Theodizee

Rund um Bibel und Glaube
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Halman
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#1 Theodizee

Beitrag von Halman » Do 1. Sep 2016, 01:18

Nun wage ich mich an der schwersten Frage, die man Christen stellen kann. Eigentlich bin ich immer froh, wenn ich sie "umschiffen" kann, doch jetzt fahre ich mit Volldampf drauf zu.

Verfehlte christiche Apologetik ist schlimmere Religionskritik als sie Dawkins und Hitchens je geäußert hatten, weil sie im schlimmsten Fall geeignet sein kann, Leidene zu verhöhnen. Diese selbstgerechten Christen kennen offenbar Hiob nicht wirklich, sie kennen weder die Klagepsalmen, noch die Klagelieder Jeremias.

Nun, ich habe "Verstärkung" mitgebracht, weil ich mich alleine nicht traue - nicht mit Volldampf. Bitte hört Euch doch den Vortrag von Prof. Siegried Zimmer an und teilt mir mit, was ihr darüber denkt.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Pluto
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#2 Re: Theodizee

Beitrag von Pluto » Do 1. Sep 2016, 09:57

Halman hat geschrieben:Nun, ich habe "Verstärkung" mitgebracht, weil ich mich alleine nicht traue - nicht mit Volldampf. Bitte hört Euch doch den Vortrag von Prof. Siegried Zimmer an und teilt mir mit, was ihr darüber denkt.
Zimmer ist, wie wir wissen, ein großartiger und auch sehr geschickter Redner.
Was mich stört, ist, dass alle seine Beispiele auf die angebliche Boshaftigkeit von Menschen zurückzuführen sind (z.B. die Frau die wochenlang in Mexiko gefoltert wurde).
Er umgeht aber elegant die Folgen der großen Naturkatastrophen, die uns heute treffen.
Beispiel: Erdbeben in Italien 2016. Es ist schon verwunderlich, wie die Menschen nach Gründen suchen: "Wir dachten uns kann es nicht treffen", als ob das eine Erklärung wäre. Oder, die Häuser waren nicht erdbebensicher gebaut. Oder wir danken Gott, dass er so-und-so vor der Katastrophe gerettet hat.

Das sind alles aus meiner Sicht bedeutungslose Entschuldigungen im Nachhinein. Wenn es einen Schöpfer gibt, warum hat er den Menschen auf eine so labile Erde gesetzt? Wenn wir schon Gott danken, dass er den einen oder anderen verschont hat, warum verschließen wir uns der Frage, wieso mussten so viele Menschen sterben? Seien wir doch ehrlich, liegt das nicht auch in der Verantwortung Gottes?
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Rembremerding
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#3 Re: Theodizee

Beitrag von Rembremerding » Do 1. Sep 2016, 10:40

Pluto hat geschrieben:Wenn es einen Schöpfer gibt, warum hat er den Menschen auf eine so labile Erde gesetzt? Wenn wir schon Gott danken, dass er den einen oder anderen verschont hat, warum verschließen wir uns der Frage, wieso mussten so viele Menschen sterben? Seien wir doch ehrlich, liegt das nicht auch in der Verantwortung Gottes?
Du meist also, dass wir eine Erde vorfinden, die uns Nahrung, Freude und Leben schenkt, sei noch nicht genug , denn wir wollen ja auch noch Sicherheit und niemals Leid?

Gott gibt uns keine Lebensversicherungen, sondern Leben. Leben, das nicht erstarrt im vorhersehbaren, sondern spannend, fordernd und fördernd ist. Leben, das sich bis in die Ewigkeit erstreckt. Wir sind Gottes Geschöpfe, er liebt jeden einzelnen von uns, nur deshalb sind wir existent. Durch Jesus Christus leidet Gott als erster, wenn Menschen das irdische Leben genommen wird und sie leiden. Unsere Sicherheit ist nicht in der Welt, sondern in Jesus Christus. Darum haben wir keine Sicherheit, die Wandel unmöglich macht, sondern eine Sicherheit in dem, der das seiende, ganze Leben ist.

So ist beispielsweise die Plattentektonik der Erde ein wichtiger Faktor, damit Leben erst entsteht. Gerade dies muss doch einem Wissenschaftsgläubigen bekannt sein. Menschen überheben sich maßlos, wenn sie meinen eine bessere, stabilere Erde "bauen" zu können. Zudem kann der Mensch gar nicht beurteilen, inwieweit sein Egoismus Naturphänomene beeinflusst.
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Pluto
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#4 Re: Theodizee

Beitrag von Pluto » Do 1. Sep 2016, 11:22

Rembremerding hat geschrieben:Du meist also, dass wir eine Erde vorfinden, die uns Nahrung, Freude und Leben schenkt, sei noch nicht genug , denn wir wollen ja auch noch Sicherheit und niemals Leid?
Ich weiß, dass das utopisch klingt. Wir leben, so Leibniz in der besten aller möglichen Welten.
Aber ich frage mich dennoch, welchen Grund wohl Gott hatte, um trotz seiner Allmacht, Ideal nicht zu verwirklichen.
Die Frage bleibt: Warum schuf Gott eine Welt voller Naturkatastrophen?

Rembremerding hat geschrieben:Gott gibt uns keine Lebensversicherungen, sondern Leben. Leben, das nicht erstarrt im vorhersehbaren, sondern spannend, fordernd und fördernd ist.
Das erwarte ich von einem Gott Spinozas (deus sive natura), aber warum darf ich nicht mehr von einem allmächtigen Gott erwarten?

Rembremerding hat geschrieben:Leben, das sich bis in die Ewigkeit erstreckt. Wir sind Gottes Geschöpfe, er liebt jeden einzelnen von uns, nur deshalb sind wir existent.
Woher weißt du das?
Kann man einem Versprechen, das über den Tod hinaus geht, wirklich vertrauen, oder ist es eine Frage des Glaubens?

Rembremerding hat geschrieben:So ist beispielsweise die Plattentektonik der Erde ein wichtiger Faktor, damit Leben erst entsteht. Gerade dies muss doch einem Wissenschaftsgläubigen bekannt sein.
Genau! Damit beschreibst du die Wirklichkeit in der wir leben. Das ist für mich der Standard, der auch ohne Gott errreicht wird.

Ist es denn wirklich anmaßend, sich vorzustellen, dass, falls es eine Allmächtigen gibt, er es nicht hätte besser machen können?
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ProfDrVonUndZu
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#5 Re: Theodizee

Beitrag von ProfDrVonUndZu » Do 1. Sep 2016, 11:43

Pluto hat geschrieben: Die Frage bleibt: Warum schuf Gott eine Welt voller Naturkatastrophen?
Am meisten davon sind ja die betroffen, die sich an ihren weltlichen Besitz klammern. Was kümmert es einen Obdachlosen, wenn irgendwelche Paläste einstürzen, Schätze verrotten oder Bibliotheken verbrennen ?
"Viele, die leben, verdienen den Tod. Und manche, die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es ihnen geben? Dann sei auch nicht so rasch mit einem Todesurteil bei der Hand." - Gandalf in J.R.R Tolkien - Herr der Ringe, Band 1

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Josi
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#6 Re: Theodizee

Beitrag von Josi » Do 1. Sep 2016, 11:43

Halman hat geschrieben:[...] teilt mir mit, was ihr darüber denkt.
Hallo zusammen, hi Halman,

ergänzend zu Plutos Einwände kommt mir das Argument von Herrn Zimmer, auf Gott zu vertrauen, egal was passiert, mehr noch, als bedenklich vor.
Oder um es im Stil von Herrn Zimmer zu sagen: "Scheiße reden kann jeder!"

Nicht weniger verar...end seine hart formulierte Kritik gegenüber Christen (Die Bösen), die andere Christen kritisieren.
Was mag sich Herr Zimmer dabei gedacht haben?
Vielleicht, dass nur er andere Christen kritisieren darf, ohne dabei als "böser Christ" dazustehen?

Aber mal von seinem extrem langatmig aufgetürmten und durchweg leeren Geschwätz abgesehen, schien mir einzig sein Verweis auf Hiob interessant zu sein, denn es gibt tatsächlich kaum mehr eine Bibelgeschichte, welche in nahezu gleicher pervertierter Art und Weise um einen blinden wie unverrückbaren Glauben einfordert.

Nicht weniger intellektuell bedenklich ist besonders zum Theodizee-Problem, die Existenz eines Gottes nach AT-Vorgaben als undiskutablen Fakt vorauszusetzen und darauf aufbauend zu argumentieren.
Das ist sogar im doppelten Sinne unsinnig, zumal Epikur das Theodizee-Problem entwarf, weil er zum Schluss kam, dass dieser Gott gar nicht existiert bzw. aus logischen Gründen gar nicht existieren kann.

Rundum denke ich: Ein nur zu klassischer Psychoterrorismus, wie er in allen Sekten üblich ist.
Zugute halten könnte ich Herrn Zimmer, dass er selbst nur als Opfer eines eigenst verkannten Wahnsinns spricht.

In diesem Sinne... ;)
Zuletzt geändert von Josi am Do 1. Sep 2016, 12:01, insgesamt 1-mal geändert.
Wer propagiert, es sei nicht schlimm wenn Menschen - einschließlich Kinder - getötet werden, da sie bei Gott weiter leben würden, gehört selbst auf der Stelle mit der Begründung getötet: "DIES SEI AUCH DIR GEGÖNNT!!!"

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#7 Re: Theodizee

Beitrag von Rembremerding » Do 1. Sep 2016, 11:55

Pluto hat geschrieben:
Ist es denn wirklich anmaßend, sich vorzustellen, dass, falls es eine Allmächtigen gibt, er es nicht hätte besser machen können?
Natürlich nicht.
Aber ist es nicht ebenso anmaßend, zu glauben, dass es besser sein könnte? In einer anthropozentrischen Sichtweise beziehen wir alles auf uns, was dem Menschen nützlich ist oder nicht, ja auf uns selbst. Waldbrände zerstören Wohnhäuser und Leben, sind aber notwendig, dass Sequoia-Zapfen aufgehen und Samen streuen, schaffen also wieder Leben. Würden wir uns mit unserer Inwelt und Umwelt mehr verbunden fühlen und nicht so egozentrisch sein, könnten wir weitaus mehr besseres in der Welt erkennen. Aber wir haben das Staunen verlernt. Etwa Naturwissenschaftler könnten ohne die Fähigkeit staunen zu können nicht erfolgreich arbeiten.

Vielleicht sollte man auch davon abkommen, dass im Leben als sicher und geregelt sein muss, damit es befriedigend ist.
Ist es nicht so, dass erst in der Herausforderung, im Unvorhergesehenen, so manches sich weiter entwickelt. Das ist die "Vitalität des Lebens". Gerade die Evolution "explodierte" doch förmlich nach Katastrophen. Hier wird das Potential des Lebens greifbar und gerade hier wirkt der Allmächtige, der über Zeit und Raum steht.

Und natürlich weiß ich, dass auch die Menschheit geliebte Geschöpfe Gottes sind, das ist mehr als nicht wissen, denn so definierst ja du ständig den Glauben. Die "Ewigkeit" ist auch kein "vertrösten" auf später, sondern sie wirkt doch auch dort, wo das Reich Gottes durchbricht, im Jetzt, in der Liebe und besonders dort, wo andere Menschen oder Geschöpfe leiden.
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Ska'ara
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#8 Re: Theodizee

Beitrag von Ska'ara » Do 1. Sep 2016, 12:24

Halman hat geschrieben: Nun, ich habe "Verstärkung" mitgebracht, weil ich mich alleine nicht traue - nicht mit Volldampf. Bitte hört Euch doch den Vortrag von Prof. Siegried Zimmer an und teilt mir mit, was ihr darüber denkt.
Das war anstrengend, habe den ganzen Vortrag gehört. Obwohl ich nicht gläubig bin, habe ich mir das mal angetan, und ich kann doch so einiges nachvollziehen, was Zimmer behauptet. Zimmer geht demnach von einer christlichen Scheinwelt aus, die die Realität verkennt. Unsere heutige Christenheit oder vielleicht die meisten Menschen sind unreif, weil sie das Leid als Bestrafung sehen, dass sie als willige Opfer annehmen müssen. Im Glauben gibt es dann nur unbeantwortetes Leid und wenig Hoffnung, die dann aber leider alles ist, was wir haben.

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#9 Re: Theodizee

Beitrag von Pluto » Do 1. Sep 2016, 12:44

ProfDrVonUndZu hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Die Frage bleibt: Warum schuf Gott eine Welt voller Naturkatastrophen?
Am meisten davon sind ja die betroffen, die sich an ihren weltlichen Besitz klammern.
Echt? Nach meiner Erfahrung trifft es meist diejenigen die ohnehin am Existenzminimum oder darunter sind: Menschen die in den Slums der Städte leben.
Die Reichen trifft es sehr viel seltener.

ProfDrVonUndZu hat geschrieben:Was kümmert es einen Obdachlosen, wenn irgendwelche Paläste einstürzen, Schätze verrotten oder Bibliotheken verbrennen
Darum geht es nicht.
Tsunamis, Wirbelstürme oder Erdbeben, fegen alles weg was der Mensch geschaffen hat. In der heutigen Zeit existieren Kopien von allen wichtigen Schätzen der Weltgeschichte. Diese werden in den Museen ausgestellt oder in den Bibliotheken verliehen. Die Originale werden meist an gesicherten Orten aufbewahrt. Außerdem sind diese Institutionen meist hervorragend versichert.

Die Obdachlosen, die scheinbar nichts zu verlieren haben, trifft es meistens sogar am Schlimmsten.
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#10 Re: Theodizee

Beitrag von Ska'ara » Do 1. Sep 2016, 13:29

Pluto hat geschrieben: Die Obdachlosen, die scheinbar nichts zu verlieren haben, trifft es meistens sogar am Schlimmsten.
Ich frage mich, ob sich die Hoffnung durch ein positives Weltbild am Ende des Lebens durch evtl. erlebtes Leid potenzieren lässt. Stirbt es sich leichter nach einem angenehmen Leben? Woher nimmt man die Hoffnung? Belügt man sich dann selbst?

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