sven23 hat geschrieben:Es geht auf allen Ebenen. Die in der Forschung arbeitenden Theologen haben ein hohes Mass an Abstraktions- und Reflexionsvermögen, so dass sie prinzipiell jede Religion oder jeden Mythos einer historisch-kritischen Prüfung unterziehen könnten.
Das gilt auch umgekehrt, wenn Forscher mit spirituell-definierte Grundlagen den Materialismus kritisch überprüfen - trotzdem hast Du recht: Man kann natürlich auf HKM-Ebene interpretieren - aber man sollte die Ergebnisse nicht als "Tatsachen", sondern als "Interpretationen" darstellen ("methodische Ergebnisse" - Theißen).
sven23 hat geschrieben:Was heißt umgekehrt? Hier geht es um die historische Jesusforschung und da ist die historisch-kritische Methode das Mass aller Dinge.
Aber nicht das Interpretations-Maß aller Dinge - konkret: Wenn die HKM behauptet, dass Jesus eine Naherwartung (in Deinem Sinne) hatte, wird eine christlich-orientierte Exegese/Hermeneutik sehr wohl dagegen setzen, dass Jesus aus ihrer Sicht historisch KEINE Naherwartung hatte - nicht weil sie in historischen Details rumwühlen will (das ist wirklich Sache der HKM), sondern weil sie die Wirklichkeit Jesu erforscht, die zwangsläufig historisch ist, auch wenn man es nicht auf historische Forschung anlegt.
sven23 hat geschrieben:Und deshalb ist auch der sog. Sündenfall eine Metapher, von mir aus auch eine Chiffre, aber kein historisches Ereignis.
Ja - natürlich. - Was ändert das?
sven23 hat geschrieben:Auch das ist kein fesstehendes Faktum, sondern bereits eine theologische Interpretation.
Auch richtig - deswegen dauert es doch, bis eine Zeit Dinge aus einem gewissen Abstand beurteilen kann - unter Historikern gilt der Satz: "Geschichtsbücher sollte man frühestens mit 50 Jahren Abstand zum Geschehen schreiben". - Und wie Du weißt, gibt es auch heute immer noch neue Geschichtsbücher zu lang vergangenen Zeiten - nicht unbedingt weil neue Quellen aufgetaucht sind, sondern alte Quellen neu bewertet werden. - So ähnlich kannst Du Dir das vorstellen, was "Hermeneutischer Zirkel" resp. "Heilsgeschichte" ist - man checkt immer mehr (zumindest gibt es die Möglichkeit dazu).
sven23 hat geschrieben:closs schrieb:"Die materielle Belohnung Hiobs ist eine Chiffre für "Du, Hiob, bist jetzt mit Deiner Erkenntnis auf dem richtigen Weg" - im NT führt der richtige Weg in die sog. "Erlösung", die NICHT materieller Natur ist. - Ist das so begreifbar?"
Bingo - aber nicht, weil der/die Hiob-Verfasser sich auf Paulus beziehen, sondern weil sie etwas aufgreifen, was Paulus dann im NT-Sinn deutlicher macht.
sven23 hat geschrieben:Hättest du nur einen Bruchteil von Thaddäus philsophischen Kenntnissen und einen Schuss gesunden Menschenverstandes, dann könntest du dich auch aufgeklärt nennen, zumindest in Ansätzen.
Das ist eine beliebige Behauptung - Du wirst nicht erwarten, dass ich mich jetzt auf Kosten von Thaddäus profiliere.
sven23 hat geschrieben:Bei der Kanonik bin ich mir da gar nicht so sicher, denn sie arbeitet im Grunde mit Zirkelschlüssen.
Die Bibel ist Gottes Wort, denn es steht geschrieben „alle Schrift ist von Gott eingegeben“.
Jede Hermeneutik, also auch die HKM-Hermeneutik, arbeitet mit "Zirkelschlüssen" - weshalb ich diese Aussage für sinnlos halte. - Im Grunde ist sogar jeglich Wahrnehmung ein Zirkelschluss, weil sie letztlich immer nur über das funktioniert, was das Ich zu bieten hat. - Genau deshalb ist es doch so wichtig, dass das Christentum (und erstmals Hiob) auf die NICHT-Anthropozentrität der "Realität" hinweisen: "Ich-bin-nicht-das-Maß".
Auch der von Dir ständig eingesetzte Satz, die Bibel sei wahr, WEIL in der Bibel steht, sie sei von Gott eingegeben, ist falsch - das ist nicht die Argumentation der Kanonik. - Die Kanonik sagt: "Ich glaube, dass die Bibel göttlich inspiriert ist und deshalb lesen wir sie so". - Du stellst das immer wieder gegen besseren Wissens falsch dar.
sven23 hat geschrieben:Der Theologieprofessor Werner Stenger nimmt Nietzsches Philippika als Ansporn für die bei ihm Studierenden, indem er warnend den Finger hebt, Nietzsche habe aufgedeckt, dass "Theologen in der Gefahr stehen, für ihre Auslegung der Bibel solche Privilegien zu beanspruchen"(6) und er meint mit Privilegien den Fehler, den mancher Theologe macht, wenn er "als Glaubender den Büchern der Bibel eine größere Autorität über sich einräumt als anderen Büchern" und dann versucht ist, "die biblischen Texte bei der Auslegung methodisch grundsätzlich anders zu behandeln als andere schriftliche Dokumente aus Vergangenheit und Gegenwart.""
Norbert Rodenbach
Das klingt alles ziemlich weltanschaulich. - Natürlich hat Nietzsche recht: Ein gläubiger Theologe untersucht die Bibel so, als gäbe es Gott - und das hat selbstverständlich Auswirkungen bei der Interpretation. - Aber das hat doch nichts mit methodischer Untersuchung auf reiner Sachebene zu tun - dort spielt es keine Rolle.
sven23 hat geschrieben:Eben, und weil Kanonik nichts in der historischen Forschung zu suchen hat, kann sie auch keine Aussagen über historische Fragen treffen, wie die Naherwartung.
Falsch - wenn, dann umgekehrt: Weil "Naherwartung Jesu" eine geistige Frage betrifft, kann die HKM keine Aussagen dazu treffen - außer halt mit Hinweis auf ihre Setzungen. - Um es verkürzt zu sagen: Die HKM ist gut darin, den damaligen Volksglauben zu beschreiben: "So dachte das Volk". - Aber sie kann nicht beurteilen, was Jesus dachte, falls er nicht nur Mensch, sondern auch göttlich war.
sven23 hat geschrieben:Wikipedia sieht das zwar anders, aber was weiß Wiki schon?
Wiki hat dann recht, wenn sie als Ausgangspunkt die Wiedererweckung dieser Exegese-Formen nimmt, die mit der Dominanz der HKE zurückgedrängt worden war.
Sieh es einfach mal praktisch: Bevor die HKM kam, hat man die Bibel aus ihrem geistigen Kontext heraus und unter der Voraussetzung der Existenz Gottes verstanden - nichts anderes macht letztlich die Kanonik, nur dass sie ihre interpretative Ebene bei Bedarf auf HKM-Sachergebnissen aufbaut.
sven23 hat geschrieben:Als Desavouierung der Wissenschaft empfinde ich es eher, wenn man von Glaubensbekenntissen, göttlicher Inspiriertheit von Texten, Wunderglauben usw. spricht und dies als Wissenschaft verkaufen will.
Das WÄRE so, wenn Deine Unterstellung richtig wäre. - Niemand verkauft eine hermeneutische Ausgangsposition als Wissenschaft.
Es ist NICHT Wissenschaft, wenn man die Bibel so untersucht, als gäbe es Gott - es ist ebenfalls NICHT Wissenschaft, wenn man die Bibel so untersucht, als gäbe es Gott NICHT. - Das sind hermeneutische Vorannahmen und sonst nichts. - "Wissenschaft" ist die Tätigkeit, bei der ein Sachverhalt mit objektiven und nachvollziehbaren Methoden systematisch beschrieben und untersucht wird (vgl. wik).
Es geht also um die Objektivität und Nachvollziehbarkeit der Methodik und nicht um die Objektivität und Nachvollziehbarkeit der hermeneutischen Vorannahmen, die man eh nicht falsifizieren kann (oder kannst Du nachweisen, dass Jesus nur Mensch ist?). - DAS macht Wissenschaft aus.
sven23 hat geschrieben:Das bringt nichts, weil wir Sicherheitsschuhe tragen.
Wenn die Zehen auch mal Luft kriegen sollen, sollte man sie ab und zu ausziehen.