Alles Teufelszeug? II

closs
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#1311 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Do 14. Apr 2016, 20:19

SilverBullet hat geschrieben:Mit „Vorstellung“ hat es nichts zu tun, denn diese erreicht „per Definition“ keinen Wirklichkeitsstatus innerhalb der menschlichen Wahrnehmung (sonst würde man es ja nicht „Vorstellung“ nennen)
Falsch. - ALLES, was der Mensch als Wirklichkeit wahrnimmt, ist Vorstellung. - Die Frage ist, ob die Vorstellung etwas findet (das, was Du "Realität" nennst) oder er-findet ("Einbildung").

SilverBullet hat geschrieben:In der menschlichen Wahrnehmung (dies ist bestimmt in viel kleineren Gehirnen auch der Fall) muss also entschieden werden, was für Wirklichkeit/Realität gehalten wird und was nicht.
Das würde ich unter Konditionierung buchen.

SilverBullet hat geschrieben: es handelt sich also nicht um eine „Meinungsbildung“.
"Vorstellung" ist nicht "Meinung". - "Vorstellung" ist das, was Wahrnehmung an sich ist.

SilverBullet hat geschrieben:Wenn man gegen ein Objekt stösst, verarbeitet das Gehirn sofort den Umstand, dass die Signale/Daten (-> „Schmerzen“) nicht gut sind, und „schlussfolgert“, dass dieser Vorgang (Interaktion) nichts mit den Gehirnvorgängen selbst zu tun haben kann -> Wahrnehmungsunabhängigkeit -> Wirklichkeit.
Du hast immer noch nicht gefressen, dass dasselbe passiert, wenn es sich "nur" um eine Vorstellung handelt. - Wäre die Welt nur Vorstellung, würden wir nichts merken - es wäre alles dasselbe. - Wir wissen sogar jetzt nicht, wenn wir uns unterhalten, ob das Gegenüber "echt" ist oder "nur" Vorstellung.

SilverBullet hat geschrieben:Wahrnehmung kann sich nicht selbst analysieren
An sich richtig - aber hier sind Subjekt und Objekt identisch. - Das Ich kann sagen "Selbst wenn ich nur Vorstellung bin, bin ich - selbst wenn alles gefaked ist, bin ich".

SilverBullet hat geschrieben: Das mit dem „Nicht wissen können ob Vorstellung oder Entität“ ist nicht korrekt, denn man kann sehr wohl (in Form einer Mustererkennung) eine sinnvolle Wirklichkeitsidentifikation durchführen
Aber doch nur, wenn man von einem naturalistischen Weltbild ausgeht.

Das scheint mir immer das Problem zu sein (das gilt auch für "Widerlegungen" von Descartes):
Man geht von einem naturalistischen Weltbild aus und fragt von dort aus, ob man "Vorstellung" und "Realität" unterscheiden könne - und kommt zum ERgebnis: Ja. - Genau das ist aber der Denkfehler: Wenn man hier nachdenkt, muss man sein eigenes Weltbild für einen Moment vergessen - also:

Wir sprechen NICHT von einer naturalistischen Welt aus, um diese dann zu beweisen :devil: - sondern wir sprechen vom Ich aus: "Was nimmt das Ich wahr und wie kann es es qualifizieren?" - Dann sehen die Ergebnisse plötzlich anders aus.

SilverBullet hat geschrieben:Descartes „löst“ kein Problem, sondern versucht sich seinen „Glauben“ philosophisch zurechtzuschwindeln.
Das kommt dann raus. :devil: - Descartes geht vom "Cogito" aus und nicht von einer "Realität" außerhalb des Cogito. - Das ist ontologisch blitzsauber gedacht.

SilverBullet hat geschrieben:Kein neugeborener Mensch könnte heranwachsen, wenn man ihm zuerst beibringen müsste, wie er Wirklichkeit identifizieren soll. Er würde gar nicht auf einen anderen Menschen reagieren können (-> siehe Kätzchenexperiment)
Überprüfe die Grundlagen dieses Experiments. - Ich wette: naturalistisch.

SilverBullet hat geschrieben:Die „phänomenalen Bedeutungen“ funktionieren nicht dadurch, dass sie tatsächlich vorliegen, sondern dadurch, dass eine Reaktion abläuft, als lägen sie vor – das ist ein gewaltiger Unterschied.
Wäre die Welt eine reine Vorstellungswelt des Ich, würde das Kätzchenexperiment genauso ausgehen.

SilverBullet hat geschrieben:wir könnten dann eine persönliche Beziehung zu einem 2m grossen Kaninchen namens „Harvey“ aufbauen…
Du unterschätzt Descartes.

closs
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#1312 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Do 14. Apr 2016, 20:43

Anton B. hat geschrieben: Darauf haben Wissenschaftstheoretiker mit zig Beispielen, wo wir auch Wahrnehmungen nicht als "real" nehmen, längst hingewiesen.
Ich könnte die Weigerung, mit dem Denken ganz am Anfang anzufangen, genauso als "dreist" bezeichnen. - Diese wissenschaftlichen Hinweise gehen von einem naturalistischen Weltbild aus ("die Welt ist 'real' - Punkt"), um von dort aus wahrscheinlich tatsächlich recht zu haben (so viel Vertrauen habe ich). - Deshalb immer meine Frage an Dich, ob von Dir vorgeschlagene Literatur von der Offenheit der Frage ausgeht, ob Materie von Geist oder Geist von Materie kommt. - Wenn man ersteres bewusst oder unbewusst ausschließt, kann man muntere Nachweis-Urständ feiern - logisch.

Anton B. hat geschrieben: Wenn die esoterischen Erkenntnisse so dolle wären, dann laufen zur Lagerstättensuche keine Geologen mehr durch die Gegend
Falsch. - Der Geologe Anton würde exakt dasselbe tun, weil er den Unterschied gar nicht merken würde - das ist doch der entscheidende und offensichtlich immer noch nicht verstandene Punkt - den sowohl Augustinus als auch Descartes (und sicherlich viele andere auch) verstanden haben. - Wir sind heute derart naturalistisch eingestielt, dass wir gar nicht wahrnehmen, dass dies eine Deutung unsererseits ist (und wie ich GLAUBENS-mäßig "weiss": dass dies die richtige Deutung ist - aber Deutung bleibt Deutung).

Anton B. hat geschrieben: Der Erfolg der Wissenschaften beruht auf keiner willkürlichen Setzung
"Willkürlich" ohnehin nicht. - Der Erfolg der Wissenschaft beruht auf der notwendigen Setzung, dass unsere Wahrnehmung authentisch zu dem steht, was sie als "Objekt" bezeichnet - egal, ob es ein "echtes" ode eine vorgestelltes Objekt ist.

Das sind zugegebenerweise Fragen, die einen Natur-Wissenschaftlicher nicht interessieren müssen - interessant ist es in Bereichen, in denen natürliche und spirituelle Wahrnehmung Hand in Hand gehen - wie eben hier bei der Bibel-Deutung.

Es wird hier deshalb interessant, weil hier die Frage "Geist aus Materie oder Materie aus Geist" im Mittelpunkt steht: Ein Christ muss davon ausgehen, dass Materie aus Geist (Gott) kommt, ein Naturwissenschaftler muss vom Gegenteil ausgehen - der Untersuchungs-Gegenstand fordert es so (übrigens auch wieder jeweils eine methodische Setzung).

Im konkreten Fall "leibliche Auferstehung Jesu" prallt dann beides aufeinander, wenn die wissenschaftliche Seite meint, dies könne nur mythologisch oä gemeint sein, da es sonst gegen Naturgesetze verstoße - somit eine wörtliche Auslegung unwissenschaftlich wäre. - Und die spirituelle Seite meint, dies könne genauso gut wörtlich verstanden werden, weil Geist über Materie steht, somit ein solches Phänomen möglich ist.

Wenn nun eine Diskussion entbrennt, was "wissenschaftliche Exegese" sei, und das Ergebnis sein soll, dies könne nur eine sein, die ausschließlich die mythologische (oä) Variante für möglich hält, dann hat Wissenschaft in der Theologie in der Tat nichts zu suchen - weil sie die Grundlage der Theo-Logie ("es gibt Gott als Entität") negiert.

Das scheint mir das Problem beim Streit zwischen HKM und Ratzi zu sein - und dieser Streit geht letztlich auf Descartes und Augustinus zurück. - Das ist hier die Schnittebene - nicht die Naturwissenschaft.

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#1313 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Do 14. Apr 2016, 20:53

Pluto hat geschrieben:Wie die Wissenschaft spätestens seit Darwin weiß, kann man auch ganz ohne Gott die Natur untersuchen
Wenn man die Grundlagen, warum das überhaupt geht, ignoriert, weil man erst auf Ebene "Naturwissenschaft" einsteigt, geht das natürlich. - Wie schon an Anton: Ihr Naturwissenschaftler seit bei Eurer Arbeit davon nicht betroffen - es ändert sich für Euch nichts.

Pluto hat geschrieben:Und dann bleibt immer noch zwei Fragen unbeantwortet: Wer soll diese "Matrix Umgebung" geschaffen haben, und warum?
Das hat sich Descartes auch gefragt und ist zum Schluss gekommen, dass man es (mit Blick auf einen wohlwollenden Gott) verwerfen kann. - Entscheidend ist etwas ganz anderes: WIR/unsere Wahrnehmung/unsere Wissenschaft kann es nicht wissen - es muss entschieden werden, WIE wir die Welt verstehen, bevor wir sie angucken/erforschen. - Diese Frage ist naturwissenschaftlich NICHT beantwortbar.

Pluto hat geschrieben: Aber mit Hilfe der Erkenntnisse aus der modernen Informatik kann man zeigen, dass eine konstruierte Welt sehr schnell an der Vielfalt der Möglichkeiten scheitert (die Zahl der Möglichkeiten überschreitet die angenommene Zahl der Atome im Universum).
Aus Sicht Gottes (in entsprechender Definition) wäre dies kein Problem.

Pluto hat geschrieben:was diese Definition bedeutet, konntest du bisher weder glaubhaft erklären noch begründen.
Doch mehrfach - aber da kommt dann meistens nicht zurück. - Ich gebe zu: Es ist eine sehr kurze Zusammenfassung von einem ganzen Rattenschwanz. - Wer den Omega-Punkt kennt bei de Chardin (oder in ganz anderer Definition bei Tipler), kann damit etwas anfangen.

Pluto hat geschrieben: Richtiger wäre: Ich bin, also denke ich.
Wahrscheinlich kann man diesen Satz wirklich gefahrlos umdrehen.

Pluto hat geschrieben:In der Wissenschaft wird modelliert und beobachtet, aber nicht gesetzt.
INNERHALB der Wissenschaft stimmt das ja auch - davon rede ich nicht.

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#1314 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Münek » Do 14. Apr 2016, 20:54

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Josi hat geschrieben:Nicht Ideen (Geist/Geister/Gespenster) erzeugen Wirklichkeiten (Substanz), sondern Wirklichkeiten (Substanzen) ermöglichen Ideen
Das ist eine ehrenhafte weltanschauliche Aussage - sonst nichts. - Aber darum geht es doch gerade: Kann Wahrnehmung entscheiden, ob es so rum oder anders rum ist? Kann sie prinzipiell NICHT - das ist doch gerade der Gag.
Wahrnehmung allein kann das nicht. Aber mit Hilfe der Erkenntnisse aus der modernen Informatik kann man zeigen, dass eine konstruierte Welt sehr schnell an der Vielfalt der Möglichkeiten scheitert (die Zahl der Möglichkeiten überschreitet die angenommene Zahl der Atome im Universum).
Und dann bleibt immer noch zwei Fragen unbeantwortet: Wer soll diese "Matrix Umgebung" geschaffen haben, und warum?

Ganz genau so ist es! Deswegen ist es völlig unmöglich, dass die von uns als real erlebte Welt das Produkt eines Menschentraumes sein kann. Kurt scheint erhebliche Schwierigkeiten haben, das zu verstehen.

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#1315 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Do 14. Apr 2016, 20:58

Pluto hat geschrieben:Warum sollte nicht ein in der Musik versierter Wissenschaftler so was nicht merken oder verstehen können?
Natürlich sollte er es merken können. - Aber er tut es nur dann (und ich hoffe, dass es die Regel ist), wenn er nicht nur Wissenschaftler, sondern auch geistig aktivierter Mensch ist.

Man könnte problemlos Musikwissenschaftler sein, ohne jemals einen Ton gehört zu haben - aber man kann nur dann Stücke verstehen, wenn man hören kann und Gehörtes geistig (dazu gehört auch "emotional") umsetzen kann. - Und das scheint genau das Problem in der Theologie zu sein: Warum etwas geistig verstehen, wenn man auch ohne das ein theologischer Wissenschaftler sein kann - ein besserer sogar, sagt man dann. - Das ist exakt der Konflikt zwischen Ratzi und HKM.

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#1316 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Münek » Do 14. Apr 2016, 20:59

closs hat geschrieben:
Josi hat geschrieben:definiere erst mal Gott
"Aufhebung der Dialektik" - das ist meine Lieblings-Definition. :lol:
Nach christlichem Verständnis ist Gott keine "Aufhebung von Irgendwas", sondern eine Person, ein himmlisches Wesen.

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#1317 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Do 14. Apr 2016, 21:03

Münek hat geschrieben:Nach christlichem Verständnis ist Gott keine "Aufhebung von Irgendwas", sondern eine Person, ein himmlisches Wesen.
Keine Angst - das ist bekannt und beißt sich nicht.

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#1318 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Münek » Do 14. Apr 2016, 21:33

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Es gibt NICHTS zu unterscheiden.
Ontologisch ist es sehr verschieden.
Nein - auch ontologisch nicht.

closs hat geschrieben:Insofern hast Du recht, dass es erlebnis-mäßig wurscht ist - ABER:
Wenn man es weiss, kommt man nicht mehr auf die Idee zu sagen: "Das ist Phantasie und das ist echt". - Darum geht es hier, weil Naturalisten gerne dazu neigen, das ihrige als "echt" und das Religiöse als "unecht" zu bezeichnen.
Das liegt nicht an den Naturalisten, sondern an der Unfähigkeit bzw. Unmöglichkeit der Gläubigen, ihre Annahmen plausibel zu machen. Denn SIE sind es schließlich, die mit Behauptungen übernatürlicher unerkennbarer unsichtbarer Existenzen hervortreten. Behaupten und glauben kann man alles. Den Wunschvorstellungen und der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Der Beliebigkeit sind Tür und Tor geöffnet.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Was hätte die neutestamentliche Forschung zu biblischen Wunderberichten aus wissenschaftlicher Sicht Erhellendes beizutragen? NICHTS.
Nix dagegen. - Dann kann sie aber die Bibel nur unter dem Aspekt vertieft untersuchen, dass Jesus NICHT derjenige ist, für den er christlicher-seits gehalten wird. - Dann ist "theologische Forschung" nur sinnvoll, wenn Atheisten recht haben. - Es gäbe dann keinerlei theologische Forschung für den Fall, dass es Gott gibt. - Ist DAS Theologie?
Gott ist nicht ERFORSCHBAR. Im Übrigen gibt es neben der Exegese noch die systematische Theologie, zu der bekanntlich die Dogmatik sowie die Fundamentaltheologie gehören. Sooo ganz allein gelassen bist Du nun auch wieder nicht.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:die historisch-kritische Auslegungsmethode hat mit EISEGESE nichts am Hut.
Moment - dann wäre "Eisegese", wenn man die Bibel christlich versteht? :o
NEIN.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Das Faktum heute praktizierter EISEGESE hat nichts mit der Reproduktion mittelalterlicher Dogmatik zu tun.
Nein - aber vielleicht Deine Auffassung von Eisegese. :lol:
Ich halte mich an die gängige Begriffsdefinition, nach der Eisegese eine Textauslegung bezeichnet, bei der etwas in den Text hineininterpretiert wird, was nicht in diesem steht oder vom Textverfasser nicht gemeint war. Ganz einfach.
Zuletzt geändert von Münek am Do 14. Apr 2016, 22:03, insgesamt 1-mal geändert.

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#1319 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Münek » Do 14. Apr 2016, 21:44

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Mit „Vorstellung“ hat es nichts zu tun, denn diese erreicht „per Definition“ keinen Wirklichkeitsstatus innerhalb der menschlichen Wahrnehmung (sonst würde man es ja nicht „Vorstellung“ nennen)
Falsch. - ALLES, was der Mensch als Wirklichkeit wahrnimmt, ist Vorstellung. - Die Frage ist, ob die Vorstellung etwas findet (das, was Du "Realität" nennst) oder er-findet ("Einbildung").
Beim Gottesglauben tippe ich eher auf EINBILDUNG. Du weißt doch selbst, wieviele eingebildete Götter in der Menschheitsgeschichte schon ausgemustert worden sind.

Natürlich behaupteten und behaupten Gläubige immer wieder, dass IHR Gott der einzig wahre sei. Geschenkt.

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#1320 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von SilverBullet » Do 14. Apr 2016, 21:44

closs hat geschrieben:ALLES, was der Mensch als Wirklichkeit wahrnimmt, ist Vorstellung. - Die Frage ist, ob die Vorstellung etwas findet (das, was Du "Realität" nennst) oder er-findet ("Einbildung").
Ich vermute, du verwendest das Wort „Vorstellung“ auf eine sonderbare Weise.

Wenn du die Augen aufmachst und ein Sehbild, also eine „dreidimensionale Weltsicht zu erleben glaubst“, dann ist dies die Art, wie das Gehirn die „als Wirklichkeit identifizierten Sehzusammenhänge“ verarbeitet.

Wenn du dann die Augen zumachst und versuchst dich an das gerade eben Gesehene zu erinnern, dann ist dies eine „Vorstellung“. Du wirst einen erheblichen Inhalts- und Qualitätsunterschied feststellen.

Mir scheint, du meinst mit „Vorstellung“, was ich als „Überzeugung eines phänomenalen Erlebens“ bezeichnen würde (z.B. „Sehbild“).

Damit kommst du aber in einen Wortkonflikt, wenn es um das gehen soll, was man mit „geschlossenen Augen“ macht.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:In der menschlichen Wahrnehmung (dies ist bestimmt in viel kleineren Gehirnen auch der Fall) muss also entschieden werden, was für Wirklichkeit/Realität gehalten wird und was nicht.
Das würde ich unter Konditionierung buchen.
Das sehe ich kritisch, denn das jeweilige Lebewesen ist bereits wachstumsbedingt „konditioniert“ und muss diese Funktion/Mechanismus nur noch auf eine konkrete Interaktion anwenden können.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben: es handelt sich also nicht um eine „Meinungsbildung“.
"Vorstellung" ist nicht "Meinung". - "Vorstellung" ist das, was Wahrnehmung an sich ist.
Dein Begriff „Vorstellung“ ist verwirrend (siehe oben).
„Vorstellung“ zielt auf „Augen zu und denken“ ab – hier ist „Vorstellung“ in etwa gleichbedeutend zu „Meinung“.

Wenn du auf „Überzeugung eines phänomenalen Erlebens“ abzielst, dann stimmt es nicht, dass dies Wahrnehmung ist. Die „Überzeugung…“ ist ein spezieller Verstehablauf in Teilen der Verarbeitungsabläufe, aber nicht die gesamte Wahrnehmung. Man muss ja nur z.B. an die unbewussten Vorgänge denken.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Wenn man gegen ein Objekt stösst, verarbeitet das Gehirn sofort den Umstand, dass die Signale/Daten (-> „Schmerzen“) nicht gut sind, und „schlussfolgert“, dass dieser Vorgang (Interaktion) nichts mit den Gehirnvorgängen selbst zu tun haben kann -> Wahrnehmungsunabhängigkeit -> Wirklichkeit.
Du hast immer noch nicht gefressen, dass dasselbe passiert, wenn es sich "nur" um eine Vorstellung handelt. - Wäre die Welt nur Vorstellung, würden wir nichts merken - es wäre alles dasselbe.
Wieder: dein Einsatz von „Vorstellung“ ist problematisch.
Wenn ein Mensch eine „Vorstellung“ hat, dann ist er sich per Definition dieses Umstandes bewusst.
Wenn dieser Mensch also etwas „erlebt“ dessen Ursache er sich nicht bewusst ist, dann wird er erst einmal den Wirklichkeitsstatus vergeben.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Wahrnehmung kann sich nicht selbst analysieren
An sich richtig - aber hier sind Subjekt und Objekt identisch. - Das Ich kann sagen "Selbst wenn ich nur Vorstellung bin, bin ich - selbst wenn alles gefaked ist, bin ich".
Nun, wenn es richtig ist, warum verstösst du dann genau in deinem nächsten Satz dagegen?

Das „Ich“ kann erst einmal rein gar nichts sagen, denn „es“ weiss nicht, was „es“ sein soll und „es“ kann „sich“ nicht finden.

Tatsächlich ist dies das Kernstück der philosophischen Eigenartigkeit, wenn es um Wahrnehmung geht.
Diese Leute sind in ihrem Denk-Grössenwahn einfach hergegangen und haben Bedeutungszusammenhänge, die von der Wahrnehmung aus, für den gesamten Menschen gelten, kurzerhand einer „unsichtbaren Denk-Instanz“ im Hintergrund zugeordnet.
(der Grund dafür liegt im unsinnigen Bedürfnis die aktuelle Religion, philosophisch umzusetzen)

Wenn man dieses „Ich“ jedoch als „Gesamtmensch“ versteht, hat die Aussage eine gewisse Gültigkeit. Allerdings nur in Form von „es ist sicher, dass ein Vorgang abläuft“ – mehr nicht.

Von „Subjekt = Objekt“ kann keine Rede sein.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Das mit dem „Nicht wissen können ob Vorstellung oder Entität“ ist nicht korrekt, denn man kann sehr wohl (in Form einer Mustererkennung) eine sinnvolle Wirklichkeitsidentifikation durchführen
Aber doch nur, wenn man von einem naturalistischen Weltbild ausgeht.
Wenn eine beliebige Wahrnehmung feststellt, dass ein Zusammenhang einwirkt, der nicht von dieser Wahrnehmung selbst stammen kann, und du ein „Meinungs“-Weltbild hast, das dies relativiert, dann würde ich dieses „Meinungs“-Weltbild aber schleunigst entsorgen oder du legst glasklare Beweise für diese Relativierung vor.

closs hat geschrieben:Genau das ist aber der Denkfehler: Wenn man hier nachdenkt, muss man sein eigenes Weltbild für einen Moment vergessen - also:

Wir sprechen NICHT von einer naturalistischen Welt aus, um diese dann zu beweisen - sondern wir sprechen vom Ich aus: "Was nimmt das Ich wahr und wie kann es es qualifizieren?" - Dann sehen die Ergebnisse plötzlich anders aus.
Was soll das „Ich“ sein und wie soll „es“ etwas wahrnehmen können?
(Wenn dir diese Art von Frage bekannt vorkommt, dann liegt dies daran, dass es bei dir schon wieder um eine „unsichtbare Person“ gehen soll, zu der es erst einmal nur ein Fragezeichen gibt)

closs hat geschrieben:Descartes geht vom "Cogito" aus und nicht von einer "Realität" außerhalb des Cogito. - Das ist ontologisch blitzsauber gedacht.
Descartes geht von seiner "Cogito"-Erfindung als „Realität“ aus, einer blitzsauberen Behauptung ohne Beweise, die nur vor dem Hintergrund einer Religion entstanden ist (er sagt es ja sogar selbst).

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Kein neugeborener Mensch könnte heranwachsen, wenn man ihm zuerst beibringen müsste, wie er Wirklichkeit identifizieren soll. Er würde gar nicht auf einen anderen Menschen reagieren können (-> siehe Kätzchenexperiment)
Überprüfe die Grundlagen dieses Experiments. - Ich wette: naturalistisch.
Es gibt Kinder, die haben mit Einschränkungen zu kämpfen.
In einer aktuellen Veröffentlichung der Neurowissenschaft kann man nachlesen, dass diese Kinder mit möglichst allen Hilfsmitteln an einer Interaktion mit ihrer Umwelt teilnehmen sollten.
Das Gehirn sollte möglichst viel Aktivität mit Interaktion verbringen, um einen reichhaltigen Erfahrungsschatz aufzubauen. Immobilen Kindern gibt man elektrische Fahrzeuge, mit denen sie sich bewegen können und eine „Rolle in ihrer Welt“ spielen können.

Würdest du ihnen „alternativ“ dein „Meinungs“-Weltbild suggerieren?

closs hat geschrieben:Wäre die Welt eine reine Vorstellungswelt des Ich, würde das Kätzchenexperiment genauso ausgehen.
OK, du möchtest einen Verdacht in Richtung einer „Denk-Instanz“ aufbauen, die sich irgendwie unbewusst eine Wirklichkeit ausdenken können soll.

Wie beim Schöpfungsverdacht, kann man hier die direkte Frage ableiten, „was soll diese Denk-Instanz sein?“.
Exakt hier endet dann aber auch schon die Nachforschung, denn es gibt kein Konzept, keine Idee für eine Antwort.
Das lustige Wort „Geist“, das man hierbei verwendet, steht (mangels Antwortinhalt) letztlich, wie „Gott“, nur für die Frage selbst.

Es scheint sich in deinem „Meinungs“-Weltbild immer um den gleichen Täuschungsablauf zu handeln.
(das kommt dabei heraus, wenn man nur durch die Brille einer Religion schaut)

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