Alles Teufelszeug? III

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sven23
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#471 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Fr 8. Jul 2016, 06:11

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Forschung kann sich nicht nur mit Mutmaßungen zufrieden geben.
Zwischen Quellenlage und "dem, was der Fall ist", ist immer eine Mutmaßungslücke..
Deshalb hält sich die Forschung ja an die Quellen, um die Mutmaßungslücke möglichst klein zu halten.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deshalb muss sie alle Quellen untersuchen und in einen nachvollziehbaren Zusammenhang bringen.
Gerade das ist eigentlich die Stärke des gesamt-kanonischen Ansatzes. .
Was manche als Stärke verkaufen wollen ist in Wahrheit die Schwäche der kanonischen Exegese, weshalb sie ja auch in der historischen Jesusforschung völlig unbrauchbar ist.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Der Widerspruch zu "ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen..." bleibt auch mit dem 2. Petrusbrief bestehen.
Korrekt - und jetzt wäre die Frage: Wo kommt dieser Widerspruch her? - Und da ist aus meiner Sicht per HKM nicht klärbar, ob es sich hierbei um eine Fehl-Rezeption handelt oder tatsächlich von Jesus stammt. .
Der Widerspruch ist nur erklärbar - und da ist sich die Forschung einig - wenn es authentische Jesuswort waren. Sonst hätte sie die Schreiber einfach weggelassen, da sie sich schon bei Abfassung als Irrtum erwiesen hatten.

closs hat geschrieben: Zumal es ja genauso Jesus zugeordnete Aussagen gibt, die dazu im Widerspruch stehen.
Die aber im Rahmen der einsetzenden Parusieverzögerung erklärbar sind.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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2Lena
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#472 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von 2Lena » Fr 8. Jul 2016, 09:45

Münek hat geschrieben:... und eine handvoll Fische und Brote in Wein verwandeln, so dass viertausend Menschen genug hatten...
Müneki, du hast da etwas falsch verstanden, ... Fische wurden nicht zu Wein verwandelt.
Möglich wär's vielleicht ... aber die Vieher sind lieber im Wasser.

Münek hat geschrieben:Für Jesus scheint es - abweichend von der jüdischen Apokalyptik - völlig gewiss gewesen zu sein, das die große Wende (Ablösung des gegenwärtigen bösen Weltzustandes/Äons) unmittelbar bevorsteht, die "Zeichen sind schon wahrzunehmen".
Das hast du wenigstens weitgehend richtig erkannt. Die Sehnsucht auf den Messias war schon Jahrhunderte Teil der Prophezeiungen gewesen - und das war in sehr vielen Ländern der Kulturstaaten der Fall gewesen. (Heute gehen die Ahnungen in Richtung Literatur für Umweltschutz)

Die entsprechende Auswahl damaliger Literatur ist nicht grad im Supermarkt an der Ecke käuflich zu erhalten, aber es finden sich bei den antiken Historikern schon allein vom Thema her zahlreiche Hinweise darüber.

closs
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#473 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Fr 8. Jul 2016, 10:07

Münek hat geschrieben:Die synoptischen Evangelien sprechen eine ganz klare, eine eindeutige Sprache.
Stimmt - bspw. weil sie dieselbe Quelle haben. Das sagt erst mal nichts aus.

Münek hat geschrieben:Jesus schildert seinen Jüngern am Ölberg den Anbruch der bevorstehenden Gottesherrschaft auf Erden als das Ende eine Kette von katastrophalen kosmischen Ereignissen.
Möglich - ich behaupte ja nicht, dass Deine Version falsch sein MUSS.

Münek hat geschrieben:Und wenn ich mich so in der Welt umblicke, hat Gott in der Tat seine Königsherrschaft immer noch nicht angetreten.
Das wird erst mit der Apokalypse so sein - aber seit 2000 Jahren ist die Gottesherrschaft gekommen. Das ist der andere Ansatz, zu dem sich die mehrheitliche Theologie bekennt.

Münek hat geschrieben:Dass sich die Wissenschaft nicht mit jeglichem esoterischen Klimbim befassen mag, sollte man ihr nachsehen.
Das darf sie auch gar nicht - sie muss systematisch durchgängig historisch-kritisch nachvollziehbar. Die kirchlichen Theologien meinen, dass in ihrem Sinne beides erfüllt ist.

Münek hat geschrieben:Die angekündigte Gottesherrschaft entpuppte sich bekanntermaßen als mörderische Kirchenherrschaft.
Zum Teil ja - auch das war voraussehbar.

Münek hat geschrieben:Sie haben geglaubt, was sie als zentrale mündliche Botschaft Jesu gehört haben.
Gehört und dementsprechend interpretiert haben. Wenn Du bspw. glaubst, der Satz "Das Gottesreich ist nah" wiese auf eine zeitlich nahe Apokalypse hin, können sie es auch so interpretiert haben - eben weil sie den NT-Paradigmenwechsel nicht verstanden haben. - Ist Dir eigentlich klar, dass Du gedanklich alttestamentarisch gestrickt bist? (Das sind die Amerikaner übrigens auch mehrheitlich)

Münek hat geschrieben:Dass die Wissenschaft für irgendwelche postulierten Geistwesen nicht mal ein müdes Lächeln übrig hat
Du wiederholst hiermit, dass die "forschende Theologie" in Deinem Sinne davon ausgehen muss, dass es Gott NICHT gibt - genau mein Punkt. Und das soll keine Setzung sein?

Münek hat geschrieben:die Evangelisten sind die Verfasser ihrer zu Papier gebrachten Evangelientexte
Guck mal unter "synoptische Evangelien" - da bleibt es offen.

Münek hat geschrieben:Ein Theologe schrieb einmal, die HKM sei die "Anwältin der Schrift" und schütze sie vor ideologischer Bevormundung und subjektiver Willkür.
Im besten Sinne ist da was dran - und wird innerhalb der kirchlichen Theologie wahrscheinlich auch heute so gesehen. - Nur hat sich ja offensichtlich die HKM aufgeteilt: Eine "fromme" HKM, die bei Wahrung aller wissenschaftlichen Regeln davon ausgeht, dass es Gott gibt - und eben eine atheistische HKM.

In Bezug auf rein technische Aussagen ist die HKM in der Tat "Anwältin der Schrift" - aber dabei belässt man es ja nicht. - Das alte Problem mit dem Zauberlehrling.

Münek hat geschrieben: Ich halte mit an das "Gebot der intellektuellen Redlichkeit".
System-übergreifend ist diese Aussage unrichtig. Du mahnst Redlichkeit INNERHALB der HKM in einer Form an, die gleichzeitig theologische Unredlichkeit ist.

Münek hat geschrieben:Da den Dogmatikern die fachliche Kompetenz fehlt, schlucken sie in der Regel die Ergebnisse der wissenschaftlichen Bibeltext-Auslegung
Man kann das auch professioneller ausdrücken: Die Dogmatiker übernehmen gerne Erkenntnisse von Spezial-Disziplinen, soweit sie sich innerhalb deren Rahmen stattfinden - konkret: Wenn die HKM sagt, Evangelium x ist aus sprachlichen Analysen heraus 30 Jahre älter als Evangelium y, dann übernehmen sie es dankbar. - Aber für die eigentliche INHALTLICHE Auslegung ist die HKM nicht zuständig - es sei denn, sie öffnet sich zum Geistigen hin (Ratzinger).

Ratzinger hat mit seiner gescheiterten oder nicht gescheiterten Exegese versucht, einen Brückenschlag zwischen HKM und inhaltlicher Deutung der Texte (ich meine damit NICHT "formal-inhaltlich", sondern substantiell) anzubieten.

Gelingt dieser Brückenschlag nicht, wird es aus meiner Sicht eine Spaltung der HKM in kirchlich-theologischer (es gibt Gott) und säkular religions-wissenschaftlicher (es gibt Gott NICHT) geben - es sei denn, die HKM zieht sich auf ihre Kernkompompetenz zurück und äußerst sich ausschließlich wissenschaftlich-sachlich und nicht interpretierend.

Unsere Diskussionen werden daran nichts ändern.

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#474 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Fr 8. Jul 2016, 10:15

sven23 hat geschrieben:Deshalb hält sich die Forschung ja an die Quellen, um die Mutmaßungslücke möglichst klein zu halten.
Ich sehe eher das Motiv, dass man der Methodik mehr verpflichtet ist als der Wirklichkeit. Vergiss nicht: Wir befinden uns mitten drin in einem Streit unter verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Selbsterhaltungs-Reflexen UND vor allem Weltanschauungen, die der Sache selbst gelegentlich nicht gut tun.

sven23 hat geschrieben: weshalb sie ja auch in der historischen Jesusforschung völlig unbrauchbar ist.
WER sagt das? Doch sicherlich diejenigen, die sich in ihrem trauten Heim nicht von der kanonischen Exegese stören lassen wollen.

sven23 hat geschrieben: Sonst hätte sie die Schreiber einfach weggelassen, da sie sich schon bei Abfassung als Irrtum erwiesen hatten.
Nochmal: Wenn die Schreiber zum Zeitpunkt der Textverfassung selber dran geglaubt haben ("Jesus hat es so gesagt, aber es kam anders oder anders, als wir gedacht haben"), schreiben sie es doch auch hin - oder nicht?

sven23 hat geschrieben:Die aber im Rahmen der einsetzenden Parusieverzögerung erklärbar sind.
Ja - aber auch erklärbar sind über eine einsetzende Erkenntnis, wie es WIRKLICH gemeint gewesen war. - Genau diese Frage ist per HKM NICHT klärbar, weil es sich nicht um formale, sondern inhaltliche Fragen handelt.

Denn die HKM sieht nicht vor, dass eine jüngere Quelle authentischer zum Ursprung sein kann als eine ältere - genau das kann aber der Fall gewesen sein, wenn mit der Zeit der Groschen gefallen ist. - Die HKM (in EURER Darstellung) ist für solche Fälle nicht vorbereitet.

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Halman
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#475 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Halman » Fr 8. Jul 2016, 14:09

Tja, nun, wo Savonlinna nicht mehr hier ist und offenkundig von ihren Beiträgen kaum etwas gelernt wurde, kann nun das Pseudo-HKM-Mantra fachlich unwidersprochen ständig wiederholt werden. Richtiger wird es davon zwar nicht, aber immerhin bleibt alles beim Alten. :thumbdown:
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#476 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Fr 8. Jul 2016, 16:31

Halman hat geschrieben: kann nun das Pseudo-HKM-Mantra fachlich unwidersprochen ständig wiederholt werden
Es ist eine ständige Rede und Gegenrede. Aus der mir bekannten Praxis WISSEN HKM-ler, was sie methodisch können und was sie nicht können und gegen dementsprechend relativierend mit ihren Ergebnissen um.

Zu unserer Zeit war der Standard: "Nach Stand der Forschung ergibt sich unter historisch-kritischen Gesichtspunkten folgendes: ...". - Impliziert war hier: "Wir wissen, dass diese Ergebnisse dem Stand der Forschung nach systematisch-theologischen Gesichtspunkten NICHT entsprechen muss, weil die Kollegen der anderen Diszplin andere methodischen Grundlagen haben".

Damals konnten HKM-ler und Systematiker problemlos sagen: "Würde ich in DEINER Disziplin arbeiten, käme ich zu anderen Ergebnissen als ich jetzt in MEINER Disziplin erziele".

Wenn nun aber diese weise Erkenntnis zu den unterschiedlichen Grundlagen der Disziplinen verloren geht und die HKM als DIE einzig relevante forschende Disziplin der Theologie (miss-) verstanden wird, muss man sie aus meiner Sicht in ihre Schranken verweisen. - Genau das tut (nicht nur) Ratzinger.

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sven23
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#477 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Fr 8. Jul 2016, 16:39

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deshalb hält sich die Forschung ja an die Quellen, um die Mutmaßungslücke möglichst klein zu halten.
Ich sehe eher das Motiv, dass man der Methodik mehr verpflichtet ist als der Wirklichkeit. Vergiss nicht: Wir befinden uns mitten drin in einem Streit unter verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und Selbsterhaltungs-Reflexen UND vor allem Weltanschauungen, die der Sache selbst gelegentlich nicht gut tun.
Den Streit gibt es nicht wirklich, weil er längst entschieden ist. Und solange keine neuen Quellen auftauchen und die Glaubensdogmatiker nichts als ihren Glauben entgegenhalten können, bleibt das auch so.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: weshalb sie ja auch in der historischen Jesusforschung völlig unbrauchbar ist.
WER sagt das? Doch sicherlich diejenigen, die sich in ihrem trauten Heim nicht von der kanonischen Exegese stören lassen wollen.
Dieses Thema ist doch auch längst gegessen. Mit kanonischer Exegese stolpert man nur von einem Zirkelschluss zum nächsten. Thaddäus hat das x-mal sehr schön dargelegt. Leider bleibt hier bei manchen nichts hängen.
Übrigens hast du auch schon mal zugestimmt, dass die kanonische Exegese für die historische Jesusforschung nicht geeignet ist. Warum wieder der Rückfall?

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Sonst hätte sie die Schreiber einfach weggelassen, da sie sich schon bei Abfassung als Irrtum erwiesen hatten.
Nochmal: Wenn die Schreiber zum Zeitpunkt der Textverfassung selber dran geglaubt haben ("Jesus hat es so gesagt, aber es kam anders oder anders, als wir gedacht haben"), schreiben sie es doch auch hin - oder nicht?
Eben nicht, weil sie zum Zeitpunkt des Schreibens ihren Irrtum hätten schon erkennen können. Da sie ja bekanntlich keine Skrupel hatten, die Wahrheit in ihrem Sinne zu verbiegen, hätten sie dies auch im Falle der Naherwartung gerne gemacht, wenn es denn gegängen wäre. Da aber die Naherwartung so sehr im Zentrum Jesu Verkündigung stand, war es unmöglich, dies zu verschweigen oder abzustreiten.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die aber im Rahmen der einsetzenden Parusieverzögerung erklärbar sind.
Ja - aber auch erklärbar sind über eine einsetzende Erkenntnis, wie es WIRKLICH gemeint gewesen war. - Genau diese Frage ist per HKM NICHT klärbar, weil es sich nicht um formale, sondern inhaltliche Fragen handelt.
Nein, weil selbst die Fälscher des 2. Petrusbriefes sich nicht trauen, die Naherwartung zu leugnen oder ihn als falsch verstanden darstellen, sondern die Naherwartung mit dem "göttlichen Zeitmass" zu erklären versuchen.

closs hat geschrieben: Denn die HKM sieht nicht vor, dass eine jüngere Quelle authentischer zum Ursprung sein kann als eine ältere - genau das kann aber der Fall gewesen sein, wenn mit der Zeit der Groschen gefallen ist. - Die HKM (in EURER Darstellung) ist für solche Fälle nicht vorbereitet.
Du kannst davon ausgehen, dass die Forschung in 200 Jahren so ziemlich jeden Stein umgedreht hat und die verschiedensten Ansätze durcherxerziert hat. Das waren sicher auch Irrwege und falsche Ansätze dabei, die aber durch weitere Forschung (siehe Albert Schweitzer) aufgeklärt wurden.
Die Naherwartung hat alle Stürme überstanden.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#478 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Fr 8. Jul 2016, 17:23

sven23 hat geschrieben:Den Streit gibt es nicht wirklich, weil er längst entschieden ist.
Er ist BEIDSEITG längst entschieden.

sven23 hat geschrieben: Mit kanonischer Exegese stolpert man nur von einem Zirkelschluss zum nächsten. Thaddäus hat das x-mal sehr schön dargelegt.
Das ist bei einer säkular interpretierenden HKM dasselbe. - FALLS es Gott gäbe, würde sie methodischerweise trotzdem so tun müssen, als gäbe es ihn NICHT: "Lieber Gott, selbst wenn es Dich gibt, können wir Dich leider nicht berücksichtigen - dumm für Dich gelaufen".

Thaddäus hat auf sehr intelligente Weise ihr weltanschauliches System begründet - mehr nicht. - Sie nimmt den kantschen Vernunftbegriff in heutigem Verständnis zum Maßstab und kommt dann zu ihren Ergebnissen - also Wahrnehmung als Maßstab für Wirklichkeit. - Das kann man weltanschaulich-modellhaft machen, klärt aber nicht das Problem hier.

sven23 hat geschrieben:Übrigens hast du auch schon mal zugestimmt, dass die kanonische Exegese für die historische Jesusforschung nicht geeignet ist.
Stimmt. - Unter Jesusforschung verstehe ich, dass man nach historischen Quellen sucht und belegt. Das macht die kanonische Exegese nicht.

Im 19./20. Jh. gab es Strauss, dem Troeltsch und Wrede widersprachen - über Wrede heisst es in wik: "Mit diesem Aufsatz war die liberale Leben-Jesu-Forschung an ihren vorläufigen Endpunkt gekommen: Die historische Kritik holte ihre eigenen Voraussetzungen ein". - Also schon damals hat man die unterschiedlichen Setzungen von wissenschaftlichen Disziplinen erkannt - dieses Problem scheint bis heute nicht geklärt zu sein.

sven23 hat geschrieben:Eben nicht, weil sie zum Zeitpunkt des Schreibens ihren Irrtum hätten schon erkennen können.
Naja - wenn sie es im 1. Jh. geschrieben hätten, wäre es noch im Rahmen gewesen. Und danach hat man ja umgedeutet.

Nach meinem Verständnis hatten EINIGE Textverfasser tatsächlich eine Naherwartung in "Deinem" Sinne, die dann revidiert wurde, weil nichts kam. - Ob es revidiert wurde, weil man sich rausreden wollte oder weil man endlich kapiert hat, was Jesus WIRKLICH gemeint hatte, wäre im Einzelfall zu prüfen.

sven23 hat geschrieben:weil selbst die Fälscher des 2. Petrusbriefes sich nicht trauen, die Naherwartung zu leugnen oder ihn als falsch verstanden darstellen, sondern die Naherwartung mit dem "göttlichen Zeitmass" zu erklären versuchen.
Wieso "leugnen"? - Dieser Ansatz ist doch zumindest mal ein Fortschritt - insofern, dass erkannt wird, dass Jesus etwas anderes gemeint hat. - Ob das "göttliche Zeitmaß" der richtige Erklärungsansatz ist, steht auf einem anderen Blatt - aber ein Erkenntnis-Anfang ist gemacht. - Das Erkennen entwickelt sich doch erst nach und nach.

sven23 hat geschrieben:Die Naherwartung hat alle Stürme überstanden.
Die Naherwartung in "Deinem" Sinne ist im Gegenteil seit Jahrzehnten inner-theologisch klinisch tot und ist ein Thema INNERHALB der HKM. - Aber wir sehen: Hier werden Dinge ganz unterschiedliche eingeschätzt.

So viel sei Dir entgegengekommen: Innerhalb der inneren, methodischen Voraussetzungen der HKM (in "Deinem" Verständnis) ist "Deine" Naherwartung folgerichtig - mehr nicht.

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sven23
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#479 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Fr 8. Jul 2016, 17:29

closs hat geschrieben: Was kam bei Strauss für den Fall raus, dass Jesus Gott wäre? - Gibtst Du mir eine Antwort, kann ich Dir sagen, wie er methodisch vorgegangen ist.

Hier der Service: ;)

"In seiner „Vorrede“ zum ersten Band des „Leben Jesu, kritisch bearbeitet“ gibt Strauß Auskunft über Ansatz und Methode seines Werks. Danach beabsichtigt er, in Auseinandersetzung sowohl mit der supranaturalistischen, d.h. einer übernatürlichen, eine göttliche Offenbarung voraussetzenden Deutung als auch einem rationalistischen Verständnis der in den Evangelien überlieferten Geschichte Jesu die Evangelientexte daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie Historisches oder Mythisches enthalten. „Mythus“ ist für Strauß identisch mit „Sage“, die aus einem mündlichen Überlieferungsprozess hervorgeht; und so versteht er „unter neutestamentlichen Mythen nichts Andres, als geschichtartige Einkleidungen urchristlicher Ideen, gebildet in der absichtslos dichtenden Sage“ (I, 75). Hatte man bisher in der Exegese den Mythusbegriff auf die Jesusgeschichte nur partiell angewandt (nämlich bei Geburt, Kindheit, Versuchung, Himmelfahrt), so vertritt Strauß nun die Auffassung, dass „das Mythische auf allen Punkten der Lebensgeschichte Jesu zum Vorschein kommt“ (I, 71). Das einfache Gerüst des Lebens Jesu sei von den ersten Christen mit einem mythischen Rankenwerk umgeben worden, das man dem Alten Testament entnahm, um damit auszudrücken, dass Jesus die Propheten und Mose übertrifft und die Messiasverheißungen erfüllt (I, 62).

Hätte die altkirchliche Überlieferung Recht, dass das Matthäus- und das Johannesevangelium von Augenzeugen Jesu verfasst worden wären, dann ließe sich Strauß zufolge das „Einschleichen unhistorischer Sagen“ in diese beiden Evangelien nicht wahrscheinlich machen (I, 62). Deshalb ist Strauß nicht nur in der Einleitung, sondern auch innerhalb der einzelnen Untersuchungen darum bemüht, diesen Einwand zu entkräften.

Strauß verfährt idealtypisch so, dass er zu Beginn den biblischen Sachverhalt darstellt, danach dessen supranaturalistische und rationalistische Deutung nachzeichnet, jeweils der Kritik unterzieht und mit der mythischen Interpretation als der angemessenen abschließt, in der die Wahrheitsmomente der beiden anderen Deutungsweisen aufgehoben sind. Eine solche Abfolge der methodischen Schritte begegnet bei der Behandlung der Jungfrauengeburt Jesu (I, 129-180). Meist aber setzt sich Strauß in ein und demselben Paragraphen sowohl mit der supranaturalistischen als auch der rationalistischen Erklärung auseinander. Strauß zufolge nehmen nämlich die Orthodoxie ebenso wie der Rationalismus „die im Neuen Testament behauptete Einzigartigkeit Jesu als äußere, historische Gegebenheit, deren supranaturalistische bzw. natürliche Erklärung den einzigen Unterschied zwischen ihnen bildet“, während „jene christologische Behauptung als Produkt des mythenschaffenden Geistes der Gemeinde verstanden werden“ müsste."

Quelle: bibelwissenschaft.de
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#480 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Fr 8. Jul 2016, 17:46

sven23 hat geschrieben:Hier der Service
Vielen Dank.

Ich finde diesen Versuch ok - Strauss versucht etwas (ganz ohne Wertung). - Jetzt die Frage: Wo entnimmst Du eine Verbindlichkeit dieses Ansatzes?

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