Salome23 hat geschrieben:Das Gute (was man selber als "gut" empfindet oder erachtet) behalten und über alles andre in der Bibel hinwegsehn?
Nein - nicht hinwegsehen, sondern einordnen.
Aus meiner Sicht ist die Bibel zwar gottgewollt, aber auch gleichzeitig von vorneherein kontaminiert - im AT kann man das imo ganz gut nachweisen (im NT wahrscheinlich auch, aber so weit bin ich noch nicht vorgedrungen). - Folgende Begründung:
Wenn in der Bibel ein Satz steht, weiss man im Grunde erst mal nie, wer da einfach spricht:
a) Gott?
b) die handelnde Figur?
c) der Text-Verfasser?
d) der Übersetzer?
e) die Exegese?
f) etc.
ad a) Wenn Gott im Text spricht, muss man unterscheiden zwischen echten geistigen Aussagen und Formeln - etwa: "Gott spricht: ...", dem dann "staatliche" Aussagen folgen. - Begründung: So wie wir "Im Namen des Volkes sagen", hat man damals "Gott spricht" gesagt - eine Unterstreichung durchaus säkularer Meldungen durch den Souverän (heute "das Volk", damals "Gott"). - Weiterhin kann es sein, dass Gott ganz einfach parteiisch zitiert wird, wo man als linientreuer spiritueller Mensch sagen muss: "Nee - da stimmt was nicht - wer hat DA wieder seine Finger drin".
ad b) Der handelnden Figur werden in der Bibel des öfteren Sätze in den Mund gelegt, die diese Figur selbst nicht begreift - oder (psychologisch gesehen): Die Figur beansprucht für sich Sätze, die (aus der Vogelperspektive betrachtet) nicht beanspruchbar sind - bei David ist mir das nach meiner Erinnerung besonders aufgefallen.
ad c) Der Textverfasser kann parteiisch sein - das fiel mir besonders auf in 2.Kön (?), als Israel geteilt ist. - Da schreibt wohl ein Südler über die Nordler. - Oder Esra, der (bei aller historischen Bedeutung) sehr ich-bezogen schreibt (er gibt vor, selbst der Verfasser des Buches Esra zu sein).
ad d) Es gibt eine Menge subtiler Fehlübersetzungen, die zu substantiellen Irrtümern führen - ein beliebiges Beispiel ist die Wendung "es reute Gott" (als würde Gott jetzt erst drauf kommen, also nicht überzeitlich sei).
ad e) Die vorrherrschende Exegese deutet die Bibel nicht selten aus dem Gesellschaftsbild unserer Zeit heraus - damit jedoch werden weite Teile der Bibel unverstehbar.
Und so laviert man dann zwischen a) und f). - Aus Sicht der wissenschaftlichen Exegese geht das natürlich gar nicht - da sagt man: "Da steht aber: ...". - Aus geistiger Sicht ist meiner Meinung kein anderer Weg möglich.
Dieser ständige Wechsel der Perspektive (das kann innerhalb EINES Satzes passieren) hat bei mir zum Ergebnis geführt: Das AT ist (zumindest in weiten Teilen) geistig gesehen dunkelste Nacht, die immer wieder einmal von Lichtschein durchdrungen wird. - Schaut man sich dann irgendwann das Ganze aus der Vogelperspektive an, erkennt man einen "Fackelzug" von Lichtern die tatsächlich ins NT führen. - Beispiele für diese Licht-Blitze: Josef, Abimelech von Gerar, Noomi, Hannah (und andere die mir gerade nicht einfallen - oft Nebenfiguren).
Weiterhin ist zu beobachten, dass biblische Gegenüberstellungen bei bedingungsloser Dekontamination der Texte und deren gängigen Interpretationen ganz anders zu bewerten sind - man nehme nur Abrahaman und Abimelech von Gerar oder Jakob und Esau. - Auch Bileam stellt sich aus meiner Sicht als Vorbote des NT dar (Röm. 2,14), wenn man ihn von dominanten gängigen Deutungen befreit (ich habe bisher keinen anderen Fall gefunden, bei dem sich die offizielle Exegese so verbiegt, um etwas "auf Linie" zu bringen).
Insofern verstehe ich unterm Strich immer mehr die (frühere) katholische Linie, dass das Volk die Bibel nicht lesen soll - weil es einfach nur Verwirrung stiftet, wenn man nicht ganz umfassend rangeht. - Dass dieses Verbot natürlich AUCH dem Zweck gedient hat, Machtpositionen der Kirche nicht in Frage zu stellen, ist auch klar - also auch hier Kontaminierung. - Kontaminierung überall.
Vielleicht ist das der rechte Moment, um einmal mehr auf "das Böse" (Abgewandte, Verwirrte, Verwirrende) hinzuweisen, dessen Fürstentum das Dasein ist - übersetzt hieße diese in meinem "Latein": "Das Fürstentum der Dialektik - also dem, was Folge des Baums der menschlichen Erkenntnis (oder dem, was er dafür hält) ist. - Dia-Lektik ist das Reich des Dia-Bolus.
Salome23 hat geschrieben:Wer nicht im Buch des Lebens verzeichnet war, wurde in den Feuersee geworfen." - Offenbarung 20,15
Es gibt Stellen, die darauf hinweisen, dass dem Menschen das Böse/der Tod abgebrannt wird und nur der Tod selbst verbrennt. - Dazu gab es mannigfache Allversöhnungs-Threads, die - von Bibel-Profis geführt - zu einem Bombardement an Zitaten führten, die je nach Wunsch Teil und Gegenteil nachgewiesen haben.
Salome23 hat geschrieben:Muss man sich diese Seite Gottes weg rationalisieren, um ihn lieben zu können?
Nein - man muss die Liebe über theologische Meinungen stellen. - Was meistens funktioniert: "Was würde eine (geistig gesunde) Mutter mit ihrem Kind in einer Situation x machen?" - Da fällt der Feuersee schon mal weg - und wenn er bei Müttern wegfällt, fällt er auch bei Gott weg. - Man muss manchmal mal auch gegen die Kontaminierung der eigenen Religion glauben.