Alles Teufelszeug? II

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sven23
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#111 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Sa 12. Mär 2016, 10:00

Münek hat geschrieben: Nach Ratzingers Auffassung setzt die kanonische Exegese einen deutlichen "Glaubensentscheid" voraus. Damit meint er,
dass die "wirkliche Auslegung" der Texte nur dann erfolgen kann, wenn der Glaube, aus dem sie geschrieben sind und den
sie bezeugen, von den Exegeten angenommen und geteilt wird. Mit dieser Methodenwahl setzt er sich aber klar von der historisch-kritischen Auslegung und damit von der Wissenschaft ab. Seine favorisierte Methode ist unwissenschaftlich.
Auch sehr gut erklärt. :clap:
Ich verstehe nicht, warum das so schwer zu begreifen ist. :shock:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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SilverBullet
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#112 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von SilverBullet » Sa 12. Mär 2016, 10:01

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Descartes hatte nachweislich keine Erkenntnis, denn er hat sein „Ergebnis“ in der Einleitung ja bereits verraten: „ich bin ein von Gott geschaffener Geist“.
Auch ohne Gott hat er mit seiner Aussage recht, dass Wahrnehmung nicht unterscheiden kann, ob sie ein Äußeres oder eine eigene Vorstellung wahrnimmt - genauso wenig wie man sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen kann.
Falsch, wir haben einen Mechanismus zur Unterscheidung und wir unterscheiden „wie die Weltmeister“ – kein Problem.
Es wäre eher ein Problem es nicht mehr zu unterscheiden – siehe Indien-Beispiel.
Wir können die Korrektheit lediglich nicht beweisen.

In diesem Verhältnis aus „es nicht wissen“ aber „es unterscheiden zu müssen“ liegt die Tatsache begründet, dass es dabei keinen freien Willen gibt.

Wenn nun das christliche Weltbild die Wirklichkeits-Unterscheidung umgehen möchte, ist das zwar sehr lustig, aber es taugt nicht für Menschen.
Wenn man sich die (durchschnittliche) christliche Religion ansieht, fällt deshalb auch auf, dass es ein „Übergewichtung der Gemeinschaft“ gibt, wobei die „Unsichtbarkeit/Unwirklichkeit der eigentlichen Behauptung“ durch viele handfeste Rituale vertuscht werden soll.
Zu was sollen die gigantische Bauten, Zeremonien, Lieder und Veranstaltungen gut sein?
Für den Verzicht auf die Wirklichkeits-Unterscheidung?
Nein, all diese „Dinge“ wurden entwickelt, um der menschlichen Wirklichkeits-Unterscheidung handfest zu entsprechen!

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Die Wahrnehmung jedoch, kann nicht anders, als mit ihren festgelegten Funktionen, Zusammenhänge als Wirklichkeit zu verwalten.
Und wenn Du nur träumen würdest? - Dann würdest Du die Traum-Wirklichkeit verwalten, nicht wahr?
Ich verstehe ja, dass Philosophen mehr sein wollen, als sie sind und dass das christliche Weltbild den Anhängern die Wirklichkeit vorschreiben möchte, aber es funktioniert halt nicht.

Das Erstaunliche dabei ist:
es funktioniert nicht, weil es die Menschen nicht wollen, sondern weil sie es „nicht können“ können – es geht nicht.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Ansonsten hätte man nicht den lustigen Slogan „Unterscheidung der Geister“ erfunden.
Das ist eher ein Argument dafür, dass es unterschiedliche Einflüsse aus der geistigen Welt gibt - also wahrnehmungs-unabhängige Einflüsse.
Nein, das ist doch kein „Argument“, sondern lediglich eine Behauptung.

Wenn das für dich bereits ein Argument ist, dann gibt es auch viele „Argumente für Monster unter dem Bett“.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Es wurde keine Wahrnehmungsunabhängigkeit festgestellt – kein Zusammenhang mit den eigenen Reaktionen.
Also ist es für das passive Kätzchen keine Wirklichkeit - nur wir sehen es auf der Meta-Ebene.
Wir haben keine „Metaebene“.
Wir haben lediglich mehr Interaktion durchgeführt.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Das kann nicht auf mich zutreffen sein, weil ich keine Ahnung habe, was „Gott“ sein soll
Das ist wurscht - streng genommen bist Du auch ein A-Theist, nur halt kein Anti-Theist. - Man ist "a", wenn man überhaupt keinen Bezug schafft - man ist "anti", wenn man Bezug schafft und sich bewusst distanziert.
Es gibt wohl mehrere Interpretationen dieser Begriffe.

Tatsache ist jedoch, dass sie keinen Sinn machen, denn sie wollen eine Existenzbewertung in Bezug zu einem Inhalt ausdrücken. Da aber gar kein Inhalt vorliegt, stehen diese Begriffe nur für eine Denktäuschung.

Weil ich diese Täuschung nicht mitmache, möchte ich eine eigene Schublade haben :-)

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Tatsache ist, dass der Mensch festgelegt ist
Das nennt man "Setzung" - in anderen Bereichen nennt man es "Kalibrierung".
Nein, es „Setzung“ zu nennen, ist falsch, weil ich nicht feststellen kann, dass ich hierbei aktiv bin. Der Vergleich mit der Entscheidung für ein philosophisch/religiöses Weltbild hinkt somit gewalltig, weil es dort klar meine Setzung ist.

„Kalibrierung“ ist auch falsch, weil meine grundlegenden Wahrnehmungsfunktionen nicht ausgerichtet wurden – ich kann nicht erkennen, dass ich jemals eine andere Möglichkeit hatte, mit den Wahrnehmungsinhalten umzugehen, als sie auf Basis von Interaktion und Wahrnehmungsunabhängigkeit über „Wirklichkeit“ und „Nicht-Wirklichkeit“ zu verwalten.

Die menschliche Wahrnehmung ist von Anfang an festgelegt (siehe Neugeborenenforschung)

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:und dass diese Festlegung gegen das christliche Weltbild spricht.
Nein - Gott ist eine wahrnehmungsunabhängige Größe.
Nein, „Gott“ ist eine Frage und somit nichts anderes als wahrnehmungsabhängig.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben: „Christliche Entitäten“ sind dort „zu (er)finden“, wo der Mensch keine Wirklichkeit erkennt
Entitäten SIND Wirklichkeit.
Nein, „christliche Entitäten“ werden nicht als Wirklichkeit erlebt.
Übung:
1. Entziehe einem Tisch den Wirklichkeitsstatus und laufe durch ihn hindurch.
2. Entziehe einer „christlichen Entität“ den Wirklichkeitsstatus und beachte sie nicht („laufe durch sie hindurch“).
Welche Unterschiede stellst du fest?

Zitat-closs: „Da sie aber im geistigen Bereich mit menschlichen Bordmitteln nicht intersubjektiv nachweisbar sind

So etwas müsste für dich ein Warnsignal sein, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um keine Interaktion und keine Wahrnehmungsunabhängigkeit handelt
=> keine Wirklichkeit.

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#113 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » Sa 12. Mär 2016, 10:22

SilverBullet hat geschrieben:Falsch, wir haben einen Mechanismus zur Unterscheidung
Ja - aber dies impliziert auch geistige Dinge.

Wie funktioniert Dein Mechanismus, wenn bspw. jemand seit Geburt blind und taub ist? - Sieht oder hört er durch Deine Mechanismen?

SilverBullet hat geschrieben: das ist doch kein „Argument“, sondern lediglich eine Behauptung.
Es ist sehr wohl ein Argument, jedoch - wie bei allem Nicht-Naturalistischen - nicht falsifizierbar. - Wir sollten uns davon verabschieden, eigene Wahrnehmung als Maßstab für Wirklichkeit zu verstehen. - WAS wir wahrnehmen, ist Wirklichkeit - aber was wir NICHT wahrnehmen, ist deshalb noch lange KEINE Wirklichkeit.

SilverBullet hat geschrieben:Da aber gar kein Inhalt vorliegt, stehen diese Begriffe nur für eine Denktäuschung.
Dein "da aber" ist eine Behauptung aus DEINEM ins Auge gefassten Segment der Wahrnehmung.

SilverBullet hat geschrieben:1. Entziehe einem Tisch den Wirklichkeitsstatus und laufe durch ihn hindurch.
Auch wenn unsere Wahrnehmung nur Vorstellung wäre, könnte man nicht durch den Tisch durchlaufen. Somit ist dieses Beispiel nicht tauglich.

SilverBullet hat geschrieben:Entziehe einer „christlichen Entität“ den Wirklichkeitsstatus und beachte sie nicht („laufe durch sie hindurch“).
Welche Unterschiede stellst du fest?
Steche Dir die Augen aus und versuche zu gucken - was siehst Du dann?

SilverBullet hat geschrieben:So etwas müsste für dich ein Warnsignal sein, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um keine Interaktion und keine Wahrnehmungsunabhängigkeit handelt
Dieser Schlussfolgerung liegt die falsche Prämisse zugrunde, dass Wirklichkeit sich daran bemisst, ob sie jeder checkt. - Siehe oben: "Wir sollten uns davon verabschieden, eigene Wahrnehmung als Maßstab für Wirklichkeit zu verstehen".

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Savonlinna
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#114 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Sa 12. Mär 2016, 10:43

sven23 hat geschrieben:
Die kanonische Exegese ist ja noch relativ jung
Sie ist sehr viel älter als die historisch-krititische Methode.
Gerade darum wurde ja die historisch-kritische Methode entwickelt, um ein Gegenmodell zur kanonischen Exegese zu sein.

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#115 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Sa 12. Mär 2016, 10:53

Savonlinna hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:
Die kanonische Exegese ist ja noch relativ jung
Sie ist sehr viel älter als die historisch-krititische Methode.
Gerade darum wurde ja die historisch-kritische Methode entwickelt, um ein Gegenmodell zur kanonischen Exegese zu sein.

Du verwechselst das mit allgemeiner Bibelexegese, die natürlich älter als die historisch-kritische Methode ist. Die kanonische Exegese wurde erst in den 80-er Jahren entwickelt.

"Die Kanonische Exegese wurde in den 1980er Jahren in den USA entwickelt, dort dezidiert als Gegenpol zur historisch-kritischen Methode"
Quelle: Wikipedia
Wie auch immer, in der Leben-Jesu-Forschung spielt die kanonische Exegese aus nachvollziehbaren Gründen keine Rolle.
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#116 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Sa 12. Mär 2016, 11:00

sven23 hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:
Die kanonische Exegese ist ja noch relativ jung
Sie ist sehr viel älter als die historisch-krititische Methode.
Gerade darum wurde ja die historisch-kritische Methode entwickelt, um ein Gegenmodell zur kanonischen Exegese zu sein.

Du verwechselst das mit allgemeiner Bibelexegese
Ich verwechsele da nichts.

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#117 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Sa 12. Mär 2016, 11:08

sven23 hat geschrieben: Wie auch immer, in der Leben-Jesu-Forschung spielt die kanonische Exegese aus nachvollziehbaren Gründen keine Rolle.
Sie kann da ja auch gar keine Rolle spielen, weil beide verschiedene Aufgaben haben. Erstere beschäftigt sich mit der Historie vor Verschriflichung, die andere mit der Historie nach Verschriftlichung.

In der Literaturwissenschaft ist es genauso: die Rezeptionsforschung zum Beispiel des "Faust" setzt in dem Moment ein, wo der "Faust" veröffentlicht ist, sie geht bis heute.
Die historisch-kritische Forschung untersucht die Texte, die vor der Veröffentlichung des "Faust" zum Endzustand des Textes geführt haben.

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#118 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Sa 12. Mär 2016, 11:22

Savonlinna hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Wie auch immer, in der Leben-Jesu-Forschung spielt die kanonische Exegese aus nachvollziehbaren Gründen keine Rolle.
Sie kann da ja auch gar keine Rolle spielen, weil beide verschiedene Aufgaben haben. Erstere beschäftigt sich mit der Historie vor Verschriflichung, die andere mit der Historie nach Verschriftlichung.
Eben, trotzdem versuchte Ratzinger, sie dort irgendwie einzuschleusen. Das mußte mißlingen.
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#119 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Sa 12. Mär 2016, 11:25

sven23 hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Wie auch immer, in der Leben-Jesu-Forschung spielt die kanonische Exegese aus nachvollziehbaren Gründen keine Rolle.
Sie kann da ja auch gar keine Rolle spielen, weil beide verschiedene Aufgaben haben. Erstere beschäftigt sich mit der Historie vor Verschriflichung, die andere mit der Historie nach Verschriftlichung.
Eben, trotzdem versuchte Ratzinger, sie dort irgendwie einzuschleusen. Das mußte mißlingen.
Nein. Ratzinger hat es genauso erklärt wie ich.
LIes einfach mal das Buch.

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#120 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » Sa 12. Mär 2016, 11:57

Vieles in den Schriften der Bibel hat die Forschung als unhistorisch identifiziert. Hier setzt Ratzinger einen Kontrapunkt, indem er den biblischen Jesus als den wahren, historischen Jesus verkaufen will.
Auf der einen Seite lobt er die historisch-kritische Methode, auf der anderen Seite will er ihre Ergebnisse mit Kanonik aushebeln. Beides geht nicht zusammen.
Irgendwie erinnert mich das an die Homöopathie. Einerseits lobt man die wissenschaftlich durchgeführten Doppelblindstudien als unverzichtbar, andererseits ignoriert oder relativiert man die Ergebnisse der Studien, weil man regelmäßig dabei hinten runterfällt.
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