Alles Teufelszeug?

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Savonlinna
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#1911 Re: Griechische Kultur und christliche Okkupation 1

Beitrag von Savonlinna » So 6. Mär 2016, 16:30

Thaddäus hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:In Sophokles Drama König Ödipus geht es nicht darum, dass "Suche/WIssen-Wollen in die Katastrophe führt".
"Der blinde Seher Teiresias enthüllte widerwillig, von Ödipus dazu gedrängt, diesen als den Mörder des Laios. Ödipus glaubte ihm nicht, kam jedoch nach eigener Untersuchung der alten Vorfälle selbst zu der Erkenntnis, dass er Laios getötet hatte, dass Laios sein Vater und Iokaste, seine Frau, auch seine Mutter ist. Daraufhin erhängte sich Iokaste an ihrem Schleier und Ödipus stach sich mit zwei goldenen Nadeln aus Iokastes Gewand die Augen aus".
Ja, das schreibe ich oben ja sinngemäß. Aber Ödipus wird wegen seiner Verblendetheit von den Göttern bestraft und nicht, weil er unwissentlich seinen Vater tötete und seine Mutter ehelichte. Er hört nicht, was Teiresias ihm sagt und sieht die Wahreit über sich selbst nicht. Seine Tragik liegt in seiner Verblendung, nicht sehen zu können, dass er SELBST das Unheil der Pest über Theben brachte.

Teiresias:
Ich gehe fort, doch werf ich
ins Antlitz dir das Wort, um dessenwillen
ich herkam, denn dein Arm erreicht mich nicht.
Ich sage dir: den du mit Heroldsrufen
und Flüchen suchest, jener Laiosmörder,
der Mann ist hier am Ort. Es wird sich zeigen,
daß er vollbürtig ist, theban'sches Blut,
nicht bloß ein zugelassner Fremdling. Blind
aus einem Sehenden, sonst reich, jetzt Bettler,
wird er am Stabe sich ins Elend tasten.
Erfunden wird er werden als ein solcher,
der haust mit seinen Kindern als ihr Bruder
zugleich und Vater, und von der er stammt,
des Weibes Sohn und Gatte, und des Vaters
Genoß' im Eh'bett und zugleich sein Mörder.
Nun, König, geh' hinein und denke diesem nach,
und lüg' ich dir zuletzt, dann höhne mich!
closs hat geschrieben:Darum geht es mir: Hätte Ödipus auf den weisen Teiresias gehört, hätte es keine Katastrophe gegeben - aber Ö. wollte wissen - mit der Folge einer toten Iokaste und eines blinden Mannes. - Das offene Ende KÖNNTE nichtsdestoweniger zu einem Sehen in höherer Form führen - siehe Bileam: ...
Nein, Ödipus will ja gerade nicht wissen! Er hört nicht auf das, was Teiresias ihm sagt und erkennt nicht seine Verblendung, die offen zutage liegende Wahrheit zu erkennen, die ihm Teiresias auf dem Silbertablett präsentiert!

Das von Dir aus dem Drama Zitierte, Thaddäus, gilt für den Anfang des Dramas. Da kann Ödipus in der Tat nicht glauben, dass er selber der Mörder sein soll.

Dieses Zitierte ist nicht in der Lage, Ödipus die Augen zu öffnen, wie sollte es auch! Teiresias gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt, an dem Ödipus auch nur den Hauch einer Ahnung bekommen könnte, dass er selber der Mörder des Laios ist.

Diesen Hauch der Ahnung aber bekommt er ein wenig später von Iokaste, da ist Teiresias aber schon weg.
Iokaste hat den einzigen noch lebenden Zeugen des Mordes kennengelernt, der aber inzwischen außer Haus ist.
Iokaste erzählt dem Ödipus, was sie davon weiß und gibt mehr nebenbei die genauere Beschreibung des Ortes, wo der Mord geschah:

Iokaste hat geschrieben:Und den [Laos] erschlugen, wie der Ruf uns meldete,
Einst fremde Räuber auf dem dreigespaltnen Weg;

Und DARAUF springt Ödipus sofort an:

Ödipus hat geschrieben:Frau, wie befällt mich plötzlich über deinem Wort
Irrsal des Geistes, wie bewegt's mein Innerstes!
[...]
Du sagtest eben, mein ich, dass den Laios
Auf dreigespaltnem Wege schlug die Mörderhand.
[...]
Wo liegt die Gegend, da der Mord vollendet ward?
Er fragt, wie lange es her ist, wie Laos aussah, und tief beunruhigt befiehlt er, den alten Hirten - dein einzigen noch lebenden Zeugen des Mordes - zu holen.

Ödipus hat geschrieben:Voll Graun erfasst mich's, dass der Deuter sehend war.

closs also hat Recht: Ödipus WILL WISSEN, will über sich selber Bescheid wissen.

Und als er endlich Bescheid WEISS, ihm klar wird, dass er seinen Vater getötet hat, entscheidet er sich, sich zu blenden:

Ödipus hat geschrieben:O Götter, Götter! Alles kommt nun klar zu Tag!
O Licht, zum letzten Male schau ich heute dich.

Er sieht seine Frau - identisch mit seiner Mutter - erhängt, und mit ihren Broschen sticht er sich die Augen aus.
Nicht, weil er seine eigene Wahrheit nicht sehen will, sondern weil er sie gesehen HAT.

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Thaddäus
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#1912 Christliche Fehlinterpretation der heidnischen Tragödie 1

Beitrag von Thaddäus » So 6. Mär 2016, 17:09

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Diese deine Zitate beweisen in aller Deutlichkeit, wie sehr du christlich interpretierst und eben nicht universal oder abendländisch.
Du hast meine Bemerkung gelesen, dass ich mich der christlichen Chiffrierung bediene - das ist etwas ganz anderes.
Wieso sollte das denn etwas anderes sein, als der griechischen vorchristlichen Kultur christliche Motive aufzuoktroyieren? Genau das tust du doch faktisch. Dafür fehlt aber jede Berechtigung.500 Jahre vor Christus gibt es nichts Christliches in der griechischen Kultur zu suchen und erst recht nicht zu finden. Außerdem meinst du wohl De-chiffrierung und nicht Chiffrierung.

closs hat geschrieben: - Die griechische Chiffrierung wäre, dass der Mensch vom Schicksal ausersehen ist und dies zu tragen hat. - Man kann die Kulturkreise und deren Inventar beliebig austauschen und gucken, wie weit man damit kommt.
1. Nein. Im griechischen Denken zur Zeit des Sophokles gibt es zwar ein Schicksal, aber man ist diesem nicht ausgeliefert, sondern man kann als Mensch sein Schicksal aktiv mitgestalten. Zur Zeit Pauli, im Späthellenismus, waren sowohl die Epikurerer als auch die Stoiker Atomisten im Sinne Demokrits und glaubten deshalb daran, dass alles deterministisch vorbestimmt sei (durch die gesetzmäßigen Bewegungen und Aufeinanderwirkungen der Atome). Sie waren also Materialisten. Da die Seele/psyche ihrer Erkärung nach aber aus sehr kleinen feinstofflichen Atomen bestand, die sich schnell überall zwischen den größeren Atomen hindurchbewegen konnten, gab es trotzdem Freiheit für das menschliche Handeln. Da die Seele ebenfalls aus Atomen bestand, war sie natürlich vergänglich, wenn sie auch nicht sofort nach dem Tode mit dem Körper starb. In den Leeräumen zwischen den Atomen existierten die Götter, die natürlich keine menschliche Gestalt mehr hatten, wie es der Volksglaube noch glaubte.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Du stülpst dem Drama König Ödipus des griechischen heidnischen Dramatikers Sophokles deine christliche Sicht über, statt das Werk aus seinem griechischen und dezidiert nicht-christlichen Denken zu interpretieren.
Ganz einfach falsch - warum liest Du nicht?
Ich habe oben mit vier deiner eigenen Aussagen durch Zitat belegt, wie sehr du katholische Vorstellungen in Sophokles Drama hinein interpretierst, - von der Erbsünde bis zum Märtyrer. Etwas zu schreiben und im nächsten Post zu dementieren, man habe es geschrieben: das ist ein intellektueller Offenbarungseid.

closs hat geschrieben: Ich habe ausdrücklich geschrieben, dass griechisches Weltbild (Fluch = Ausersehen-Sein und dann Styx) und christliches Weltbild (Fügung = Kreuz und dann Erlösung) unterschiedlich interpretieren. - Warum unterstellst Du dann das Gegenteil.
Wenn du oben Sophokles König Ödipus nicht nur christlich, sondern sogar katholisch interpretierst, dann unterstelle ich gar nichts, sondern stelle fest und beweise mit Zitaten, dass du genau das tust. Mit einem christlichen Weltbild Sophokles interpretieren zu wollen ist eine interpretatorische Vergewaltigung.

closs hat geschrieben: Vor allem: Warum unterstellst Du den Griechen DEIN "aufgeklärtes" Bild von "Schuld" und "Strafe"? - Das ist komplett provinziell im Vergleich mit griechischer und christlicher Lösung.
Ich unterstelle Sophokles nicht mein aufgeklärtes Bild von "Schuld" und "Strafe", sondern es ist genau das Bild von "Schuld" und "Strafe", wie es sich aus dem König Ödipus (und der Antigone) uns darstellt. Ich habe die nötigen geistesgeschichtlichen Erklärungen über den Bruch heiligen göttlichen Rechts, dem Anspruch menschlichem bzw. königlichem Rechts (in der Antigone) und der persönlichen Schuld des Ödipus hinreichend dargelegt. Was daran ist falsch?

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Begriffe sind aber keine Chiffren.
Doch - menschliche Begriffe sind Ausdrucksformen für etwas und nicht selbst etwas.
Auch Adjektive und Ausrufe sind Ausdrucksformen für etwas, darum sind sie aber noch keine Begriffe oder Chiffren. Begriffe sind keine Chiffren, sonst wören sie ja Chiffren und keine Begriffe. Unter Begriffe subsumiert man. Chiffren dagegen sind ...

Als Chiffren werden Wörter bezeichnet, die als verrätselte Symbole in einem Text in einem Zusammenhang mit meist komplexen Bedeutungen aufgeladen sind. Chiffren sind dabei nicht nur in einzelnen Texten, sondern auch im Gesamtwerk eines Autors, in einer Denkrichtung, einer Zeit oder eines Diskurses zu finden. Sie sind meist bildhaft und hier von anderen Stilfiguren wie Allegorie, Katachrese, Metonymie, Onomatopoetika, Oxymoron, Pars pro toto, Personifikation, Symbol, Synästhesie, Synekdoche und Topos zu unterscheiden. [aus Wiki zum Stichwort "Chiffre"]
Der Begriff "Geist ist kein verrästeltes Symbol.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Wenn du den säkularen Begriff Geist in transzendente Entität und geistlich umdefinierst
Umgekehrt: Du definierst den spirituellen Begriff "Geist" säkular um.
Das hatten wir schon, und der Begriff Geist (nous, mens) ist ursprünglich natürlich nicht christlich, denn es gab ihn lange vor jedem Christentum. Das Christentum bedient sich dieses Begriffs in einer christlichen Umdeutung. Als transzendente Entität interpretiert, wie du es tust, erhält Geist ohnehin lediglich die Bedeutung von "Geistwesen" (also im Sinne von Gespenst/Geister).

Thaddäus hat geschrieben:Das ist genau die Vorgehensweise der Wahrheitsbehörde in Orwells 1984, die den Begriff "Freiheit" umdefiniert zur Unfreiheit.
Das ist doch exakt der Vorwurf an Dich!

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Du interpretierst also, die Strafe des Gottes erfolgt deshalb, weil Ödipus Wissen will, wer für den Zorn des Gottes verantwortlich ist.
Anders: Ödipus würde nicht bestraft werden können, wenn er nicht erkennen würde, dass ER der Betroffene ist. - Oder meinst Du, die Strafe würde eh kommen, auch wenn er NICHT erkennt?
Ich verstehe unter Geist exakt das, was die Griechen mit nous und die Römer mit mens unter diesen Begriffen verstanden, und das war lange vor jeder christlichen Umdeutung des Begriffs. Du deutest den Begriff Geist in einem christlichen, besser: katholischen Sinne. Ich kann einen Begriff nicht umdeuten, wenn ich von seiner ursprünglichen Bedeutung ausgehe. Du deutest ihn im erst viel später entstehenden, christlichen Sinne udn deutest ihn damit um.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Ödipus wird nicht wegen seiner Verblendetheit bestraft
Nach aufgeklärten Kriterien ist Ödipus doch gar nicht verblendet.
Warum belendet er sich dann wohl am Ende selbst? :shock:

closs hat geschrieben: Er ist - in guter griechischer Art - ausersehen für einen Fluch.
Quatsch! Eine Strafe für den Bruch göttlicher heiliger Gesetze ist kein Fluch.

closs hat geschrieben: - Wie soll er verblendet sein, wenn er gleichzeitig rausfinden will, was abgeht? - Soll er Teresias glauben oder soll er es ermitteln?
Habe ich oben bereits geschrieben, aber gerne nochmal: Ödipus will herausfinden, warum der Gott die Stadt Theben mit der Pest plagt. Verblendet ist er, weil er die Wahrheit über sich selbst nicht erkennt, als Teiresias sie ihm immer deutlicher offenbart. Stattdessen bezichtigt er ihn des Komplotts und schickt ihn weg. Ödipus sucht die Wahrheit, erkennt aber nicht, als sie ihm präsentiert wird. Stattdessen bezichtigt er Teiresias der Lüge.

closs hat geschrieben: Dürfte er aufgeklärt sein, MÜSSTE er es ermitteln.
Dieses Drama ist kein Kriminalroman, sondern eben eine Tragödie.

closs hat geschrieben: - Würde er sich einer Schicksalswelt klaglos unterwerfen, könnte Selbst-Ermittlung als Hybris interpretiert werden - so wie bei Hiob. - Hier sind sich das griechische und das AT-Denken sehr ähnlich - nämlich im heutigen Sinne des Wortes vollkommen un-aufgeklärt.
Das griechische und das hebräische Denken sind sich ganz und gar nicht ähnlich. Im Gegenteil sind sie grundverschieden! Und Hiob hat in Sophokles' Drama auch nichts zu suchen. DU vergleichst unentwegt Birnen mit Äpfeln und wirfst das kurioserweise ausgerechnet mir vor, die ich dieses griechische Drama ausschließlich als griechisches Drama nehme ud da weder etwas Hebräisches, noch etwas christliches hineininterpretiere.

closs hat geschrieben: Und jetzt käme die Bewertungfrage. Was ist besser?
a) Aufgeklärt sein, wie es Ödipus versucht ("Ich will es wissen")
b) oder sich der Geistlichkeit/Gott klaglos fügen?
Das ist überhaupt nicht die Frage. Weder ist Ödipus aufgeklärt, nur weil er verspricht, der Sache nachzugehen; noch geht es darum, sich irgendeiner Geistlichkeit klaglos zu fügen. Das ist wirklich brachiale Verunglimpfung des Textes.

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Thaddäus
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#1913 Re: Christliche Fehlinterpretation der heidnischen Tragödie 2

Beitrag von Thaddäus » So 6. Mär 2016, 17:09

closs hat geschrieben: Du müsstest nach DEINEM Weltbild eigentlich a) sagen und die Rückständigkeit der sophokleischen Darstellung beklagen.
Nein. Ich sage, dass das überhaupt keine Frage ist, die Sophokles oder sein Drama stellen! Eine solche Fragestellung ist in der ganzen Tragödie nirgendwo zu finden. man muss sie schon, wie du, künstlich da hineinpressen. Insofern gibt es da auch keine Rückständigkeit bei Sophokles. Rückständigkeit ist vor dem Hintergund griechischen Denkens allenfalls die Sklavenunterwürfigkeit Hiobs.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Hier geht es ganz gewiss nicht um Erbschuld. Die Vorstellung einer Erbschuld ist den vorchristlichen Griechen völlig fremd.
Ach, Mann. - "Transferiert" habe ich geschrieben - ich habe das im Griechischen bekannte Wort "Fluch" übertragen auf christliche Denkweise, damit die unterschiedlichen Denkweisen sichtbar werden.
Du verstehst offenbar nicht, dass für die Interpretation des König Ödipus eine christliche Denkweise überhaupt keine Rolle spielt und sie in die Tragödie hinein zu interpretieren, ist interpretatorisch völlig unanangemessen, denn Sophokles konnte gar nicht irgendwie christlich denken.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Ödipus persönliche Schuld besteht darin, dass er nicht auf den blinden Seher Teiresias hört, auf den er aber hören sollte, weil der in Verbindung mit den Göttern steht und die Wahrheit "sieht".
Ja - das ist dasselbe in grün wie bei Hiob - was zählt mehr: Die eigene Urteilskraft oder die Vorsehung Gottes?
Du schon wieder mit deinem Hiob, der hier nichts zu suchen hat und einer Fragestellung, die in der Tragödie nicht gestellt wird.

closs hat geschrieben: Und Du sagst jetzt Ödipus habe eine PERSÖNLICHE Schuld, weil er seine eigene Urteilskraft einsetzen möchte?
Nein. Ich sage nicht, dass Ödipus persönlich schuldig wird, weil er seine eigene Urteilskraft einsetzen möchte, sondern weil er sie nicht einsetzt, um die Wahrheit zu erkennen. Denn seine Urteilskraft hätte Ödipus sagen müssen, dass der blinde Seher die Wahrheit kennt und er auf ihn hören sollte. Tut er aber nicht, und deshalb ist er verblendet.

closs hat geschrieben: Und nennst die Griechen geistig fortschrittlicher als die Hebräer, wenn es Ödipus als persönliche Schuld angelastet wird, wenn er sich ein eigenes Urteil bilden will? - Sehr erstaunlich.
Nein. Siehe Antwort direkt hier drüber.

closs hat geschrieben: Richtig ist, das Sophokles damit einen religiöse Status Quo der griechischen Kultur darstellt, der dem entspricht, was Aiskylos ajatollah-mäßig vertritt. - Euripides wenige Jahre nach Sophokles wird diese Denkweise ironisieren - seine Deus-ex-machina-Installationen sind pure Götter-Verarschung.
Deus ex machina bedeutet lediglich das plötzliche Auftauchen eines Gottes im Stück. Ob und inwiefern Euripdes dies in seinen Stücken ironisieren wollte, kann ich nicht beurteilen.


closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Ödipus kann sehen, ist aber blind (gegen die Wahrheit), Teiresias ist blind, sieht aber die Wahrheit!
Das ist ein uraltes Motiv - siehe auch Bileam )Numeri).
Auch Bileam hat hier nichts verloren! Zudem geht es bei ihm nicht darum, die Wahrheit über sich selbst zu erkennen.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Also blendet er sich zum Schluss
Genau so - er tauscht äußere durch innere Erkenntnis ein. - Ein Motiv, dass das Christentum seit dem AT durchläuft wie ein roter Faden, das sich aber auch heute noch nicht durchgesetzt hat.
Nein. Wiederum christlich übergestülpte Fehldeutung. Ödipus blendet sich, weil er sehenden Auges für die Wahrheit blind war, während der blinde Seher die Wahrheit sieht. Da ist kein Gegensatz von äußerer vs innerer Erkenntnis. Das Auge bzw. das Sehen, ist für die Griechen ds erste Mittel der Wahrheitserkenntnis. Das griechische Wort "theoria" bedutet "schauen"! Obwohl Ödipus Augen hat, die Wahrheit zu sehen, sieht er sie nicht. Er ist ver-blendet. Wenn man geblendet wird, sieht man nichts bzw. nicht mehr klar und deutlich. Seine Ver-Blendung ist des Ödipus Tragik und seine persönliche Schuld.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:als die gerechte persönliche Strafe
Wieso "gerecht"? - Man kann dies nur unter Hiob-Gesichtspunkten als "gerecht" bezeichnen.
Und schon wieder christliche Überrumpelung. Warum sollte ausgerechnet das Buch Hiob für die Frage der Gerechtigkeit in Sophokles Tragödie eine Rolle spielen. Tut sie nicht. Zudem geht es im Hiob nicht vorranging um Gerechtigkeit, sondern um das blinde Vertrauen in YHWH.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: seine eigene vorhergehende Ver-blendung
Wieso "verblendet"? - Wärest Du "verblendet", wenn rauskäme, dass Dein langjähriger Ehemann in Wirklichkeit Dein Bruder ist?
Wenn ich vorher so viele Hinweise darauf bekommen würde, wie sie Ödipus von Teiresias bekommt, ich mich aber weigere 1 + 1 zusammenzählen: ja, dann wäre ich verblendet. Weil ich mich weigere die Wahrheit zu erkennen, obwohl sie offen vor mir liegt.

closs hat geschrieben: "Verblendet" geht hier nur im AT-Wortsinn:
Ach was. Hier geht es um die Verblendung eine griechischen Königs in einem griechischen ´Drama und nicht in einer AT-Schrift. Die Hebrärer hatten übrigens nicht nur keine Philosophie, sie haben auch keine Tragödien und kein Theater hervorgebracht.

closs hat geschrieben:Meine Herren - wie wollt Ihr an den Kern kommen, wenn Ihr sklavisch ungeistig interpretiert.
Münek und ich interpretieren nicht sklavisch ungeistig, sondern ungeistlich. Weil christliche Geistlichkeit dort wo du sie hineininterpretierst nicht zu finden ist.


closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Sonst müsste Sophokles ja gar keinen blinden Seher Teiresias auftreten lassen, wenn es nur um die kriminalistische Aufklärung des Falles ginge.
Sophokles lässt Teiresias auftreten, um die höhere Macht jenseits menschlicher Vernunft deutlich werden zu lassen und schon wieder: Hiob)
Nein, Sophokles lässt einen blinden Seher auftreten und keine Amcht jenseits menhsclicher Vernunft, denn es geht nicht um menschliche Vernunft oder Unvernunft. Und Hiob gehört wiederum nicht hierher.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:die offen liegende Wahrheit, die ihm Teiresias offenbart
Wieso "offenliegend"? - "Könnte ja jeder kommen", würde ein aufgeklärter Mensch sagen.
Teiresias ist aber nicht jeder, sondern ein Seher!

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Wie ich gerade geschrieben habe, liegt die persönliche Schuld des Ödipus nicht darin, dass er die Sache aufklären will.
Nee - aber es ist seine Tragik. - Erkennen führt zum Untergang
Nein, nicht das Erkennen fürht in den Untergang, sondern seine Verblendung zu seiner persönlichen Schuld.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Es gibt keine hebräische Philosophie!
OK - dann sagen wir es anders:
Der Zugang zur Weisheit ist bei den Hebräern ein anderer als bei den Griechen - konziliant formuliert ist dieser hebräische Weg dem griechischen substantiell nicht unterlegen. ;)
Die hebräische Weisheit kreist ausschließlich um ihren Gott YHWH. Die griechische Weisheit ergibt sich aus ihrerer Naturerforschung und ihren philosophischen Einsichten! Schon Parmenides Lehrgedicht über das Sein und Nicht-Sein haben die Hebräer nichts entgegenzusetzen. Übrigens auch nicht die geistigen Erzeugnisse irgendeines anderen Volkes zu dieser Zeit (wobei ich die Inder und Chinesen vorsichtshalber ausklammere).

closs hat geschrieben: Aber halten wir fest:
Du akzeptierst, dass in der griechischen Kultur der Götterglaube über dem "Nous" steht - "die Instanz im Menschen, die für das Erkennen und Denken zuständig ist" <wik>. -
Das eine schließt bei den Griechen das andere nicht aus.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:In diesem Stück ist Schuld doch nicht ein Attribut des Menschseins an sich.
Doch - weil es jeden treffen könnte - purer zufall, wen das Schicksal dazu auserwählt, eine Frau zu heiraten, die sich als Mutter herausstellt.
In diesem Sinne macht sich Ödipus ja gar nicht schuldig. Die Pest kommt über Theben, weil glttliche Gesetze gebrochen wurden. Das ist aber keine persönliche Bestrafung des Ödipus durch die Götter für eine persönliche Schuld von ihm.
Zuletzt geändert von Thaddäus am So 6. Mär 2016, 18:23, insgesamt 1-mal geändert.

Pluto
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#1914 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Pluto » So 6. Mär 2016, 17:14

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Probieren geht über studieren.
Das Ergebnis ist doch dasselbe - das ist das Problem.
Du hast offenbar das Experiment noch nicht gemacht, sonst würdest du nicht einen solchen Unsinn schreiben.

closs hat geschrieben:- Wenn Du mir gerade einen Post schreibst, ist es für Dich dasselbe, ob es "echt" ist oder Vorstellung - und wenn ich Dir antworte ist es für Dich dasselbe, ob es mich wirklich gibt oder ob mein Post Teil Deiner Vorstellung ist.
Eine reine Behauptung von dir, die ich vehement zurückweise!

closs hat geschrieben:Denkfehler. - Lebtest Du in einer reinen Vorstellungs-Welt. hättest Du dieselbe Empirie und dieselbe Naturwissenschaft, wie Du sie kennst.
Kein Denkfehler! Beweise erst die mögliche Existenz der von dir beaupteten "Vorstellungs-Welt".

closs hat geschrieben:Trotzdem könnte es wichtig sein.
Warum?
Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

closs hat geschrieben:Wenn Du nicht weißt, dass in Deinem Frühstücksbrötchen jeden Morgen Ebola-Bakterien sind, ist es trotzdem wichtig für Dich - selbst wenn Du daran stirbst und es deshalb nie wissen wirst.
Wer sollte Ebola-Bakterien in mein Brot stecken?

closs hat geschrieben: Das sagt aber nichts darüber aus, ob der Geist nur Vorstellung oder Entität ("Wirklichkeit") ist. - Reine Glaubenssache.
Nee. Damit wir Geist überhaupt empfinden, braucht es ein Bewusstsein.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Die Frage ist nun, welcher "Geist" nun bei den Christen den Tod überlebt? Der Rechte oder der Linke, oder gar Beide?
Geist als Entität braucht KEINE läppischen Hirnhälften von uns - das wäre nur der Fall, wenn Geist ausschließlich Produkt des Gehirns wäre.
Wie so oft ist auch das eine völlig unhaltbare Behauptung von dir, denn es kommt noch dicker: Es ist sogar möglich mit nur einer Gehirnhälfte ein normales Leben zu führen.
Spiegel-online hat geschrieben:Michelle Mack lebt mit nur einer Hirnhälfte. Die 37-Jährige hat nun ihr Schicksal öffentlich gemacht, um anderen Menschen Mut zu machen. Der Fall beweist, dass gesundes Hirngewebe die Funktionen von geschädigten Bereichen übernehmen kann - zumindest teilweise.
Diese Gehirnhälfte ist also für diese Frau "Sitz der Seele". Man kann sogar experimentell nachweisen, dass Menschen mit durchtrenntem corpus callosum zwei Bewusstseine haben, die von einander nichts wissen. Zeigt man solchen Patienten dem rechten Auge ein Bild mit einem Wort, kann die linke Hirnhälfte das auch interpretieren. Zeigt man hingegen das Bild nur dem linken Auge, kann die rechte Gehirnhälfte allein das Wort nicht erkennen.
Es ist seit langem bekannt, dass die Gehirnhälften unabhängig arbeiten. In einem gesunden Menschen werden durch die etwa 250 millionen Neuronen des corpus callosum diese beiden Bewusstseinshälften erst zu einem Einzigen verschmolzen.

Fazit: Das Gehirn erzeugt das Bewusstsein zwei mal. Meine Frage ist also durchaus berechtigt: Haben Patienten den das corpus callosum chirurgisch durchtrennt wurde, hinterher zwei Seelen?

closs hat geschrieben:Das heisst NICHT, dass deshalb ein Naturalist nicht spirituell sein kann - er kann es sehr wohl.
Wenn man die Ergebnisse der Experimente mit Patienten nach einer OP gründlich untersucht, entstehen solche Frage gar nicht erst.

closs hat geschrieben:Beeinflussen kann es unser Leben insofern, dass es ein Unterschied ist, ob man sich als Herr des Geistes versteht oder als Empfänger von Geist.
Solche Fragen wie das oben beschriebene gespaltene Bewusstsein stellen das christliche Bild einer dualistischen Seele, (Mensch unabhängig von Gott) in Frage. Daran führt nun mal kein Weg vorbei.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1915 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Münek » So 6. Mär 2016, 17:17

Halman hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die Sadduzäer glaubten nicht an eine Wiederauferstehung von den Toten.
Es freut mich, dass Du auch Zenger zu Rate ziehst. Doch möchte ich darauf hinweisen, dass der Glaube an eine Auferstehung von den Toden nichts mit dem Glauben an eine unsterbliche Seele zu tun hat.

Absolute Zustimmung! :thumbup:

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#1916 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » So 6. Mär 2016, 17:35

Pluto hat geschrieben:Du hast offenbar das Experiment noch nicht gemacht, sonst würdest du nicht einen solchen Unsinn schreiben.
Du verstehst nicht:
Würde ich dieses Experiment machen, würde ich autschen und wüsste immer noch nicht, ob der Stein echt ist oder nur in meiner Vorstellung existiert.

Pluto hat geschrieben:Eine reine Behauptung von dir, die ich vehement zurückweise!
Genau darum geht es. Du kannst es aus Glaubens-Gründen zurückweisen, aber Du kannst es nicht wissen. Darum geht es doch die ganze Zeit.

Pluto hat geschrieben: Beweise erst die mögliche Existenz der von dir beaupteten "Vorstellungs-Welt".
Weder da eine noch das andere ist falsifizierbar. - Genau darum geht es doch auch Descartes.

Pluto hat geschrieben:Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
Stimmt - mitkriegen tust Du nichts. - Aber es kann wirksam sein.

Pluto hat geschrieben: Damit wir Geist überhaupt empfinden, braucht es ein Bewusstsein.
Das ist richtig. - Aber er ist auch existent, wenn er Entität ist - also nicht ausschließlich Produkt der Materie.

Pluto hat geschrieben:Es ist seit langem bekannt, dass die Gehirnhälften unabhängig arbeiten. In einem gesunden Menschen werden durch die etwa 250 millionen Neuronen des corpus callosum diese beiden Bewusstseinshälften erst zu einem Einzigen verschmolzen.
Das glaube ich Dir.

Pluto hat geschrieben:Wenn man die Ergebnisse der Experimente mit Patienten nach einer OP gründlich untersucht, entstehen solche Frage gar nicht erst.
Diese Frage hat damit gar nichts zu tun.

Pluto hat geschrieben:Solche Fragen wie das oben beschriebene gespaltene Bewusstsein stellen das christliche Bild einer dualistischen Seele, (Mensch unabhängig von Gott) in Frage.
Verstehe ich nicht. - Ich verstehe nicht einmal, was eine dualistische Seele sein soll.

Christlich gesehen hat der Mensch eine Seele, deren Existenz unabhängig vom Körper, also auch nach dem Tod, ist. - In dieser Aussage kann ich keinen Dualismus erkennen.

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Savonlinna
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#1917 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » So 6. Mär 2016, 18:10

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Eine reine Behauptung von dir, die ich vehement zurückweise!
Genau darum geht es. Du kannst es aus Glaubens-Gründen zurückweisen, aber Du kannst es nicht wissen. Darum geht es doch die ganze Zeit.
Ich kann auch nicht wissen, ob ich in Wirklichkeit ein Kuckuck bin.

Das sind Gedankenspielereien, die eins außer Acht lassen: dass "Wahrheit" und "Wirklichkeit" nur aus pragmatisch Gründen geprägte sprachliche Begriffe sind, die einem nicht den Verstand rauben sollen!

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Beweise erst die mögliche Existenz der von dir beaupteten "Vorstellungs-Welt".
Weder da eine noch das andere ist falsifizierbar. - Genau darum geht es doch auch Descartes.
Descartes ging es darum NICHT! Er hat nur einen methodischen Zweifel gemacht. Er hat doch selber niemals wirklich daran gezweifelt, dass die Wirklichkeit ein Trug sein könnte.

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#1918 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Hemul » So 6. Mär 2016, 18:14

Savonlinna hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Eine reine Behauptung von dir, die ich vehement zurückweise!
Genau darum geht es. Du kannst es aus Glaubens-Gründen zurückweisen, aber Du kannst es nicht wissen. Darum geht es doch die ganze Zeit.
Ich kann auch nicht wissen, ob ich in Wirklichkeit ein Kuckuck bin.
Madam-jetzt enttäuschen se mi u. zwar ganz-ganz gewaltig. :roll:
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

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#1919 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von closs » So 6. Mär 2016, 18:16

Thaddäus hat geschrieben:Wieso sollte das denn etwas anderes sein, als der griechischen vorchristlichen Kultur christliche Motive aufzuoktroyieren?
Der Vergleich verschiedener Kulturen (Hier: "Wie wird diese Konstellation im Christentum chiffriert/ausgedrückt?") hat nichts mit oktroyieren zu tun.

Thaddäus hat geschrieben:500 Jahre vor Christus gibt es nichts Christliches in der griechischen Kultur zu suchen und erst recht nicht zu finden.
Historisch vollkommen richtig - aber es geht hier um einen Substanz-Vergleich über die Zeiten.

Thaddäus hat geschrieben:Außerdem meinst du wohl De-chiffrierung und nicht Chiffrierung.
Nee - schon Chiffrierung. - Es gibt ein Phänomen ("Schicksal versus Mensch"), das verschiedene Kulturen unterschiedlich chiffrieren. - De-chiffriert wird vom Interpreten. - Sprache steht für etwas - der menschliche Geist entschlüsselt es (oder halt nicht).

Thaddäus hat geschrieben: Im griechischen Denken zur Zeit des Sophokles gibt es zwar ein Schicksal, aber man ist diesem nicht ausgeliefert, sondern man kann als Mensch sein Schicksal aktiv mitgestalten.
Man kann ihm aber nicht entgehen - also ist das eigene Gestalten nur Begleitmusik.

Thaddäus hat geschrieben:Zur Zeit Pauli, im Späthellenismus, waren sowohl die Epikurerer als auch die Stoiker Atomisten im Sinne Demokrits und glaubten deshalb daran, dass alles deterministisch vorbestimmt sei
Das ist eine Verfeinerung, aber nichts Neues.

Thaddäus hat geschrieben:Etwas zu schreiben und im nächsten Post zu dementieren, man habe es geschrieben: das ist ein intellektueller Offenbarungseid.
Du ignorierst die Basis (nicht das erste Mal) und schaffst Dir Recht durch oberflächliche Begründung. - Alle Deine Zitate sind nichtig, wenn man meine Präambel dazu liest und versteht - habe ich hier ganz oben im Post auch noch mal gemacht.

Thaddäus hat geschrieben:Mit einem christlichen Weltbild Sophokles interpretieren zu wollen ist eine interpretatorische Vergewaltigung.
So gesagt wäre es richtig - aber es ist falsch, weil es so nicht gesagt ist.

Thaddäus hat geschrieben:Was daran ist falsch?
OK - wenn Du "gerechte Strafe" geschrieben hast im Sinne von "damals als gerechte Strafe verstanden, aber nach aufgeklärten Maßstäben nicht haltbar", dann habe ich Dich falsch verstanden.

Thaddäus hat geschrieben: Chiffren dagegen sind ...
Da gibt es unterschiedliche Definitionen - ich meine es im Sinne von Jaspers:
"Das Transzendente begegnet dem Menschen in Chiffren. Darunter versteht er nicht, wie man meinen könnte, geheime Zeichen oder Symbole, sondern Denkerlebnisse, die dem Menschen materiell nicht Erfassbares vermitteln" (wik)

Thaddäus hat geschrieben:Das hatten wir schon, und der Begriff Geist (nous, mens) ist ursprünglich natürlich nicht christlich
Korrekt (das hatten wir ebenfalls schon). - Ich beziehen mich auf die ältere hebräische Kultur, aus der der christliche Begriff entstanden ist.

Das Blöde aus meiner Sicht ist halt, dass so Unterschiedliches ausgerechnet mit dem selben Wort "Geist" bezeichnet wird.

Thaddäus hat geschrieben:Warum belendet er sich dann wohl am Ende selbst?
Weil er merkt, dass ein Höheres über seiner menschlichen Vernunft steht.

Thaddäus hat geschrieben:Eine Strafe für den Bruch göttlicher heiliger Gesetze ist kein Fluch.
Bei Antigone ist es KEIN Fluch (habe ich es so geschrieben?) - Bei Ödipus schon: Der Fluch auf seinen Vater wird auf ihn vererbt - unentrinnbar. - Siehe auch das biblische Motiv des "Geschlechterfluchs" - selbes Motiv in anderem Gewand.

Thaddäus hat geschrieben:Stattdessen bezichtigt er Teiresias der Lüge.
Das hält ihn aber nicht ab, weiter zu suchen.

Thaddäus hat geschrieben:Das griechische und das hebräische Denken sind sich ganz und gar nicht ähnlich. Im Gegenteil sind sie grundverschieden!
Oja - das habe ich anderer Stelle bereits ausgeführt. - HIER lautet die Aussage jedoch:
Closs hat geschrieben:Hier sind sich das griechische und das AT-Denken sehr ähnlich
- Es geht um die Unterstreichung einer punktuellen Ähnlichkeit.

Thaddäus hat geschrieben:Das ist wirklich brachiale Verunglimpfung des Textes.
Das Motiv "Göttliche Macht und menschliche Macht" ist in allen Kulturen der Vergangenheit thematisiert - dass es in der heutigen westlichen Welt aufgrund einer Verschmelzung von Gott und Mensch nicht mehr so ist, ist die Ausnahme (wie ich meine, eine Episode). - Das Heranziehen von grundlegenden Motiven aller Zeiten ist keine Verunglimpfung - möglicherweise ist Deine Interpretations-Weite nicht adäquat.

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#1920 Re: Griechische Kultur und christliche Okkupation 1

Beitrag von Thaddäus » So 6. Mär 2016, 18:21

Savonlinna hat geschrieben:Das von Dir aus dem Drama Zitierte, Thaddäus, gilt für den Anfang des Dramas. Da kann Ödipus in der Tat nicht glauben, dass er selber der Mörder sein soll.

Dieses Zitierte ist nicht in der Lage, Ödipus die Augen zu öffnen, wie sollte es auch! Teiresias gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt, an dem Ödipus auch nur den Hauch einer Ahnung bekommen könnte, dass er selber der Mörder des Laios ist.

closs also hat Recht: Ödipus WILL WISSEN, will über sich selber Bescheid wissen.
Teiresias gibt Ödipus keine Anhaltspunkte, sondern er sagt ihm die Wahrheit nach anfänglicher Weigerung direkt ins Gesicht!
Es geht nicht darum, dass Ödipus wie in einer Detektivgeschichte selbst durch Schlussfolgerungen und Erkundungen darauf kommen muss, dass er der Mörder seines Vaters und der Ehemenn seiner Mutter ist. Es geht darum, dass er die Wahrheit über sich selbst erkennt und Teiresias ist im Besitz dieser Wahrheit. Deshalb ist er ja geholt worden.

Ödipus will nicht WISSEN, er will unwiderlegliche Beweise haben und rechnet dabei überhaupt nicht damit, dass er selbst die Pest über Theben gebracht haben könnte.
Als Teiresias endlich mit der Sprache herausrückt, glaubt ihm Ödipus aber nicht, sondern bedroht und beschuldigt im Gegenteil den Teiresias, der ihm die schlichte Wahrheit in aller Deutlichkeit auf den Kopf zu sagt:

Teiresias der gottverworfne Beflecker dieses Landes bist du selbst!" und ...

Ödipus Was für ein Wort! Noch einmal, daß ich's fasse!

Teiresias Begreifst du nichts? Mußt du mein Wort erst prüfen?

Ödipus Klar kann ich das nicht nennen, sprich noch einmal!

Teiresias Du bist des Mannes Mörder, den du suchst!

Ödipus Du schmähst nicht ungestraft zum zweiten Mal!

Teiresias Verborgen ist dir, wie du mit den Nächsten
In Schanden lebst, wie tief du stehst im Bösen.


Die Verfehlung und Schuld des Ödipus liegt also darin, dass er nicht sofort auf Teiresias hört, sondern stattdessen durch eindeutige Indizien davon überzeugt werden muss, dass nur er der Mörder seines Vaters sein kann, der dann auch noch seine Mutter geehelicht hat.
Diese Szene ist die Kernszene des ganzen Stückes.
Begreifst du nichts? Mußt du mein Wort erst prüfen? fragt Teiresias. Das ist die eigentliche Verfehlung des Ödipus! [Denn der Frevel und Gesetzesbruch, den er unwissentlich begangen hat, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Darum kann es nicht gehen und auch nicht darum, dass ihn eine persönliche Schuld trifft. Es geht nur noch um die Erkenntnis der Wahrheit, dass er selbst - Ödipus - der gesuchte Mann ist.]
Angesichts der Wahrheit wird Ödipus aber immer zorniger auf Teiresias. Aber der ist der blinde Seher, der die Wahrheit sieht. Ödipus vertraut ihm jedoch nicht.
Im Gegenteil kommt er zu einer völligen Fehleinschätzung, wenn er spricht: "Du bleibst in ewiger Nacht und weder mir
noch andren, die das Licht sehn, kannst du schaden."

Tatsächlich ist es aber Ödipus selbst, der sehend nicht sieht und umnachtet ist, - und der sich am Ende selbst die ewige Nacht geben wird, indem er sich die Augen aussticht.

Ödipus verkennt also komplett die Wahrheit, die Teiresias ihm als blinder Sehender offeriert.

Als die Wahrheit Sehender und Erkennender weiß Teiresias auch, dass Ödipus ihm keinen Glauben schenken wird, sondern stattdessen in Rage gerät. Er sieht auch den katastrophalen Ausgang, weshalb er lieber schweigen will. Als er von Ödipus aber bedrängt wird, antwortet er auch.

Hier der Szenenausschnitt im Zusammenhang:

Teiresias Weh, wehe, wie ist Wissen furchtbar, das
Dem Wissenden nicht taugt, ich hab's gewußt
Und doch vergessen, sonst war ich nicht hier.

Ödipus Was ist das? Wie verstört kommst du zu uns!

Teiresias Laß mich nach Haus! Du trägst, hörst du auf mich.
Am leichtesten das Deine, ich das Meine.

Ödipus Doch recht und freundlich sprichst du nicht, wenn du
Der Stadt, die dich genährt, das Wort verweigerst.

Teiresias Ich seh, du sprachst auch nicht zu deinem Heil.
Damit mir nun nicht Gleiches widerfahre.

Ödipus Bei allen Göttern, bleib, wenn du es weißt!
Wir alle liegen flehend dir zu Füßen.

Teiresias. Nichts wißt ihr alle! Mehr will ich nicht sagen,
Damit ich deine Übel nicht enthülle!

Ödipus Was sagst du? Weißt darum und schweigst? Willst du
Uns denn verlassen und die Stadt verderben?

Teiresias Nicht wehtun will ich mir noch dir! Was fragst
Du mich umsonst? Von mir erfährst du nichts.

Ödipus Du willst, der Schlimmen Schlimmster — eines Steins
Natur bringst du zum Rasen — nie es sagen.
Bleibst du so unerbittlich und so starr?

Teiresias Du tadelst meine Art, doch deine sahst
Du nicht, die bei dir wohnt, er weist weist zum Palast
und schmähst nun mich.

Ödipus Wen packte nicht der Zorn bei solchen Worten,
Mit denen du jetzt unsere Stadt entehrst?

Teiresias Es kommt von selbst, deck ich es auch mit Schweigen.

Ödipus So mußt du mir, was kommen wird, auch sagen!

Teiresias Ich sage nichts mehr. Darum, wenn du willst,
Ergib dich nur dem Zorn, dem wildesten!

Ödipus Nichts laß ich aus in meinem Zorn von dem,
Was ich durchschaue. Wisse denn, mir scheint.
Du hast die Tat gepflanzt und mitgetan,
Gemordet — ohne Hände — wärst du sehend.
Dann, sprach ich, kam die Tat von dir allein.

Teiresias Wirklich? Ich sag dir: steh zu dem Gebot,
Das du verkündet, sprich von jetzt an weder
Zu diesen noch zu mir: der gottverworfne
Beflecker dieses Landes bist du selbst!


Ödipus So schamlos stießest du dies Wort heraus,
Wie glaubst du noch der Strafe zu entrinnen?

Teiresias Ich bin entronnen, stark ist meine Wahrheit!

Ödipus Von wem belehrt? Doch nicht von deiner Kunst?

Teiresias Von dir — zum Reden ungewollt gedrängt.

Ödipus Was für ein Wort! Noch einmal, daß ich's fasse!

Teiresias Begreifst du nichts? Mußt du mein Wort erst prüfen?

Ödipus Klar kann ich das nicht nennen, sprich noch einmal!

Teiresias Du bist des Mannes Mörder, den du suchst!

Ödipus Du schmähst nicht ungestraft zum zweiten Mal!

Teiresias Sag ich das andre, daß dein Zorn noch wächst?

Ödipus Soviel du willst, es ist umsonst gesagt.

Teiresias Verborgen ist dir, wie du mit den Nächsten
In Schanden lebst, wie tief du stehst im Bösen.


Ödipus Du glaubst, du sagst das straflos immerfort?

Teiresias Gewiß, wenn es die Macht der Wahrheit gibt!

Ödipus Sie gibt's, nur nicht für dich! Nein, nicht für dich.
Denn du bist blind an Ohren, Geist und Augen.

Teiresias Armseliger! Du schmähst mich jetzt mit dem,
Womit ein jeder dich bald schmähen wird.


Ödipus Du bleibst in ewiger Nacht und weder mir
noch andren, die das Licht sehn, kannst du schaden.


[Sophokles, König Ödipus, übertragen von Karl Arno Pfeiff, 1. Szene, 315 - 375], Göttingen: 1969, S.55-59
Zuletzt geändert von Thaddäus am So 6. Mär 2016, 19:46, insgesamt 7-mal geändert.

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