Alles Teufelszeug? III

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sven23
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#1141 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » So 21. Aug 2016, 08:29

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn der biografische Jesus nicht mehr rekonstruierbar ist, dann sollte man auch keine Versuche in dieser Richtung machen.
Eigentlich werden diese Versuche in der Theologie auch nicht ernsthaft gemacht. Man versucht dort, die Wirklichkeit Jesu geistig zu erschließen, um dann zu sagen: "Wenn das der wirkliche Jesus ist, ist er automatisch derjenige, der vor 2000 Jahren gelebt hat, also ist es dann auch der historische Jesus". - Aber man meint damit nicht den historisch-kritischen Jesus, weil die methodische Grundlage eine andere ist.
Da die kanonische Exegese per Definition gar nicht zwischen echten und unechten Herrenworten unterscheiden will, erhebt sie alle Evangelien in den Stand "echter Herrenworte". Dann gehört allerdings die Naherwartung auch dazu, incl. der Widersprüche von Naherwartung und Parusieverzögerung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Man sollte sich auf die Quellen beschränken und die zeigen nun mal in ziemlicher Deutlichkeit die Naherwartung.
In jeder Hinsicht zu flach. - Die Quellen sagen in erster Linie etwas über die Jesus-Rezeption aus -
Diese Rezeption wird von der kanonischen Exegese aber als authentisch zu Jesus vorrausgesetzt.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Hier wird auch der Schwachpunkt der kanonischen Exegese deutlich, weil sie sich nicht für die ursprüngliche Bedeutung eines Textes und seine Entwicklung interessiert.
Die kanonische Exegese ist orientiert an der ursprünglichen Bedeutung dessen, was Jesus gesagt und gemeint hat, und versucht dies hermeneutisch (selbstverständlich mit Hilfe der Texte) zu ermitteln. - Sie ist NICHT primär interessiert an der Rezeption von Jesus.
An deiner Argumentation sieht man auch sehr schön das ganze Dilemma der kanonischen Exegese.
Einerseits sagst du, die Evangelien seien ja "nur" Rezeption, andererseits sei die kanonische Exegese ja gar nicht an der Rezeption interessiert.
Ich würde sagen: ein klassischer Schuss ins Knie. :lol:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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sven23
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#1142 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » So 21. Aug 2016, 08:43

closs hat geschrieben: Ich habe mit alten Theologen gesprochen, die bereits in den 50er Jahren in der Uni die Naherwartung thematisiert haben. Bereits damals war klar, dass man zwischen Jesu NT-Botschaft und deren Verständnis durch die Jünger unterscheiden muss. Innerhalb der kirchlichen Theologie ist dieses Thema seit Studenten-Generationen durchdacht und gegessen - man wundert sich, dass immer noch darüber gesprochen wird.
Dann solltest du vielleicht mal mit jungen Theologen sprechen, die in der Forschung arbeiten. Und "durch" ist das Thema nur insofern, als dass die Naherwartung innerhalb der Forschung breiter Konsens ist. (siehe Theißen)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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sven23
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#1143 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » So 21. Aug 2016, 08:55

closs hat geschrieben: Die Quellen sagen in erster Linie etwas über die Jesus-Rezeption aus
Man kann sich ja auch mal fragen, warum der Wanderprediger selbst nichts geschrieben hat, wenn er ja angeblich des Lesens und Schreibens mächtig war.
"Warum s c h r i e b Christus nicht, wenn er die Evangelien wollte"?
(Friedrich Hebbel, dt. Schriftsteller & Dichter, 1813-1863)

Dafür kann es mehrere Gründe geben:

1. Jesus konnte weder lesen noch schreiben

2. Jesus hat etwas geschrieben, aber es ging verloren oder wurde absichtlich vernichtet

3. Jesus konnte schreiben, hielt es aber auf Grund der nahen Gottesherrschaft nicht mehr für nötig, etwas aufzuschreiben

4. Jesus ist eine rein literarische Figur


Also im ungünstigsten Fall ist Jesus eine literarische Fiktion, im günstigsten ist er ein Wanderprediger, der sich geirrt hat.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1144 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von 2Lena » So 21. Aug 2016, 09:29

"Warum s c h r i e b Christus nicht, wenn er die Evangelien wollte"?
(Friedrich Hebbel, dt. Schriftsteller & Dichter, 1813-1863)

Weil er MEHR lehrte.
Es liegt am Leben, nicht an ein paar geschriebenen Zeilen, die anderen zur Behauptung um die Ohren geschlagen wurden ...
Jesus sagte "viel". Er wirkte Wunder, erklärte von ganz einfach bis hin zu bis heute noch unfassbaren Dingen.
Sieh das Johannesevagelium ... Nur der erste Satz steckt so voller Geheimnisse, dass sie jemand, der die Auslegung nicht kennt - schier als Nichts vorkommen, während dem anderen Tage nicht ausreichen, um die Zusammenhänge auch nur annähernd zu erfassen.

Sven23, du hast wirklich "null Ahnung".
Mit etwas "Gefühl" müsstest du schlichtweg erkennen, dass die "Kirchenreste" aus großen Erfahrungen herkommen. Alles ist von etwas entstanden. Gehst du verkehrt (ohne Plan) ins Labyrinth, kommst du nicht raus.

So ein Blödsinn, die Bestätigung an ein paar "schriftliche" Beweise fixieren zu wollen!

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#1145 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » So 21. Aug 2016, 09:34

sven23 hat geschrieben:Da die kanonische Exegese per Definition gar nicht zwischen echten und unechten Herrenworten unterscheiden will
Entweder es sind "Herrenworte" (alias "authentische Aussagen zu Gott") oder nicht. Es gibt Deine Unterscheidung nicht.

sven23 hat geschrieben:Diese Rezeption wird von der kanonischen Exegese aber als authentisch zu Jesus vorrausgesetzt.
Da gibt es, wie mehrfach gesagt, auch bei mir Reibungen. Mir wäre lieber die Formulierung "Es gibt authentische Versuche, Jesu Willen verbal zu beschreiben, was aber mit heilsgeschichtlich notwendigen Irrungen vermischt ist". - Ich weiß, dass das ein kompliziertes Thema ist, welches aber bei entsprechender Vogelschau dann doch wieder ziemlich einfach wird.

sven23 hat geschrieben:Einerseits sagst du, die Evangelien seien ja "nur" Rezeption, andererseits sei die kanonische Exegese ja gar nicht an der Rezeption interessiert.
Wie gesagt: Das löst sich erst bei entsprechender Sichtweise auf. - Die kanonische Exegese interessiert sich für das, was auf Jesus hinweist, aber nicht für Kontaminierungen im Text oder dessen Überlieferung.

Das ist natürlich eine heisse Sache, da auch der kanonischen Exegese nur die Texte vorliegen. - Erklärbar ist dies durch eine umfassende Hermeneutik, in der mit der Zeit ein großes Bild entsteht, in dem einzelne Puzzles falsch eingesetzt sind. - Wie man das methodisch in den Griff kriegen soll, weiss ich auch nicht - letztlich läuft es heraus auf "Solus Spiritus". Entweder man checkt's oder nicht - was natürlich KEINE wissenschaftliche Aussage ist. - Aber was nützt Wissenschaft, wenn sie nicht an die wesentlichen Punkte rankommt?

sven23 hat geschrieben:Dann solltest du vielleicht mal mit jungen Theologen sprechen, die in der Forschung arbeiten. Und "durch" ist das Thema nur insofern, als dass die Naherwartung innerhalb der Forschung breiter Konsens ist. (siehe Theißen)
Da ist was dran. - Ich befürchte in der Tat, dass viele Theologen ihren fehlenden Spiritus durch Wissenschaft auffüllen wollen und damit brutal auf die Schnauze fallen - es ist kein Wunder, dass die Abbrech-Quote bei Theologie sehr hoch ist.

Insofern könnte es - gerade vor dem Hintergrund unserer heutigen gesellschaftlichen Formatierung - tatsächlich zu einer Entwicklung in "Deinem" Sinne kommen. Dann würde (West-)Europa endgültig zur geistigen Diaspora werden. - Wir sind mitten in einem Glaubenskrieg.

sven23 hat geschrieben:Man kann sich ja auch mal fragen, warum der Wanderprediger selbst nichts geschrieben hat, wenn er ja angeblich des Lesens und Schreibens mächtig war.
Meine persönliche Antwort: Weil er hätte schreiben können, was er will, und nicht verstanden worden wäre - weil zum Verständnis eine innere Veränderung des Lesers nötig ist. - Also lässt sich Jesus unkontaminiert, indem er schreiben lässt.

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#1146 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Pluto » So 21. Aug 2016, 10:17

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Da die kanonische Exegese per Definition gar nicht zwischen echten und unechten Herrenworten unterscheiden will
Entweder es sind "Herrenworte" (alias "authentische Aussagen zu Gott") oder nicht. Es gibt Deine Unterscheidung nicht.
Es kann deshalb keine Unterscheidung geben, weil die "Definitionen" der kanonischen Exegese frei erfunden und zu Dogmen erhoben wurden.

Mir scheint du setzt hier Existenzen voraus, die nicht nachgewiesen werden können.
Bevor nicht die Existenz eines Herrn, oder eines Gottes nachgewiesen sind, bleiben "Herrenworte" und "authentische Aussagen von Gott" Produkte der menschlichen Phantasie und haben somit keine Daseinsberechtigung.
Also... erst der Nachweis... dann die Setzung der Unterscheidung. Ansonst spannst du das Ross vor den Karren.

closs hat geschrieben:Erklärbar ist dies durch eine umfassende Hermeneutik, in der mit der Zeit ein großes Bild entsteht, in dem einzelne Puzzles falsch eingesetzt sind.
Hermeneutik ist der Versuch in Texten Deutungen zu suchen, die möglicherweise gar nicht vorhanden sind.

closs hat geschrieben:Wie man das methodisch in den Griff kriegen soll, weiss ich auch nicht
Niemand weiß es.

closs hat geschrieben:Entweder man checkt's oder nicht
Na, na... ist das wider der Versuch sich auf ein moralisch höheres Podest zu erheben?

closs hat geschrieben:Aber was nützt Wissenschaft, wenn sie nicht an die wesentlichen Punkte rankommt?
Zustimmung. Wissenchaft fordert, dass es auch etwas zu erforschen gibt.

closs hat geschrieben:Wir sind mitten in einem Glaubenskrieg.
Wenn es jemals ein Glaubenskrieg war, dann ist dieser "Krieg' schon seit dem geistigen Tod der Teleologie entschieden.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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sven23
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#1147 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » So 21. Aug 2016, 10:59

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Da die kanonische Exegese per Definition gar nicht zwischen echten und unechten Herrenworten unterscheiden will
Entweder es sind "Herrenworte" (alias "authentische Aussagen zu Gott") oder nicht. Es gibt Deine Unterscheidung nicht.
Es ist nicht meine Unterscheidung, sondern die der Forschung. Und sie hat natürlich recht, wenn sie versucht, diese Unterscheidung zu treffen. So lassen sich die Entwicklungen und Veränderungen (Kontaminierungen) in einem schlüssigen, nachvollziehbaren und plausiblen Gesamtkonzept darstellen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Einerseits sagst du, die Evangelien seien ja "nur" Rezeption, andererseits sei die kanonische Exegese ja gar nicht an der Rezeption interessiert.
Wie gesagt: Das löst sich erst bei entsprechender Sichtweise auf. - Die kanonische Exegese interessiert sich für das, was auf Jesus hinweist, aber nicht für Kontaminierungen im Text oder dessen Überlieferung.
Wie will die kanonische Exegese Kontaminierung feststellen, wenn sie sich gar nicht für die ursprüngliche Bedeutung eines Textes interessiert und diesen noch als irrtumsfrei proklamiert?


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Man kann sich ja auch mal fragen, warum der Wanderprediger selbst nichts geschrieben hat, wenn er ja angeblich des Lesens und Schreibens mächtig war.
Meine persönliche Antwort: Weil er hätte schreiben können, was er will, und nicht verstanden worden wäre - weil zum Verständnis eine innere Veränderung des Lesers nötig ist. - Also lässt sich Jesus unkontaminiert, indem er schreiben lässt.
Warum unkontaminiert? Du behauptest doch selber, dass die Naherwartung Kontamination durch die Schreiber war. Auch hier hat die kanonische Exegese ein Problem. Sie muss erklären, warum die als irrtumsfrei vorrausgetzten Jesusworte: "ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen..." ein Irrtum waren.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1148 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Münek » So 21. Aug 2016, 12:23

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Dann solltest du vielleicht mal mit jungen Theologen sprechen, die in der Forschung arbeiten. Und "durch" ist das Thema nur insofern, als dass die Naherwartung innerhalb der Forschung breiter Konsens ist. (siehe Theißen)
Da ist was dran. - Ich befürchte in der Tat, dass viele Theologen ihren fehlenden Spiritus durch Wissenschaft auffüllen wollen und damit brutal auf die Schnauze fallen - es ist kein Wunder, dass die Abbrech-Quote bei Theologie sehr hoch ist.
In der bibelwissenschaftlichen Forschung hat der "Spiritus" im Schrank zu bleiben. Wissenschaft wird nüchtern betrieben. :)

Im Übrigen blendest du aus, dass an den Fakultäten neben der Bibelexegese auch Fundamentaltheologie und Dogmatik
gelehrt wird. Hier kann der gläubige Student "geistlich" aus dem Vollen schöpfen. Ist halt nur keine Wissenschaft.

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#1149 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Münek » So 21. Aug 2016, 12:29

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Da die kanonische Exegese per Definition gar nicht zwischen echten und unechten Herrenworten unterscheiden will
Entweder es sind "Herrenworte" (alias "authentische Aussagen zu Gott") oder nicht. Es gibt Deine Unterscheidung nicht.
Selbstverständlich wird in der historisch-kritischen Exegese zwischen (höchstwahrscheinlich) "echten" und "unechten" Worten Jesu unterschieden. Das lernen die Studenten schon im ersten Semester.

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#1150 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » So 21. Aug 2016, 18:34

sven23 hat geschrieben: Und sie hat natürlich recht, wenn sie versucht, diese Unterscheidung zu treffen.
Sie hat im Sinne ihrer Methodik recht - aber was WIRKLICH ist, weiss sie doch nicht.

sven23 hat geschrieben:Wie will die kanonische Exegese Kontaminierung feststellen, wenn sie sich gar nicht für die ursprüngliche Bedeutung eines Textes interessiert?
Du hältst hartnäckig an Deinem Missverständnis fest. Die kanonische Exegese ist am Ursprung in Jesus interessiert und nur sekundär am Ursprung in der Rezeption.

sven23 hat geschrieben:Sie muss erklären, warum die als irrtumsfrei vorrausgetzten Jesusworte: "ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen..." ein Irrtum waren.
Das wurde ganz sicher meterweise gemacht. - Kirchlich-theologisch ist das "nahe Gottesreich" durch Jesus selbst garantiert - bzw. durch seine Auferstehung - also das, was man "Erlösung" nennt. - So einfach wäre es eigentlich.

Münek hat geschrieben:In der bibelwissenschaftlichen Forschung hat der "Spiritus" im Schrank zu bleiben.
Diesen Verdacht habe ich schon lange - lass uns den Geist austreiben, um die Bibel zu interpretieren. :devil:

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