Alles Teufelszeug? III

Pluto
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#1131 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Pluto » Sa 20. Aug 2016, 10:48

closs hat geschrieben: aber wir haben hier im Forum ja eindrucksvoll gezeigt, dass man "Nahes Gottesreich" komplett unterschiedlich versteht.
Für mich bedeutet "nah" immer noch kurz bevorstehend, und nicht irgendwann oder in weiter Ferne.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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sven23
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#1132 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von sven23 » Sa 20. Aug 2016, 11:14

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: wenn man schon den biografischen Jesus nicht mehr rekonstruieren kann, dann laßt uns doch den biblischen, christlichen Jesus als den echten, historischen annehmen.
Da ist was dran - allerdings nur dann, wenn man Deinen Satz dementsprechend interpretiert. - Ich würde es so ausdrücken:

"Wenn man schon den biografischen Jesus nicht mehr rekonstruieren kann, dann lasst uns den geistig schlüssigen Jesus zur Grundlage nehmen, der dann auch der historische Jesus ist, WENN Jesus geistig richtig erschlossen wurde".
Die Forschung hat heute einen anderen Ansatz. Wenn der biografische Jesus nicht mehr rekonstruierbar ist, dann sollte man auch keine Versuche in dieser Richtung machen. Man sollte sich auf die Quellen beschränken und die zeigen nun mal in ziemlicher Deutlichkeit die Naherwartung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Der Pradigmenwechsel lag z. B. in der Thoraverschärfung und vor allem darin, dass Jesus das nahe Gottesreich verkündete.
Stimmt - aber wir haben hier im Forum ja eindrucksvoll gezeigt, dass man "Nahes Gottesreich" komplett unterschiedlich versteht.
Ich habe weder hier noch anderswo eine überzeugende Erklärung gelesen, von "eindrucksvoll" ganz zu schweigen. :lol:
Es gibt keine ebenbürtige Entgegnung zu Naherwartung. Hier wird auch der Schwachpunkt der kanonischen Exegese deutlich, weil sie sich nicht für die ursprüngliche Bedeutung eines Textes und seine Entwicklung interessiert.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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closs
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#1133 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Sa 20. Aug 2016, 12:21

sven23 hat geschrieben:Wenn der biografische Jesus nicht mehr rekonstruierbar ist, dann sollte man auch keine Versuche in dieser Richtung machen.
Eigentlich werden diese Versuche in der Theologie auch nicht ernsthaft gemacht. Man versucht dort, die Wirklichkeit Jesu geistig zu erschließen, um dann zu sagen: "Wenn das der wirkliche Jesus ist, ist er automatisch derjenige, der vor 2000 Jahren gelebt hat, also ist es dann auch der historische Jesus". - Aber man meint damit nicht den historisch-kritischen Jesus, weil die methodische Grundlage eine andere ist.

sven23 hat geschrieben:Man sollte sich auf die Quellen beschränken und die zeigen nun mal in ziemlicher Deutlichkeit die Naherwartung.
In jeder Hinsicht zu flach. - Die Quellen sagen in erster Linie etwas über die Jesus-Rezeption aus - und an der Naherwartungs-Diskussion sieht man überdeutlich, in welche Irrung es führen kann, wenn man rezeptionelle Schlussfolgerungen im Sinne der HKM zieht.

Im Grunde gibt es nicht den "historischen" Jesus, sondern den "historisch-kritischen" Jesus und den "hermeneutischen" Jesus. Im besten Fall stimmen beide überein. - Aus meiner Sicht hat der hermeneutische Weg weit mehr Chancen, den wirklichen Jesus und somit auch den historischen Jesus zu ermitteln. - Aber auch hier gilt: Es ist eine Sisyphos-Arbeit, die nie zu Ende geht.

sven23 hat geschrieben:Es gibt keine ebenbürtige Entgegnung zu Naherwartung.
Doch - und wie. Aber sie ist im säkularen Portfolio nicht vorgesehen.

sven23 hat geschrieben: Hier wird auch der Schwachpunkt der kanonischen Exegese deutlich, weil sie sich nicht für die ursprüngliche Bedeutung eines Textes und seine Entwicklung interessiert.
Die kanonische Exegese ist orientiert an der ursprünglichen Bedeutung dessen, was Jesus gesagt und gemeint hat, und versucht dies hermeneutisch (selbstverständlich mit Hilfe der Texte) zu ermitteln. - Sie ist NICHT primär interessiert an der Rezeption von Jesus.

Konkret: Der kanonischen Exegese ist es wichtiger, was Jesus meint, als das, was Paulus über Jesus meint. - Nur dann, wenn Du "Ursprung" mit "Rezeption" gleichsetzt, hast Du recht. Die kanonische Exegese setzt aber Jesus selbst als Ursprung.

Pluto hat geschrieben:Für mich bedeutet "nah" immer noch kurz bevorstehend, und nicht irgendwann oder in weiter Ferne.
Das ist EINE Bedeutung, die aber diesem komplexen Thema nicht gerecht wird (Wenn Du einer Frau "nah" bist, hat dies eine ganz andere Bedeutung). - Dazu kommt: Natürlich meint Jesus dies tatsächlich auch zeitlich - aber eben nicht in einer apokalyptischen Wiederkunft. - Und dann kommt die Rezeption, die es teilweise wie Du und teilweise wie Jesus versteht - und schon wird es schwierig.

Die Wissenschaft müsste sich hier beschränken auf Aussagen wie:
Es gibt Rezipienten (alias Textverfasser), die es "so" oder "so" verstehen. Die Wissenschaft kann NICHT eingreifen in Fragen, was Jesus selbst gemeint hat - das ist eine rein geistige Baustelle.

Pluto
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#1134 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Pluto » Sa 20. Aug 2016, 12:52

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Für mich bedeutet "nah" immer noch kurz bevorstehend, und nicht irgendwann oder in weiter Ferne.
Das ist EINE Bedeutung, die aber diesem komplexen Thema nicht gerecht wird
Das ist DIE Bedeutung, die dem Thema am gerechtesten wird.

closs hat geschrieben:Wenn Du einer Frau "nah" bist, hat dies eine ganz andere Bedeutung.
Naja... zumindest bedeutet es nicht, dass ich ihr fern bin. ;)

closs hat geschrieben:Dazu kommt: Natürlich meint Jesus dies tatsächlich auch zeitlich - aber eben nicht in einer apokalyptischen Wiederkunft.
Diese "dazu kommt" halte ich für eine reine Erfindung, die sich mit nichts begründen lässt.

closs hat geschrieben:Und dann kommt die Rezeption, die es teilweise wie Du und teilweise wie Jesus versteht - und schon wird es schwierig.
Die Rezeption ist hier ein reiner Glaubensentscheid, so wie die Himmelfahrt von Maria.

closs hat geschrieben:Die Wissenschaft kann NICHT eingreifen in Fragen, was Jesus selbst gemeint hat - das ist eine rein geistige Baustelle.
Aber das tut doch die Wissenschaft gar nicht. Sie stellt nur fest, was in den Evangelien geschrieben steht. Der Rest (Rezeption, usw.) ist reiner Glaube.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1135 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Sa 20. Aug 2016, 13:14

Pluto hat geschrieben:Das ist DIE Bedeutung, die dem Thema am gerechtesten wird.
Offensichtlich sieht dies die kirchliche Theologie anders.

Pluto hat geschrieben:Die Rezeption ist hier ein reiner Glaubensentscheid, so wie die Himmelfahrt von Maria.
So ist es. DASSELBE wird je nach weltanschaulichem Glaubensentscheid anders gedeutet.

Pluto hat geschrieben:Aber das tut doch die Wissenschaft gar nicht.
Doch. - Denn sie sagt nicht "Es sieht so aus, als habe Paulus mindestens zeitweise selber eine Naherwartung gehabt", sondern "Jesus hatte eine Naherwartung".

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#1136 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Pluto » Sa 20. Aug 2016, 17:49

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das ist DIE Bedeutung, die dem Thema am gerechtesten wird.
Offensichtlich sieht dies die kirchliche Theologie anders.
Ja. Aber auch die Theologie ist nicht unfehlbar.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Die Rezeption ist hier ein reiner Glaubensentscheid, so wie die Himmelfahrt von Maria.
So ist es. DASSELBE wird je nach weltanschaulichem Glaubensentscheid anders gedeutet.
Nein. Denn die Wissenschaft ist ergenisoffen und braucht keinen Glaubensentscheid.

closs hat geschrieben:Denn sie sagt nicht "Es sieht so aus, als habe Paulus mindestens zeitweise selber eine Naherwartung gehabt", sondern "Jesus hatte eine Naherwartung".
Exakt so ist es auch. Warum verteidigst du eine nicht haltbare Position?

Es ist unmöglich zu leugnen, dass die Evangelien von einer Naherwartung Jesus' erzählen. Aber Jesus hat sich offenbar geirrt. Daraufhin haben Leute wie Paulus zurück gerudert, und, als weiterhin nichts geschah, die Parusie in zunehmend weitere Ferne gerückt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1137 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von closs » Sa 20. Aug 2016, 20:46

Pluto hat geschrieben:Aber auch die Theologie ist nicht unfehlbar.
Stimmt - deshalb gibt es auch dort Entwicklung.

Pluto hat geschrieben:Exakt so ist es auch. Warum verteidigst du eine nicht haltbare Position?
Weil sie falsch ist. - Die Aussage "Jesus hatte eine Naherwartung" ist in hohem Maße wissenschaftlich undiszipliniert.

Pluto hat geschrieben:Es ist unmöglich zu leugnen, dass die Evangelien von einer Naherwartung Jesus' erzählen.
Richtig - aber was ist damit gemeint? Was meint Bibelstelle 1 damit, was meint Bibelstelle 12 damit? - Wie entwickelt sich die diesbezügliche Erkenntnis der Verfasser mit der Zeit? - Welcher Erkenntnisstand der Verfasser ist der Meinung Jesu am nächsten?

Ich habe mit alten Theologen gesprochen, die bereits in den 50er Jahren in der Uni die Naherwartung thematisiert haben. Bereits damals war klar, dass man zwischen Jesu NT-Botschaft und deren Verständnis durch die Jünger unterscheiden muss. Innerhalb der kirchlichen Theologie ist dieses Thema seit Studenten-Generationen durchdacht und gegessen - man wundert sich, dass immer noch darüber gesprochen wird.

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Halman
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#1138 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Halman » Sa 20. Aug 2016, 22:48

Pluto hat geschrieben:Es ist unmöglich zu leugnen, dass die Evangelien von einer Naherwartung Jesus' erzählen. Aber Jesus hat sich offenbar geirrt. Daraufhin haben Leute wie Paulus zurück gerudert, und, als weiterhin nichts geschah, die Parusie in zunehmend weitere Ferne gerückt.
Dies ist eine mögliche Darstellung. Von mir hast Du dies allerdings nicht.

Offenbar ist mir ja etwas Umögliches gelungen, nämlich in Zweifel zu ziehen, dass Jesus gem. den Evangelien tatsächlich an einer Naherwartung glaubte. Auch zu Paulus hatte ich diesbezüglich wiederholt Stellung bezogen.
Daraus, dass dies hier von der "kritischen Frakion" nicht akzeptiert wird, folgt nicht, dass meine Argumente nicht diskutabel wären. Sie werden schlicht und ergreifend quasi-dogmatisch abglehnt. Hoch zu Ross, so empfinde ich dies jedenfalls.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#1139 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Pluto » Sa 20. Aug 2016, 23:08

Halman hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Es ist unmöglich zu leugnen, dass die Evangelien von einer Naherwartung Jesus' erzählen. Aber Jesus hat sich offenbar geirrt. Daraufhin haben Leute wie Paulus zurück gerudert, und, als weiterhin nichts geschah, die Parusie in zunehmend weitere Ferne gerückt.
Dies ist eine mögliche Darstellung.
Richtig. Wer diese Darstellung leugnet, kennt die Bibel nicht.

Halman hat geschrieben:Offenbar ist mir ja etwas Umögliches gelungen, nämlich in Zweifel zu ziehen, dass Jesus gem. den Evangelien tatsächlich an einer Naherwartung glaubte. Auch zu Paulus hatte ich diesbezüglich wiederholt Stellung bezogen.
Ja.
Weil nichts geschah, hat Paulus versucht die Ehre seines "Chefs" zu retten und die Parusie immer weiter weg gerückt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1140 Re: Alles Teufelszeug? III

Beitrag von Halman » Sa 20. Aug 2016, 23:22

Pluto hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Es ist unmöglich zu leugnen, dass die Evangelien von einer Naherwartung Jesus' erzählen. Aber Jesus hat sich offenbar geirrt. Daraufhin haben Leute wie Paulus zurück gerudert, und, als weiterhin nichts geschah, die Parusie in zunehmend weitere Ferne gerückt.
Dies ist eine mögliche Darstellung.
Richtig. Wer diese Darstellung leugnet, kennt die Bibel nicht.
Tja, ich kenne die Bibel besser und zweifle diese Darstellung an.

Pluto hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Offenbar ist mir ja etwas Umögliches gelungen, nämlich in Zweifel zu ziehen, dass Jesus gem. den Evangelien tatsächlich an einer Naherwartung glaubte. Auch zu Paulus hatte ich diesbezüglich wiederholt Stellung bezogen.
Ja.
Weil nichts geschah, hat Paulus versucht die Ehre seines "Chefs" zu retten und die Parusie immer weiter weg gerückt.
Von mir hast Du dieser Darstellung allerdings nicht.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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