closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Diese deine Zitate beweisen in aller Deutlichkeit, wie sehr du christlich interpretierst und eben nicht universal oder abendländisch.
Du hast meine Bemerkung gelesen, dass ich mich der christlichen Chiffrierung bediene - das ist etwas ganz anderes.
Wieso sollte das denn etwas anderes sein, als der griechischen vorchristlichen Kultur christliche Motive aufzuoktroyieren? Genau das tust du doch faktisch. Dafür fehlt aber jede Berechtigung.500 Jahre vor Christus gibt es nichts Christliches in der griechischen Kultur zu suchen und erst recht nicht zu finden. Außerdem meinst du wohl De-chiffrierung und nicht Chiffrierung.
closs hat geschrieben:
- Die griechische Chiffrierung wäre, dass der Mensch vom Schicksal ausersehen ist und dies zu tragen hat. - Man kann die Kulturkreise und deren Inventar beliebig austauschen und gucken, wie weit man damit kommt.
1. Nein. Im griechischen Denken zur Zeit des Sophokles gibt es zwar ein Schicksal, aber man ist diesem nicht ausgeliefert, sondern man kann als Mensch sein Schicksal aktiv mitgestalten. Zur Zeit Pauli, im Späthellenismus, waren sowohl die Epikurerer als auch die Stoiker Atomisten im Sinne Demokrits und glaubten deshalb daran, dass alles deterministisch vorbestimmt sei (durch die gesetzmäßigen Bewegungen und Aufeinanderwirkungen der Atome). Sie waren also Materialisten. Da die Seele/psyche ihrer Erkärung nach aber aus sehr kleinen feinstofflichen Atomen bestand, die sich schnell überall zwischen den größeren Atomen hindurchbewegen konnten, gab es trotzdem Freiheit für das menschliche Handeln. Da die Seele ebenfalls aus Atomen bestand, war sie natürlich vergänglich, wenn sie auch nicht sofort nach dem Tode mit dem Körper starb. In den Leeräumen zwischen den Atomen existierten die Götter, die natürlich keine menschliche Gestalt mehr hatten, wie es der Volksglaube noch glaubte.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Du stülpst dem Drama König Ödipus des griechischen heidnischen Dramatikers Sophokles deine christliche Sicht über, statt das Werk aus seinem griechischen und dezidiert nicht-christlichen Denken zu interpretieren.
Ganz einfach falsch - warum liest Du nicht?
Ich habe oben mit vier deiner eigenen Aussagen durch Zitat belegt, wie sehr du katholische Vorstellungen in Sophokles Drama hinein interpretierst, - von der Erbsünde bis zum Märtyrer. Etwas zu schreiben und im nächsten Post zu dementieren, man habe es geschrieben: das ist ein intellektueller Offenbarungseid.
closs hat geschrieben:
Ich habe ausdrücklich geschrieben, dass griechisches Weltbild (Fluch = Ausersehen-Sein und dann Styx) und christliches Weltbild (Fügung = Kreuz und dann Erlösung) unterschiedlich interpretieren. - Warum unterstellst Du dann das Gegenteil.
Wenn du oben Sophokles König Ödipus nicht nur christlich, sondern sogar katholisch interpretierst, dann unterstelle ich gar nichts, sondern stelle fest und beweise mit Zitaten, dass du genau das tust. Mit einem christlichen Weltbild Sophokles interpretieren zu wollen ist eine interpretatorische Vergewaltigung.
closs hat geschrieben:
Vor allem: Warum unterstellst Du den Griechen DEIN "aufgeklärtes" Bild von "Schuld" und "Strafe"? - Das ist komplett provinziell im Vergleich mit griechischer und christlicher Lösung.
Ich unterstelle Sophokles nicht mein
aufgeklärtes Bild von "Schuld" und "Strafe", sondern es ist genau das Bild von "Schuld" und "Strafe", wie es sich aus dem
König Ödipus (und der
Antigone) uns darstellt. Ich habe die nötigen geistesgeschichtlichen Erklärungen über den Bruch heiligen göttlichen Rechts, dem Anspruch menschlichem bzw. königlichem Rechts (in der
Antigone) und der persönlichen Schuld des Ödipus hinreichend dargelegt. Was daran ist falsch?
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Begriffe sind aber keine Chiffren.
Doch - menschliche Begriffe sind Ausdrucksformen für etwas und nicht selbst etwas.
Auch Adjektive und Ausrufe sind
Ausdrucksformen für etwas, darum sind sie aber noch keine Begriffe oder Chiffren. Begriffe sind keine Chiffren, sonst wören sie ja Chiffren und keine Begriffe. Unter Begriffe subsumiert man. Chiffren dagegen sind ...
Als Chiffren werden Wörter bezeichnet, die als verrätselte Symbole in einem Text in einem Zusammenhang mit meist komplexen Bedeutungen aufgeladen sind. Chiffren sind dabei nicht nur in einzelnen Texten, sondern auch im Gesamtwerk eines Autors, in einer Denkrichtung, einer Zeit oder eines Diskurses zu finden. Sie sind meist bildhaft und hier von anderen Stilfiguren wie Allegorie, Katachrese, Metonymie, Onomatopoetika, Oxymoron, Pars pro toto, Personifikation, Symbol, Synästhesie, Synekdoche und Topos zu unterscheiden. [aus Wiki zum Stichwort "Chiffre"]
Der Begriff "Geist ist kein verrästeltes Symbol.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Wenn du den säkularen Begriff Geist in transzendente Entität und geistlich umdefinierst
Umgekehrt: Du definierst den spirituellen Begriff "Geist" säkular um.
Das hatten wir schon, und der Begriff
Geist (nous, mens) ist ursprünglich natürlich nicht christlich, denn es gab ihn lange vor jedem Christentum. Das Christentum bedient sich dieses Begriffs in einer christlichen Umdeutung. Als transzendente Entität interpretiert, wie du es tust, erhält Geist ohnehin lediglich die Bedeutung von "Geistwesen" (also im Sinne von Gespenst/Geister).
Thaddäus hat geschrieben:Das ist genau die Vorgehensweise der Wahrheitsbehörde in Orwells 1984, die den Begriff "Freiheit" umdefiniert zur Unfreiheit.
Das ist doch exakt der Vorwurf an Dich!
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben: Du interpretierst also, die Strafe des Gottes erfolgt deshalb, weil Ödipus Wissen will, wer für den Zorn des Gottes verantwortlich ist.
Anders: Ödipus würde nicht bestraft werden können, wenn er nicht erkennen würde, dass ER der Betroffene ist. - Oder meinst Du, die Strafe würde eh kommen, auch wenn er NICHT erkennt?
Ich verstehe unter
Geist exakt das, was die Griechen mit
nous und die Römer mit
mens unter diesen Begriffen verstanden, und das war lange vor jeder christlichen Umdeutung des Begriffs. Du deutest den Begriff
Geist in einem christlichen, besser: katholischen Sinne. Ich kann einen Begriff nicht umdeuten, wenn ich von seiner ursprünglichen Bedeutung ausgehe. Du deutest ihn im erst viel später entstehenden, christlichen Sinne udn deutest ihn damit um.
closs hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben: Ödipus wird nicht wegen seiner Verblendetheit bestraft
Nach aufgeklärten Kriterien ist Ödipus doch gar nicht verblendet.
Warum belendet er sich dann wohl am Ende selbst?
closs hat geschrieben:
Er ist - in guter griechischer Art - ausersehen für einen Fluch.
Quatsch! Eine Strafe für den Bruch göttlicher heiliger Gesetze ist kein Fluch.
closs hat geschrieben:
- Wie soll er verblendet sein, wenn er gleichzeitig rausfinden will, was abgeht? - Soll er Teresias glauben oder soll er es ermitteln?
Habe ich oben bereits geschrieben, aber gerne nochmal: Ödipus will herausfinden, warum der Gott die Stadt Theben mit der Pest plagt. Verblendet ist er, weil er die Wahrheit über sich selbst nicht erkennt, als Teiresias sie ihm immer deutlicher offenbart. Stattdessen bezichtigt er ihn des Komplotts und schickt ihn weg. Ödipus sucht die Wahrheit, erkennt aber nicht, als sie ihm präsentiert wird. Stattdessen bezichtigt er Teiresias der Lüge.
closs hat geschrieben:
Dürfte er aufgeklärt sein, MÜSSTE er es ermitteln.
Dieses Drama ist kein Kriminalroman, sondern eben eine Tragödie.
closs hat geschrieben:
- Würde er sich einer Schicksalswelt klaglos unterwerfen, könnte Selbst-Ermittlung als Hybris interpretiert werden - so wie bei Hiob. - Hier sind sich das griechische und das AT-Denken sehr ähnlich - nämlich im heutigen Sinne des Wortes vollkommen un-aufgeklärt.
Das griechische und das hebräische Denken sind sich ganz und gar nicht ähnlich. Im Gegenteil sind sie grundverschieden! Und Hiob hat in Sophokles' Drama auch nichts zu suchen. DU vergleichst unentwegt Birnen mit Äpfeln und wirfst das kurioserweise ausgerechnet mir vor, die ich dieses griechische Drama ausschließlich als griechisches Drama nehme ud da weder etwas Hebräisches, noch etwas christliches hineininterpretiere.
closs hat geschrieben:
Und jetzt käme die Bewertungfrage. Was ist besser?
a) Aufgeklärt sein, wie es Ödipus versucht ("Ich will es wissen")
b) oder sich der Geistlichkeit/Gott klaglos fügen?
Das ist überhaupt nicht die Frage. Weder ist Ödipus aufgeklärt, nur weil er verspricht, der Sache nachzugehen; noch geht es darum, sich irgendeiner Geistlichkeit klaglos zu fügen. Das ist wirklich brachiale Verunglimpfung des Textes.