Von einer Jungfrau geboren?

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sven23
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#301 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von sven23 » So 17. Jan 2016, 11:07

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Schweigen wäre das Falsche
Dann halt a) - aber diesbezüglich weigern sich ja viele HKM-ler. - Es geht auch noch c): Man beschränkt sich strikt auf rein wissenschaftliche Aussage ohne viel Interpretations-Spielraum - aber das scheint vielen HKM-lern AUCH nicht recht zu sein.
Wenn sich die biblischen Geschichten in großen Teilen als unhistorisch erweisen, dann ist das doch nicht die Schuld der Forschung oder Folge von überdehntem Interpretationsspielraum. Es ist doch die Kirche und ihre Dogmatiker, die auf der Historizität des NT bestehen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Da man nicht mal Gott kennt, kann man auch seinen vermeintlichen Willen nicht kennen.
Von "kennen" hat nie jemand gesprochen. - Es geht um die Erkenntnis, dass es "etwas" Höheres gibt, dessen Wille auch unbekannterweise "geschehe" - auch, weil er sich eh durchsetzt. - Hinter solchen luftigen Sätzen wie "Dein Wille geschehe" steckt ungeheuer viel Erkenntnis-Arbeit, um sie zu verstehen (siehe "Hiob").
Kennen und Erkenntnis sind ja nicht so weit von einander entfernt. Aber auch die Erkenntis, daß es etwas Höheres gibt, kann niemand haben. Man kann hier allenfalls von Wunschvorstellungen oder Glaubenskonstrukten sprechen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Thaddäus
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#302 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Thaddäus » So 17. Jan 2016, 11:53

@ closs

Heideggers ontologische Differenz passt noch viel weniger, auf das, was du damit vor hast. Heideggers Sein hat mit einem Gott gar nichts zu tun, und man kann auch keinen hineinzaubern, wie du das möchtest. Der Eintrag zu "Sein" bei Heidegger bei Wiki macht das auch sehr schön deutlich:

Martin Heideggers ontologischer Ausgangspunkt ist die ontologische Differenz von Sein und Seiendem, mit der er sozusagen das hermeneutische Paradigma auf die Ontologie überträgt: So wie ein Einzelnes nur durch seinen Bezug zum Ganzen verstanden werden kann, bildet das Sein den Verständnishorizont für alles einzeln in der Welt Begegnende. Das Sein geht daher allem Seienden voraus. So wie im Gegebenen der Geber und das Geben nicht sichtbar sind, ist das Sein stets vor- und mitgängig im Umgang mit der Welt. Da das Sein aber selbst nichts Seiendes ist, lässt sich nicht sagen das „Sein ist“. Heidegger sagt daher, um den Ausdruck „Sein ist“ zu vermeiden, „es gibt Sein“ oder „das Sein west“. Das Sein ist der stets unthematische Horizont, auf dem sich die Einzeldinge in ihrer sinnhaften Bedeutung zeigen. Sein und Verstehen fallen damit bei Heidegger zusammen. Heideggers philosophisches Anliegen bestand darin, diesen unthematischen Horizont eigens zum Thema zu machen und ins Ausdrückliche zu heben, was sonst bloß unausdrücklich mitgedacht und mitgemeint wird. [Wiki zum Stichwort "Sein" (Heidegger)]
closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben: Du bist eher genau dem Weg gefolgt, den Hegel als „Zugang zum Christentum“ entworfen hat.
Es IST ein Zugang zum Christentum, aber nicht weil es ein christliches Werk ist, sondern weil das Christentum in seiner fundamentalen Aussage universal ist.
Was ist denn die universale Aussage des Christentums?!!!

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#303 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von closs » So 17. Jan 2016, 12:07

Thaddäus hat geschrieben:Kant gelangt zu der beweisbaren Einsicht, dass wir allenfalls das WISSEN können, dass Gott eine Idee ist, niemals aber, ob er real ist.
DIESE Aussage ist korrekt - aber eine ganz andere Aussage als meine Aussage.

Thaddäus hat geschrieben:Aussagen über eine etwaige Realität Gottes sind grundsätzlich unmöglich, weil es das Erkenntnisvermögen des Menschen grundsätzlich übersteigt.
Richtig - deshalb spricht man von "Glauben", der zwar sehr fundiert begründet wird, aber deshalb noch lange nicht zum Wissen wird - zumal, zu Ende gedacht, der Mensch eh nur innerhalb eines selbst-erstellten Systems "wissen" kann.

Deshalb meine rhetorische Frage:
Closs hat geschrieben:WIE sollte Kant WISSEN, ob Gott eine Idee oder real ist?

Und deshalb meine echte Frage:
Closs hat geschrieben: Sprichst Du der Philosophie ontologische Gestaltungsfähigkeit zu?

Thaddäus hat geschrieben:Die hegelsche Dialektik gehört zu den philosophischen Methoden und ist insofern inhaltlich neutral.
Genau so ist es.

Thaddäus hat geschrieben:Man kann diese Methode aber genauso dazu verwenden, die Entwicklung eines dialektischen Materialismus zu erklären, wie Friedrich Engels es gemacht hat
Exakt.

Thaddäus hat geschrieben:Die dialektische Methode kann dein Vorhaben, closs, Gott damit irgendwie plausibel machen zu wollen, also gar nicht leisten
Das geht schon - eben weil es eine neutrale Technik ist, die man auf diese Frage ansetzen kann.

Thaddäus hat geschrieben:Die dialektische Methode kann aber auch darum keinen Gott erweisen oder auch nur plausibel machen, weil sie einen steten Fortgang zum Besseren impliziert, nämlich zur Selbsterkenntnis des Geistes.
Plausibel machen schon, weil sie im Sinne des Hermeneutischen Zirkels das Potential nach oben sieht - ob dieses Potential genutzt wird, ist eine andere Sache.

Thaddäus hat geschrieben: Historisch sind aber viele Rückschritte menschlichen Wissens und menschlicher Kultur belegbar,
Wie wahr. :devil:

Thaddäus hat geschrieben:was die dialektische Mehtode als solche zweifelhaft werdne lässt.
Nein - die Methode ist richtig - sie muss nur angewendet werden (können). - Wenn jemand die Stufen A-B-C geht, steht D offen (vorher nicht). Wenn man auf B zurückfällt, weil einem die Luft ausgeht, liegt das nicht an der Methode.

Thaddäus hat geschrieben:Heideggers ontologische Differenz passt noch viel weniger, auf das was du damit vorhast. Heideggers Sein hat mit einem Gott gar nichts zu tun
Stimmt - genau das waren meine Worte:
Closs hat geschrieben:Es gibt universal denkende Philosophen, zu denen mir Hegel und auch Heidegger zu gehören scheinen. - Mit "universal" meine ich, dass sie Grundstrukturen zur Erklärung der Welt finden, die von ihnen in IHREM Kontext entwickelt und ausgeführt werden, jedoch auch außerhalb ihres Systems Verwendung finden können.

Thaddäus hat geschrieben:gänzlich außer Acht lassen, was diese philosophischen Versatzstücke ursprünglich bedeuten und welchen Sinn sie in ihrem ursprünglichen philosophischen Kontext haben.
Genau dazu habe ich erklärt, warum dies unter universalen Gesichtspunkten irrelevant ist.

Wir haben eine unterschiedliche Auffassung von Philosophie: Du scheinst Philosophie historisch zu sehen im Sinne von: "Wie ist der biografistische und historische Kontext einer Lehre" - insofern stimme ich Dir ausdrücklich zu, dass bspw. Heidegger in seinen existentialistischen Jahren mit "vertikalen" Konstrukten nichts im Schilde führte.

Ich sehe Philosophie unter universalen Gesichtspunkten: "Was bleibt, wenn man biografistische und historische Aspekte weglässt und sich auf die Substanz einer philosophischen Lehre konzentriert?". - Das ist etwas ganz anderes. - Man könnte hier den Gedanken C.G.Jungs einfließen lassen, dass ein Künstler immer gleichzeitig in seiner Zeit und über seiner Zeit wirkt. - Verstehst Du?

Thaddäus hat geschrieben:Genau das tust du, auch wenn du es noch das 5. Mal dementierst.
Dann bist Du tatsächlich auf dem falschen Dampfer.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn es stimmt, dass der Mensch immer vom Ich aus urteilt (besser: innerhalb der Grenzen seines Erkenntnisvermögens), dann trifft das auch auf deine Aussage zu, es handele sich dabei nicht um einen absoluten Maßstab, sondern um einen operativen.
Formal korrekt. - Was sagt das inhaltlich aus?

Thaddäus hat geschrieben:Das bedeutet: die Annahme, das Ich sei kein absoluter Maßstab wird erhoben von einem Ich, welches stets nur von sich selbst ausgehen kann und sich selbst damit absoluter Maßstab sein muss, denn von etwas anderem kann es nicht ausgehen.
Der Kreter sagt: "Alle Kreter lügen". - Und jetzt? Was willst Du daraus schließen?

Mein Weg wäre hier wieder der ontologische (nicht im Sinne einer Schule, sondern wörtlich als "Lehre vom Sein"):
* Entweder die Aussage des Menschen, dass der Mensch das Maß der Dinge ist, ist authentisch zu dem, was "ist".
* Oder die Aussage des Menschen, dass der Mensch das Maß der Dinge ist, ist NICHT authentisch zu dem, was "ist".

Damit entlarvt man jegliche sophistische Struktur-Antinomien oder Paradoxien - allein dadurch, dass es "dem, was ist" scheißegal ist, wie und ob sich der Mensch in selbstgemachten Fallstricken verfängt oder nicht.

Thaddäus hat geschrieben:u schreibst gerade, dass der Mensch immer vom Ich aus urteilt. Jetzt schreibst du, das geistiges Denken ein Ableger von etwas Höherem sei und auch noch "gut begründbar".
Der Mensch urteilt anthropozentrisch (anders geht's ja nicht), dass geistiges Denken ein Ableger von etwas Höherem ist.

Thaddäus hat geschrieben:, dann ist es offensichtlich überhaupt nicht begründbar, dass "sein geistiges Denken" von etwas Höherem kommt, weil dieser Gedanke wiederum nur das Urteil eines Ich ist, welches nur von sich selbst ausgehen kann, niemals aber eine andere Sicht als diese seines Ichs einnehmen kann.
Das Ich kann von einem Höheren "inspiriert" sein (so würde man es theologisch sagen), also als anthropozentrisches Ich etwas sagen, was den eigenen Erlebnis-Raum übersteigt.

Das ist doch gerade die Idee der sogenannten "Ebenbildlichkeit", dass der Mensch etwas Göttliches in sich trägt und es nach außen geben kann. - Natürlich kann dies der Mensch nur über sein Ich tun, was in der Regel zu Kontaminierung der Botschaft führt, aber er kann es tun. - Der Anthropozentrismus des Menschen schließt nicht aus, dass in ihm "Exklaven" des Göttlichen sind.

So wurde übrigens in der früchristlichen Philosophe "Gewissen" verstanden: Man nannte es "con-scientia" ("Mit-Wissen" am Göttlichen), das später im Gotischen zu "mit-wizzei" und über das Althochdeutsche "ge-wizzeni" weiter sprachlich geglättet wurde zu dem, was wir heute "Gewissen"nennen.

Thaddäus hat geschrieben:Nein, closs folgt Hegel keineswegs.
Das wäre genauer zu prüfen - aber vollkommen unabhängig gilt auch hier:
Closs hat geschrieben:Es gibt universal denkende Philosophen, zu denen mir Hegel und auch Heidegger zu gehören scheinen. - Mit "universal" meine ich, dass sie Grundstrukturen zur Erklärung der Welt finden, die von ihnen in IHREM Kontext entwickelt und ausgeführt werden, jedoch auch außerhalb ihres Systems Verwendung finden können.

Thaddäus hat geschrieben: strotzt nur so von fundamentalen Fehlern und Missverständnissen
Es mag formale Systeme geben, auf die Du Dich diesbezüglich berufen kannst - aber vergiss dabei eines nicht:

Philosophie sollte nicht nur innerbetriebliche Masturbation sein, sondern auch etwas mit Substanz zu tun haben - also auch Philosophie sollte Instrument zu ontologischer Erkenntnis und nicht nur Denksystem-Selbsterfüllungs-Theater sein.

Weiterhin sollten wir zukünftig auf den Unterschied zwischen philosophie-historische und philosophie-substantielle Betrachtung achten - konkret: Warum und in welchem historischen Kontext ein Philosoph seine Philosophie entwickelt hat, ist genauso interessant wie sekundär. - Weiterhin ist Philosophie aus meiner Sicht nicht nur historisches Verstehen, sondern Erkennung des Potentials ("Was steckt da drin?") einer (hier:) Dialektik Hegels oder Ontologie Heideggers. - Wir greifen hier doch nicht auf philosophische Schriften zurück, um sie in ihrer Zeit und Intention zu verstehen, sondern ihre mögliche Bedeutung im konkreten Kontext zu verstehen.

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#304 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von closs » So 17. Jan 2016, 12:20

sven23 hat geschrieben:Yep, um nicht zu sagen, was für ein clossaler logischer Fehler mal wieder.
Nicht nachplappern: Nachdenken.

sven23 hat geschrieben:Es ist doch die Kirche und ihre Dogmatiker, die auf der Historizität des NT bestehen.
Wie gesagt: Da haben sie sich zum Teil ein Ei gelegt. - Nach meinem Verständnis ist damit gemeint, dass Jesus historisch am Kreuz (oder Pfahl) gestorben ist und es keine reine Legende ist.

Was Einzelheiten angeht, sollte auch die HKM nicht breitspurig auftreten: Sie hat im Wesentlichen nur Rezeptions-Quellen, die man nicht zum Maßstab nehmen kann. - Dementsprechend ist die Euphorie in Bezug auf die HKM seit Jahrzehnten verflogen - weil einfach zu wenig da ist. Und das, was da ist, wird tendenziös über-interpretiert, wie wir ja sattsam kontrovers diskutiert haben.

sven23 hat geschrieben:Aber auch die Erkenntis, daß es etwas Höheres gibt, kann niemand haben
Das wäre jetzt eine reine Definitions-Frage: Wenn man "Erkenntnis" im Sinne einer subjektiven Gewissheit interpretiert, geht das schon. - Wenn man es als Synonym für "Wissen" versteht, braucht man kein zweites Wort dafür.

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#305 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von closs » So 17. Jan 2016, 12:24

Thaddäus hat geschrieben:Heideggers Sein hat mit einem Gott gar nichts zu tun
In seiner existentialistischen Intention ist das in der Tat so. - Es ist aber transferierbar in die "Vertikale" und funktioniert dann auch - deshalb nochmals die Frage: Wie verstehst Du folgenden Satz?

„Solange das Dasein als Seiendes ‚ist‘, hat es seine ‚Gänze‘ nie erreicht. Gewinnt es sie aber, dann wird der Gewinn zum Verlust des In-der-Welt-Seins schlechthin. Als Seiendes wird es dann nie mehr erfahrbar.“

Thaddäus hat geschrieben:"Sein und Verstehen fallen damit bei Heidegger zusammen" (wik).
Das verstehe ich tatsächlich nicht so, wie es da steht - denn hier wird der Eindruck erweckt, als würden "Sein" und "Verstehen des Menschen" zusammenfallen. Das würde ich ausschließen.

Stimmig ist diese Aussage im Kontext mit obigem Zitat:
Das Dasein als Seiendes (platt: Mensch) versteht erst dann das Sein (vertikal: Gott), wenn es (das Dasein als Seiendes) seine Gänze erreicht hat, was nur um den Preis des Nicht-mehr-in-der-Welt-Seins möglich ist. - Das Verstehen des Menschen fällt also nur dann mit dem Sein zusammen, wenn der Mensch nicht mehr Teil der Daseins-Welt ist - dies entspricht genau dem, was das die Theologie "Visio Beatifica" nennt.

Nein - Heidegger hat NICHT an die Theologie gedacht, als er diesen Satz formuliert hat. - Es ist UNSERE Sache, das Potential Heideggers im Sinne der hegelschen Dialektik (alias Hermeneutik) weiter zu denken.

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sven23
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#306 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von sven23 » So 17. Jan 2016, 13:10

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Yep, um nicht zu sagen, was für ein clossaler logischer Fehler mal wieder.
Nicht nachplappern: Nachdenken.
Da gibt es doch ein Gleichnis in der Bibel vom Balken im Auge. :lol:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Es ist doch die Kirche und ihre Dogmatiker, die auf der Historizität des NT bestehen.
Wie gesagt: Da haben sie sich zum Teil ein Ei gelegt. - Nach meinem Verständnis ist damit gemeint, dass Jesus historisch am Kreuz (oder Pfahl) gestorben ist und es keine reine Legende ist.
Der Tod ist ja weitgehend unbestritten. Es geht um Geburtslegenden, Jungfrauengeburt, Auferstehung, Wunderwirken, übers Wasser gehen usw. Das war von Anfang an sehr umstritten, weshalb sich die Kirche genötigt sah, alles fein säuberlich in nicht hinterfragbare Dogmen zu packen.

closs hat geschrieben: Dementsprechend ist die Euphorie in Bezug auf die HKM seit Jahrzehnten verflogen - weil einfach zu wenig da ist. Und das, was da ist, wird tendenziös über-interpretiert, wie wir ja sattsam kontrovers diskutiert haben..
Die Euphorie ist nur bei den Dogmatikern und Kanonikern verflogen, weil sie die erhoffte Bestätigung nicht bekamen. Aus diesem Grund sah sich ja auch ein Ratzinger genötigt, den biblischen Jesus zu reanimieren.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Aber auch die Erkenntis, daß es etwas Höheres gibt, kann niemand haben
Das wäre jetzt eine reine Definitions-Frage: Wenn man "Erkenntnis" im Sinne einer subjektiven Gewissheit interpretiert, geht das schon. - Wenn man es als Synonym für "Wissen" versteht, braucht man kein zweites Wort dafür.
Wenn man die Hürden für "Wissen" entsprechend tief hängt.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Savonlinna
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#307 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von Savonlinna » So 17. Jan 2016, 13:12

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Daraus schließe ich: Deiner Meinung nach sei der Mensch mit seiner Wahrnehmungsmethodik dennoch grundsätzlich fähig, das Maß aller Dinge zu sein, muss es aber nicht notwendigerweise sein.
Eigentlich kann er es NICHT - aber unsere moderne Auffassung tut unreflektiert so, als ob. - Ich selbst bin strikt gegen diese Auffassung.
Gut. Wenn Du strikt gegen diese Auffassung bist, dann wäre folgender Satz Deines vorigen postes

closs hat geschrieben:Es führt aber beim Menschen zur Erkenntnis, dass er und seine Wahrnehmungs-Methodik nicht notwendig das Maß der Dinge sind
so gemeint, dass der Mensch, wenn er sich de-anthropozentriert, auf jeden Fall, ohne Wenn und Aber, erkennt, dass seine Wahrnehmungs-Methodik nicht das Maß der Dinge sei.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Hier bitte ich um die Formulierung des Kriteriums, nach dem Du beurteilst, wann die Wahrnehmungsmethodik eines Menschen das Maß der Dinge sein könnte, wann nicht.
Es gibt absolut gesehen dieses Kriterium nicht, weil das dahinter stehende Postulat (Mensch = Maßstab) falsch ist. - Es ist nur dann korrekt, wenn man auf ein selbst-gemachtes System kalibriert - dies ist methodisch von Belang, nicht aber ontologisch.
Okay. Das bestätigt noch einmal das oben von Dir und mir Gesagte.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:In wessen Namen entscheidest Du, dass mehr "De-Anthropozentrierung nicht nötig sei?"
Das ist meine These. - Demnach ist - vor dem Hintergrund, dass der Mensch immer vom Ich aus urteilt, also immer anthropozentrisch urteilt - die Einsicht nötig, dass dieses Ich nicht der absolute Maßstab, sondern nur ein operativer Maßstab sein kann. - Aus meiner Sicht ist nicht mehr nötig als das.
Danke. Dann ist diese Forderung also Deine persönliche, dass der Mensch einsehen sollte, dass seine Urteile stets vom Ich ausgehen, also anthropozentrisch seien.

closs hat geschrieben: Die Aussage "Das Anthropozentrische ist nicht Maßstab des Seins" ist natürlich ebenfalls anthropozentrisch, macht aber erkennbar, dass das Anthropozentrische sich seiner Nicht-Maßstäblichkeit bewusst sein kann, also nicht Gefahr läuft, anthropozentristisch zu werden. - Man überschreitet damit das Anthropologische nicht, zeigt aber, dass man nicht in ihm geistig befangen ist.

Das ist ein arg verkniffeltes Thema
Ich verstehe schon, was Du meinst. Man sei nicht befangen in einer Ideologie, wenn man sich der Unmaßgeblichkeit seiner Sichtweise und seiner Auffassung bewusst sei.
Wobei es meiner Beobachtung nach ein Unterschied sein kann, ob er es nur beteuert, dass seine Aussagen nicht maßgeblich seien, oder ob es es wirklich mit seiner ganzen Existenz spürt, also in seiner Tiefe darum weiß.

closs hat geschrieben: - worauf willst Du eigentlich raus?
Ich möchte Deinen Satz - "ALLES ist anthropozentrisch" - in seiner Konsequenz ausloten.

closs hat geschrieben: ICH will darauf raus, dass der (anthropozentrische) Mensch in der Lage sein kann, seinen Anthropozentrismus zu reflektieren und zum Ergebnis zu kommen, dass er absolut nicht maßstäblich sein muss, sondern etwas anderes.
Ja. Das habe ich so nun auch verstanden. Wenn der Mensch, Deinem Verstehen nach, seinen Anthropozentrismus reflektiert, dann sei er zwar noch immer ich-orientiert, er wisse aber darum.

closs hat geschrieben: - Der Naturalist mag sagen, dieses könne "Natur" sein - der Christ mag sagen, dieses könne "Gott" sein. - Man kann also innerhalb des Anthropozentrismus reflektierend feststellen, dass es etwas anderes geben kann, als den Anthropozentrismus. - Einverstanden?
Nach Deinen obigen Aussagen sei der Anthropozentrismus - als "ismus" - dann verlassen, wenn man darum wisse, dass man vom Ich aus und nur von einem ich-gesteuerten Wahrnehmungssystem aus urteile.
Soweit ist noch alles klar.

Ab hier aber muss man äußerst sorgfältig jeden Gedankenschritt überprüfen, ob er noch aus der Ausgangsthese folgt.
Denn: Wenn man darum weiß, dass alles anthropozentrisch sei, dann weiß man selbstverständlich auch darum, dass dieser Satz ebenfalls anthropozentrisch ist. Also: Nur das Ich meint, dass alles anthropozentrisch sei.

Jetzt wird es in der Tat sehr kniffelig, und dennoch hängt - in der Konsequenz Deiner eigenen These - alles davon ab, dass man die Aussage "Alles ist anthropozentrisch" ebenfalls als eine anthropozentrische Aussage erkennt, die nicht maßstäblich sei.

Das ist von mir alles andere als eine logische Spielerei: denn wenn man sich dessen wirklich, in all seiner Tiefe, bewusst wird, kann die große Freiheit - oder die große Freude - anbrechen.

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#308 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von closs » So 17. Jan 2016, 13:58

sven23 hat geschrieben:Die Euphorie ist nur bei den Dogmatikern und Kanonikern verflogen, weil sie die erhoffte Bestätigung nicht bekamen.
Nein - offensichtlich gilt das für alle Theologen außer den HKM-lern selbst, die natürlich ein Selbst-Erhaltungs-Bedürfnis haben.

Denn die Quellenlage ist eindeutig.
* wenig Primär-Quellen (Archäologisches, Text-Quellen aus den Jahren 0 - bis 30, etc.)
* Viele Rezeptions-Quellen (Bibel-Texte), die streng wissenschaftlich etwas über DEREN Zeit und DEREN Verfasser aussagen.
* Sense

sven23 hat geschrieben:Wenn man die Hürden für "Wissen" entsprechend tief hängt.
Genau das sollte man nicht - denn dann bleibt so gut wie kein Wissen übrig. - "Erkenntnis" ist ein subjektiver Vorgang ("jada").

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#309 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von closs » So 17. Jan 2016, 14:06

Savonlinna hat geschrieben: dass der Mensch, wenn er sich de-anthropozentriert, auf jeden Fall, ohne Wenn und Aber, erkennt, dass seine Wahrnehmungs-Methodik nicht das Maß der Dinge sei.
Richtig - es ist EIN Versuch von vielen Versuchen dem nahe zu kommen, was "ist", was also WIRKLICH war, als es stattfand. - Wie authentisch der eigene Versuch ist, lässt sich nur komplex und indirekt begründen, aber nie beweisen.

Savonlinna hat geschrieben:obei es meiner Beobachtung nach ein Unterschied sein kann, ob er es nur beteuert, dass seine Aussagen nicht maßgeblich seien, oder ob es es wirklich mit seiner ganzen Existenz spürt, also in seiner Tiefe darum weiß.
O ja. - Das Motiv der "Unterscheidung der Geister" ist nicht so daher geredet. - Allerdings gibt es so etwas wie persönliche Erkenntnis, die authentisch sein kann, selbst wenn sie oder gerade weil sie NICHT intersubjektiv beweisbar ist. - Inzwischen neige ich immer mehr dazu, dass Erkenntnis NUR individuell sein kann.

Savonlinna hat geschrieben:Nach Deinen obigen Aussagen sei der Anthropozentrismus - als "ismus" - dann verlassen, wenn man darum wisse
Genauso verstehe ich es.

Savonlinna hat geschrieben:Also: Nur das Ich meint, dass alles anthropozentrisch sei.
WENN es Gott als Entität gibt, weiss auch Gott, dass der Mensch anthropozentrisch ist - das ist ja das Grundmotiv des sogenannten "Sündenfalls". - Vor dem "Fall", als sich die Augen Adams noch "nicht geklärt" hatten (für seine Ich-Identität) war Adam NICHT anthropozentrisch, dafür aber waren seine Augen auch "getrübt". - Das eine bedingt das andere.

Savonlinna hat geschrieben:denn wenn man sich dessen wirklich, in all seiner Tiefe, bewusst wird, kann die große Freiheit - oder die große Freude - anbrechen.
Ja - ich glaube, wir sind hier auf derselben Linie.

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sven23
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#310 Re: Von einer Jungfrau geboren?

Beitrag von sven23 » So 17. Jan 2016, 15:05

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Die Euphorie ist nur bei den Dogmatikern und Kanonikern verflogen, weil sie die erhoffte Bestätigung nicht bekamen.
Nein - offensichtlich gilt das für alle Theologen außer den HKM-lern selbst, die natürlich ein Selbst-Erhaltungs-Bedürfnis haben.
Ein Selbst-Erhaltungs-Bedürfnis ist den Dogmatikern und Kanonikern natürlich völlig fremd. :lol:

closs hat geschrieben: Denn die Quellenlage ist eindeutig.
Im Falle der Naherwartung ist sie das auch. :thumbup:

closs hat geschrieben: * wenig Primär-Quellen (Archäologisches, Text-Quellen aus den Jahren 0 - bis 30, etc.)
* Viele Rezeptions-Quellen (Bibel-Texte), die streng wissenschaftlich etwas über DEREN Zeit und DEREN Verfasser aussagen.
* Sense
Wenn du so ran gehst, kannst du die ganze Bibel in die Tonne kloppen.
Jetzt komm mir nicht mit geistigen Inhalten, die sind genau so Rezeption wie alles andere.

closs hat geschrieben: "Erkenntnis" ist ein subjektiver Vorgang ("jada").
Ohne Intersubjektivität bleibt es Privatvergnügen/Privatphantasie. Deshalb hat doch die Kirche ihr Dogmengebäude installiert mit einem Glaubensbekenntnis, das Gläubige nachzubeten haben.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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