sven23 hat geschrieben:denn wie ich schon oben schrieb, unterscheidet sich die HKM doch gerade in diesem Punkt von der glaubensbasierten Exegese.
Der Unterschied ist aber de facto umgekehrt. Denn die HKM versucht (wissenschaftlich korrekt), das Wesen des Christentums ausschließlich über Interpretationen (ich vermeide hier das Wort "Rezeptionen", weil es sonst wieder zu einem Sprachstreit mit Savi kommt) zu erschließen. - Es geht wissenschaftlich gar nicht anders - man versucht im gegebenen Fall bezüglich eines fiktiven Urtexts auf sekundärer Ebene zu RE-konstruieren, wie Jesu Schriften aussehen würden, wenn es sie denn gäbe.
Dem Wesen der Wissenschaft nach bedeutet dies, dass man die Interpretationen einer nicht vorhandenen Primär-Literatur "Jesus hat geschrieben" miteinander vergleicht - also eben NICHT (mangels Urtext) danach fragen kann, wie diese Interpretationen zu einem vorhandenen Urtext stehen - also auch nicht fragen kann, wo sich diese Interpretationen namens "Bibel-Texte" in Bezug auf Jesus täuschen oder nicht täuschen.
Glaubens-basierte Exegese nimmt einerseits HKM-Ergebnisse auf, definiert aber Jesus nicht nur über historisches Wissen (etwa "Sohn Gottes ist ein geläufiges Motiv in der Antike"), sondern fragt: "Wie ist Jesus
primär zu verstehen, wenn er nicht nur eine beliebige Figur in der Geschichte ist, sondern tatsächlich Gott in menschlicher Erniedrigung im Dasein?".
Wir haben also zwei komplett unterschiedliche Setzungen:
1) Jesus ist eine "normale" historische Figur und Punkt - dies kann man historisch-kritisch simulieren.
2) Jesus ist KEINE "normale" historische Figur, sondern Gott im Dasein.
Die HKM kann nicht zwischen (1) und (2) unterscheiden, weil es ihr Mandat nicht zulässt - sie kann Jesus nur so sehen wie einen Sven oder Closs. - Das ist flankierend hilfreich, sagt aber nichts über das PRIMÄRE Wesen Jesu aussagen, außer dass es irgendein Sven oder Closs ist, über den sich Folgende die Finger wund geschrieben haben.
Wenn sich in 50 Jahren ein Evangelium über Sven oder Closs entwickeln würde, würde ich Verständnis haben, wenn man dieses als "Erfindung" bezeichnet - genau das aber ist die Basis der HKM: Für primäre Fragestellungen nicht vorgesehen. - Und weil dies so ist, ist ein Regel vorzuschieben, wenn einige HKM-ler über reine, flankierende Sacharbeit hinaus zu spekulieren beginnen, wie Jesus gedacht habe, ob er eine Naherwartung gehabt habe, wie seine Gottessohnschaft zu verstehen sei - vollkommen daneben.
sven23 hat geschrieben:Dann wäre die neutestamentliche Forschung eine beliebige Veranstaltung, die keine Erkenntnisse hervorbringen könnte.
In Bezug auf substantielle Aussagen über das Wesen des Christentums als geistige Größe ist es in der Tat eine beliebige Veranstaltung - konkret: Man kann von der HKM keine geistigen Erkenntnisse erwarten. - Um so weniger sollte sie den Anschein erwecken, dass diese von ihr zu erwarten seien.
Die HKM kann ansonsten selbstverständlich Erkenntnisse hervorbringen - eben wissenschaftliche HKM-Erkenntnisse. - Hier gibt es genug Spielräume für angemessene Tätigkeit.
sven23 hat geschrieben:Siehe auch die wieder mal hervorragenden Erläuterungen von Thadddäus dazu.
Ich glaube, dass Thaddäus da etwas verwechselt. - Es scheinen vollkommen unterschiedliche Auffassungen über Mandat und Möglichkeiten der HKM zu geben. - Nach wie vor ist aus meiner Sicht Ratzi laut Savis Zitaten am nähesten dran.
sven23 hat geschrieben:Du meinst die Logienquelle "Q"?
Nein - sondern ein Autograph von Jesus.
Was hier ständig nachhaltig ignoriert wird:
Normalerweise steht ein historisch-kritisch untersuchter Text im Kontext zu einem VORHANDENEN Urtext - wenn man das Glück hat, diesen Text dann doch irgendwann zu finden, kann man gut überprüfen, ob man bisher richtig gearbeitet hat. - Solche Fälle gibt es - und dabei hat es sich gezeigt, dass älteste Abschriften regelmäßig die authentischsten im Verhältnis zum Urtext sind.
Diese Methode kann man bei der Bibel NICHT anwenden. - Diese Methode könnte man nur dann anwenden, wenn die Logienquelle "Q" von Jesus selber geschrieben oder diktiert worden wäre - denn auch die Logienquelle ist keine auktoriale Ursprungsquelle, sondern eine Interpretation dessen, was man über Jesus verstanden hat (nicht, was Jesus gesagt hat).
Insofern wird der Eindruck erweckt, eine älteste INTERPRETATIONS-Quelle sei fiktives Original - ist es eben nicht. - Aber man braucht halt offenbar ein solches Konstrukt, um seine Methodik durchziehen zu können. - Ist Dir eigentlich klar, dass es hier weniger um Jesus als um Platzhirsch-Gedöns geht?