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#1 Wie sollte man die Bibel lesen?

Verfasst: So 22. Mai 2016, 16:28
von Pluto
Es gibt Fundamentalisten, oft Lutheraner, die sagen, die Bibel muss man wörtlich nehmen... sola scriptura.

Dann gibt es die rational denkenden Exegeten, die sagen, man soll die Bibel, vor allem das erste Buch Mose, allegorisch, als eine Art Mythos lesen.

Wer hat Recht? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen?
Falls man von Fall zu Fall entscheiden muss, ist dann die Bibel ein leichtes oder eher schwieriges Buch?

#2 Re: Wie sollte man die Bibel lesen?

Verfasst: So 22. Mai 2016, 18:52
von 2Lena
"Sola scriptura" (allein die Schrift) ist entstanden nach der Trennung der Kirchen in der Zeit der Reformation. Die gute Seite daraus: Man wollte wissen, was in der Bibel steht. Die verkehrte Seite: Jahrhunderte später standen die Menschen vor einer schiefen Entwicklung und "Fehlern in der Bibel" / entsprechenden Fundiansicht. Gleich zu Beginn der Kirche wurde eine winzige Kleinigkeit übersehen. Nicht alle wurden in Sprache und Auslegungsarten unterrichtet. Konzile dazu brachen wegen Völkerwanderungen und Kriegen ab. Was in der Bibel steht, wurde nicht in der Kirche gepredigt, sondern die Lehren Jesu (mitsamt den Überlieferungen und deren Auslegung).

Man kann die Bibel wörtlich nehmen - sobald die Auslegung bekannt ist (damit die guten Seiten deutlich sind).
Dann wird auch der Sinn der Allegorie verstanden - und die Historik bekommt die richtigen Seiten. Einmal mit den Bedingungen (was wäre wenn - aber was ist passiert) und "was war falsch" - kann aber bereinigt werden!

Mit diesem "Erfolgskonzept" gelesen gibt es keine Fehler mehr, da letztendlich auch der "Hl. Geist" die Menschen erleuchten kann.

#3 Re: Wie sollte man die Bibel lesen?

Verfasst: So 22. Mai 2016, 22:57
von Magdalena61
Pluto hat geschrieben:Es gibt Fundamentalisten, oft Lutheraner, die sagen, die Bibel muss man wörtlich nehmen... sola scriptura.

Dann gibt es die rational denkenden Exegeten, die sagen, man soll die Bibel, vor allem das erste Buch Mose, allegorisch, als eine Art Mythos lesen.

Wer hat Recht? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen?
Falls man von Fall zu Fall entscheiden muss, ist dann die Bibel ein leichtes oder eher schwieriges Buch?
Schwierig.
Man kann ja nicht nach Lust und Laune interpretieren.

Also.... "wörtlich" von der ersten bis zur letzten Seite, das haut nicht hin.

Stichworte: Hand abhacken, Auge ausreißen.
LG

#4 Re: Wie sollte man die Bibel lesen?

Verfasst: So 22. Mai 2016, 23:17
von Savonlinna
Pluto hat geschrieben:Es gibt Fundamentalisten, oft Lutheraner, die sagen, die Bibel muss man wörtlich nehmen... sola scriptura.
"Sola scriptura" heißt nicht, dass die Bibel wörtlich zu lesen sei.
Sondern dass nur die Bibel das Fundament ist, aber nicht die Kirche.
Es ist eine Abgrenzung gegen die Auffassung der katholischen Kirche.

Wörtliches Lesen hängt damit eigentlich nicht zusammen.

Pluto hat geschrieben:Dann gibt es die rational denkenden Exegeten, die sagen, man soll die Bibel, vor allem das erste Buch Mose, allegorisch, als eine Art Mythos lesen.
Nur das soll nach diesen Exegeten allegorisch gelesen werden, was schon vom Verfasser allegorisch gemeint ist.
Wenn die Göttin Hammonia eine Allegorie für Hamburg ist, dann sollte ich besser nicht erwarten, dass die Göttin Hammonia mir auf der Reeperbahn begegnet und mir Unsterblichkeit verspricht.

Und wer Mythen schreibt, der hatte nicht vor, dass man sie wörtlich nimmt.

Wer also glaubhaft aufzeigen kann, dass die Erzählungen der Genesis Mythen sind - und keine historischen Tatsachenberichte -, der hat mehr Punkte für das mythische Lesen.

#5 Re: Wie sollte man die Bibel lesen?

Verfasst: So 22. Mai 2016, 23:24
von Pluto
Savonlinna hat geschrieben:Wörtliches Lesen hängt damit eigentlich nicht zusammen.
Bei den meisten "Fundis" eben doch.

Savonlinna hat geschrieben:Es ist eine Abgrenzung gegen die Auffassung der katholischen Kirche.
Gerade die Mitgliederder rkK neigen dazu die Bibel wörtlich auszulegen.

Savonlinna hat geschrieben:Nur das soll nach diesen Exegeten allegorisch gelesen werden, was schon vom Verfasser allegorisch gemeint ist.
Und woher sollen wir heute wissen, was allegorisch, und was historisch gemeint ist?

#6 Re: Wie sollte man die Bibel lesen?

Verfasst: So 22. Mai 2016, 23:39
von Savonlinna
Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Nur das soll nach diesen Exegeten allegorisch gelesen werden, was schon vom Verfasser allegorisch gemeint ist.
Und woher sollen wir heute wissen, was allegorisch, und was historisch gemeint ist?
Dazu gibt es eine sehr breite Forschung.

Es gibt Erzähltraditionen der Antike - die wir nicht nur bei biblischen Autoren vorfinden -, die die Literaturwissenschaftler und Religionswissensschaftler sammeln und vergleichen.

Man kann z.B. am Aufbau einer Erzählung und an der Verwendung von bestimmten Motiven erkennen, in welcher Erzähltradition ein biblischer Text steht.
Man kann sogar erkennen, wo ein Text die alte Tradition bedient und wo sie sie bricht. Es gibt ja unzählig viel Vergleichsmaterial.

Wenn jemand heute einen literarischen Text veröffentlicht, dann tun die Literaturwissenschaftler als erstes: den Text einordnen in die bekannten Erzähltraditionen.
Keiner schreibt im luftleeren Raum, er hat immer seine Vorbilder. Und weil den Literaturwissenschaftlern sämtliche Vorbilder bekannt sind, gelingt das Einordnen.
Inklusive Fehleinordnen. ;)

Analog gilt das auch für die biblischen Texte.
Gerade ihre Erzählform gibt die Möglichkeit her, die Entstehungszeit zu datieren.
Würde heute jemand wie Kafka schreiben, würde man kaum annehmen, dass der Text 300 Jahre alt ist, weil vor Kafka keiner wie Kafka schrieb.

Und wer wie Kafka schreibt, meint mit Sicherheit nichts wörtlich.

#7 Re: Wie sollte man die Bibel lesen?

Verfasst: Mo 23. Mai 2016, 15:19
von Lena
Unverstandenes und liebloses sein lassen: Zu schwer.
Gutes annehmen und nachahmen: Glauben das Gott bei der Umsetzung hilft.

#8 Re: Wie sollte man die Bibel lesen?

Verfasst: Mo 23. Mai 2016, 16:49
von JackSparrow
Savonlinna hat geschrieben:Sondern dass nur die Bibel das Fundament ist, aber nicht die Kirche.
Und auch nicht Kopernikus. Und dass die Erde um die Sonne kreist, lässt sich aus dem Fundament beim besten Willen nicht herauslesen.

Nur das soll nach diesen Exegeten allegorisch gelesen werden, was schon vom Verfasser allegorisch gemeint ist.
Und wo der Verfasser explizit dazugeschrieben hat, dass es allegorisch gelesen werden soll. Jede eigenmächtige Entscheidung würde die sola-scriptura-Regel verletzen, da ja dann die Idee, den Text allegorisch zu lesen, nicht der Schrift entnommen wurde.

#9 Re: Wie sollte man die Bibel lesen?

Verfasst: Mi 25. Mai 2016, 14:21
von Halman
Pluto hat geschrieben:Es gibt Fundamentalisten, oft Lutheraner, die sagen, die Bibel muss man wörtlich nehmen... sola scriptura.

Dann gibt es die rational denkenden Exegeten, die sagen, man soll die Bibel, vor allem das erste Buch Mose, allegorisch, als eine Art Mythos lesen.

Wer hat Recht? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen?
Ich denke, die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den beiden von Dir umrissenen Extrempositionen. Dies liegt meiner Meinung nach daran, dass die Bibel eine Textsammlung ist, in der es zwar einen dramatischen Zusammenhang gibt (Zenger), aber keine systematische Einheit. Schließlich wurden die biblischen Texte über viele Jahrhunderte zusammengetragen und wollen unterschiedliches ausdrücken. So schrieb Esra die Buchrolle der Chronik im wesendlichen als Geschichtsschreiber, um so u.a. Israels Identitätsbewusstsein zu bestärken. Bei den Psalmen handelt es sich wiederrum um Lieder, also eine völlig andere Textgattung.

Pluto hat geschrieben:Falls man von Fall zu Fall entscheiden muss, ist dann die Bibel ein leichtes oder eher schwieriges Buch?
Zur HKM gehört die Form- und Gattungskritik.

Ein Beispiel: Wenn wir die jüdischen Altertümer von Flavius Josephus vor uns haben, ist es ungemein wichtig, zu erkennen, dass wir es mit Geschichtsschreibung zu tun haben. Wenn wir hingegen die Iliás von HomÄ“r lesen, sollten wir erkennen, dass uns ein Versepos vorliegt.
In der Bibel finden wir verschiedene Textgattungen, wie Narrationen, Genialogien, Lieder, bis hin zu Parabeln usw. Die Bestimmung der Gattung ist notwendig, wenn man den Text richtig interpretieren will.

Im Tanach (AT) lässt sich hebräische Poesie typischerweise am Parallelismus erkennen. Diese Dichtungsform ist verschieden von der Reimform, die uns vertraut ist. Ein Beispiel für den synthetischen Parallelismus finden wir in Ps 19:7-9.

Sehr schön finde ich den Gedanken in Ps 103:12, der durch emblematischen Parallelismus ausgedrückt wird.