Pluto hat geschrieben:Es gibt Fundamentalisten, oft Lutheraner, die sagen, die Bibel muss man wörtlich nehmen... sola scriptura.
Dann gibt es die rational denkenden Exegeten, die sagen, man soll die Bibel, vor allem das erste Buch Mose, allegorisch, als eine Art Mythos lesen.
Wer hat Recht? Oder liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen?
Ich denke, die Wahrheit liegt irgendwo zwischen den beiden von Dir umrissenen Extrempositionen. Dies liegt meiner Meinung nach daran, dass die Bibel eine Textsammlung ist, in der es zwar einen
dramatischen Zusammenhang gibt (Zenger), aber keine systematische Einheit. Schließlich wurden die biblischen Texte über viele Jahrhunderte zusammengetragen und wollen unterschiedliches ausdrücken. So schrieb Esra die Buchrolle der Chronik im wesendlichen als Geschichtsschreiber, um so u.a. Israels Identitätsbewusstsein zu bestärken. Bei den Psalmen handelt es sich wiederrum um Lieder, also eine völlig andere Textgattung.
Pluto hat geschrieben:Falls man von Fall zu Fall entscheiden muss, ist dann die Bibel ein leichtes oder eher schwieriges Buch?
Zur HKM gehört die Form- und Gattungskritik.
Ein Beispiel: Wenn wir die jüdischen Altertümer von Flavius Josephus vor uns haben, ist es ungemein wichtig, zu erkennen, dass wir es mit Geschichtsschreibung zu tun haben. Wenn wir hingegen die Iliás von HomÄ“r lesen, sollten wir erkennen, dass uns ein Versepos vorliegt.
In der Bibel finden wir verschiedene Textgattungen, wie Narrationen, Genialogien, Lieder, bis hin zu Parabeln usw. Die Bestimmung der
Gattung ist notwendig, wenn man den Text richtig interpretieren will.
Im Tanach (AT) lässt sich hebräische Poesie typischerweise am
Parallelismus erkennen. Diese Dichtungsform ist verschieden von der Reimform, die uns vertraut ist. Ein Beispiel für den synthetischen Parallelismus finden wir in
Ps 19:7-9.
Sehr schön finde ich den Gedanken in
Ps 103:12, der durch emblematischen Parallelismus ausgedrückt wird.