Warum läßt Gott so viel Leid zu?

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sven23
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#441 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von sven23 » Sa 16. Nov 2013, 15:45

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Postuliert man das "Sein" als nicht existent, passiert überhaupt nichts.
Stimmt - solange es nicht relevant ist, passiert nichts. -

Und wenn wir tot sind, ist es nicht mehr relevant. Also kein Grund zur Panik. ;)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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Demian
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#442 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Demian » Sa 16. Nov 2013, 16:02

sven23 hat geschrieben:Und wenn wir tot sind, ist es nicht mehr relevant. Also kein Grund zur Panik. ;)

Richtig - aber die Einstellung zum Tod bestimmt unsre Einstellung zum Leben fundamental mit.

closs
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#443 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von closs » Sa 16. Nov 2013, 16:05

sven23 hat geschrieben:Und wenn wir tot sind, ist es nicht mehr relevant.
Das ist eine Glaubens-Aussage (gibt es bei Christen auch), die durch die Realität zum gegebenen Zeitpunkt verifiziert oder falsifiziert wird.

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sven23
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#444 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von sven23 » Sa 16. Nov 2013, 16:36

Demian hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Und wenn wir tot sind, ist es nicht mehr relevant. Also kein Grund zur Panik. ;)

Richtig - aber die Einstellung zum Tod bestimmt unsre Einstellung zum Leben fundamental mit.

Man wirft ja auch den Religionen nicht ganz zu Unrecht vor, daß die Jenseitsvertröstung und Jenseitsglorifizierung das reale Leben entwertet. Hier und jetzt gilt es.
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Demian
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#445 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Demian » Sa 16. Nov 2013, 17:16

sven23 hat geschrieben: Man wirft ja auch den Religionen nicht ganz zu Unrecht vor, daß die Jenseitsvertröstung und Jenseitsglorifizierung das reale Leben entwertet. Hier und jetzt gilt es.

Wenn man das ganze Carpe diem und Memento Mori des Christentums ausblendet und einzelne Schattenseiten zum eigentlichen Wesen aufbläßt, dann kommt man vielleicht auf "Jenseitsvertröstung". Es ist, meine ich, evident, dass der Auferstehungsglaube Mut zum Leben vermehren soll.

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Zeus
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#446 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Zeus » Sa 16. Nov 2013, 17:54

sven23 hat geschrieben: Man wirft ja auch den Religionen nicht ganz zu Unrecht vor, daß die Jenseitsvertröstung und Jenseitsglorifizierung das reale Leben entwertet. Hier und jetzt gilt es.

Demian hat geschrieben:Das ist Schaumschlägerei [...] Aber der Religion - in ihrem Herzstück - ging es immer darum, Lebensangst und Ohnmacht in Vertrauen und Glauben zu verwandeln. Nur dann schöpft man sein Leben völlig aus. Dahingehend vertrete ich die Sichtweise Eugen Drewermanns: der Gegensatz zum Glauben ist nicht der Unglaube, sondern die Angst.

Die von dir vertretene Schaumschlägerei mag für dich und den Herrn Drewermann zutreffen, aber nicht für alle Menschen und ganz bestimmt nicht für meine ungläubige Wenigkeit.
Also nix "man".
Von was für Lebensangst und Ohnmacht redest du überhaupt?
Vertrauen in was oder wen?
Und wie funktioniert das "Ausschöpfen"?

Ich würde es zwar bedauerlich finden, wenn mein Leben morgen zu Ende wäre. aber ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich hoffe nur, dass das Sterben also der Übergang vom Leben zum Tod nicht allzu unangenehm wird.
Zuletzt geändert von Zeus am Sa 16. Nov 2013, 18:11, insgesamt 1-mal geändert.
e^(i*Pi) + 1 = 0
Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss.
(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

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Demian
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#447 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Demian » Sa 16. Nov 2013, 18:04

Zeus hat geschrieben:Die von dir vertretene Schaumschlägerei mag für dich und den Herrn Drewermann zutreffen, aber nicht für alle Menschen und ganz bestimmt nicht für meine ungläubige Wenigkeit.

Richtig.

Von was für Lebensangst und Ohnmacht redest du überhaupt?

Sophie Scholl war eine Christin und hat aus ihrem Glauben Mut zur persönlichen Wahrheit bezogen - dafür ist sie schließlich auch gestorben. Das meine ich mit Vertrauen. Jemand der keinen solchen Glauben hat, wird in solchen Situationen wohl eher ein Opportunist werden und den einfachen Weg wählen.

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sven23
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#448 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von sven23 » Sa 16. Nov 2013, 18:55

Demian hat geschrieben:
Sophie Scholl war eine Christin und hat aus ihrem Glauben Mut zur persönlichen Wahrheit bezogen - dafür ist sie schließlich auch gestorben. Das meine ich mit Vertrauen. Jemand der keinen solchen Glauben hat, wird in solchen Situationen wohl eher ein Opportunist werden und den einfachen Weg wählen.

Es gibt aber genauso Beipiele für nicht Gläubige, die altruistisch handelten. Es ist doch eigentlich eine noch größere Leistung, sich für andere einzusetzen, ohne dafür eine wie auch immer geartete Belohnung im Jenseits zu erwarten.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#449 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von sven23 » Sa 16. Nov 2013, 18:57

closs hat geschrieben:
Ja - man sagt: "Was auch immer da draußen ist - solange wir das naturalistisch nicht zertifizieren, hat es nicht das Recht, Realität zu sein".

Zertifizierung ist ein strenger Maßstab, ebenso der Beweis. Man wäre ja schon mit einem klitzekleinen Indiz zufrieden. ;)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#450 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Demian » Sa 16. Nov 2013, 19:04

Aus dem Vorwort zu Heilende Religion von Eugen Drewermann:

"Wenn Glauben als Gegenpol zur Angst verstanden wird, dann ist damit nicht nur eine verbreitete philosophische Einsicht aufgenommen, die die Angst in all ihren Facetten als das tiefste und elementarste menschliche Gefühl überhaupt versteht. Gleichzeitig ist auch eine Kategorie gewonnen, die sich psychologisch einsichtig beschreiben lässt und die den modernen, oft religionsskeptischen Zeitgenossen einen nachvollziehbaren Zugang zur Religion eröffnet.
Dabei muss klar sein, dass sich Angst keineswegs immer als eindeutig identifizierbares Gefühl verstehen lässt. Allzu oft ist sie verdrängt, verschoben, projiziert, also unbewusst. Sie lässt sich oft nur im Rückschluss aus unmenschlichen Verhaltensweisen oder beengenden Gefühlen heraus verstehen - etwa in den heute verbreiteten Gefühlen des Mangels und der Unbehaustheit. Angst ist etwas Ur-Menschliches. Übersteigertes Sicherheitsbedürfnis kann als Folge von Einsamkeits- und Verlassenheits-Angst, das Streben nach Macht und Unterdrückung anderer als Angst, selbst nicht genügend Platz und Anerkennung zu erhalten, usw. Angst zeigt sich noch hinter all den vielen kleinen, meist unbewussten Vermeidungen, die das Leben des Menschen bestimmen, und die ihn unfrei, in sich selbst verschlossen und manipulierbar machen. Das Leben jenseits von Eden trägt die Bilder des verlorenen Paradieses als Wünsche nach Macht, Reichtum und Größe mit sich, die nie endgültig zur Ruhe kommen können. Alle Anstrengungen der menschlichen Kultur bis hin zur modernen Technik vermögen die Angst zwar vordergründig zu besänftigen, sie führen aber notwendig zur Konkurrenz und Streben nach Selbsterhalt, darum zu einer Vermehrung der Angst. Angst ist nie endgültig durch Absicherungen zu überwinden. Gegen Tod, Krankheit und das Gefühl der Sinnlosigkeit gibt es keine tragenden Sicherungen. Darum vermehrt die Kultur, was sie zu überwinden versucht.
Mit dieser Grundlegung ist das Bild eines verwundeten Lebens gezeichnet, das Gott aus den Augen verloren hat. Ausgesprochen plausibel an diesem Denken ist, dass es zwar von Sünde redet, diese aber im Gegensatz zu einem dominierenden Teil der theologischen Tradition nicht als moralische Verfehlung beschreibt, sondern als existenzielle Not. Entsprechend weiß es um die grundlegende Hilflosigkeit aller Moral, deren Appele den Menschen nicht stützen, sondern im Zweifelsfalle nur noch mehr in die Verzweiflung treiben. Alle Ethik ist - mit Luther zu sprechen - "Gesetz". Allein die Religion, das "Evangelium", vermag den Menschen von seiner Angst zu heilen.
Dass es sich bei derartigen Gedanken nicht nur um archaisch-unverbindliche Philosopheme handelt, sonderne ien Deutung gerade der Situation des spätmodernen Menschen gegeben ist, zeigt der Blick aufu die Entwicklung des menschlichen Lebensgefühls seit der Aufklärung. Deren Befreiung von Vormundschaft, Tradition und Abhängigkeit war zugleich und von Anfang an immer auch ein Wegbrechen von Geborgenheit, Heimat und Sicherheit. Alle Gegenbewegung zu den sich fortsetzenden "Freisetzungsschüben" ( Ulrich Beck ) erscheint als Ausdruck derselben Not: die romantische Gegenidee des Gefühls endet in unstillbarer Sehnsucht; die klassische Bildungstheorie des Wilhelm von Humboldt vermochte die Funktionalisierung des Menschen nicht aufzuhalten; die Kantische Idee eines unbedingten Sollens erscheint als der kaum noch plausibilisierbare Ausdruck prinzipiell gewordener ethischer Unverbindlichkeit. In der französischen Revolution bereits hat sich - offenbar symptomatisch - der Aufbruch in die mündige Freiheit schnell in Terror verkehrt; die gesamte technische Weltbemächtigung des Menschen zeigt inzwischen unheilvolle Dimensionen. Und das Lebensgefühl der Einzelnen scheint neben einem exzessiv gewachsenen Freiheitsspielraum untergründig immer mehr von Gefühlen der Einsamkeit und des Selbstzweifels begleitet. Am Ende steht ein Individuum, das unüberschaubare Möglichkeiten hat und im umfassenden Sinne "seines Glückes Schmiedt" geworden ist - das aber hoffnungslos auf sich selbst gestellt ist, wenn sich das Glück nicht einstellt. Ein Großteil der Philosophie und KUnst des 20. Jahrhunderts liefert entsprechend eindrückliche Bilder der Unbehaustheit.
Drewermann stellt diese Diagnose theologisch unter den Gedanken des Gottesverlustes. Allein das Vertrauen auf den gütigen Geber und Erhalter des Lebens vermag dem Menschen die Angst zu nehmen und ihn leben zu lassen trotz seiner inneren Not."

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