Hallo Janina,
kann eine Diskussion fruchtbar sein, wenn man vor seinem eigenen Standpunkt steht wie ein Türsteher vor einer tükischen Bar und sagt: "Du kommst hier nicht rein!"
Du bist ja bei weitem zugänglicher als andere, die ich schon erlebt habe, aber trotzdem stelle ich immer wieder fest, dass Naturwissenschaftler sich scharf abgrenzen. Ich bin der Ansicht, dass sich die Naturwissenschaften scharf abgrenzen müssen, nicht aber die wissenschaftlich Arbeitenden. Hier wäre Dialog und Dialektik angebracht.
Ich würde mich freuen, wenn diesbezüglich der Standpunkt von Anton Zeilinger, einem der wirklich bedeutenden zeitgenössischen Physiker, geteilt würde:
https://diepresse.com/home/science/5306 ... isbar-sein
Anton Zeilinger hat geschrieben:Ja, derzeit haben wir eine Philosophin aus Slowenien. Die Philosophen haben sehr viel dazu beigetragen, Grundlegendes zu klären. Zum Beispiel die Frage: Was ist der Messprozess? Ich teile ja nicht diesen Hochmut gegenüber den Geisteswissenschaften, der derzeit Mode ist. Die Geisteswissenschaften gehören zur Software der Gesellschaft. Als mich die damalige Ministerin Gehrer gefragt hat, was ich am Schulsystem verändert sehen möchte, habe ich ihr geantwortet, sie solle sicherstellen, dass es in jeder Landeshauptstadt ein humanistisches Gymnasium gebe. Eines mit sechs Jahren Latein und vier Jahren Griechisch und zwar ohne Möglichkeit, diese Sprachen abzuwählen. Durch eine humanistische Ausbildung lernt man das Denken in sehr fundamentalen Kategorien. Und das Lesen alter Texte führt einem vor Augen, dass sich an den grundlegenden menschlichen Problemen in den vergangenen 3000 Jahren nichts geändert hat. Da sind wir auf der gleichen Stufe wie damals. Wenn der Zeitrahmen überhaupt reicht: Vermutlich schlagen wir uns schon seit 20.000 oder 100.000 Jahren mit den gleichen Problemen herum. Gehrer war sich übrigens nicht sicher, ob ich das ernst meinte.
und
http://www.deutschlandfunkkultur.de/qua ... _id=141927
Anton Zeilinger hat geschrieben:Zum Ende des Einsteinjahres hat der Quantenphysiker Anton Zeilinger den geringen Einfluss der Philosophie auf die Physik bedauert.
Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts sei die Philosophie aus der Physik verdrängt worden, erklärte der Experimentalphysiker am Donnerstag im Deutschlandradio Kultur. Er verwies auf Pioniere der modernen Physik wie Einstein und Heisenberg, die im Gegensatz zu den heutigen Physikern noch philosophisch fundiert geforscht hätten:
"Ich glaube, das ist ein Problem, denn das wirklich Neue kommt zum Teil aus philosophischen Fragestellungen, auch in den Naturwissenschaften."
Janina hat geschrieben:PeB hat geschrieben:1. bei Deckungsgleichheit kein Problem, denn damit wäre Objektivität hergestellt. Bei Differenzen bleibt aber ein willkürliches Deutungsmoment.
Irrtum. Bei Differenzen entscheidet ein Vergleich mit der realen Welt. Man kann nachgucken.
Das momentane Problem besteht aber darin, dass unser Bild der "realen Welt" nicht zuletzt durch die Quantenphysik in Wanken geraten ist. Hat nicht auch der Blick auf die "reale Welt" einen Einfluss auf unser Verständnis von derselben? Und müssen wir die Ansicht der Welt nicht dann hinterfragen, wenn sich neue Perspektiven auftun? Nur deshalb argumentiere ich doch hier mit den Ergebnissen der Quantenphysik. Zeilinger drückt es sinngemäß so aus, dass die Mathematik der Quantenphysik und die experimentellen Nachweise glasklar und eindeutig sind und allen Anforderungen der naturwissenschaftlichen Methodik entsprechen. Nur "begreiflich" wird sie uns nicht, weil unser Weltbild immer noch sehr stark durch die klassische Physik geprägt wird. An dieser Stelle fordert Zeilinger den Dialog mit der Philosophe, bzw. den Geisteswissenschaften, weil es am jetzigen Punkt um die philosophischen Fragestellungen der Definitionen und Begrifflichkeiten geht.
Einstein, Planck und andere haben uns erklärt,
wie Zeit, Raum, Materie und die Kräfte sind. Die Fragestellungen, die sich jetzt auftun lauten:
was ist Raum, Zeit, Materie, Kräfte...?
Die Frage nach dem "wie" ist die physikalische, nach dem "was" wird philosophisch zu fragen sein.
Janina hat geschrieben:PeB hat geschrieben:2. Was macht dich so sicher, dass Leben ein natürliches Phänomen ist?
Wir können welches beobachten.
Ausgangspunkt deiner Bemerkung war ja deine Einlassung, dass Leben naturwissenschaftlich zu definieren sei, weil es Bestandteil der Natur sei. Dem stimme ich zu - jedoch nicht in der von dir implizierten Ausschließlichkeit. Denn - zumindest für mich - ist klar, dass der Begriff "Leben" auch historische, soziologische, pädagogische, sprachwissenschaftliche und auch theologische Bereiche betrifft. Insofern kann die Naturwissenschaft natürlich darauf beharren, ihr Feld mit eigenen Mitteln zu beackern, wenn sie andere Disziplinen ausschließen oder aber zur Anwendung naturwissenschaftlicher Methodik zwingen will. Es kann auch jeder für sich sein eigenen Süppchen kochen. Aber das bringt uns nicht gemeinsam voran, wenn wir ein allgemeingesellschaftliches Weltbild anstreben.
Janina hat geschrieben:PeB hat geschrieben:3. Lässt sich aus 1. und 2. denn nicht rückschließen, dass man ein Phänomen genauso definieren kann, wie man es braucht, um im Zirkelschluss zu belegen, dass die Definition stimmt, weil das definierte Objekt darauf passt?
Der Punkt ist: Wissenschaft ist keine sprachliche Selbstbefriedigung. Wir haben eine Verbindung zur Realität, wir können nachgucken.
Siehe oben.
Darüber hinaus: ich sehe schon, dass Naturwissenschaft sich auch selbstbefriedigt. Sie hat mächtige Erkenntnisinstrumente und ist sich dessen bewusst. Daraus resultiert eine bei Manchen sehr ausgeprägte arrogante Überheblichkeit gegenüber anderen Disiplinen, die sich in einer selbstgefälligen Selbstbeweihräucherung ausdrückt und dazu verleitet, sich nur innerhalb der eigenen Gleichungen permanent selbst zu bestätigen. Das ist eine Form von Selbstbefriedigung.
Ich vermute, du gehörst nicht zu der Kategorie Wissenschaftler.
Janina hat geschrieben:PeB hat geschrieben:Lieschen Müller aber versteht das so, als seien die methodisch ausgeblendeten Aussagen grundsätzlich unwahr.
Das ist Lieschen Müllers Problem.
Wenn Lieschen Müller die allgemeine Gesellschaftshaltung widerspiegelt, ist es ein gesellschaftliches Problem. Die Naturwissenschaft kann doch nicht wollen, dass sie ausschließlich mit ihrer Methodik identifiziert wird. Und sie kann auch nicht einfach sagen: hier sind unsere Ergebnisse. Was ihr damit anstellt, ist eure Sache. In der Anwendung naturwissenschaftlicher Entdeckungen, muss es doch auch um ethische Fragen gehen. Und wenn Lieschen Müller als Vertreterin gesellschaftlicher Vorgänge der Meinung ist, Ethik gehe sie nichts an, weil dies keine naturwissenschaftliche Kategorie sei, muss doch die Naturwissenschaft in ihrer Eigenverantwortung eingreifen und sagen: "Lieschen Müller, so geht es nicht!"
Nur zu sagen, das sei Lieschen Müllers Problem oder "das geht uns nichts an", wird die Probleme unserer Gesellschaft nicht lösen, sondern verschlimmern. Denn für Lieschen Müller fühlt sich das wie eine naturwissenschaftliche Rückendeckung für Missbrauch an.
Janina hat geschrieben:PeB hat geschrieben:Daraus hat der Wissenschaftmaterialismus die Aussage getätigt, es sei nicht existent, was methodisch nicht angewandt wird.
Die Aussage heißt, damit arbeiten wir nicht, das ist alles. Der Laie wie Lieschen Müller neigt dazu, Wissenslücken mit Märchen zu schließen. Das ist eine menschliche Schwäche. Wissenschaft bedeutet, diese menschliche Schwäche zu überwinden, Unwissen zu ertragen und deshalb auf eine Aussage über Unbekanntes zu verzichten.
Sehe ich ganz anders. Das gilt methodisch innerhalb deiner Disziplin, ist aber unverantwortlich im Hinblick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen von Forschung (siehe oben). Man muss auch Fragen über das Unbekannte stellen dürfen, um beispielsweise zu Schlüssen bezüglich einer Wertigkeit zu gelangen etc.