgemäßheit ließe sich m.E. gut vom Wahrheitsbegriff der Hebräischen Bibel her entwickeln. Dieser lautet bekanntlich
emet, d.h. Zuverlässigkeit, Beständigkeit, Treue. Die Bibel ist als Sammlung jener Schriften entstanden, die die Treue Gottes - trotz allem - bezeugen. Die Wahrheit der Bibel ist eine Wahrheit, die sich bewährt und dadurch bewahrheitet hat, und zwar in ihrer theologischen, kanonischen Ganzheit. Wenn man dies zeigen kann, ist die Botschaft der Bibel m.E. vernunftgemäß. Ich habe den Eindruck, dass das Jesus-Buch von Benedikt XVI. eine wichtige Stimme zum Projekt "Vernunftgemäßheit der Bibel" ist.
(farbliche Formatierungen und "Fettung" von mir)
Wir alle vertreten Weltanschauungen. Keine Weltanschauung ist eine Wissenschaft, doch lässt sich vieles in dieser in der Regel auch wissenschaftlich begründen. Weltanschaungen können unvernüftig sein, aber auch vernünftig. Auch die vernünftigen umfassen mehr als Wissenschaft. Da spielen die vielen Lebenserfahrungen hinein, die unsere Anschauung von der Welt prägen.
Ob die kanonische Exegese vernunftsgemäß ist, hängt meiner Meinung nicht davon ab, ob sie formal eine Wissenschaft ist. Entscheidend ist, dass sie neben einer biblischen Säule auch eine kulturwissenschaftliche Säule hat.
Pluto hat geschrieben:closs hat geschrieben:Pluto hat geschrieben:Es liegt nicht an uns, das nach belieben zu ändern.
An uns nicht, aber an der Wissenschafts-Theorie - und die ist doch schon viel weiter - sieht Hoyingen-Hüne.
Die Methodik wird nicht von Theoretikern wie Hoyingen-Hüne bestimmt.
Die Praxis bestimmt wo es lang geht.
Genau auf diese bezieht sich Hoyingen-Huene und leitet aus der wissenschaftlichen Untersuchung der Praxis seine Wissenschaftstheorie ab.
Ich werde Dir jetzt mal sagen, in welcher Reihenfolge User meiner Erfahrung nach im allgemeinen die Seriösität von Internetquellen bewerten und zwar mit zunehmender Seriösität:
3. Forum-Beiträge
2. Wikipedia
1. Universität (z.B. Vorlesungen, wie von Prof. Hoyingen-Huene)
Ich weiß, dass ist unangenehm, aber es ist die Wahrheit.
Pluto hat geschrieben:closs hat geschrieben:Die HKM kann interpretativ die Frage beantworten "Was ist die Bibel, wenn wir eine naturalistische Weltanschauung zugrundelegen" - mehr nicht.
Die HKM legt überhaupt keine Weltanschauung zugrunde. Das ist optimal.
Dies bedeutet nicht, dass in der Praxis nicht weltanschauliche Sichtweisen in die historisch-kritische Exegese einfließen würden.
Pluto hat geschrieben:closs hat geschrieben:Das Undisziplinierte ist das "To eat the cake and have it" - "duschen wollen, aber nicht nass werden wollen".
Das ist der Vorwurf den ich der kanonische Exegese mache: Sie will wissenschaftlich sein, will sich aber nicht an die allgemein anerkannten Regeln halten.
Dieser Vorwurf mag z.T. berechtigt sein.