Warum läßt Gott so viel Leid zu?

closs
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#1041 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von closs » Do 16. Jan 2014, 00:18

Pluto hat geschrieben:Neulich hast du fast dieselben Worte für die Sünde verwendet.
Stimmt auch. - Das sind verschiedene Ebenen derselben Grund-Konstellation.

Pluto hat geschrieben:Setzt du damit nicht die Sünde gleich mit Leid?
Beide haben denselben Ursprung, aber sie sind (naheliegenderweise) nicht gleich. - Ob der Mensch sündigt, weiss er oft nicht - Leid spürt er immer.

Pluto hat geschrieben:So leben als ob es Gott nicht gäbe.
Man beachte den Konjunktiv.

Pluto hat geschrieben:... und wo war Gott in Auschwitz?
Die Frage kann nur lauten: Wo war Gott bei jedem Einzelnen in Auschwitz. - Wo war Gott, als neulich bei einem Autounfall jemand im Auto verbrannt ist. - Bezüglich dessen, was zwischen Leidendem und Gott passiert, ist das Dasselbe. - Wir brauchen nicht zu betonen, dass eine historische Bewertung ganz anders aussehen muss.

Demian hat geschrieben:Logisch ist aber, dass es Trennung schlicht und ergreifend nicht geben kann.
Stimmt - aus Sicht Gottes gesehen ist IMMER "Alles in Einem". - Aber eben nicht aus Sicht des Menschen.

Pluto
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#1042 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Pluto » Do 16. Jan 2014, 00:37

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:... und wo war Gott in Auschwitz?
Die Frage kann nur lauten: Wo war Gott bei jedem Einzelnen in Auschwitz. -
Auch gut. Aber die Frage ist nicht beantwortet.
Denn selbst wenn Gott bei jedem einzelnen in Auschwitz war, wie konnte Gott da sein und sich das mitanzehen, ohne Auschwitz zu verhindern?
Gott ist gut, gerecht und allmächtig. Die Bibel erklärt uns aber nicht, wie Gott in seiner Welt solches Leid geschehen lassen konnte. Wie konnte Gott dulden, dass Menschen Auschwitz möglich gemacht haben?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#1043 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von closs » Do 16. Jan 2014, 00:59

Pluto hat geschrieben:Wie konnte Gott dulden, dass Menschen Auschwitz möglich gemacht haben?
Wie kann Gott dulden, dass überhaupt jemand durch Gewalt und Leid zugrunde geht? - DAS ist die geistig relevante Fragen, nicht deren quantitative Multiplizierung.

Grundsätzlich ist Deine Frage richtig - eben die Theodizee-Frage - Antwort-Versuche hatten wir ja schon darauf.

Aber man kann diese Frage nicht quantitativ stellen. - Wer fragt, wo Gott in Auschwitz war, muss auch fragen, wo Gott bei einem x-beliebigen Unfall war. - Nicht, weil das gesellschaftlich/historisch/ethisch/moralisch dasselbe wäre - ist es selbstverstäündlich NICHT. - Aber weil es spirituell dasselbe ist.

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Demian
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#1044 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Demian » Do 16. Jan 2014, 01:05

closs hat geschrieben:Stimmt - aus Sicht Gottes gesehen ist IMMER "Alles in Einem". - Aber eben nicht aus Sicht des Menschen.

Auch aus menschlicher Sicht. Nur unsre Gedanken sind häufig gnadenlos unrichtig und verzerrt. ;)
Die Vorstellungen unsrer Wahrnehmung sind nicht identisch mit dem Sein. Das betonst du selbst sehr häufig, um dann deine Vorstellungen - etwa die das der Mensch von irgendetwas getrennt sein könnte - zu wiederholen.

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#1045 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von closs » Do 16. Jan 2014, 01:08

Demian hat geschrieben:Die Vorstellungen unsrer Wahrnehmung sind nicht identisch mit dem Sein.
Eben - dass meine ich mit "menschliche Sicht".

Pluto
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#1046 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Pluto » Do 16. Jan 2014, 01:19

closs hat geschrieben:Eben - dass meine ich mit "menschliche Sicht".
Eine andere können wir Menschen nicht kennen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1047 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Demian » Do 16. Jan 2014, 01:28

Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:... und wo war Gott in Auschwitz?
Die Frage kann nur lauten: Wo war Gott bei jedem Einzelnen in Auschwitz. -
Auch gut. Aber die Frage ist nicht beantwortet.
Denn selbst wenn Gott bei jedem einzelnen in Auschwitz war, wie konnte Gott da sein und sich das mitanzehen, ohne Auschwitz zu verhindern?
Gott ist gut, gerecht und allmächtig. Die Bibel erklärt uns aber nicht, wie Gott in seiner Welt solches Leid geschehen lassen konnte. Wie konnte Gott dulden, dass Menschen Auschwitz möglich gemacht haben?

Was zeigt uns das? Meiner Ansicht nach im Wesentlichen, dass die Welt immer ein gewisses Maß an Leid beinhaltet. Sie ist leidvoll. Das gehört zu ihrer Polarität dazu. Außerdem zeigt es, dass es keine Trennung gibt. Auch „Täter“ und „Opfer“ sind stets verbunden, wie man an der sicherlich fragwürdigen Politik Israels erkennen kann, die eine Reaktion auf diese historischen Erfahrungen sind. Der Zionismus ist völlig verständlich und eine logische Folge des tragischen Scheiterns der Diaspora. Das musste geschehen, wenn man die gemeinsamen Wurzeln der jüdisch-christlichen, vorallem mit der deutschen Kultur bedenkt. Die jiddische Sprache ist ein deutscher Dialekt; das war ein grauenvolles Trauma für die Juden. Dennoch heute reden wir darüber, als müssten wir uns eine Schuld eingestehen, reden gebetsmühlenartig über Auschwitz. Auch wenn man mal über den Nahostkonflikt nachdenkt. Meine jüdischen Freunde reden interessanter Weise ganz entspannt darüber, nur meine deutschen Zeitgenossen haben mit dieser Entspanntheit gewisse Probleme und verfallen gerne in den moralischen Tonfall. Wer sagt denn, dass die Täter der Shoa nicht in gewisser Weise sich selbst vernichtet haben? Es gibt nur eine Liebe - und es gibt auch nur einen Schmerz. Wir alle tragen alles zusammen, das ist das Gesetz der Nächstenliebe, frei von irgendeiner bestimmten Religion.
Zuletzt geändert von Demian am Do 16. Jan 2014, 04:54, insgesamt 2-mal geändert.

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#1048 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Pluto » Do 16. Jan 2014, 01:45

Demian hat geschrieben:Was zeigt uns das? Meiner Ansicht nach im Wesentlichen, dass die Welt immer ein gewisses Maß an Leid beinhaltet. Sie ist leidvoll. Das gehört zu ihrer Polarität dazu. Außerdem zeigt es, dass es keine Trennung gibt.
Die Frage ist aber nicht, ob es Leid gibt (das gibt es zweifelsfrei). Die eigentliche Frage ist, woher das Leid kommt, und warum Gott es zulässt.

Der Zionismus ist völlig verständlich und eine logische Folge des tragischen Scheiterns der Diaspora.
Deer Zionismus ist eine politische Bewegung, aus der schließlich der Staat Israel hervorging. Was hat das mit dem Urpsrung des Leids zu tun?

Dennoch heute reden wir darüber, als müssten wir uns eine Schuld eingestehen, reden gebetsmühlenartig über Auschwitz.
Da gebe ich dir recht. Aber hier ist Auschwitz nur ein System, was symbolisch für unsägliches Leid steht. Die Frage ist warum Gott mit verschränkten Armen auf das Leid seiner Schöpfung herablickt und nicht einschreitet.

"Wo war Gott in Auschwitz", ist demnach als rhetorische Frage gedacht.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1049 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Demian » Do 16. Jan 2014, 02:26

Deer Zionismus ist eine politische Bewegung, aus der schließlich der Staat Israel hervorging. Was hat das mit dem Urpsrung des Leids zu tun?

Diese Bewegung gab es zwar schon vor der Shoa, aber sie wurde erst durch die Shoa wirkmächtig. Die "Opfer" wurden zu Gestaltern dieser Bewegung, die aber heute, wenn man die Situation des nahen Ostens betrachtet, selbst nicht nur Opfer, sondern auch teilweise zu neuen Tätern geworden sind. Der Schmerz der ihnen zugefügt wurde, diesen Schmerz geben sie weiter. D.h. es gibt keine Trennung zwischen Opfern und Tätern. Wir alle werden ernten, was wir säen - das ist das Prinzip des Karma. Wenn wir Gewalt säen, werden wir Gewalt ernten. Das geschieht heute global überall. Wir können also nicht einfach auf „die Anderen“ deuten, das reicht nicht. „Wer ohne Schuld ist werfe den ersten Stein“ - das ist es. Die Nazis hatten ein sehr aggressives Weltbild mit einem extremen Freund-Feindschema. Die Folge waren die Bücherverbrennung, rassistische und politische Verfolgung nach innen und außen, ein grauenvoller Krieg eine baldige Trümmerlandschaft, sowie ein bis heute andauerndes Problem mit der eigenen Identität, obwohl diese Zeit uns eigentlich nur noch vom Hörensagen bekannt ist. Daran sieht man sehr gut: alles ist verbunden.

Die Frage ist warum Gott mit verschränkten Armen auf das Leid seiner Schöpfung herablickt und nicht einschreitet.

Das ist offenbar ein verkehrtes Gottesbild. Gott ist in diesem Sinne keine Person, die personal eingreifen könnte oder daneben sitzt. Wo würde er da sitzen? Er ist viel mehr das absolute, eine, allumfassende Sein, das sich in allem ausdrückt. Deshalb gibt es – in meiner Perspektive – keine Trennung. Nicht zwischen Mensch und Gott und auch nicht zwischen „Tätern“ und „Opfern“, „guten“ und „bösen“ Menschen. Alles ist verwoben, erlebt sich zusammenhängend und ist auch ein gemeinsamer Lernprozess. Die Christen sprechen von der Heilsgeschichte. Es ist ironisch, aber Michael Schmidt Salomon hat völlig Recht, wenn er sagt, dass das Böse unfreiwillig reproduziert und vom „Guten“ erschaffen wird, solange die Menschen sich von der Vorstellung leiten und leiden lassen, dass es irgendeinen Kampf von einseitig guten und bösen Mächten in der Welt geben könnte. Den gibt es nur in unsren Gedanken, in uns selbst. Die Nazis sind nicht die Inkarnation des Bösen gewesen und die Juden nicht bloße „Opfer“. Das Opfer leidet gewiss - aber was oft vergessen wird: der Täter leidet ebenso, sonst würde er nicht leidvoll handeln. Mt 10,28 Habt keine Angst vor denen, die euch umbringen wollen. Sie können nur euren Körper töten; eure Seele ist für sie unerreichbar. Fürchtet allein Gott, der Leib und Seele in der Hölle vernichten kann. Was aber ist die Hölle? Für mich der Glaube, getrennt sein zu können. Wer ohne Liebe lebt, der ist eigentlich ein wandelnder Toter. Das ist der schlimmste Richtspruch von allen, denn ein solcher Mensch hatte ein leidvolles und kein liebevolles oder wahrhaft glückerfülltes Leben. Glücklich ist aber jemand, der angesichts des Leidens seine Menschlichkeit und Liebe bewahrt, wie Sophie Scholl und Dietrich Bonhoeffer bewiesen haben.

Wenn ein „Täter“ jemanden zum „Opfer“ macht und tötet, dann tötet er das Lebendige in sich selbst. Wenn ich als Betrachter das wahrnehme, dann spüre ich aus Mitgefühl einen Schmerz. Diesen Schmerz kann ich dann entweder zulassen, bewusst wahrnehmen oder unterdrücken, in gewisser Weise „totschweigen“. Wenn ich ihn zulasse, dann ist es so, als würde ich den Schmerz von Täter und Opfer in mir spüren, in mich aufnehmen, umwandeln in etwas Lebendiges, Lebensbejahendes. Dann kann ich auch vergeben und soetwas wie Liebe säen. Wir haben also die Alternative ob wir Auschwitz dadurch Macht geben, dass wir uns an diese Getrenntheit erinnern und sie stärken. Oder die Liebe zu stärken, in dem wir die tiefen, pathologischen Zusammenhänge erkennen und das Leiden darin auflösen und dadurch reifen.

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#1050 Re: Warum läßt Gott so viel Leid zu?

Beitrag von Demian » Do 16. Jan 2014, 05:16

Dichterisch gesagt von meinem Liebling Goethe: „Glaube mir, unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Kloaken minieret, wie eine große Stadt zu sein pflegt; nur wird es dem, der davon einige Kundschaft hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der Erdboden einstürzt, dort einmal ein Rauch aus einer Schlucht aufsteigt, und hier wunderbare Stimmen gehört werden

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