So nah und doch so fern?

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Münek
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#31 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von Münek » Do 8. Aug 2013, 20:22

Hallo zusammen,

im Zentrum der Predigt Jesu stand nach den Evangelien des Markus, Matthäus und Lukas die
Verkündigung des nahe bevorstehenden Kommens des Gottesreiches auf Erden ("weil
die Zeit erfüllt war".)

Jesus hatte wie die jüdischen Apokalypsen und Johannes der Täufer seine Generation als die
letzte betrachtet
(Mark. 9,1 und 13,30, Matth. 10,23).

Das von dem Mann aus Nazareth angekündigte, unmittelbar bevorstehende Reich Gottes ist
nicht gekommen. Da hatte er sich gründlich geirrt. Geirrt haben sich auch diverse neu-
testamentliche angeblich göttlich inspirierte Schriftsteller, die die Wiederkunft (Parusie) des
auferstandenen Herrn noch zu ihren Lebzeiten erwarteten und postulierten (Naherwartung der
Urchristen).

Ebenso wie die Errichtung der Gottesherrschaft ausblieb, fand auch die Ankunft des Menschen-
sohnes nicht statt. Und wegen dieses grandiosen Irrtums machen die heutigen Christen das,
was Jesus vor 2000 Jahren seine Jünger lehrte, nämlich Gott zu bitten:"...Dein Reich komme..."

Doch dieser Zug ist längst abgefahren...

Gruß

Münek

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Münek
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#32 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von Münek » Do 8. Aug 2013, 21:30

Hallo zusammen,

dass der angeblich göttlich inspirierte Apostel Paulus nicht an eine Wiederkunft
Christi erst am "Sanktnimmerleinstag" glaubte, ergibt sich eindeutig aus seinen diesbe-
züglichen Äußerungen.

So gebot er seinen Freund Timotheus in einem Brief, dass dieser "das Gebot" unbe-
fleckt und untadelig bewahre "bis zur Erscheinung unseres Herrn Jesus Christus"
(1. Tim. 6,14). Ein klares Bekenntnis seines Glaubens, dass die Parusie des Menschensohns
in einem nahen überschaubaren Zeitrahmen stattfinden wird.

Paulus selbst hat sein Ableben vor dem Erscheinen des Herrn nicht in Betracht gezogen. Im
Gegenteil! Den Christen in Korinth verriet er - wie er es nannte - ein "Geheimnis" und versi-
cherte ihnen:"Wir werden nicht alle entschlafen..." (1. Kor. 15,51).

Der Verfasser des 1. Johannesbriefes bringt die urchristliche Naherwartung mit folgen-
den Worten auf den Punkt:" Kinder, es ist die letzte Stunde..." (1. Joh. 2,18). Von ei-
ner Parusie in ferner Zukunft, in tausenden von Jahren kann keine Rede sein!

"Denn noch eine kleine, ganz kleine Weile", so versichert der Verfasser des Hebräer-
briefes
seinen Mitchristen, "dann wird der kommen, der kommen soll, und wird nicht auf
sich warten lassen
" (Hebr. 10,37). Auch das eine eindeutige, nicht wegzuerklärende Voraus-
sage und Ankündigung eines unmittelbar bevostehenden Ereignisses.

Ja, die Zeit drängte damals. Auch der Verfasser der Johannes-Apokalypse wies in seinem
Schreiben an die 7 christlichen Gemeinden ausdrücklich darauf hin, dass die offenbarten Gescheh-
nisse "rasch geschehen sollen". Warum? Weil die Zeit nahe ist! (Offb. 1, 1 und 3).

Lieben Gruß

Münek

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Naqual
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#33 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von Naqual » Do 8. Aug 2013, 22:21

Gute Übersicht Münek!

Die haben deswegen auch keine Bibel (bzw. NT) geschrieben, weil sie durch die Naherwartung des Weltendes und des Wiederkommen Christi hierin überhaupt keinen Sinn gesehen hätten. Die Briefe dienten ausschließlich dazu, die damals sehr aufwändigen, kostenspieligen, teils gefährlichen und zeitraubenden Reisen zu vermeiden, ein umfassendes Lehrbuch war damit aber nicht beabsichtigt. Auch die Evangelien wurden mindestens 30 Jahre später angefertigt (und viel später), das war damals eine ganze Generation. Bestrebungen zu einem Kanon NT gab es erst 200 Jahre später.

Das heißt aber auf der anderen Seite auch, dass die bei uns diskutierten strittigen Sätze schon sehr früh unter dem Blickwinkel des ausgefallenen nahen Weltendes gestanden hatten. Wenn die das nicht weiter gestört hat, warum?
Hier kann ich eigentlich nur spekulieren. Man ehrte Paulus immens, hielt ihn aber absolut nicht für unfehlbar. Man lebte anscheinend damit, dass er nicht unfehlbar war. Für heutige Christen ein unvorstellbarer Zustand, Paulus für seine Werke und Analysen immens zu schätzen, ihm gleichzeitig aber auch menschliche Fehler zuzugestehen. Wobei sich das nicht ausschließt.

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Münek
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#34 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von Münek » Do 8. Aug 2013, 22:48

Hallo zusammen,

"Wo ist die Verheißung seiner Wiederkunft?" klagten damals ungeduldige Christen, nachdem Jahrzehnte
ereignislos vergangen und "die Väter entschlafen" waren. Diese Klage griff der Verfasser des 2. Petrusbriefes
auf und beschwichtigte, dass bei dem Herrn tausend Jahre nur wie ein Tag seien und damit keine Parusieverzögerung
vorläge.

Ein mehr als unzureichender Versuch, die aufgewühlten Gemüter zu beruhigen. Wie kam der Verfasser zu dieser
Aussage, die eigentlich nichts "erklärt"? Im Psalm 90,4 preist der Psalmist Gott als den "Ewigen", vor
dem tausend Jahre - natürlich - wie der gestrige Tag sind. Das ist wohl wahr; für den Menschen sind tausend Jahre
gemessen an seiner Lebensspanne ein sehr langer Zeitraum, für ein ewig existierendes Wesen dagegen wie ein "Fin-
gerschnippen"!

Aber diese Einsicht ist für eine Interpretation zeitlicher Angaben in der Bibel ein völlig untaugliches Instrument;
zeitlichen Angaben wohlgemerkt von Menschen für Menschen. Da hat der Verfasser des Petrusbriefes in
seiner offenkundigen Hilflosigkeit unter Rückgriff (Fehlgriff!) auf eine Stelle des "Alten Testaments" ein
Pseudo-Argument
geliefert.

Darüberhinaus steht seine angebliche "Erklärung" natürlich in Widerspruch zu entsprechenden zeitlichen Erwartun-
gen und Einschätzungen der übrigen neutestamentlichen Verfasser, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig
lassen!

Lieben Gruß

Münek

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#35 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von Münek » Do 8. Aug 2013, 23:35

Naqual hat geschrieben:Gute Übersicht Münek!

Die haben deswegen auch keine Bibel (bzw. NT) geschrieben, weil sie durch die Naherwartung des Weltendes und des Wiederkommen Christi hierin überhaupt keinen Sinn gesehen hätten. Die Briefe dienten ausschließlich dazu, die damals sehr aufwändigen, kostenspieligen, teils gefährlichen und zeitraubenden Reisen zu vermeiden, ein umfassendes Lehrbuch war damit aber nicht beabsichtigt. Auch die Evangelien wurden mindestens 30 Jahre später angefertigt (und viel später), das war damals eine ganze Generation. Bestrebungen zu einem Kanon NT gab es erst 200 Jahre später.

Das heißt aber auf der anderen Seite auch, dass die bei uns diskutierten strittigen Sätze schon sehr früh unter dem Blickwinkel des ausgefallenen nahen Weltendes gestanden hatten. Wenn die das nicht weiter gestört hat, warum?
Hier kann ich eigentlich nur spekulieren. Man ehrte Paulus immens, hielt ihn aber absolut nicht für unfehlbar. Man lebte anscheinend damit, dass er nicht unfehlbar war. Für heutige Christen ein unvorstellbarer Zustand, Paulus für seine Werke und Analysen immens zu schätzen, ihm gleichzeitig aber auch menschliche Fehler zuzugestehen. Wobei sich das nicht ausschließt.

Hi Naqual,

ich stimme Dir zu.

Wegen der glühenden Naherwartung der ersten Christen sahen diese verständlicherweise
keinen Grund, einen schriftlichen Bericht vom Leben Jesu und seiner Verkündigung
("Frohe Botschaft", Evangelium), von seinen Lehren und Wundern, seinem Tod und seiner
Auferstehung zu verfassen.

Jesus selbst hat natürlich auch nichts Schriftliches hinterlassen. Warum auch? Er wollte ja als-
bald als richtender Menschensohn mit den Wolken des Himmels wiederkommen (Parusie). Das erste
Evangelium, das Markusevangelium, soll erst gegen 70 n.Chr., also etwa 40 Jahre nach Jesu
Kreuzigung geschrieben worden sein.

Als damals die Briefe des Paulus in den Gemeinden gelesen wurden, wäre kein Mensch auf die
Idee gekommen, diese als "göttlich-inspirierte" Schriften anzusehen. Die These einer "Verbal-
inspiration" der neutestamentlichen Schriften ist eine Erfindung der Kirche in späteren Jahrhun-
derten nach Abschluss eines langwierigen Kanonisierungsprozesses.

Machs gut

Münek
Zuletzt geändert von Münek am Fr 9. Aug 2013, 02:02, insgesamt 1-mal geändert.

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#36 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von Münek » Fr 9. Aug 2013, 01:42

Hallo zusammen,

wenn Jesus zweifelsohne - ohne einen genauen Termin zu nennen oder zu kennen, auf jeden Fall aber noch zu
Zeiten seiner Generation - von einem kurzfristigen Anbruch der Gottesherrschaft auf Erden ausging
(Naherwartung!) und dies auch öffentlich verkündigte ("Frohe Botschaft", Evangelium), diese Prophezeiung
aber bekanntermaßen nicht eintraf
, ist doch zu fragen:

"Wie kann sich Jesus als der von Christen verehrte und bezeugte präexistente Sohn Gottes in einer so zentra-
len Frage des Glaubens derartig geirrt haben?
"

Der bekannteste und einflussreichste evangelische Theologe des 20. Jahrhunderts Rudolf Bultmann fasste vor
einigen Jahrzehnten die diesbezüglichen Erkenntnisse der neutestamentlichen Forschung wie folgt zusammen:

"Es bedarf keines Wortes, dass sich Jesus in der Erwartung des nahen Weltendes getäuscht hat."

Der bekannte katholische Theologieprofessor Hans Küng äußerte sich viele Jahre später zu diesem Thema
etwas anders. Er schrieb:

"Bei der Naherwartung [Jesu] handelte es sich weniger um einen Irrtum Jesu als um eine zeitbedingte, zeitgebundene
Weltanschauung, die Jesus mit vielen seiner Zeitgenossen teilte."

Aha! So ist das! Da drängt sich mir sofort die Frage auf: Wenn Jesus weltanschauliche Irrtümer und Vorurteile
seiner Zeitgenossen teilte, wie steht es denn dann mit der Glaubwürdigkeit anderer zentraler Aussagen seiner Lehre?

Gruß

Münek

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#37 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von sven23 » Fr 9. Aug 2013, 06:59

Münek hat geschrieben:
"Wie kann sich Jesus als der von Christen verehrte und bezeugte präexistente Sohn Gottes in einer so zentra-
len Frage des Glaubens derartig geirrt haben?
"


Hi Münek
Du bringst es sehr pointiert auf den Punkt. Wenn Jesus selbst sich in diesem Punkt so kolossal geirrt hat, wie steht es dann mit dem Rest des ganzen Glaubensgebäudes?

Mich wundert nur, daß Gläubige dies so offensichtlich ignorieren oder so lange an den Formulierungen rumdoktern, bis sie die Parusie weginterpretiert haben.
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?
Oder ist es eine Form des freiwilligen Selbstbetruges?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#38 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von Naqual » Fr 9. Aug 2013, 12:14

sven23 hat geschrieben: Mich wundert nur, daß Gläubige dies so offensichtlich ignorieren oder so lange an den Formulierungen rumdoktern, bis sie die Parusie weginterpretiert haben.
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?
Oder ist es eine Form des freiwilligen Selbstbetruges?

Bultmann und Küng, die beide diesen Irrtum der damaligen Naherwartung bestätigen, sind beide gläubige Christen und unbestrittene Fachleute in ihrem Bereich. Wenn auch sicher kritische Vertreter einmal der evangelischen, einmal der katholischen Kirche. Es geht also auch innerhalb des "Gläubigseins" anders.

Ich denke auch wie Du, der Widerstand hat wenig mit der sachlichen Einzelfrage zu tun. Dahinter steckt die pure Panik, Schäfchen verlieren zu können, die nicht so differenziert und komplex denken können wie die kritischen Theologen.

Ich persönlich habe erst einmal überhaupt keine Schwierigkeiten mit dem konkreten Problem. Wenn Jesus sich geirrt hat, dann war dem so. War er nicht (auch) Mensch? Konnte er nicht etwa auch dazulernen, wie es in der Bibel heißt (Lk 2,52 Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen. )? Einerseits wird konstatiert, dass Jesus auch ganzer Mensch war, andererseits ist man nicht bereit den Preis dafür zu zahlen. Und ein Mensch ist nunmal nicht vollkommen und absolut fehlerfrei. So bildete man - weil es der Kirche offensichtlich nicht passte - einen "göttlichen Scheinmenschen": also irgendwo Mensch, aber dann doch auch wieder nicht.
Die Kirchen wiederum haben einen massives nachweisbares Interesse daran, dass die biblischen Autoren in religiösen Fragen nur die blanke Wahrheit wiedergeben können. Die Bibel ist die gemeinsame Grundlage, die Orientierung. Wenn man nun jede Aussage als wahr oder unwahr sehen kann, wo bleibt die geistliche Führung? Endet es nicht im Zerreißen des Christentums in einer noch viel größeren Vielfalt unterschiedlichster Meinungen als die gegenwärtig bereits möglichen Interpretationen?
Der Wunsch nach Einheit ist ein nachvollziehbarer und ein berechtigter. Die Frage ist jedoch um welchen Preis!
M.E. geht es auch anders.
Ich z.B. bewundere Mahatma Gandhi sehr und finde, dass seine Art der Lebensführung und der Umsetzung ganz praktischer Nächstenliebe Achtung verdient und Vorbild sein sollte. Das kann es auch, obwohl Gandhi ein fehlbarer Mensch war, der sich irren konnte.
So ist es auch möglich, Jesus als Vorbild zu sehen, ohne für diesen Perfektion zu beanspruchen.
Natürlich können die Meinungen dann auseinanderklaffen. Aber warum auch nicht? Wozu der übertriebene Einheitszwang?
Genau genommen hat es ja auch mit der Bibel nicht geklappt, über 300 Denominationen berufen sich explizit auf die Bibel und glauben anderes.

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sven23
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#39 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von sven23 » Fr 9. Aug 2013, 16:39

Naqual hat geschrieben:Einerseits wird konstatiert, dass Jesus auch ganzer Mensch war, andererseits ist man nicht bereit den Preis dafür zu zahlen. Und ein Mensch ist nunmal nicht vollkommen und absolut fehlerfrei. So bildete man - weil es der Kirche offensichtlich nicht passte - einen "göttlichen Scheinmenschen": also irgendwo Mensch, aber dann doch auch wieder nicht.

Viele tun sich sicher schwer damit, Jesus als Menschen mit Fehlern zu akzeptieren. Problematisch ist es trotzdem, wenn Jesus als Sohn Gottes spricht und Visionen an sein Gefolge ausgibt. Hier sollte er sich eigentlich nicht irren.
Schließlich nehmen das viele sehr ernst und scharren, selbst hier im Forum, schon ungeduldig mit den Hufen in Erwartung der Dinge, die da kommen sollen.
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#40 Re: So nah und doch so fern?

Beitrag von Naqual » Fr 9. Aug 2013, 17:35

sven23 hat geschrieben:Schließlich nehmen das viele sehr ernst und scharren, selbst hier im Forum, schon ungeduldig mit den Hufen in Erwartung der Dinge, die da kommen sollen.
Ich halte dieses Endzeitgerede für absolut kontraproduktiv und schädlich. Aus meiner Sicht haben wir einen Auftrag die Welt aktiv zu gestalten für die Zukunft, und sie nicht verloren zu geben und auszuharren.

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