sven23 hat geschrieben:Auf die erste widersruchsfreie Interpretation warten wir bis heute und ich denke mal, daß sie ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Das geht, wenn man die Bibel nicht als "Gottes Wort", sondern als "gottgewolltes Wort" versteht. - Wenn man also die Aussagen der Bibel gewollt als Kaleidoskop von Wahrem und Unwahren versteht, das dadurch entsteht, dass sich einmal der göttliche Geist und eine andermal dessen Fehl-Deutung durchsetzt.
Mit "Fehldeutung" sind dabei nicht nur exegetisch vorbelastete Übersetzungen gemeint, sondern vor allem auch Vorbelastungen der Akteure des Textes selbst wie auch der Textverfasser. - Ein vollkommen willkürliches Beispiel von Aber-Hunderten:
Esra 4,3: "Es geht nicht, dass wir mit Euch zusammen unserem Gott ein Haus bauen". - Der Hintergrund: Vom Textverfasser als „Feinde von Juda und Benjamin“ (4,1) Bezeichnete, die Jahwe verehren, wollen sich am Tempelbau beteiligen, werden aber von den Juden („Serubbabel, Jeschua … und <den> übrigen Oberhäupter<n> der Großfamilien“ (4,3)) abgewiesen.
Das heisst: Es gibt Nicht-Israeliten, "deren Geist Gott erweckte" (1,5), die ihn als Gott anbeten möchten, aber von den Israeliten daran gehindert werden. - Ist aber ihr Geist von Gott dazu erweckt, ist es Gottes Wille, dass sie ihn anbeten - diesen Willen missachten die Israeliten somit.
Naheliegend erscheint, dass weltlich orientiert ein Interesse seitens der Israeliten besteht, Jahwe als ihren exklusiven Gott zu verstehen – die verweist auf eine streng volks-göttisch ausgerichtete Religions-Auffassung und widerspricht einem universalen Gottesverständnis, wonach „durch Israel … alle Völker der Erde Segen erlangen <sollen>“ (Gen. 18,18).
Gleichzeitig sagt aber die Bibel kurze Zeit später, dass "die Hand des Herrn ... über ihm <Esra> war" (7,6). - Es wird dem Leser also insgesamt der Eindruck erweckt, dass die Ausbootung der Nicht-Israeliten gottgewollt sei. - Und es braucht nicht viel, dass dann der nächstbeste Exeget begründet, warum die Israeliten recht getan haben, die Nicht-Israeliten von ihrem Glauben an Jahwe abzuhalten, also damit "Gottes Willen" umgesetzt hätten.
Es gibt übrigens in der Tat sehr stichhaltige Gründe für die Konzentration der Israeliten auf sich selbst, die nach Abschluss der Babylonischen Vertreibung ihre Identität neu festschreiben müssen - aber das sind keine universalen, sondern nationale Gründe, die durch einen volks-göttischen Anstrich ("Mir san mir") betont werden müssen.
Wir haben also einen Widerspruch, legen wir den universalen Anspruch des Christentums zu Grunde. - Gleichzeitig ist es KEIN Widerspruch, wenn man die damalige Lebenswirklichkeit zugrundelegt. - Insofern zeigt diese Texstelle (wie viele, viele anderen auch) nicht den Widerspruch des Christentums, sondern den Widerspruch zwischen Soll und Ist des Christentums. - Anders formuliert: Man darf Bibelstellen nur aus sich selbst heraus verstehen.
Das heisst aber auch: Man kann solche Szenen nicht mit NT-Stellen vergleichen, die diese Szene bestätigen oder falsifizieren - es macht einfach keinen Sinn. - Man kann im Gegenteil die Bibel aus meiner Sicht nur dann verstehen, wenn man den geistigen SChlüssel zu ihr schon hat und damit die Phasenverschiebungen zwischen Soll und Ist in der Lage ist zu erschließen. - Kommt dieser Gedanke rüber?