Descartes und Glaube

closs
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#211 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von closs » Sa 30. Apr 2016, 00:04

Pluto hat geschrieben: Das ist auch der Grund, warum ich den Begriff "Erbschuld" ablehne, den die Kirche den Menschen auferlegen will.
Das hat doch primär nichts mit den Kirchen zu tun - sie haben es doch nicht erfunden. - Da steckt doch eine Grundwahrheit des Lebens dahinter.

Pluto hat geschrieben:Ein rational denkender Mensch
... muss genauso Lasten tragen wie andere. - Eigentlich geht es doch um das Thema "Last" und "Leid", der hinter dem Begriff "Erbschuld" steht. - Lasten kann man nicht rational abschütteln.

Pluto hat geschrieben:Rational gesehen muss der Vater nicht die Verantwortung übernehmen.
Stimmt - nur was bringt das? - Im Grunde sind wir schon wieder in der Hiob-Diskussion, bei der seine Freunde - intellektuell zurecht - genauso argumentieren wie Du. - Und Hiob genauso intellektuell zurecht dagegen argumentiert. - Bis Hiob merkt, dass der Hase ganz woanders hinläuft.

Unsere Diskussion gibt es seit mindestens 2.500 Jahren. - Nur dass der Fortschritt von Hiob nach heutigem Weltbild als Rückschritt verstanden wird. - Tempora mutantur.

Pluto hat geschrieben:Man vergisst doch nicht was man getan hat, oder?
Muss man nicht - ist aber irrelevant, wenn die Folgen davon aufgehoben sind.

Pluto hat geschrieben:Doch ich vermute eher, du hast vielleicht den Unterschied zwischen Schuld udnd Verantwortung nicht verstanden.
ICh habe in etwa verstanden, wie Du es meinst. - Dein Verständnis von "Verantwortung" ist in jedem Fall ein wichtiger Fortschritt gegenüber üblichen Schuld-Diskussionen.

Pluto hat geschrieben:Das war in dem Experiment auch die Mehrheitsmeinung.
Und wie wurde dies von den Experten interpretiert?

Pluto
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#212 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von Pluto » Sa 30. Apr 2016, 00:22

closs hat geschrieben:Lasten kann man nicht rational abschütteln.
Mythologische Lasten wie die Erblast eben schon.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Man vergisst doch nicht was man getan hat, oder?
Muss man nicht - ist aber irrelevant, wenn die Folgen davon aufgehoben sind.
Es ist sehr relevant, wenn man trotz "Erlösung" seine Taten nicht vergisst.
Bei solchen Diskussionen kommen mir immer wieder die (stereotypen) Bilder vom Mafia-Boss der Sonntags zur Beichte geht, und Montags die Morde weiter führen lässt, als sei nichts gewesen.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das war in dem Experiment auch die Mehrheitsmeinung.
Und wie wurde dies von den Experten interpretiert?
Das Experiment wurde durch australische Forscher initiiert. Ziel war es, festzustellen wie Menschen aus unterschiedlichen Kulturen auf solche Fragen reagieren.
Das auf den ersten Blick erstaunliche Ergebnis war, dass alle Menschen, egal aus welchem kulturellen Umfeld sie kommen (Europäer, Amerikaner, Inder, Chinesen oder sogar Leute aus dem australischen Outback) dieselben ethischen Grundmuster aufweisen.
Auf den zweiten Blick ist dieses" Nullergebnis" weniger erstaunlich, denn es wird von der sehr großen Ähnlichkeit in der Erbsubstanz (Gene) sogar vorhergesagt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#213 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von closs » Sa 30. Apr 2016, 01:21

Pluto hat geschrieben:Mythologische Lasten wie die Erblast eben schon.
Du kannst die mythologische Gestalt abschütteln, aber doch nicht das, wofür es steht.

Pluto hat geschrieben:Bei solchen Diskussionen kommen mir immer wieder die (stereotypen) Bilder vom Mafia-Boss der Sonntags zur Beichte geht, und Montags die Morde weiter führen lässt, als sei nichts gewesen.
Dann hast Du "Erlösung" wirklich nicht verstanden.

Pluto hat geschrieben:Auf den zweiten Blick ist dieses" Nullergebnis" weniger erstaunlich, denn es wird von der sehr großen Ähnlichkeit in der Erbsubstanz (Gene) sogar vorhergesagt.
Auch auf den ersten Blick ist es nicht erstaunlich, aber immerhin erfreulich. Es scheint universale Muster des Menschseins zu geben - dass dies auch biologisch korreliert, ist ganz und gar nicht erstaunlich.

Novas
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#214 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von Novas » Sa 30. Apr 2016, 05:10

sven23 hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben: Christen kennen außerdem diese Worte bei Matthaeus 28:19 ff.: Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! - das wird man kaum raus streichen können, weil es der heutige Zeitgeist wünscht.
Du weißt aber sicher inzwischen auch, dass der Missionsbefehl für die ganze Welt dem unbekannten Autor, dem die Kirche später den Apostelnamen Matthäus gab, zugeschrieben wird und in der Forschung nicht als authentisches Jesuswort gilt.

Dazu gibt es offenbar ganz unterschiedliche Auffassungen. Ich halte diesen Auftrag für echt, weil er Sinn ergibt, gerade im Zusammenhang der Bedeutung von 1. Mose 12,3b, „in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde!“ ~ es gibt also eine prophetische Segenslinie, die mit dem Volk Israel begann und durch das Christentum weiter geführt wird, ebenso durch den Islam.

Ich zitiere „Christentum und Islam: Plädoyer für den Dialog (Schriften des Okumenischen Instituts Luzern)“:

„Erwähnt sei auch der hoch angesehene jüdische Gelehrte Maimonides: „Auch Christentum und Islam sind Werkzeuge Gottes, um das Kommen des Messias vorzubereiten.“ Nach Joachim Gnilka ist für das Christentum Jesus „der Abrahamssohn schlechthin, weil es in ihm die Verheißung verwirklicht sieht.“ daher solle das Christentum zumindest im Judentum seine Wurzeln „erkennen und im Islam jene sehen, die als Kinder Ismaels auch am Segen Abrahams teilhaben sollen“.
http://www.amazon.com/Christentum-Islam ... 3290200541

Gerade diese Segenslinie ist die gemeinsame theologische Basis der abrahamitischen Weltreligionen und damit (bei allen sonstigen Differenzen) ein wesentlicher Ansatzpunkt für den freundschaftlichen Dialog. Der matthäische Missionsauftrag - „macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ - bekräftigt und erneuert diese Vision noch mal. Was Du persönlich darüber glaubst, ob das für Dich Sinn ergibt oder nicht, ist natürlich deine eigene Entscheidung.

Da ist jedenfalls ein erkennbarer theologischer Zusammenhang ;)

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sven23
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#215 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von sven23 » Sa 30. Apr 2016, 06:39

Novalis hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben: Christen kennen außerdem diese Worte bei Matthaeus 28:19 ff.: Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes! - das wird man kaum raus streichen können, weil es der heutige Zeitgeist wünscht.
Du weißt aber sicher inzwischen auch, dass der Missionsbefehl für die ganze Welt dem unbekannten Autor, dem die Kirche später den Apostelnamen Matthäus gab, zugeschrieben wird und in der Forschung nicht als authentisches Jesuswort gilt.


Dazu gibt es offenbar ganz unterschiedliche Auffassungen. Ich halte diesen Auftrag für echt, weil er Sinn ergibt, gerade im Zusammenhang der Bedeutung von 1. Mose 12,3b, „in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde!“ ~ es gibt also eine prophetische Segenslinie, die mit dem Volk Israel begann und durch das Christentum weiter geführt wird, ebenso durch den Islam.
Kommt eben darauf an, ob man sich von der Glaubensseite dem Thema nähert oder ob man berücksichtigt, was die Forschung darüber zusammengetragen hat. Imo kann man das nicht ignorieren.
"Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen...." war ein Missionsauftrag für Israel, also für Juden. Als man aber erkennen musste, dass die Juden größtenteils die Unverschämtheit besaßen, und an ihrer traditionellen Religion festhielten und zudem sich die Naherwartung nicht erfüllt hatte, kamen die Schreiber auf die Idee, die Missionierung auf die ganze Welt auszudehnen, auch um Zeit zu gewinnen. Stichwort: Parusieverzögerung.
Das ist Stand der Forschung.


Novalis hat geschrieben: Gerade diese Segenslinie ist die gemeinsame theologische Basis der abrahamitischen Weltreligionen und damit (bei allen sonstigen Differenzen) ein wesentlicher Ansatzpunkt für den freundschaftlichen Dialog. Der matthäische Missionsauftrag - „macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ - bekräftigt und erneuert diese Vision noch mal.
Gerade die abrahamitischen Religionen Christentum und Islam haben mit ihrem jeweiligen absoluten Wahrheitsanspruch für viel Unheil in der Welt gesorgt. Und man hat dem Ursprung beider Religionen, dem Judentum, übel mitgespielt, obwohl das Judemtum nicht von dem Missionierungsvirus befallen war.
Ratzinger hat übrigens die Karfreitagsfürbitten wieder eingeführt, in denen man für die Juden betet, dass sie doch endlich zur Vernunft kommen und einsehen sollen, dass Jesus der wahre Sohn Gottes ist.

Novalis hat geschrieben: Was Du persönlich darüber glaubst, ob das für Dich Sinn ergibt oder nicht, ist natürlich deine eigene Entscheidung.
Ich halte mich da an die Forschungsergebnisse der historisch-kritischen Forchung, die man imo aus Gründen der Redlichkeit nicht ignorieren kann.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#216 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von Novas » Sa 30. Apr 2016, 07:28

sven23 hat geschrieben:Kommt eben darauf an, ob man sich von der Glaubensseite dem Thema nähert oder ob man berücksichtigt, was die Forschung darüber zusammengetragen hat. Imo kann man das nicht ignorieren

Oder (eine weitere Möglichkeit) wir nähern uns von beiden Seiten :thumbup: Es heißt dann nicht mehr Glaube ODER Forschung, sondern SOWOHL-ALS-AUCH. Du hast Recht: „Ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen....“ war ein Missionsauftrag für Israel, also für Juden. Das Christentum hat seine bleibenden Wurzeln im Judentum. Solange man das auf der Basis der Religionsfreiheit beherzigt, sehe ich da kein Problem. Du darfst ja auch für den Atheismus Werbung machen.

Als man aber erkennen musste, dass die Juden größtenteils die Unverschämtheit besaßen, und an ihrer traditionellen Religion festhielten und zudem sich die Naherwartung nicht erfüllt hatte, kamen die Schreiber auf die Idee, die Missionierung auf die ganze Welt auszudehnen, auch um Zeit zu gewinnen.

Dann stellt sich die Frage: gehört das zum göttlichen Plan? Ich bin dankbar dafür, dass es das Judentum gibt und sie die Wurzeln bewahrt und gepflegt haben, sodass sie uns diese noch heute in Erinnerung rufen ;) Ob die das damals „unverschämt“ gefunden haben, spielt für mich heute keine Rolle. Die Pluralität der Religionen wird schon im Qur'an positiv bejaht: „Hätte Gott es gewollt, so hätte er euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht ... Wetteifert darum in guten Werken.“


sven23 hat geschrieben:Gerade die abrahamitischen Religionen Christentum und Islam haben mit ihrem jeweiligen absoluten Wahrheitsanspruch für viel Unheil in der Welt gesorgt

Da kommen wir zum entscheidenden Punkt: Du hast grundsätzlich ein Problem mit den abrahamitischen Religionen. Mit dieser Wahrnehmungsbrille interpretierst Du sie dann auch.

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#217 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von sven23 » Sa 30. Apr 2016, 08:42

Novalis hat geschrieben: Dann stellt sich die Frage: gehört das zum göttlichen Plan? Ich bin dankbar dafür, dass es das Judentum gibt und sie die Wurzeln bewahrt und gepflegt haben, sodass sie uns diese noch heute in Erinnerung rufen ;) Ob die das damals „unverschämt“ gefunden haben, spielt für mich heute keine Rolle. Die Pluralität der Religionen wird schon im Qur'an positiv bejaht: „Hätte Gott es gewollt, so hätte er euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht ... Wetteifert darum in guten Werken.“
Soll es einem göttlichen Plan entspringen, den Antijudaismus durch die Evangelien in die Köpfe der Christen zu pflanzen? Mit all den schrecklichen Folgen, die bis zum Holocaust führten?

Novalis hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Gerade die abrahamitischen Religionen Christentum und Islam haben mit ihrem jeweiligen absoluten Wahrheitsanspruch für viel Unheil in der Welt gesorgt
Da kommen wir zum entscheidenden Punkt: Du hast grundsätzlich ein Problem mit den abrahamitischen Religionen. Mit dieser Wahrnehmungsbrille interpretierst Du sie dann auch.
Nein, denn was historisch geschehen ist, ist nun mal geschehen, ganz unabhängig davon, welche Wahrnehmungsbrille du oder ich aufhaben. Das aggressive Potential des radikalen Islam wird ja auch heute noch sichtbar und das Christentum war historisch über weite Strecken auch nicht viel besser.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#218 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von Novas » Sa 30. Apr 2016, 08:49

sven23 hat geschrieben:Soll es einem göttlichen Plan entspringen, den Antijudaismus durch die Evangelien in die Köpfe der Christen zu pflanzen? Mit all den schrecklichen Folgen, die bis zum Holocaust führten?

Nicht Gott hat den Holocaust verübt, sondern die für ihre Handlungen und Gedanken verantwortlichen Menschen. Menschen, welche die spirituellen Prinzipien und göttlichen Gebote missachten. Die Folge ist das, was man - moralisch gesprochen - „Sünde“ nennen kann. Martin Luther King sagte mal: „Der Bogen der Geschichte ist lang, aber er neigt sich zur Gerechtigkeit“ - wir werden zwar mit Ungerechtigkeit konfrontiert, aber es lohnt sich der Einsatz für Gerechtigkeit.

Das braucht aber „Glaube“ oder „Hoffnung“, sonst steht niemand auf und riskiert etwas. Es gibt auch Atheisten, die das erkannt haben, beispielsweise Ernst Bloch stellte das „Prinzip Hoffnung“ in den Mittelpunkt all seines Denkens.




Daran zeigt sich: wenn man an die wahren Empfindungen rührt, die das Mensch-Sein ausmachen, dann kommt man zu ähnlichen Schlussfolgerungen, egal von wo man ausgeht.

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sven23
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#219 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von sven23 » Sa 30. Apr 2016, 09:56

Novalis hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Soll es einem göttlichen Plan entspringen, den Antijudaismus durch die Evangelien in die Köpfe der Christen zu pflanzen? Mit all den schrecklichen Folgen, die bis zum Holocaust führten?

Nicht Gott hat den Holocaust verübt, sondern die für ihre Handlungen und Gedanken verantwortlichen Menschen.
Schon klar, nur warum betonte das ach so gute Neue Testament den Antijudaismus so sehr? Wenn man dann noch, wie die Fundis und die Kirche von vom Heiligen Geist inspirierten Schriften ausgeht, wird es er recht unverständlich.



Novalis hat geschrieben: Daran zeigt sich: wenn man an die wahren Empfindungen rührt, die das Mensch-Sein ausmachen, dann kommt man zu ähnlichen Schlussfolgerungen, egal von wo man ausgeht.
Es zeigt vielmehr, dass man auch ohne Religion ein "guter" Mensch sein kann.
Wie Steven Weinberg sagte:
"Religion is an insult to human dignity. With or without it you would have good people doing good things and evil people doing evil things. But for good people to do evil things, that takes religion."
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#220 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von Pluto » Sa 30. Apr 2016, 13:37

Novalis hat geschrieben:Nicht Gott hat den Holocaust verübt, sondern die für ihre Handlungen und Gedanken verantwortlichen Menschen.
Das stimmt.
Aber warum hat Gott weggeschaut?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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