Was ist Überzeitlichkeit?

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Pluto
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#1 Was ist Überzeitlichkeit?

Beitrag von Pluto » Mo 20. Jan 2014, 12:22

Unter Überzeitlichkeit verstehen manche Leute die Lokalität (Wohnstätte) Gottes. Ich möchte diesen Begriff einmal durchleuchten um ihn besser zu verstehen.
[url=http://www.4religion.de/viewtopic.php?p=55422#p55422closs[/url] hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: weil niemand sie erklären kann.
Doch - Tipler tut das. - Ich kann es auch.
Dann bitte ich hiermit um deine Erklärung. :)
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#2 Re: Was ist Überzeitlichkeit?

Beitrag von closs » Mo 20. Jan 2014, 14:29

Pluto hat geschrieben:Dann bitte ich hiermit um deine Erklärung.
Tipler wäre mir lieber - weil ich bei ihm später gefunden habe, was ich nur ansatzweise beschreiben kann. Deshalb bitte ich um Nachsicht und um das Bemühen, im Grundsatz zu verstehen - es wird hier keine Beweise geben, sondern lediglich Hinweise und Plausibilität - anders geht es nicht in Bezug auf Dinge, die genuin nicht Teil des Daseins sind - unvermeidlich, wenn man Gott im christlichen Sinn als Realität setzt.

Beginnen wir mit 1.Mose 1.1 "Im Anfang schuf Gott". - Was ist „Anfang“? – Was ist „Schöpfung“? – Wer ist Gott?
„Anfang“ bezeichnet einen Zeitpunkt. Ein Zeitpunkt ist nur möglich, wenn es Zeit gibt. Da „Anfang“ somit den ersten Moment in der Zeit benennt, gibt es kein Zeitliches „vor“ dem Anfang. Der Ursprung des „Anfangs“ ist also nicht das Zeitliche.

„Schöpfung“ bedeutet, dass es einen „Schöpfer“ gibt – sonst hieße es „Werden“. - Schöpfung kann dabei zweierlei bedeuten: Schöpfung „ex deo“, also außerhalb von Gott, oder Schöpfung „de Deo“, also (wörtlich) „von Gott“ im Sinne von „aus göttlicher Substanz heraus“. Beispielhaft auf den Menschen übertragen: Ein Bild, das man malt, ist eine Schöpfung des Menschen, welche außerhalb des Menschen („ex homine“) stattfindet. - Ein Kind zeugen und gebären, ist Schöpfung aus dem Menschen („de homine“) heraus. – Die Antwort auf die Frage, ob der Mensch „ex nihilo“ oder „de deo“ geschaffen ist, entscheidet dabei folgendes: Sind wir von Gott aus dem Nichts (wie ein gemaltes Bild) („ex nihilo“) geschaffen? – Oder haben wir unseren Ursprung aus Gott selbst (also aus Gott geboren) („de deo“)? – Die biblische Tatsache, dass Gott den Menschen „als unser Abbild“ (Gen. 1,27) schafft, spricht für die „De deo“-Version: Der Mensch ist dann kein von Gott ins Nichts gemalte Bild, sondern kommt aus Gott heraus wie ein Kind aus der Mutter.

Das Wort „Gott“ bedeutet somit, dass es ein Sein gibt, aus dem die Zeit und die Schöpfung kommen.

Der Satz „Am Anfang schuf Gott“ ist somit plausibel deutbar: „Das Sein über der Zeit, also das überzeitliche Sein, schuf die zeitliche Schöpfung aus sich heraus.“ - "Überzeitlich" ist somit wörtlich gemeint - etwas, was über der Zeit steht und aus dem die Zeit kommt - ohne physikalisch benennen zu können, was das genau ist.

Warum überhaupt diese Gedanken? - Erstens weil auch physikalisch ein Sein "vor" dem Urknall (besser "über" dem Urknall") existieren muss - selbst wenn es nicht als "etwas" beschreibbar ist. Die These, dass sich das Universum aus "nichts" entwickelt habe, trägt hier nicht, weil die Grundlage einer Entwicklung nicht "Nichts" (im Sinne eines "Nihil Negativum") sein kann. Es muss also ein (Funktions-)Träger da sein, "aus dem" sich etwas entwickelt - weil die Entwicklung sonst nicht "aus ihm" kommen könnte - kommt aber etwas "daraus", kann das "daraus" nicht "Nichts" sein - aber spätestens hier wird's a bisserle philosophisch.

Zweitens, weil es aus christlichen Gründen wie die Faust aufs Auge auf die Schöpfungs-Geschichte passt - denn: Abstrahiert man die Schöpfungsgeschichte VOR dem Fall als Beschreibung des "Alles in Einem" OHNE jegliche Dialektik (= ohne Pro und Contra), ist der sogenannte "Fall" genau eben der Beginn dieser Dialektik. - Denn der "Fall" steht abstrahiert für die Polarisierung von Gott-Orientierung und Ich-Orientierung - sobald der Mensch sein Ich erkennt, kann er nicht vergessen, dass es so ist: Es ist also immer eine offene oder latente Ich-Orientierung da und somit keine vollumfägliche Gott-Orientierung vorhanden. - Also ein dialektischer/polarisierter Zustand - und wenn es nur potentiell ist.

Polarisierung/Dialektik heisst jedoch Entwicklung und Bewegung - so wie Plus und Minus für Entwicklung und Bewegung stehen (gäbe es nur Neutronen, gäbe es keinen Strom). - Zur Entwicklung/Bewegung benötigt man jedoch Zeit. - Um es abzukürzen: Die These würde lauten, dass Zeit und Materie insofern verbunden sind, dass das eine ohne das andere nicht sein kann. - Umgekehrt hieße dies auch, dass Sein ohne Materie keine Zeit kennt bzw. Sein ohne Zeit keine Materie kennt. - Dies entspricht aus meiner Sicht im wesentlichen dem Sein "vor" dem Urknall (dem "Woher"/"Paradies") wie auch "nach" der "Weltzeit" - wie es urtext-nah übersetzt heisst (dem "Wohin"/"Visio Beatifica").

Um noch einmal auf Tipler zu kommen, der NICHT Christ ist: Er nennt diesen Punkt des Zurück in die Nicht-Zeitlichkeit/Über-Zeitlichkeit "Omega-Punkt" - und errechnet ihn mathematisch/physikalisch. - Das ist NICHT erheblich für spirituelle Spekulationen, aber trotzdem eine dieser Steilvorlagen, die ab und zu aus den Naturwissenschaften kommen.

Diese "Überzeitlichkeit" Gottes ist weiterhin der Schlüssel dazu, um vieles scheinbar Widersprüchliches aufzulösen - aber das kann man sich jetzt erst einmal aufheben. - Zunächst wäre wichtig, ob diese "Spekulationen" verstanden werden. - By the way: "Speculatio" im alten geistigen Sinne ist (wiki) "eine philosophische Denkweise zu Erkenntnissen zu gelangen, indem man über die herkömmliche empirische oder praktische Erfahrung hinausgeht und sich auf das Wesen der Dinge und ihre ersten Prinzipien richtet".

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Demian
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#3 Re: Was ist Überzeitlichkeit?

Beitrag von Demian » Mo 20. Jan 2014, 14:47

Das reine Sein jenseits von Werden und Vergehen.

Ein Dunkles ist, das vollkommen war,
ehe Himmel und Erde entstanden;
ruhig, still,
es steht allein ohne Wandel,
es bewegt sich ohne Gefahr.
Es könnte die Mutter aller Dinge sein,
Ich weiß seinen Namen nicht
und nenne es Tao.


Alan Watts, Der Lauf des Wassers

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#4 Re: Was ist Überzeitlichkeit?

Beitrag von R.F. » Di 21. Jan 2014, 17:42

closs hat geschrieben: - - -
Diese "Überzeitlichkeit" Gottes ist weiterhin der Schlüssel dazu, um vieles scheinbar Widersprüchliches aufzulösen - aber das kann man sich jetzt erst einmal aufheben.
- - -
An Deinen Worten kann man die Folgen der radiometrischen Datierverfahren erkennen. Jedenfalls wird wohl kaum jemand bestreiten, dass die jetzige Welt einen Anfang hatte. Dass es davor auch “Zeit” gab, dürfte für die meisten Menschen - im Gegensatz zu dem seltsamen Herrn Einstein - keine Frage sein.

Es gibt genügend Möglichkeiten, sich durch eigene Wahrnehmungen zu überzeugen, dass z.B. geologische Prozesse in der Vergangenheit erheblich schneller abliefen als gemeinhin angenommen oder behauptet.

Obwohl dem Menschen immer währendes Leben in Aussicht gestellt ist, kann sich wohl kein Mensch ein Leben ohne Altern und ohne Ende durch Tod wirklich vorstellen. Nicht sterben zu müssen, wäre jedoch für viele das Höchste. Man sieht es an den Krankenkassenbeiträgen, was den Menschen ein auch nur etwas längeres Leben wert ist...

Ebenso wenig wie “ewig” für Menschen begreiflich ist, können wir uns einen unendliches All vorstellen...

closs
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#5 Re: Was ist Überzeitlichkeit?

Beitrag von closs » Di 21. Jan 2014, 22:40

R.F. hat geschrieben: Dass es davor auch “Zeit” gab, dürfte für die meisten Menschen - im Gegensatz zu dem seltsamen Herrn Einstein - keine Frage sein.
Da muss ich Einstein beispringen - übrigens auch der Bibel, die den Anfang der Zeit (siehe Gen. 1,1) aus etwas herauskommen lässt - und das kann nicht die Zeit sein.

R.F. hat geschrieben:Obwohl dem Menschen immer währendes Leben in Aussicht gestellt ist, kann sich wohl kein Mensch ein Leben ohne Altern und ohne Ende durch Tod wirklich vorstellen.
Mit "Sein" ohne Zeit (= Überzeitlichkeit) geht das.

R.F. hat geschrieben: Nicht sterben zu müssen, wäre jedoch für viele das Höchste.
Was christlich gesehen Aberglauben wäre, da der Tod im Dasein die Voraussetzung für den Baum des Lebens ist.

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