Alles Teufelszeug? VI

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sven23
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#371 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » So 4. Jun 2017, 20:48

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:die Abspaltung ist posthum passiert, aber ohne seinen Willen.
Richtig - das wollte er nicht. Es ist ihm sogar ganz besonders schmerzhaft, dass genau SEIN Volk nicht mitzieht.
Vor allem wollte er keine Loslösung vom Judentum. Wie alle religiösen Eiferer war er sogar um besonders strenge Auslegung der Gesetze bemüht (Thoraverschärfung). Er hielt es deshalb für notwendig, weil die Königsherrschaft unmittelbar bevorstand. Wer da nicht vorbereitet war, war dem Gericht verfallen. Man könnte ihn in gewisser Weise mit heutigen Mahnern und Rufern vergleichen, die das Ende der bestehenden Ordnung als unvermeidlich und kurz bevorstehend verkünden, wie etwa die Zeugen Jehovas.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Man hat ihn seiner jüdischen Wurzeln beraubt und besitzt dann noch die Frechheit, sich auf ihn zu berufen.
:?: :?: :?: - Das Judentum ist - wie man ja noch heute sieht - ihm NICHT gefolgt. - Wie hätte aus Deiner Sicht das Judentum aussehen müssen, dass es ihm
a) folgt und
b) er seiner Wurzeln NICHT beraubt ist?
Zur Klarstellung: Wenn das Oberhaupt der Christus-Nachfolge heute nicht Rom, sondern in Jerusalem säße, wäre das eigentlich der Idealfall gewesen. - Übrigens wollte auch Luther nicht den Katholizismus nach Wittenberg versetzen - ihm wäre ein geläutertes Rom lieber gewesen.
Du verstehst das Grundproblem nicht. Die Kirche verkaufte den Bruch mit dem Judentum als von Jesus gewollt. Das war er mit Sicherheit nicht. Im Gegenteil verstand sich Jesus bis zu seinem Tod als gläubiger Jude.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Der schändliche Tod am Kreuz war für die Juden doch gerade der Beweis, dass er nicht der verheißene Messias sein konnte.
Jetzt hast Du das Christentum vollends nicht verstanden.
Es geht hier nicht ums Christentum, sondern um die Gründe, warum die meisten Juden ihm nicht folgten. Aus Sicht der Juden wäre der verheißene Messias niemals wie ein gewöhnlicher Verbrecher hingerichtet worden. Es war geradezu der Beweis für sie, dass er es nicht war.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Was du als spätere Quellen bezeichnest wie etwas das Johannesevangelium, war ja nichts anderes als ein legendenhaftes Weiterspinnen der Geschichten.
Es kann auch Ausdruck der Erkenntnis sein, was Jesus eigentlich bedeutet hat. - Wer soll das entscheiden?
Die Forschung hats schon lange entschieden und mit ein bißchen gesundem Menschenverstand kann das auch einem Laien gelingen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deshalb gilt es in der Forschung als weitgehend freie Erfindung eines unbekannten Schreibers.
Warum wohl? - Weil die historisch-kritische Forschung aufgrund ihres hermeneutischen Ansatzes keine geistigen Elemente berücksichtigen kann. - Dann ist halt der Benz-Patent-Motorwagen das Original und alle späteren automobilen Entwicklungen sind so gesehen in der Tat "Fälschungen".
Bei Vergleichen hast du kein glückliches Händchen. Gerade weil die Forschung die geistigen Inhalte als eigenständige Theologie erkannt hat, zählt man dieses Evangelium nicht zu den synoptischen.


"Sowohl die literarische Gestalt als auch das theologische Profil des Joh sprechen dagegen, dass ein Augenzeuge und Jünger Jesu sein Verfasser war. Die Verkündigung des "Reiches Gottes", die nach dem Zeugnis der synoptischen Evangelien im Zentrum der Botschaft Jesu stand, fehlt im Joh fast vollkommen (nur 3,3.5). Dagegen verkündigt der joh Jesus sich selbst (vgl. vor allem die "Ich-bin-Worte" [6,35; 8,12; 10,7.11; 11,25; 14,6; 15,1]). Das ist im Grunde genommen auch das einzige Thema der Offenbarungsreden des Joh.
Sein theologisches Profil weist den Verfasser des Joh als einen Autor aus, der die Wirksamkeit Jesu mit erheblichem Zeitabstand und auf einem hohen Reflexionsniveau betrachtet. Damit dürfte er kaum zur Generation der ersten Zeugen gehören. Da der Verfasser intensiv Traditionen nutzt, deren Ursprung im hellenistischen Judentum zu suchen ist, war er selbst möglicherweise Judenchrist. Dafür könnte auch die Geschichte der Adressaten sprechen."

Quelle: Bibelwissenschaft.de

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ein religiös unbelecktes Kind hat überhaupt keine Vorstellung von Gott. Der alte Mann mit Bart ist eine Vorstellung von Erwachsenen, die dem Kind dann vermittelt wurden.
Richtig - so wie die Juden zur Zeit Jesu Vorstellungen der AT-Ahnen hatten. - Und das entwickelt man halt oder nicht.
Man wird darin sozialisiert und empfindet es dann als selbstverständlich und hinterfragt es meist nicht. Das gilt aber für alle Religionen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:ganz konkret ist Ratzinger abgewatscht worden (und alle, die ihm in diesem Punkt das Wort reden)
Das ändert doch nichts an meiner Aussage. Das ist Bierzelt-Niveau, auf das Du Dich da begibst. - Erwartest Du einen Abwatsch-Wettbewerb, bei dem am Ende sogar noch Ratzinger gewinnt, weil er die HKM in ihrer geistigen Einflussnahme als "Antichrist" bezeichnet?
Der Antichristvorwurf ist einfach nur albernes Kindertheater. Von der theologischen Fachwelt ist er zu Recht kritisiert worden. In der historischen Forschung kann er als Glaubensdogmatiker halt nicht mitreden.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Genau deshalb hat Glauenshermeutik nichts in der historischen Forschung zu suchen.
Genau da ist sie aber tief verankert - merke: "Glaube" ist nicht nur Gottesglaube, sondern sind auch methodische Festlegungen wie "Wir können Jesus nicht so interpretieren, als sei er göttlich". - Aus dieser Nummer kommt die HKM nicht raus - da sollte sie sich ihres Glashaus-Status bewusst sein (und ist es auch in Vertretern wie Theißen).
Das ändert nichts daran, dass Gaubensdogmatiker und Kanoniker in der historischen Forschung nicht verloren haben.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deshalb wäre es sogar besser, wenn die historische Jesusforschung auch von unabhängigen Nichtgläubigen betrieben würde, weil sie mehr kritische Distanz bewahren können.
Auf reiner Sachebene kann man das unterschreiben - aber diese Ebene ist eh nicht das Problem - insofern setzt Du am falschen Punkt an.
Nein, es ist genau der richtige Hebel zum Ansetzen. Ein schönes Beispiel ist die Hitlerbiografie von Joachim Fest. Wie man heute weiß, hat Fest die kritische Distanz zu dem interviewten Albert Speer vermissen lassen und seine Version ungeprüft übernommen. Das war ein großer Fehler.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wir lernen daraus, dass man mit Glaubenshermeutik in historischen Wissenschaften nichts anfangen kann.
Da steckt sie aber tief drin. - Habe extra für Dich etwas von der Uni Konstanz gefunden, was dem in etwa entspricht, was wir früher gelernt haben (Methodikkurs, Uni Konstanz):
Historische Hermeneutik: Das Problem des "Verstehens" und "Erklärens"


Genau deshalb interessiert sich die Forschung für die urprüngliche Bedeutung eines Textes, um ihn besser verstehen zu können.
Mit späteren Umdeutungen und Verfälschungen funktioniert das nicht.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#372 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » So 4. Jun 2017, 21:55

sven23 hat geschrieben:Vor allem wollte er keine Loslösung vom Judentum.
RIchtig.

sven23 hat geschrieben: Man könnte ihn in gewisser Weise mit heutigen Mahnern und Rufern vergleichen, die das Ende der bestehenden Ordnung als unvermeidlich und kurz bevorstehend verkünden, wie etwa die Zeugen Jehovas.
Falsch. :lol:

sven23 hat geschrieben:Die Kirche verkaufte den Bruch mit dem Judentum als von Jesus gewollt.
Nein - die Kirche sagt, dass die Nicht-Nachfolge Jesu seitens der Juden zu einer neuen Religion geführt hat - um es praktisch zu sagen: Ratzinger hätte nichts dagegen gehabt, oberster Rabbi eines Judentums zu sein, das Jesus nachgefolgt wäre. Dann hätte es nämlich des Christentums als eigene Religion nicht bedurft. - Aber das ist alles sehr hypothetisch, weil es halt anders gekommen ist.

sven23 hat geschrieben: Aus Sicht der Juden wäre der verheißene Messias niemals wie ein gewöhnlicher Verbrecher hingerichtet worden.
Da haben sie halt was nicht verstanden - Tod und Auferstehung Jesu (natürlich als göttliche Person!) hat eine tiefe geistige Bedeutung, weil damit Gott selber einen Weg vor-geht, den ein Mensch aus eigener Kraft gar nicht gehen könnte. - Das ist aus der Genesis und mit einigen Grundlagen-Begriffen erklärbar, aber für Außenstehende nicht ganz einfach zu verstehen.

sven23 hat geschrieben:Die Forschung hats schon lange entschieden und mit ein bißchen gesundem Menschenverstand kann das auch einem Laien gelingen.
Weder die historisch-kritische noch die theologischen Wissenschaften können das "entscheiden" - und einem säkular ausgerichteten Laien nützt dazu der Menschenverstand auch nicht. - Das klingt eher nach innerem Zirkel mit eigenen Gesetzen, was Du da proklamierst.

sven23 hat geschrieben:Gerade weil die Forschung die geistigen Inhalte als eigenständige Theologie erkannt hat, zählt man dieses Evangelium nicht zu den synoptischen.
1) Das Bibel-Wissenschaft-Zitat ist, neutral gelesen, durchaus vernünftig.
2) Es geht überhaupt nicht auf das ein, worauf Du es als Entgegnung eingestellt hast.

sven23 hat geschrieben:Man wird darin sozialisiert und empfindet es dann als selbstverständlich und hinterfragt es meist nicht.
Weiterentwicklung ist ohne Hinterfragung nicht möglich. - Und natürlich braucht man eine Grundlage (Sozialisierung), um geistige Aussagen kommunizierbar zu machen.

sven23 hat geschrieben:Der Antichristvorwurf ist einfach nur albernes Kindertheater.
Nein - das ist der schwerwiegende Vorwurf, dass die HKM über ihre Sachaussagen hinaus ohne Bereitschaft zu eigener geistigen Kompetenz über geistige Fragen Meinungen offensiv verbreitet und somit in Konkurrenz zur Theologie tritt. - Damit wird in theologie-anmutender Art nachhaltig das Gegenteil dessen verkündet, was theologisch falsch ist - im Grunde ein trojanisches Pferd.

sven23 hat geschrieben:In der historischen Forschung kann er als Glaubensdogmatiker halt nicht mitreden.
Das wird er auch nicht wollen - wenn es nur umgekehrt genauso wäre.

sven23 hat geschrieben:Ein schönes Beispiel ist die Hitlerbiografie von Joachim Fest. Wie man heute weiß, hat Fest die kritische Distanz zu dem interviewten Albert Speer vermissen lassen und seine Version ungeprüft übernommen. Das war ein großer Fehler.
Das ist ein gutes Beispiel für etwas anderes - denn:

In unserem Fall forderst Du ja im Grunde, dass Wissenschaftler, die expressis verbis nichts mit geistigen Dingen zu tun haben wollen, ausdrücklich in geistige Fragestellungen eingreifen. - Dein Ansatz funktioniert dann, wenn man es ganz diszipliniert bei Sachfragen beläßt - aber genau das scheint ja nicht zu funktionieren, wie allein das Beispiel "Naherwartung" eindrucksvoll zeigt.

sven23 hat geschrieben:Genau deshalb interessiert sich die Forschung für die urprüngliche Bedeutung eines Textes, um ihn besser verstehen zu können.
Aber in heutiger Interpretation - und dann kommt noch dazu, dass sich der geistige Inhalt dieses Textes mit der Zeit BESSER klären kann, also plötzlich ein Johannes oder Paulus NÄHER an Jesus sein kann als frühere Quellen. - Wie sollen solche Dinge mit dem Instrumentarium der HKM bewältigbar sein?

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sven23
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#373 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » Mo 5. Jun 2017, 07:50

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Vor allem wollte er keine Loslösung vom Judentum.
RIchtig.
Vor allem wollte er keine neue Religion gründen und keine Missionierung von Heiden. Das ist paulinische Theologie.

"Für die anderen hat er (Paulus) die Lehre Jesu Christi korrumpiert und sabotiert, hat sich sein Apostolat erschlichen, da er Jesus von Nazareth gar nicht persönlich kannte ("Apostel der Ketzer" nach Kirchenvater Tertullian), war Mystagoge und Demagoge. Paulus hat, nach Nietzsches' Ansicht, die Frohe Botschaft der reinen Lebenspraxis in die allerschlimmste verkehrt und so den Erlöser wirklich ans Kreuz geschlagen. Mit seiner Lüge vom wiedererstandenen Jesus verlegte er das gesamte Schwergewicht des Daseins hinter das Dasein und leistete jener Entwicklung den Vorschub, die zur Ausbildung der christlichen Dogmen führte."
Quelle: glauben&wissen

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Man könnte ihn in gewisser Weise mit heutigen Mahnern und Rufern vergleichen, die das Ende der bestehenden Ordnung als unvermeidlich und kurz bevorstehend verkünden, wie etwa die Zeugen Jehovas.
Falsch. :lol:
Natürlich gibt es Unterschiede, aber im Ergebnis ist es dasselbe. Die bestehende Ordnung ist kurz davor, beendet und ersetzt zu werden.
Beiden gemeinsam ist die Mahnung zur Umkehr, weil die Zeit drängt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Kirche verkaufte den Bruch mit dem Judentum als von Jesus gewollt.
Nein - die Kirche sagt, dass die Nicht-Nachfolge Jesu seitens der Juden zu einer neuen Religion geführt hat - um es praktisch zu sagen: Ratzinger hätte nichts dagegen gehabt, oberster Rabbi eines Judentums zu sein, das Jesus nachgefolgt wäre.
Das sähe Rabbi Ratzinger wohl anders. :lol:
In der Nachfolge Jesu (nicht des Paulus) wärst du dann lupenreiner Jude, der die jüdischen Gesetze teilweise noch strenger auslegt (Thoraverschärfung). Deinen persönlichen Besitz kannst du den Armen verschenken. In der nahen Königsherrschaft brauchst du ihn eh nicht mehr.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Aus Sicht der Juden wäre der verheißene Messias niemals wie ein gewöhnlicher Verbrecher hingerichtet worden.
Da haben sie halt was nicht verstanden - Tod und Auferstehung Jesu (natürlich als göttliche Person!) hat eine tiefe geistige Bedeutung, weil damit Gott selber einen Weg vor-geht, den ein Mensch aus eigener Kraft gar nicht gehen könnte. - Das ist aus der Genesis und mit einigen Grundlagen-Begriffen erklärbar, aber für Außenstehende nicht ganz einfach zu verstehen.
Vor allem ist es anmaßend, den Juden vorzuwerfen, sie verstünden ihre eigene Religion nicht. :roll:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Forschung hats schon lange entschieden und mit ein bißchen gesundem Menschenverstand kann das auch einem Laien gelingen.
Weder die historisch-kritische noch die theologischen Wissenschaften können das "entscheiden" - und einem säkular ausgerichteten Laien nützt dazu der Menschenverstand auch nicht. - Das klingt eher nach innerem Zirkel mit eigenen Gesetzen, was Du da proklamierst.
Genau deshalb sollte ein Laie auf die Forschung vertrauen, die das Johannesevangelium als weitgehend freie Erfindung eines unbekannten Schreibers identifiziert hat. Auch wenn das Rabbi Ratzi nicht gefällt. :lol:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Gerade weil die Forschung die geistigen Inhalte als eigenständige Theologie erkannt hat, zählt man dieses Evangelium nicht zu den synoptischen.
1) Das Bibel-Wissenschaft-Zitat ist, neutral gelesen, durchaus vernünftig.
2) Es geht überhaupt nicht auf das ein, worauf Du es als Entgegnung eingestellt hast.
Da kann man dann wieder mal fragen: verstehst du auch, was du da liest? Deshalb sagte ich ja schon, dass Theologen sich oft einer verklausulierten und teilweise auch euphemisierenden Sprache bedienen. Mit "großer zeitlicher Abstand" und "hoher Reflexionsgrad" ist nichts anderes gemeint, als dass es sich beim Johannesevangelium um eine unhistorische Eigenkomposition (Erfindung) des unbekannten Schreibers handelt. Manche Theologen drücken es deutlicher aus.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Man wird darin sozialisiert und empfindet es dann als selbstverständlich und hinterfragt es meist nicht.
Weiterentwicklung ist ohne Hinterfragung nicht möglich. - Und natürlich braucht man eine Grundlage (Sozialisierung), um geistige Aussagen kommunizierbar zu machen.
Eben, von alleine assoziiert ein Kind Gott nicht mit einem bärtigen Mann. Das hat man ihm vorgekaut. Religiöse Sozialisation kann auch für ideologische Zwecke und Gewaltverherrlichung mißbraucht werden.

"Richard Dawkins erzählt in seinem Buch „DerGotteswahn“ (S. 354ff.) von einem Experiment mit über
1000 Schülern in Israel im Alter von acht bis vierzehn Jahren, denen der Bericht von der Schlacht um Jericho vorgelesen
wurde:
Als die Priester beim siebten Mal die Hörner bliesen, sagte Josua zum Volk: Erhebt das Kriegsgeschrei! Denn der Herr
hat die Stadt in eure Gewalt gegeben. Die Stadt mit allem, was in ihr ist, soll zu Ehren des Herrn dem Untergang
geweiht sein. […] Alles Gold und Silber und die Geräte aus Bronze und Eisen sollen dem Herrn geweiht sein und in
den Schatz des Herrn kommen. Darauf erhob das Volk das Kriegsgeschrei und die Widderhörner wurden geblasen.
Als das Volk den Hörnerschall hörte, brach es in lautes Kriegsgeschrei aus. Die Stadtmauer stürzte in sich zusammen,
und das Volk stieg in die Stadt hinein, jeder an der nächstbesten Stelle. So eroberten sie die Stadt. Mit scharfem
Schwert weihten sie alles, was in der Stadt war, dem Untergang, Männer und Frauen, Kinder und Greise, Rinder,
Schafe und Esel. […] Die Stadt aber und alles, was darin war, brannte man nieder; nur das Silber und Gold und die
Geräte aus Bronze und Eisen brachte man in den Schatz im Haus des Herrn. (Jos 6,16–24)


Anschließend wurde den Schülern die Frage gestellt, ob Josua und die Israeliten richtig
gehandelt haben oder nicht. Zwei Drittel der Kinder fanden das Handeln richtig. Gott
habe es ja befohlen und die Menschen in Jericho hatten ja eine andere Religion, war von
den Kindern als Begründung zu hören. Für israelische Schüler ist Josua eben einfach ein
Volksheld, das hat ihnen ihre Religion eingeschärft. Seine Taten sind deshalb nicht nur
entschuldbar, sondern sogar richtig. Interessant ist das Ergebnis einer Kontrollgruppe.
Bei 168 israelischen Schülern ersetzte man den Namen Josua durch General Lin und
Israel durch ein chinesisches Königreich vor 3000 Jahren. Das Ergebnis können Sie sich
vielleicht denken? Nur 7 % fanden das Verhalten von General Lin gut, aber 75 % lehnten
es ab."

Kubitza, Der Jesuswahn


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Der Antichristvorwurf ist einfach nur albernes Kindertheater.
Nein - das ist der schwerwiegende Vorwurf, dass die HKM über ihre Sachaussagen hinaus ohne Bereitschaft zu eigener geistigen Kompetenz über geistige Fragen Meinungen offensiv verbreitet und somit in Konkurrenz zur Theologie tritt. - Damit wird in theologie-anmutender Art nachhaltig das Gegenteil dessen verkündet, was theologisch falsch ist - im Grunde ein trojanisches Pferd.
Natürlich hat sich die historische Jesusforschung für die glaubensdogmatische Theologie im nachhinein als Rohrkrepierer entpuppt. Dafür kann die Forschung aber nichts. Die Befundlage ist nun mal so, wie sie ist. Auch wenn es einigen nicht gefällt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:In der historischen Forschung kann er als Glaubensdogmatiker halt nicht mitreden.
Das wird er auch nicht wollen - wenn es nur umgekehrt genauso wäre.
Dann sollte er auch nicht alles als historisch postulieren, was von der Forschung längst als unhistorisch aufgedeckt wurde. Dafür wurde er zu Recht von Zenger und Theologen gerügt und zurechtgewiesen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Ein schönes Beispiel ist die Hitlerbiografie von Joachim Fest. Wie man heute weiß, hat Fest die kritische Distanz zu dem interviewten Albert Speer vermissen lassen und seine Version ungeprüft übernommen. Das war ein großer Fehler.
Das ist ein gutes Beispiel für etwas anderes - denn:
In unserem Fall forderst Du ja im Grunde, dass Wissenschaftler, die expressis verbis nichts mit geistigen Dingen zu tun haben wollen, ausdrücklich in geistige Fragestellungen eingreifen. - Dein Ansatz funktioniert dann, wenn man es ganz diszipliniert bei Sachfragen beläßt - aber genau das scheint ja nicht zu funktionieren, wie allein das Beispiel "Naherwartung" eindrucksvoll zeigt.
Die Glaubenswelt des galiläischen Wanderpredigers ist eine reine Sachfrage, so wie die Glaubenswelt des Propheten Mohammed oder der griechischen Mythologie. Es gibt hier keinen Sonderstatus.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Genau deshalb interessiert sich die Forschung für die urprüngliche Bedeutung eines Textes, um ihn besser verstehen zu können.
Aber in heutiger Interpretation - und dann kommt noch dazu, dass sich der geistige Inhalt dieses Textes mit der Zeit BESSER klären kann, also plötzlich ein Johannes oder Paulus NÄHER an Jesus sein kann als frühere Quellen. - Wie sollen solche Dinge mit dem Instrumentarium der HKM bewältigbar sein?
Eben nicht in heutiger Interpretation, das versucht man ja gerade zu vermeiden, um die Projektionsvorwürfe an frühere Forschung zu vermeiden.
Dass man mit späteren theologischen Konstruktionen "näher an Jesus " dran sei, ist eine Behauptung, die zumindest auf Grund der Quellenlage widerlegt ist. Da spielt theologisches Wunschdenken eine größere Rolle als die Befundlage der Forschung.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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closs
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#374 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Mo 5. Jun 2017, 09:36

sven23 hat geschrieben:Vor allem wollte er keine neue Religion gründen
Richtig - das, was wir heute "Christentum" nennen, sollte idealerweise innerhalb des Judentums stattfinden.

sven23 hat geschrieben:keine Missionierung von Heiden.
Das habe ich nie prinzipiell so verstanden, sondern als "eins nach dem anderen".

sven23 hat geschrieben:Die bestehende Ordnung ist kurz davor, beendet und ersetzt zu werden.
DAS wiederum ist korrekt - das AT soll aufgehoben und vollendet werden.

sven23 hat geschrieben:Deinen persönlichen Besitz kannst du den Armen verschenken. In der nahen Königsherrschaft brauchst du ihn eh nicht mehr.
Mir ist die Logik Deines Irrtums inzwischen klar.

sven23 hat geschrieben:Vor allem ist es anmaßend, den Juden vorzuwerfen, sie verstünden ihre eigene Religion nicht.
Wenn das so ist, hatten sie ja nie die Chance, von Jesus missioniert zu werden - meinst Du es SO?

sven23 hat geschrieben:Genau deshalb sollte ein Laie auf die Forschung vertrauen, die das Johannesevangelium als weitgehend freie Erfindung eines unbekannten Schreibers identifiziert hat. Auch wenn das Rabbi Ratzi nicht gefällt.
Der "Laie Ratzinger" ist aber möglicherweise gar kein Laie und versteht einige der späteren Schriften als authentisch zu Jesus, weil sie dessen Lehre fortführend entsprechen ("hermeneutischer Zirkel").

Und nach wie vor: Was verstehst Du unter "freier Erfindung"? - Dass jemand sich einfach mal so hingesetzt hat und, statt die Sportschau zu gucken, vorgezogen hat, seinen literarischen Trieben nachzugeben: "Och - heute erfinde ich mal zum Christentum was Neues"---???--- - Hältst Du es ebenfalls für möglich, dass jemand als später Zeitzeuge oder als von Zeitzeugen Missionierter Jesus verstanden hat und dementsprechend in seinem Geist etwas geschrieben hat?

sven23 hat geschrieben:Mit "großer zeitlicher Abstand" und "hoher Reflexionsgrad" ist nichts anderes gemeint, als dass es sich beim Johannesevangelium um eine unhistorische Eigenkomposition (Erfindung) des unbekannten Schreibers handelt.
Siehe oben: Was kann das aus Deiner Sicht in Sachen "Authentizität" bedeuten? - Und wieder meine unbeantwortete Frage, die mit Deinem Zitat NICHT beantwortet ist - es ging um die Frage, ob die historisch-kritische Forschung aufgrund ihres hermeneutischen Ansatzes überhaupt geistigen Elemente berücksichtigen kann.

sven23 hat geschrieben:Eben, von alleine assoziiert ein Kind Gott nicht mit einem bärtigen Mann. Das hat man ihm vorgekaut.
Richtig - das ist die kulturelle Chiffre - woanders könnte es eine vollbusige Fruchtbarkeits-Göttin sein - auch darunter kann sich ein Kind etwas vorstellen.

sven23 hat geschrieben:Religiöse Sozialisation kann auch für ideologische Zwecke und Gewaltverherrlichung mißbraucht werden.
Klar - ein großes Problem in der Praxis. - Aber soll man auf die Einführung in geistige Dinge verzichten, weil Missbrauchs-Gefahr besteht? - Da kann man dann auch das Autofahren abschaffen.

sven23 hat geschrieben:Natürlich hat sich die historische Jesusforschung für die glaubensdogmatische Theologie im nachhinein als Rohrkrepierer entpuppt. Dafür kann die Forschung aber nichts.
Möglicherweise kann da keiner was dafür - da müsste man Wissenschafts-Historiker fragen. - Möglicherweise hat man sich seitens der Theologie vorgestellt, dass die HKM wie selbstverständlich bei christlichen Setzungen ("Es gibt Gott"/"Jesus ist göttlich") bleibt und diese nicht durch andere Setzungen ersetzt.

sven23 hat geschrieben:Dann sollte er auch nicht alles als historisch postulieren, was von der Forschung längst als unhistorisch aufgedeckt wurde.
Da ist was dran - Ratzinger scheint mit seinem historischen Anspruch wirklich zu weit zu gehen. - Andererseits halte ich es nach wie vor für möglich, dass das Johannes-Evangelium in der Tradition des Johannes steht - und habe dazu übrigens prompt einen Hinweis aus wik gefunden, der somit allgemein unter Exegeten bekannt sein wird:

"Die Frage der Abhängigkeit oder Unabhängigkeit des Johannesevangeliums von den drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) wurde in der Geschichte der Auslegung des vierten Evangeliums höchst unterschiedlich beurteilt und ist auch in der aktuellen Forschung ungeklärt und umstritten,[10] wobei zahlreiche Exegeten mittlerweile wieder von einer Kenntnis zumindest des Markusevangeliums ausgehen. ... In diesem Zusammenhang wird manchmal von einer johanneischen Schule oder johanneischen Gemeinde gesprochen, die sich auf die Autorität eines herausragenden Mitglieds stütze, das wegen seiner Nähe zu Jesus selbst für die Authentizität des Textes stehe. Dass es eine johanneische Schule gab, legen die späten Johannesbriefe des Neuen Testaments nahe, die eine ähnliche Terminologie wie das Evangelium verwenden. ... Mit Berufung auf diese Autorität sei in der johanneischen Gemeinde der Text tradiert und dabei auch überarbeitet worden. Für eine solche Gruppenperspektive spreche auch der Hinweis am Schluss des Evangeliums: „wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist“ (21,24 EU). Angesichts der sprachlichen und theologischen Geschlossenheit des Endtextes wird dieser Vorgang der Aneignung und Auseinandersetzung mit dem Text heute auch bisweilen bezeichnet mit dem Begriff Relecture („Neu-“, „Wieder-“ oder „Weiterlesen“),[22] der darauf hinweist, dass die Überarbeitungen weniger im Rahmen eines Konkurrenz- oder Korrekturmodells, wie es die älteren Quellen- und Redaktionsmodelle nahelegten, sondern in einem Prozess der Reflexion unter einer gemeinsamen Lektüre vorstellbar seien. Historisch ließen sich also höchstens die Linien dieses Lektüreprozesses, nicht aber die dahinter stehenden Personen oder gar Autoren identifizieren" (Letzteres spricht für eine Entwicklung des Jesus-Verständnisses im Sinne des "Hermeneutischen Zirkels", also für eine Verbesserung des Jesus-Verständnisses mit fortlaufendem Lektüre-Prozess)

Mit anderen Worten: Auch die Meinung der historisch-kritischen Methodiker ist sehr breit gestreut - man sollte nicht von DER historisch-kritischen Exegese sprechen. - Das betrifft auch die Datierung, die von 70 - 150 n.Chr. reicht. - Und es betrifft auch die Meinungsvielfalt, die innerhalb der HKE von Forschern wie Berger über Rentdorff bis Theißen umfasst. - Einen Satz habe ich noch gefunden, der mir ganz entscheidend zu sein scheint:
[/i]

sven23 hat geschrieben:Die Glaubenswelt des galiläischen Wanderpredigers ist eine reine Sachfrage, so wie die Glaubenswelt des Propheten Mohammed oder der griechischen Mythologie. Es gibt hier keinen Sonderstatus.
Wie Du aktuell beim Islam siehst, gibt es auch dort große Interpretations-Spielräume, die nicht mit dem irreführenden Wort "Sachfrage" (als gäbe es nur EINE Lösung aus Sicht der Wissenschaft) abgedeckt werden können.

sven23 hat geschrieben:Eben nicht in heutiger Interpretation, das versucht man ja gerade zu vermeiden, um die Projektionsvorwürfe an frühere Forschung zu vermeiden.
Zur Erinnerung:
"Berger hat in diesen Debatten jeweils Stellung bezogen. Im Gegensatz zu Theißen, der Bultmannschule, Uta Ranke-Heinemann, Eugen Drewermann und vielen anderen lehnte er es als kritischer Historiker ab, von Forschungs- und Erfahrungsmodellen der Gegenwart auf die Vergangenheit zu schließen. „Anthropologische Grundkonstanten“, wie Sigmund Freud sie annahm, sieht Berger als ideologisches Konstrukt des 19. bzw. 20. Jahrhunderts an."

Man versucht es zu vermeiden, aber offenbar nicht so sehr erfolgreich.

sven23 hat geschrieben:Dass man mit späteren theologischen Konstruktionen "näher an Jesus " dran sei, ist eine Behauptung, die zumindest auf Grund der Quellenlage widerlegt ist.
Wie willst Du mit der Quellenlage begründen, ob jemand - wann auch immer - etwas gecheckt hat oder nicht?

sven23 hat geschrieben:Da spielt theologisches Wunschdenken eine größere Rolle als die Befundlage der Forschung.
Das ist wieder der Helmut-Kohl-Effekt, demnach Kohl mangels Englisch-Kenntnisse in den USA immer nur "Applepie" gegessen hat, weil es das einzige englische Wort war, das er gekannt hat.

SilverBullet
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#375 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von SilverBullet » Mo 5. Jun 2017, 11:27

closs hat geschrieben:An sven23:
Und nach wie vor: Was verstehst Du unter "freier Erfindung"? - Dass jemand sich einfach mal so hingesetzt hat und, statt die Sportschau zu gucken, vorgezogen hat, seinen literarischen Trieben nachzugeben: "Och - heute erfinde ich mal zum Christentum was Neues"---???
…dass zur Steigerung von Einnahmen die schriftlich verbriefte „Vergebung der Sünden“ (auch nachträglich, für bereits Verstorbene) erfunden wurde?
=> Ja, das halte ich für möglich

…dass zur Steigerung des kirchlichen Reichtums, „Rechtsurkunden von verstorbenen Herrschern“ unter den Händen von Mönchen erfunden/gefälscht wurden?
=> Ja, das halte ich für möglich.

…dass über die Zeit hinweg Reliquien in einem Umfang aufgetaucht sind, der eigentlich gar nicht sein konnte?
=> Ja, das halte ich für möglich.

…dass religiöse Falschaussagen gegen Menschen getätigt wurden, die dann bestialisch vernichtet wurden?
=> Ja, das halte ich für möglich.

…dass „das Christentum“ eine massiv staatlich/römisch konstruierte Religion ist?
=> Ja, das halte ich für möglich (zuerst „Kaiser Konstantin“ und danach das „Drei Kaiser Edikt“)

…dass religiöse Aussagen lokal politisch motiviert waren und danach nach Strich und Faden umgedeutet/umformuliert wurden?
=> Ja, das halte ich für möglich.

…das man sich in vielen Texten die Religion schön reden möchte?
=> Ja, das halte ich für möglich.

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sven23
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#376 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von sven23 » Mo 5. Jun 2017, 11:30

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Vor allem wollte er keine neue Religion gründen
Richtig - das, was wir heute "Christentum" nennen, sollte idealerweise innerhalb des Judentums stattfinden.
Nein, was wir heute Christentum nennen, hat nur peripher mit dem Juden Jesus und seiner jüdisch-religiösen Ideologie zu tun. Jesus wäre auch sicher entsetzt über den offenen Antijudaismus der Evangelien, und erst recht der späteren Kirche.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:keine Missionierung von Heiden.
Das habe ich nie prinzipiell so verstanden, sondern als "eins nach dem anderen".
Nein, nach mehrheitlicher Meinung der Forschung vertrat er einen jüdischen Nationalismus und religiösen Partikularismus. Eine Missionierung außerhalb des Judentums oder gar der ganzen Welt war nicht in seinem Sinne.
Auf diese Idee kam erst Paulus, nachdem er erkennen musste, dass seine Theologie beim traditionellen Judentum keine Chance hatte.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die bestehende Ordnung ist kurz davor, beendet und ersetzt zu werden.
DAS wiederum ist korrekt - das AT soll aufgehoben und vollendet werden.
Da soll überhaupt nichts aufgehoben werden. Im Gegenteil (ich bin nicht gekommen aufzuheben, sondern zu erfüllen). In diesem Sinn muss auch die Thoraverschärfung gesehen werden. Was höchstens "aufgehoben", bzw. lockerer gehandhabt wird bei Jesus sind die Speisevorschriften, das Sabbatgebot, der Umgang mit Frauen usw.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deinen persönlichen Besitz kannst du den Armen verschenken. In der nahen Königsherrschaft brauchst du ihn eh nicht mehr.
Mir ist die Logik Deines Irrtums inzwischen klar.
Wenn überhaupt, dann wäre es nicht mein Irrtum, sondern der der kompletten Forschung. Soviel zu Dunning-Kruger. :roll:
Wie Theißen richtig bemerkt, wird in Anbetracht der nahen Königsherrschaft irdische Daseinsvorsorge obsolet.
Nur so ist Jesu Aussage: verkaufe deinen Besitz, gib ihn den Armen und folge mir nach, zu verstehen. Solches Handeln kann niemals Grundprinzip einer ganzen Gesellschaft sein und ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund der Erwartung des baldigen Endes.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Vor allem ist es anmaßend, den Juden vorzuwerfen, sie verstünden ihre eigene Religion nicht.
Wenn das so ist, hatten sie ja nie die Chance, von Jesus missioniert zu werden - meinst Du es SO?
Nein, das meine ich ausdrücklich nicht. Ich meine deine anmaßende Behauptung, die Juden würden ihre eigene Religon nicht verstehen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Genau deshalb sollte ein Laie auf die Forschung vertrauen, die das Johannesevangelium als weitgehend freie Erfindung eines unbekannten Schreibers identifiziert hat. Auch wenn das Rabbi Ratzi nicht gefällt.
Der "Laie Ratzinger" ist aber möglicherweise gar kein Laie und versteht einige der späteren Schriften als authentisch zu Jesus, weil sie dessen Lehre fortführend entsprechen ("hermeneutischer Zirkel").

Und nach wie vor: Was verstehst Du unter "freier Erfindung"? - Dass jemand sich einfach mal so hingesetzt hat und, statt die Sportschau zu gucken, vorgezogen hat, seinen literarischen Trieben nachzugeben: "Och - heute erfinde ich mal zum Christentum was Neues"---???--- - Hältst Du es ebenfalls für möglich, dass jemand als später Zeitzeuge oder als von Zeitzeugen Missionierter Jesus verstanden hat und dementsprechend in seinem Geist etwas geschrieben hat?
Nein, man muss die Zeit betrachten, in der die religiösen Texte incl. der anderen 56 Evangelien geschrieben wurden. Es war eine Endzeitstimmung unter dem Eindruck der röm. Besatzungsmacht, in der man offenbar nach religiöser Literatur, bezw. Geschichten gierte. Auch die Schriftrollen von
Qumran mit bisher über 500!! verschiedenen Autoren belegen die ungeheure Nachfrage. Geglaubt wurde an so ziemlich alles.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Mit "großer zeitlicher Abstand" und "hoher Reflexionsgrad" ist nichts anderes gemeint, als dass es sich beim Johannesevangelium um eine unhistorische Eigenkomposition (Erfindung) des unbekannten Schreibers handelt.
Siehe oben: Was kann das aus Deiner Sicht in Sachen "Authentizität" bedeuten? - Und wieder meine unbeantwortete Frage, die mit Deinem Zitat NICHT beantwortet ist - es ging um die Frage, ob die historisch-kritische Forschung aufgrund ihres hermeneutischen Ansatzes überhaupt geistigen Elemente berücksichtigen kann.
Auch das ist längst schon 100 mal beantwortet worden. Selbstverständlich kann sie "geistige Elemente" berücksichtigen. Sie muss sie sogar berücksichtigen, wenn sie zwischen den unterschiedlichen Traditionen und Theologien unterscheiden will. Genau das tut sie. Lies einfach mal Literatur dazu. :roll:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Religiöse Sozialisation kann auch für ideologische Zwecke und Gewaltverherrlichung mißbraucht werden.
Klar - ein großes Problem in der Praxis. - Aber soll man auf die Einführung in geistige Dinge verzichten, weil Missbrauchs-Gefahr besteht? - Da kann man dann auch das Autofahren abschaffen.
Worauf Dawkins mit dem israelischen Experiment aber abzielt, ist was anderes und geht in die Richtung Steven Weinberg Zitats:

„Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Mit ihr oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion.“


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Natürlich hat sich die historische Jesusforschung für die glaubensdogmatische Theologie im nachhinein als Rohrkrepierer entpuppt. Dafür kann die Forschung aber nichts.
Möglicherweise kann da keiner was dafür - da müsste man Wissenschafts-Historiker fragen. - Möglicherweise hat man sich seitens der Theologie vorgestellt, dass die HKM wie selbstverständlich bei christlichen Setzungen ("Es gibt Gott"/"Jesus ist göttlich") bleibt und diese nicht durch andere Setzungen ersetzt.
Mit solch einer Setzung kann man 1000 andere Götter "beweisen", deshalb geht die Forschung auch so nicht vor. Es führt zu abolut nichts.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dann sollte er auch nicht alles als historisch postulieren, was von der Forschung längst als unhistorisch aufgedeckt wurde.
Da ist was dran - Ratzinger scheint mit seinem historischen Anspruch wirklich zu weit zu gehen. - Andererseits halte ich es nach wie vor für möglich, dass das Johannes-Evangelium in der Tradition des Johannes steht - und habe dazu übrigens prompt einen Hinweis aus wik gefunden, der somit allgemein unter Exegeten bekannt sein wird:...

Mit anderen Worten: Auch die Meinung der historisch-kritischen Methodiker ist sehr breit gestreut - man sollte nicht von DER historisch-kritischen Exegese sprechen. - Das betrifft auch die Datierung, die von 70 - 150 n.Chr. reicht. - Und es betrifft auch die Meinungsvielfalt, die innerhalb der HKE von Forschern wie Berger über Rentdorff bis Theißen umfasst. - Einen Satz habe ich noch gefunden, der mir ganz entscheidend zu sein scheint:
Einen 100% Konsens wird man nie erreichen, weil es immer intellektuelle Querschläger wie Berger gibt. Trotzdem ist die Mehrheitsmeinung der Forschung zum Johannesevangelium eindeutig.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Glaubenswelt des galiläischen Wanderpredigers ist eine reine Sachfrage, so wie die Glaubenswelt des Propheten Mohammed oder der griechischen Mythologie. Es gibt hier keinen Sonderstatus.
Wie Du aktuell beim Islam siehst, gibt es auch dort große Interpretations-Spielräume, die nicht mit dem irreführenden Wort "Sachfrage" (als gäbe es nur EINE Lösung aus Sicht der Wissenschaft) abgedeckt werden können.
Es ist kein Wunder, wenn bei einem so großen Textmischmasch mit unterschiedlichsten Traditionen und Theologien der Interpretationsspielraum derart groß ist. Um so unverständlicher und grob fahrlässig war es, die Texte als "Gottes Wort" in Stein zu meißeln. So konnte die Unheilsgeschichte sowohl im Christentum, als auch im Islam ihren bekannten Lauf nehmen. Der eigentliche Sündenfall.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Eben nicht in heutiger Interpretation, das versucht man ja gerade zu vermeiden, um die Projektionsvorwürfe an frühere Forschung zu vermeiden.
Zur Erinnerung:
"Berger hat in diesen Debatten jeweils Stellung bezogen. Im Gegensatz zu Theißen, der Bultmannschule, Uta Ranke-Heinemann, Eugen Drewermann und vielen anderen lehnte er es als kritischer Historiker ab, von Forschungs- und Erfahrungsmodellen der Gegenwart auf die Vergangenheit zu schließen. „Anthropologische Grundkonstanten“, wie Sigmund Freud sie annahm, sieht Berger als ideologisches Konstrukt des 19. bzw. 20. Jahrhunderts an."
Man versucht es zu vermeiden, aber offenbar nicht so sehr erfolgreich.
Das war damit weniger gemeint, sondern die von Albert Schweitzer entlarvte Neigung der Forschung, ihre jeweils eigenen Ethik- und Moralvorstellungen auf Jesus zu projizieren.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dass man mit späteren theologischen Konstruktionen "näher an Jesus " dran sei, ist eine Behauptung, die zumindest auf Grund der Quellenlage widerlegt ist.
Wie willst Du mit der Quellenlage begründen, ob jemand - wann auch immer - etwas gecheckt hat oder nicht?
Natürlich kann man sich mit glaubensdogmatischen Prämissen so ziemlich alles zusammenreimen, wie es einem gefällt. Nur mit Wissenschaft hat das nichts zu tun.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#377 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von Münek » Mo 5. Jun 2017, 19:34

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Genau deshalb sollte ein Laie auf die Forschung vertrauen, die das Johannesevangelium als weitgehend freie Erfindung eines unbekannten Schreibers identifiziert hat. Auch wenn das Rabbi Ratzi nicht gefällt.
Der "Laie Ratzinger" ist aber möglicherweise gar kein Laie und versteht einige der späteren Schriften als authentisch zu Jesus, weil sie dessen Lehre fortführend entsprechen ("hermeneutischer Zirkel").
Als Theologieprofessor ist Ratzinger gewiss kein Laie. Aber er ordnet wirklich ALLES seinem Glauben unter - auf Kosten der intellektuellen Redlichkeit. Da plagen ihn keine Skrupel. Deshalb auch die völlig berechtigte harsche Theologenschelte bzgl. seines Jesusbuches.

Ich frage mich bei solchen Leuten immer, was sie davon haben, sich selbst in die Tasche zu lügen? Sind sie partiell blind? Was geht in deren Köpfen vor, wenn sie Tatsachen, die ihrem Glauben klar entgegenstehen, einfach ausblenden, ignorieren, nicht wahrhaben wollen, verdrängen? Wenn sie nicht ganz naiv sind (Köhlerglauben), müssen sie doch merken, dass ihre selektive Sichtweise unredlich ist.


Ist wirklich nicht böse gemeint: Hier sind wohl Psychologen gefragt, die ein solches Verhalten erklären können. Selbsttäuschung kommt ja auch sonst im täglichen Leben in hochemotionalen Bereichen vor.

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#378 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Mo 5. Jun 2017, 21:36

sven23 hat geschrieben:Nein, was wir heute Christentum nennen, hat nur peripher mit dem Juden Jesus und seiner jüdisch-religiösen Ideologie zu tun.
Das mag sein, wenn man kritisch-rational Jesus als Nur-Mensch setzt. - Das Christentum jedoch hat eine andere Setzung, nämlich dass der Jude Jesus göttlich war.

sven23 hat geschrieben:Nein, nach mehrheitlicher Meinung der Forschung vertrat er einen jüdischen Nationalismus und religiösen Partikularismus.
Auch das kann nur dann sein, wenn man kritisch-rational Jesus als Nur-Mensch setzt.

sven23 hat geschrieben:Da soll überhaupt nichts aufgehoben werden. Im Gegenteil (ich bin nicht gekommen aufzuheben, sondern zu erfüllen).
ICh habe "aufheben" dialektisch gemeint - also im Sinne von "veredeln auf höherer Ebene" - "hochheben"/"hochhalten".

sven23 hat geschrieben:Wenn überhaupt, dann wäre es nicht mein Irrtum, sondern der der kompletten Forschung. Soviel zu Dunning-Kruger.
Es ist Dunning-Kruger, wenn man methodische Ergebnisse als exklusive Ergebnisse versteht, weil man nicht auf die Idee kommt, dass es mit gleichem Recht andere Setzungen als die eigenen geben könnte. - Natürlich kann Forschung in EINEM Setzungs-System zu homogenen Ergebnissen kommen.

sven23 hat geschrieben:Wie Theißen richtig bemerkt, wird in Anbetracht der nahen Königsherrschaft irdische Daseinsvorsorge obsolet.
Das kann man zeitlich verstehen ("ist eh bald vorbei")
Matth. 6,19ff
Vom Schätzesammeln und Sorgen
19 Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo Motten und Rost sie fressen und wo Diebe einbrechen und stehlen.
20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo weder Motten noch Rost sie fressen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen.
21 Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
22 Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.
23 Wenn aber dein Auge böse ist, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!
24 Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
25 Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?
27 Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

Wenn Jesus sagt: "Darum sorgt nicht für morgen", meint er es schlicht komplett anders als "ist eh bald vorbei", das Himmelreich ist (zeitlich im Sinne der HKM) nah.

sven23 hat geschrieben:Ich meine deine anmaßende Behauptung, die Juden würden ihre eigene Religon nicht verstehen.
Hä? - Verdrehst Du wieder mal? - Zur Klarstellung: IHRE Religion verstehen die Juden ganz sicher - es ging darum, dass sie etwas in Bezug zu Jesus anscheinend nicht verstehen (den konkreten Kontext habe ich gerade nicht im Kopf - wenn es wichtig ist, stelle es nochmals ein)

sven23 hat geschrieben:Es war eine Endzeitstimmung unter dem Eindruck der röm. Besatzungsmacht, in der man offenbar nach religiöser Literatur, bezw. Geschichten gierte.
Ja - ein Hype. - Und wer will, kann versuchen zu klären, welche dieser vielen Beiträge authentisch zum Denken und Meinen von Jesus ist. - Da gibt es keine Garantie, dass man immer ins Schwarze trifft, was aber nichts daran ändert, dass es Autoren gab, die im abgeklärten Abstand sehr nah an Jesu Botschaft waren.

sven23 hat geschrieben:Selbstverständlich kann sie "geistige Elemente" berücksichtigen. Sie muss sie sogar berücksichtigen, wenn sie zwischen den unterschiedlichen Traditionen und Theologien unterscheiden will. Genau das tut sie. Lies einfach mal Literatur dazu.
Damit ist es nicht getan - ich stolpere viel früher: Wie kann eine HKM, die sich auf den Kritischen Rationalismus beruft, bei dem Geistig-Spirituelles programmatisch ausgeschlossen ist, geistige Elemente eines Texte berücksichtigen? - Wieder mal nicht naß werden wollen, aber trotzdem die Dusche aufdrehen?

sven23 hat geschrieben:Steven Weinberg Zitats: „Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde. Mit ihr oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion.“
Eine wahrhaftige Heldentat, aus der Entsagung eigener Geistigkeit eine Waffe dieser Art zu schmieden.

sven23 hat geschrieben:Mit solch einer Setzung kann man 1000 andere Götter "beweisen", deshalb geht die Forschung auch so nicht vor. Es führt zu abolut nichts.
"Beweisen" kann man grundsätzlich nichts mit Setzungen - egal ob dies die HKM oder die christliche Hermeneutik betrifft. Das wäre ein grandioses Missverständnis.

sven23 hat geschrieben:Es ist kein Wunder, wenn bei einem so großen Textmischmasch mit unterschiedlichsten Traditionen und Theologien der Interpretationsspielraum derart groß ist. Um so unverständlicher und grob fahrlässig war es, die Texte als "Gottes Wort" in Stein zu meißeln.
Mit "Wort" ist eigentlich "logos" gemeint.

sven23 hat geschrieben:Das war damit weniger gemeint, sondern die von Albert Schweitzer entlarvte Neigung der Forschung, ihre jeweils eigenen Ethik- und Moralvorstellungen auf Jesus zu projizieren.
Nein, nein - damit ist hauptsächlich die HKM gemeint.

sven23 hat geschrieben:Natürlich kann man sich mit glaubensdogmatischen Prämissen so ziemlich alles zusammenreimen, wie es einem gefällt. Nur mit Wissenschaft hat das nichts zu tun.
Deshalb beharre ich doch so sehr darauf, dass die HKM lupenrein als Sach-Disziplin auftritt und die substantielle Deutung der Hermeneutik überläßt.

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#379 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von closs » Mo 5. Jun 2017, 21:43

Münek hat geschrieben:Als Theologieprofessor ist Ratzinger gewiss kein Laie. Aber er ordnet wirklich ALLES seinem Glauben unter - auf Kosten der intellektuellen Redlichkeit.
Und wer entscheidet das außer Dir?

Münek hat geschrieben:Ich frage mich bei solchen Leuten immer, was sie davon haben, sich selbst in die Tasche zu lügen?
Möglicherweise lügst Du Dich in die Tasche und merkst es nicht.

Weißt Du: Das ist der Unterschied zwischen Ratzinger und Metzinger. - Ratzinger versteht die wissenschaftliche Hermeneutik eines Metzinger und erkennt sie als (bestenfalls) fehlerlos an (würde also nicht von "wissenschaftlich in die Tasche lügen" sprechen) - allerdings wirft Ratzinger Metzinger-nahen HKM-lern vor, dass die Setzungen ihrer wissenschaftlicher Hermeneutiken "antichristlich in der Theologie" sind. - Metzinger hat dagegen NICHT die geistige Weite, um die ihm gegenüberstehende wissenschaftliche Hermeneutik Ratzingers zu erkennen und spricht von "unredlich" - statt zu sagen "Die Ratzinger-Hermeneutik ist anti-säkular im Säkularen" - da hätte er nämlich recht.

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#380 Re: Alles Teufelszeug? VI

Beitrag von Münek » Mo 5. Jun 2017, 23:27

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Natürlich hat sich die historische Jesusforschung für die glaubensdogmatische Theologie im nachhinein als Rohrkrepierer entpuppt. Dafür kann die Forschung aber nichts.
Möglicherweise kann da keiner was dafür - da müsste man Wissenschafts-Historiker fragen.
Tja - dann frage mal nach. Machst Du sowieso nicht. Fakt ist, dass sich Exegeten vor ca. 200 Jahren im Zuge der Aufklärung von den doktrinären Festlegungen der RKK und ihren willkürlichen Bibelauslegungen und Glaubensdogmen emanzipiert haben. :thumbup:

Das war schon mal sehr gut. Da half auch der vom Papst geforderte Antimodernisteneid zu Beginn des 20 Jh. nicht mehr. Die RKK musste sich zähneknirschend der Realität beugen.

closs hat geschrieben:Möglicherweise hat man sich seitens der Theologie vorgestellt, dass die HKM wie selbstverständlich bei christlichen Setzungen ("Es gibt Gott"/"Jesus ist göttlich") bleibt
Mit tödlicher Sicherheit war es so, wie Du es vermutest... :devil:

closs hat geschrieben:und diese nicht durch andere Setzungen ersetzt.
Nö - als wissenschaftliche Diziplin hat es die Bibelforschung nicht nötig, irgendetwas zu setzen. Sie setzt nicht, dass es supranaturale Eingriffe transzendenter allmächtiger Geistwesen mit Heilsplänen gibt oder dass es sie nicht gibt.

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