Tyrion hat geschrieben:Jeder weiß zwar, dass die Bibel auch dafür verwendet wird und wurde, das Züchtigen von Kindern zu rechtfertigen, aber konkrete Fälle kennt "niemand".
Ich hatte doch geschrieben, dass ich von Fällen weiß, im Bekanntenkreis, die aber Jahrzehnte zurück liegen. Also erzähle bitte keine Märchen.
Eine der Begebenheiten könnte ich mit Details erzählen, so, wie sie mir erzählt wurde.
Es war Winter. Kalt. Die Kinder hatten einen Schulweg von etwa 2 km, zu Fuß, und in der Schule war es mit den alten Einfachglasfenstern trotz Holzofen ja auch nicht unbedingt warm.
In einem kleinen Dorf wohnte eine Familie mit drei Jungs im Schulalter. Die Mutter eines Jungen bestand darauf, dass er an diesem Tag einen warmen Pullover anzieht. Es war ein roter Pullover. Er mochte ihn wohl nicht sonderlich, aber er gehorchte seiner Mutter.
-- Der Religionsunterricht in der Schule wurde von einem Pfarrer erteilt.
Nun waren dem Pfarrer offenbar einmal Äpfel aus seinem Garten gestohlen worden. Und der Dieb habe.... einen roten Pullover angehabt, sagte der Pfarrer.
Obwohl der Junge mit dem Diebstahl nichts zu tun hatte, wurde er verdächtigt, weil er eben
auch einen roten Pullover hatte, und er wurde...
bestraft.
Mit Schlägen, soweit ich mich erinnere. In Anwesenheit der anderen Schüler seiner Klasse.
Diese, durch einen "Mann Gottes" erfahrene, ungerechte Willkür und demütigende Mißhandlung hat tiefe Wunden in seiner Seele hinterlassen. Sein Leben lang lehnte er den Glauben für sich persönlich ab. Da war eine Mauer, unüberwindlich (für mich).
Damals war es nicht üblich gewesen, die Bibel zu lesen und Eigeninitiative zu ergreifen auf der Suche nach Gott und Fragen zum Glauben. Schon gar nicht bei Katholiken in einem katholischen Dorf vor und während des 2. Weltkriegs. Alles, was den Menschen zur Verfügung stand, waren Traditionen, die Belehrungen des Dorfpfarrers und --- das Beispiel, das ihnen die Leute gaben, die sich selbst als Christen bezeichneten.
Woher ich das weiß?
Der Junge war mein Vater.
Zufrieden?
Völlig unmöglich, SO mit Kinder umzugehen... und sie öffentlich, also vor der Klasse, zu demütigen, das ist meine Meinung. Aber damals wurde von Lehrern und Eltern geprügelt... das waren übrigens dieselben Leute, die mehrheitlich Hitler gewählt und ihm als Ersatzgott zugejubelt hatten... so verpeilt, wie die waren, kann man deren theologische Kenntnisse sowie ihre pädagogischen Fähigkeiten mit Fug und Recht in Frage stellen und muß nicht die Bibel als Sündenbock bemühen, denn einen ungerechten und gemeinen Umgang mit Abhängigen hat Gott niemals (!) befohlen und unterstützt auch die Bibel keinesfalls.
Es klang fast so, als wäre ich die große Ausnahme, die im Bekanntenkreis solche Fälle kennt (also Menschen, die als Kind von streng christlichen Eltern - meist dem Vater - gezüchtigt wurden).
Auch meine ältere Schwester und ich wurden in der frühen Kindheit mit Schlägen "ruhig gestellt". Bei den beiden jüngeren Geschwistern waren meine Eltern dann zartfühlender und nicht mehr so streng, so ist meine Erinnerung. Was ich übrigens nicht nur als Kind als ungerecht empfand.
Aber man "züchtigte" uns nicht "im Namen der Bibel", sondern, weil das damals eben so üblich war und weil man sich wenig Gedanken darüber machte, was dieser (überstrenge) Erziehungsstil bei sensiblen Kindern anrichten würde.
Sogar im Kindergarten wurden die Kinder von den Erzieherinnen mit einem Handfeger geschlagen, wenn sie z.B. während der Abwesenheit der Betreuerinnen nicht auf ihren Plätzen (Stühlen) an den Tischen sitzen blieben. Die Erzieher konnten den Saal vom Flur aus durch ein Fenster einsehen. Ich frage mich heute noch, wozu diese Übung gut sein sollte-- "Gehorsam trainieren"?
Ich habe mich- damals war ich vier und fünf Jahre alt- immer ganz eng an den Tisch gedrückt, weil ich Angst davor hatte, zu Unrecht verdächtigt und bestraft zu werden. Und als meine, um ein Jahr ältere Schwester in die Schule kam, weigerte ich mich, alleine in den Kindergarten zu gehen.
Auch außerhalb des Kindergartens verhielt ich mich möglichst unauffällig. Ich war so gründlich eingeschüchtert, dass ich immer versuchte, brav zu sein und ja nicht aufzufallen-- ein bequemes Kind. Und dieses antrainierte Verhaltensmuster prägte mich bis vor einigen Jahren noch; wahrscheinlich auch heute- meine Antwort auf aggressive Angriffe ist in der Regel, wenn mit dem Aggressor nicht zu reden ist, Rückzug.
Obwohl ich selbst negative Erfahrungen mit schlagwütigen Erziehern habe, werde ich trotzdem nicht negieren, was in den Sprüchen steht. Nur muß man
interpretieren. Und die Interpretation sowie die darauf gründenden Schlußfolgerungen für die Praxis können heute, unter veränderten Bedingungen und mit anderen Möglichkeiten, selbstverständlich ganz anders aussehen als vor 3000 Jahren.
Fakt bleibt: Kinder sind keine unschuldigen Engelchen, sondern können manchmal ganz schön egoistisch und boshaft sein, ob absichtlich oder nicht. Es ist Aufgabe und Pflicht der Erwachsenen, den Macken der Kinder Rechnung zu tragen, so gut sie es vermögen, und dem Nachwuchs die Werte zu vermitteln, die er unabdingbar braucht, um sich in die Gesellschaft einzugliedern und das Leben zu packen.
LG