Hallo zusammen
Zuvor muss bedacht werden, dass es sich hier nicht um eine Glaubenswahrheit, sondern um eine historische Frage handelt. Das Glaubensbekenntnis stellt nur fest:
„Geboren aus der Jungfrau Maria“. Historische Fragen lassen sich mit Gründen und Gegengründen abwägen, oftmals kommt man dennoch zu keinem endgültigen, absoluten Ergebnis.
Man stellt fest, dass diese Ereignisse im Evangelium nicht im Mittelpunkt stehen. Auch Paulus hat kein Interesse in seinen Briefen eine Biografie Jesu einzuflechten, dennoch übermittelt er den Christen die älteste Weihnachtsgeschichte des Neuen Testaments, im Brief an die Galater (Gal 4:4-7).
Paulus vermerkt nichts über Jesu Geburtsort, nicht einmal den Namen der Mutter erwähnt er. Natürlich bedeutet das nicht, dass er davon nichts wusste, aber Paulus ist allein die Sendung des Gottessohnes in die Welt und die Geburt aus einer Frau wichtig. Damit wird nämlich auch den gläubigen Menschen die Sohnschaft Gottes geschenkt.
Paulus gibt noch eine kleine Ergänzung seiner Weihnachtsgeschichte im Römerbrief (Rö 1:1-3), als er seine Sendung erklärt:
„Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, ausgesondert für das Evangelium Gottes, das er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in Heiligen Schriften, von seinem Sohn - hervorgegangen aus Davids Geschlecht dem Fleische nach“. Man kann darin durchaus einen Verweis auf Betlehem als Geburtsort des Herrn erkennen, denn dort war Davids Heimat. Matthäus und Lukas betonen gleichfalls diesen Zusammenhang in ihren Evangelien. Die dort eingefügten Stammbäume wollen schließlich auch eine davidische Herkunft Jesu bezeugen. Und Josef will nach der Heimkehr aus Ägypten wieder nach Betlehem zurück.
Bei den Geburtsgeschichten muss man ebenso würdigen, welcher Evangelist für welches Publikum schreibt.
Das älteste Markusevangelium übergeht Geburt und Kindheit Jesu vollständig. Markus interessiert nicht das Kind, sondern der erwachsene Jesus. Auch Johannes verschweigt in seinem am spätesten verfassten Evangelium die näheren Umstände von Jesu Geburt. Seine Hauptbotschaft fasst Johannes schon beim Eingangshymnus zusammen:
„Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns“ (Joh 1:14a).
Matthäus und Lukas geben dann Auskunft über die näheren Umstände von Jesu Geburt. Das Lukasevangelium prägt mit seiner Weihnachtsgeschichte unser Bild von Weihnachten. Er schreibt für die Heidenchristen, ihm ist der weltgeschichtliche Zusammenhang wichtig und es liegt ihm daran Jesu Geburt von den heilsgeschichtlichen Aussagen zu unterscheiden, die damals über Kaiser Augustus kursierten. Matthäus ergänzt sie durch das Auftreten der Weisen aus dem Morgenland und Herodes. Beide Evangelien schöpften wohl aus verschiedenen Traditionen und lassen sich nicht leicht harmonisieren, auf die Zeitangaben will ich jetzt nicht näher eingehen.
Beide wissen aber vom Geburtsort des Herrn: Betlehem. Und zwar konkret jenes Betlehem, das unweit von Jerusalem liegt und aus dem König David stammte. Das andere Betlehem, von dem in Ri 12:8ff. gesprochen wird, und das zwischen Nazaret und Haifa liegt, ist eindeutig nicht gemeint. Interessant ist, dass in den Evangelien weiterhin der Name Betlehem nicht mehr erscheint. Der erwachsene Jesus scheint seinen Geburtsort nicht mehr besucht zu haben.
Den klaren Aussagen der beiden Evangelien über Betlehem als Geburtsort des Herrn stehen zwei Gründe entgegen, welche die meisten Bibelwissenschaftler anführen. Alle vier Evangelien verknüpfen nämlich das Leben Jesu eng mit Nazaret. Man spricht von Jesus von Nazaret (etwa Mk 1:24), sie war seine Heimatstadt (Mk 6:1) und der Herr bezeichnet sie selbst als solche in Mk 6:4. Lukas fügt hinzu, der Herr ist in Nazaret aufgewachsen (Lk 4:16) und das verwendete griechische Wort für „aufwachsen“ meint die Zeit vom Säuglingsalter bis zur Mündigkeit eines Menschen. Auch die Kreuzesinschrift verweist auf Nazaret (Joh 19:19), wenn man sie als Ortsangabe interpretieren will. Aus all dem leiten einige Exegeten ab, dass Nazaret nicht nur Heimat, sondern auch Geburtsort Jesu war. Der Verweis auf Betlehem sei nur geschehen, um die im Alten Testament gegebene Verheißung (Mi 5:1) zu erfüllen, dass der Messias aus der Davidstadt Betlehem stammen würde. Matthäus und Lukas wussten natürlich von der Verheißung und wählten den Geburtsort so, „damit die Schrift erfüllt wird“, wie es an vielen Stellen ihrer Evangelien heißt.
Dieses Bestreben der Evangelisten den Herrn als Messias darzustellen und dies durch Hinweise im Alten Testament zu bestätigen, darf jedoch nicht notwendigerweise dazu führen Orte und Ereignisse aus dem Leben Jesu in ihrer Richtigkeit und Historizität zu bezweifeln. Es gibt nun mal keine anderen Aussagen über den Geburtsort, als in den Evangelien, und dort heißt er Betlehem. So weist Matthäus auf eine Weissagung in Is 8:23 hin, warum Jesus mit der Verkündigung in Kafarnaum begonnen hat, und niemand wird bezweifeln, dass diese Ortsangabe nicht der historischen Wahrheit entspricht. Als Beweis für Nazaret als Geburtsort des Herrn kann dieses Prinzip also kaum herhalten, erinnert man sich zudem noch an die Einleitungsworte von Lukas in seinem Evangelium (Lk 1:3-4). Dieser Zusicherung über die Richtigkeit seiner Worte kann man auch in seiner Geschichte von Geburt und Kindheit Jesu durchaus vertrauen. Dass der Beiname "von Nazareth" nicht unbedingt eine Ortsangabe bedeutet, sondern auch eine andere etymologische Herkunft haben kann, sei hier nur angemerkt.
Aufgrund der wenigen Hinweise in den Evangelien setzte eine Verehrung der Geburtsstätte des Herrn in Betlehem relativ spät in der christlichen Ära ein. Die Kirchen- und Apostelgeschichte erwähnt Betlehem nicht. Allerdings wurde die Geburtsstätte Jesu schon sehr früh im apokryphen Protoevangelium des Jakobus (17:2-18:1), das in der Mitte des 2. Jahrhunderts entstanden ist, in eine Höhle gelegt, obwohl in den Evangelien davon keine Rede ist. Das Protoevangelium lokalisiert diese Höhle nördlich von Betlehem in die Nähe des Rachelgrabes.
Eine zweite Erwähnung für eine frühe Verehrung von Jesu Geburtsort findet man bei Justin dem Märtyrer, der um das Jahr 100 in Nablus (Sichem) geboren wurde. Seine Schriften vermitteln einen frühen Einblick in das Urchristentum und in einem fingierten Dialog mit einem Juden, der um das Jahr 150 abgefasst wurde, schreibt Justin ausdrücklich von einer Höhle bei Betlehem als Geburtsstätte des Herrn. Origenes fügt als kundiger Kenner des Hl. Landes ein drittes Zeugnis über die Verehrung eines Geburtsortes des Herrn hinzu. Für ihn ist dieser Ort bereits als Wallfahrtsort der Urchristen etabliert. Die Höhle bei Betlehem kannte er aus eigener Anschauung und er erwähnt sie in seinem apologetischen Werk „Gegen Celsus“ (I 51). Diese Schrift entstand etwa um das Jahr 248. Der Hl. Hieronymus berichtet dann 395 in einem Brief an Paulus von Nola (Ep. 56,3), dass die Römer die Höhle profanierten und in eine heidnische Kultstätte zu Ehren von Tammuz (Adonis) verwandelten. Dies geschah um 250, während der Christenverfolgung unter Kaiser Decius. Es muss also bereits eine in christlicher Tradition verwurzelte Verehrung des Ortes stattgefunden haben, welche durch den Adoniskult verdrängt werden sollte.
Zentrum eines späteren Kirchenbaus blieb immer jene Grotte, über die er errichtet wurde und die vom römischen Tempel quasi "konserviert" wurde. Der Kirchenhistoriker Eusebius von Cäsarea (263-339) bestätigt dabei in seiner Schrift die Authentizität des Ortes. Sowohl die Einheimischen als auch die Tradition bezeugen ihn also als Geburtsort des Herrn.
All das mag aber den Gläubigen nicht berühren. Es sei an die Worte von Angelus Silesius erinnert:
„Wär Christus tausendmal in Betlehem geboren – und nicht in Dir, Du bleibst doch ewiglich verloren“.
Servus
