Homosexualität und Christsein

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sven23
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#831 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von sven23 » Sa 14. Jan 2017, 08:40

closs hat geschrieben: Der Gedanke dahinter: Geschlechtlichkeit ist nicht nur for fun, sondern hat einen Hintergrund. - Oder anders: Welchen Sinn hätte Geschlechtlichkeit, wenn es diesen Hintergrund nicht gäbe.
Sie hat vor allem einen biologischen/evolutionären Sinn, weil sie die genetische Vielfalt erhöht. Den "geistigen" Sinn haben ihr erst Millionen Jahre später Menschen übergestülpt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:kommt man in Interpretations-Spiralen, die eine Eigendynamik entwickeln.
Das ist der Sinn von Hermeneutik: Sinn herauslesen und weiter-denken.
Deshalb habe ich ja den Text zitiert:

"Die Trias Teufel–Hölle–Gericht hat also in einem viel stärkeren Maße in Jesu Denken
eine Rolle gespielt, als dies im Bewusstsein der Christen präsent ist. Verstärkt wird dieser
negative Gedankenkreis noch durch den ethischen Rigorismus, den Jesus zuweilen zu
vertreten scheint. Und dann stellt sich schnell die Frage, wer denn überhaupt noch
gerettet werden kann. So finden sich in der Bergpredigt die bekannten Strafandrohungen:
...
Meint Jesus das wirklich ernst? Ein vergleichsweise
geringes Vergehen soll schon ausreichend sein, um dem Gericht verfallen zu sein? Wo
bleibt denn da die Verhältnismäßigkeit? Die Strafe stünde doch dann in keinem
vernünftigen Verhältnis mehr zum Vergehen? Und wäre Jesus dann nicht selbst von
seinem Wort betroffen, wenn er die Schriftgelehrten als Natterngezücht bezeichnet, wie
es oft berichtet wird? Den Ehebruch verschärft Jesus derart, dass es schon als Ehebruch
gilt, eine Frau auch nur begehrlich anzuschauen. Den Städten Chorazim und Bethsaida
wird explizit die Vernichtung angedroht, und zwar nur, weil sie seine ausgesandten
Jünger nicht aufgenommen haben.
Ist dieser Jesus noch bei Trost? Geht hier das Eiferertum mit ihm durch? Mit solchen
Sätzen scheint er von einer humanen Rechtsprechung, wie wir sie kennen, meilenweit
entfernt zu sein. Wie wenig verraten diese Sätze einen gesunden Einblick in die
menschliche Natur, und wie sehr spricht hier der Schwärmer. Und doch liegt ja der
Gedanke von ewigen Höllenstrafen auf der gleichen Wellenlänge. Abstrakt gesprochen:
Der Mensch ist ein endliches Wesen: Wenn er sündigen kann, dann kann er doch nur
endlich sündigen, es sollte doch kein Vergehen vorstellbar sein, das so groß ist, dass eine
unendliche, nie endende Bestrafung angemessen wäre."

Kubitza, Jesuswahn
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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closs
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#832 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von closs » Sa 14. Jan 2017, 09:04

sven23 hat geschrieben:Also zunächst mal hatten die Schreiber der Moses Texte mit Sicherheit nicht dein Christentum im Sinn.
Natürlich nicht - aber das Christentum hat sich daraus entwickelt.

sven23 hat geschrieben:Zum anderen findet man Homophobie auch heute noch in meist unterentwickelten und zurückgebliebenen Gesellschaften oder gesellschaftlichen Gruppen.
Da würden andere sagen: "Homophobie findet man heute meistens in Gesellschaften, die über ihrem Zenit sind und ins Dekadente kippen". - Da gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen.

sven23 hat geschrieben:Sie hat vor allem einen biologischen/evolutionären Sinn, weil sie die genetische Vielfalt erhöht. Den "geistigen" Sinn haben ihr erst Millionen Jahre später Menschen übergestülpt.
Logisch - wobei wir wieder beim Thema "Bewusstsein" wären.

sven23 hat geschrieben:Deshalb habe ich ja den Text zitiert
Das wäre ein Beispiel, wie man in die falsche Richtung weiter denken kann. - Insofern hast Du sogar recht: Man kann mit Hermeneutik eigene Weltanschauungen bis ins Unendliche drechseln.

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sven23
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#833 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von sven23 » Sa 14. Jan 2017, 09:16

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Also zunächst mal hatten die Schreiber der Moses Texte mit Sicherheit nicht dein Christentum im Sinn.
Natürlich nicht - aber das Christentum hat sich daraus entwickelt..
Also kein Paradigmenwechel. Ich bin gekommen zu erfüllen und nicht aufzulösen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Zum anderen findet man Homophobie auch heute noch in meist unterentwickelten und zurückgebliebenen Gesellschaften oder gesellschaftlichen Gruppen.
Da würden andere sagen: "Homophobie findet man heute meistens in Gesellschaften, die über ihrem Zenit sind und ins Dekadente kippen". - Da gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen.
Wieso, das ist doch in etwa das gleiche, was ich sage.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Sie hat vor allem einen biologischen/evolutionären Sinn, weil sie die genetische Vielfalt erhöht. Den "geistigen" Sinn haben ihr erst Millionen Jahre später Menschen übergestülpt.
Logisch - wobei wir wieder beim Thema "Bewusstsein" wären.
Eben, die Menschen waren sich der biologischen/evolutionären Bedeutung der Sexualität nicht bewußt, weshalb sie auf Götter zurückgriffen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deshalb habe ich ja den Text zitiert
Das wäre ein Beispiel, wie man in die falsche Richtung weiter denken kann. - Insofern hast Du sogar recht: Man kann mit Hermeneutik eigene Weltanschauungen bis ins Unendliche drechseln.
Du meinst also, dass Jesus mit seinem Teufels- Höllen- und Gerichtsglaube in die falsche Richtung gedacht hat? :o
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SilverBullet
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#834 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von SilverBullet » Sa 14. Jan 2017, 13:43

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:da gibt es gar nichts zu klären, denn es gibt keine Deutungsabsolutheit (siehe oben), also keine Klärung.
Naja - aber man kann doch wenigstens einen Text substantiell begründen, bevor man ihn blind zerreißt.
"Begründen" geht nicht ohne "zu deuten" – dadurch veränderst du aber bereits etwas am Inhalt und das Ergebnis, steht nicht mehr im Text drin, ist also nicht entscheidend.

Was glaubst du, woher die vielen „christlichen Denkrichtungen“ kommen, die sich untereinander „spinnefeind“ sind. Alle „hüpfen“ sie um das alte Buch herum.

Vielleicht fällt es dir ja irgendwann mal auf, aber die Strategie einen Text als Grundlage und Verbreitung zu verwenden, ist nicht gerade überdurchschnittlich intelligent – es ist eher sogar eine Beleidigung, dies in Zusammenhang mit einem unsichtbaren Wesen(?) zu bringen (und zwar für das Wesen :-)).

Egal, welchen „Gehalt“ du in diesem Text entdecken können möchtest, du kannst nur innerhalb seiner Vorurteilsbehauptungen agieren, denn „entscheidend ist, was drin steht“ und nicht, was du dir ausdenkst.
Auf Basis der vollständigen Unkenntnis der Textentstehung und dem Mangel an anderen Grundlagen, gibt es letztlich nur den Text und keine Deutung oder Begründung.

Ausser deinem, durch Suggestion vermittelten „Wunsch“, durch diesen uralten Text auf die Welt (bzw. die Nicht-Welt??) zu schauen, gibt es keinerlei Begründung, diesen Text überhaupt zu verwenden.

Diese Situation verleiht erst einmal allen Behauptungen des Textes einen reinen Witzcharakter – mehr nicht.

Man kann kein „neues Weltkonzept“ à la „Nicht-Materiell“ starten, in dem man einzig ein total materielles Objekt, ein altes Buch, vorzeigt.

Das Verrückteste ist aber nun, wenn solche „waghalsigen Buchfanatiker“ auf andere Menschen zeigen und behaupten diese würden nicht dem Ideal entsprechen, weil es ja so in dem Büchlein geschrieben steht.
Keine Ahnung zu haben, was ein Mensch ist, aus dem Büchlein keine Informationen darüber zu bekommen, aber dennoch von „Verunreinigung“ und „Reinigung durch das Feuer“ sprechen können zu wollen, weil es so im Buch steht, kann höchstens als Definition von Dummheit verwendet werden.

Was an dieser Situation der „Gläubigen“ bewegt dich den Begriff „Substanz“ in den Mund zu nehmen?

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:“In der katholischen Morallehre entwickelte sich maßgeblich die Idee, was „natürlich“ ist und was nicht. Dies gipfelte in dem Grundsatz, dass jeder „natürliche“ Geschlechtsverkehr sowohl ein einigendes Element – die Liebe der Ehegatten – als auch ein fruchtbares Element – die Offenheit für neues Leben – enthalten musste. Fehlte eines der Elemente, brandmarkte die katholische Kirche die sexuelle Betätigung als „unnatürlich“ und als Todsünde gegen Gott.“
Nicht erst in der katholischen Morallehre - das ist AT und NT pur.
Es „ist“ bestimmt sehr viel, nur eines ganz bestimmt nicht:
mit der Natur abgeglichen…

Von „natürlich“ und „unnatürlich“ zu sprechen, obwohl man von der Natur keine Ahnung hat, ist maximales Kasperltheater („reines Rotnasengezucke“ :-)).

closs hat geschrieben:Oder anders: Welchen Sinn hätte Geschlechtlichkeit, wenn es diesen Hintergrund nicht gäbe.
Wenn ich dich nun frage, was „Sinn“ ist und wie er hergestellt wird, dann wird nichts Vernünftiges kommen, denn hier geht es um genau drei Fragen, die weder du, noch ein anderer Gläubiger, noch ein Prophet noch ein Religionsstifter, noch ein Schreiberling oder Textverbesserer jemals beantworten konnten.

Genauso weisst du nicht, was ein Mensch ist, so dass du nicht gerade mit „Hintergrund“ angeben kannst.

Auf Basis dieses allumfassenden Unwissens möchtest du nicht ernsthaft den Vorgang der Sexualität bewerten, Einteilungen in „ideal“ und „nicht-ideal“ vornehmen und dann vielleicht auch noch dieses Wagnis mit „Verunreinigung“/“Reinigung durch Feuer“ garnieren.
Falls doch, dann such dir auch gleich eine Farbe (im Rotspektrum) für das Näschen heraus :-)

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Münek
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#835 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von Münek » Sa 14. Jan 2017, 22:12

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Zum anderen findet man Homophobie auch heute noch in meist unterentwickelten und zurückgebliebenen Gesellschaften oder gesellschaftlichen Gruppen.
Da würden andere sagen: "Homophobie findet man heute meistens in Gesellschaften, die über ihrem Zenit sind und ins Dekadente kippen".
Was hat denn Homophobie mit Dekadenz zu tun? Nichts. Nee nee - Sven hat völlig recht. Nicht Gesellschaften, die ihren Zenit überschritten haben, sondern unterentwickelte, zurückgebliebene Gesellschaften oder gesellschaftliche Gruppen sind von dieser Phobie befallen.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Deshalb habe ich ja den Text zitiert
Das wäre ein Beispiel, wie man in die falsche Richtung weiter denken kann. - Insofern hast Du sogar recht: Man kann mit Hermeneutik eigene Weltanschauungen bis ins Unendliche drechseln.
Das gilt primär für Ideologien. Siehe den "weltanschaulich gedrechselten" Katechismus der katholische Kirche mit seinen hermeneutischen Auswüchsen. :thumbup:

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#836 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von closs » So 15. Jan 2017, 14:29

sven23 hat geschrieben:Also kein Paradigmenwechel. Ich bin gekommen zu erfüllen und nicht aufzulösen.
Das wäre jetzt die Frage: Ist Reformation "Paradigmenwechsel" oder "Erfüllung"? - Was hätte Luther gesagt?

Eine mögliche Antwort wäre: "Wir müssen das Steuer rumreißen (Paradigmenwechsel), um zu erfüllen". - Da sollten wir uns den Inhalten zuwenden, statt um Worte zu streiten.

sven23 hat geschrieben:Wieso, das ist doch in etwa das gleiche, was ich sage.
Das Gegenteil von "dekadenz" ist "unterentwickelt"?

sven23 hat geschrieben:die Menschen waren sich der biologischen/evolutionären Bedeutung der Sexualität nicht bewußt
Ähm - doch. - Man wusste, dass aus Geschlechtsverkehr Kinder wären, auf die man sich gefreut hat und die einen den Lebensabend gesichert haben. - Aber es gab halt nocht einen geistigen Aspekt übers reine Vögeln hinaus.

sven23 hat geschrieben:Du meinst also, dass Jesus mit seinem Teufels- Höllen- und Gerichtsglaube in die falsche Richtung gedacht hat?
Nein - sondern dass man diesen Worten auf den Grund gehen muss, um sie richtig zu interpretieren.

SilverBullet hat geschrieben:"Begründen" geht nicht ohne "zu deuten"
Absolut richtig - das ist immer so. - Um so wichtiger ist es, die Grundlagen/Setzungen dieser Deutung offen zu nennen.

SilverBullet hat geschrieben:Egal, welchen „Gehalt“ du in diesem Text entdecken können möchtest, du kannst nur innerhalb seiner Vorurteilsbehauptungen agieren, denn „entscheidend ist, was drin steht“
Da beißt es sich aber. - Denn "was drin steht", versteht ein Atheist (bei der Bibel) anders als der Christ. - Und die Christen sehen es untereinander auch oft unterschiedlich, weil sie unterschiedliche Verständnis-Setzungen haben. - Das ist der ewige Kampf um die "Wahrheit".

SilverBullet hat geschrieben:Man kann kein „neues Weltkonzept“ à la „Nicht-Materiell“ starten, in dem man einzig ein total materielles Objekt, ein altes Buch, vorzeigt.
Ebenfalls korrekt - Sinn macht nur, in diesem Buch so viel zu finden, was es auch ohne dieses Buch bereits gibt.

SilverBullet hat geschrieben:Es „ist“ bestimmt sehr viel, nur eines ganz bestimmt nicht: mit der Natur abgeglichen…
Das ist auch nicht naturalistisch gemeint. - Es wäre zu klären, was man mit "natürlich" semantisch verbindet - man kann bspw. sagen, dass der Geist der Natur des Menschen gemäß ist - egal, ob man dies naturalistisch meint oder nicht.

SilverBullet hat geschrieben:Wenn ich dich nun frage, was „Sinn“ ist und wie er hergestellt wird, dann wird nichts Vernünftiges kommen
Das geht bei ontologischer Denkweise schon. - Allerdings wie immer ohne Gewähr, denn ALLES, was der Mensch denkt, ist Wahrnehmung, die ihrerseits nicht vollkommen ist.

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sven23
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#837 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von sven23 » So 15. Jan 2017, 14:58

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Also kein Paradigmenwechel. Ich bin gekommen zu erfüllen und nicht aufzulösen.
Das wäre jetzt die Frage: Ist Reformation "Paradigmenwechsel" oder "Erfüllung"? - Was hätte Luther gesagt?

Eine mögliche Antwort wäre: "Wir müssen das Steuer rumreißen (Paradigmenwechsel), um zu erfüllen". - Da sollten wir uns den Inhalten zuwenden, statt um Worte zu streiten.
Natürlich geht es um Inhalte. Doch weder Jesus noch die Evangelienschreiber hatten einen Luther im Sinn. Der Paradigmenwechsel Jesu bestand in einer punktuellen Thoraverschärfung und im Glauben an das unmittelbar bevorstehende Gottesreich. Der Paradigmenwechsel der Schreiber und der Kirche bestand in einer Abkehr von Jesu Lehre und einem verhängnisvollen Antijudaismus, dem sich Luther 1500 Jahre später mit großem Eifer anschloss.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wieso, das ist doch in etwa das gleiche, was ich sage.
Das Gegenteil von "dekadenz" ist "unterentwickelt"?
Du kannst Homophobie auch als dekadent bezeichnen. Meinen Segen hast du. :lol:

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:die Menschen waren sich der biologischen/evolutionären Bedeutung der Sexualität nicht bewußt
Ähm - doch. - Man wusste, dass aus Geschlechtsverkehr Kinder wären, auf die man sich gefreut hat und die einen den Lebensabend gesichert haben. - Aber es gab halt nocht einen geistigen Aspekt übers reine Vögeln hinaus.
Deshalb mußte man auch eifrig vögeln, weil die Kindersterblichkeit so hoch war. Es geht hier aber mehr um die biologisch-evolutionäre Bedeutung von Sexualität, die durch genetische Vielfalt einen Vorteil mit sich brachte, zunächst im Tierreich, Millionen Jahre später profitierte auch der Mensch von dieser Entwicklung.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Du meinst also, dass Jesus mit seinem Teufels- Höllen- und Gerichtsglaube in die falsche Richtung gedacht hat?
Nein - sondern dass man diesen Worten auf den Grund gehen muss, um sie richtig zu interpretieren.
Genau das tut die Forschung doch:

"Mit Hölle und Teufel ist auch das Gericht eng verbunden. Diese Gedankenkreise
bilden fast so etwas wie eine negative Trinität. Das Gottesgericht meint eine Abrechnung
am Ende der Zeiten, bei der jeder Mensch und auch ganze Völker vor dem Richterstuhl
Gottes zu erscheinen haben, um entweder verurteilt oder freigesprochen zu werden. Die
Theologie spricht vom doppelten Ausgang der Menschheitsgeschichte. Heil oder Tod,
Hölle oder Paradies, Sekt oder Selters: Wie beim dualistischen Weltbild gibt es auch hier
keine Differenzierung, keine Abstufung. Der Gerichtsgedanke ist bestimmt durch ein
striktes Schwarz-Weiß-Denken und extreme Strafandrohungen.
...
Es ist offensichtlich, dass Jesus auch die Vorstellung vom Gericht geteilt hat. Sie war
nicht nur in seiner Umwelt präsent, auch sein vermutlicher Lehrer Johannes der Täufer
hatte das bevorstehende Zorngericht Gottes als zentralen Punkt seiner Verkündigung im
Programm. Jesus ist ihm darin gefolgt. Und so wird oft übersehen, dass im Hintergrund
seiner frohen Botschaft die Gerichtspredigt steht. Deutlich wird dies in der Rede vom
Weltgericht, welches sich bei Matthäus findet.
..
Teufelsglaube, Höllenvorstellung und Gericht sind hier in typischer Weise verbunden
und werden von Jesus propagiert. Dass dieses Gleichnis vom Weltgericht dennoch von
den Gläubigen als positiv empfunden wird, liegt schlicht daran, dass sie sich selbst
unbewusst den geretteten Schafen zuordnen und deshalb wenig Mitgefühl für die haben,
die nicht gerettet werden. Zumal deren Schicksal hier noch als gerechte Strafe dargestellt
wird. Das Evangelium, so wie Jesus es verkündet, ist also nicht per se eine frohe
Botschaft. Es bringt für den Großteil der Menschen (Viele sind berufen, aber nur wenige
sind auserwählt, Mt 22,14) schlichtweg Verurteilung und ewige Höllenqualen mit sich.
Man kann die Verwunderung Franz Buggles nur teilen, wenn man realisiert, „daß
derselbe Jesus für die mangelhafte diesseitige Barmherzigkeit ewige jenseitige
Folterqualen androht, eine Unbarmherzigkeit, die die angeprangerte irdische
Unbarmherzigkeit unendlich übersteigt.“ (Buggle, Denn sie wissen nicht was sie glauben,
S. 24)"

Kubitza, Jesuswahn
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
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#838 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von closs » So 15. Jan 2017, 15:59

sven23 hat geschrieben: weder Jesus noch die Evangelienschreiber hatten einen Luther im Sinn.
Wie wahr. :lol:

sven23 hat geschrieben:Der Paradigmenwechsel Jesu bestand in einer punktuellen Thoraverschärfung und im Glauben an das unmittelbar bevorstehende Gottesreich.
So, wie Du "Naherwartung" verstehst: grottenfalsch.

sven23 hat geschrieben:Der Paradigmenwechsel der Schreiber und der Kirche bestand in einer Abkehr von Jesu Lehre
Auf diese Idee kann man kommen, wenn man Jesu Lehre so versteht, wie Du es tust. - Aber Deine Ansicht scheint verbreitet zu sein.

sven23 hat geschrieben:Du kannst Homophobie auch als dekadent bezeichnen.
"Homophobie" ist streng genommen genauso wie "Homophilie" Ausdruck einer persönlichen Haltung: "Ich liebe Schwulsein - ich mag nicht, wenn jemand schwul ist". - Das sind persönliche Wahrnehmungen, die privater Natur sind und uns nichts angehen.

Genau deshalb reden wir hier in der Regel nicht über unsere Befindlichkeiten ("Was wir mögen/nicht mögen"), sondern über das Phänomen der Homosexualität, welches wiederum keine Neigung ("privater Geschmack"), sondern Veranlagung ist ("biologisch oder möglicherweise auch sozialisiert, also geprägt VOR einer bewussten persönlichen Entscheidung).

Homosexualität als "dekadent" zu bezeichnen, ist in sich blödsinnig - dann kann man auch Nierensteine dekadent finden. - Allerdings kann man fragen, warum es einmal mehr und einmal weniger Homosexualität oder Nierensteine gibt - und dann kann man zu Antworten kommen, die etwas mit einer Kultur zu tun haben. - Und erst DANN kommt die Frage: Hat Homosexualität etwas mit "unterentwickelter" oder "hochentwickelter" oder "dekadenter" Kultur zu tun?

sven23 hat geschrieben: Es geht hier aber mehr um die biologisch-evolutionäre Bedeutung von Sexualität
Womit Du "Sexualität" und "Vermehrung" in einem Atemzug nennst. - Damit hebst Du Dich von denen ab, die meinen, es sei lediglich eine Multifunktionalität: Da wäre der Fun-Teil des Körpers zufällig mit dem Vermehrungs-Teil des Körpers identisch - so wie Kauen und Reden zufällig im Mund stattfinden. - Denn letzteres ist nicht zwangsläufig so. - Mir ist der Gedanke nicht unsympathisch, dass man das Essen irgendwo seitlich reinschiebt, währenddem man redet - es wäre möglich, weil keine wesensmäßige Verbindung zwischen "Kauen" und "Reden" besteht - bei Sex und Vermehrung ist es aber so.

sven23 hat geschrieben:Genau das tut die Forschung doch
Und wie es klingt, ähnlich daneben wie die Paulus-Sache Röm. 3,7 im anderen Thread. - Und das im Namen der "Forschung", die auch noch meint, sie sei die einzige. - Wird Dir langsam klar, dass das alles von einem gestandenen, gebildeten, geistig-spirituell akivierten, intellektuell-geschulten Theologen nicht ernst genommen werden kann?

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sven23
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#839 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von sven23 » So 15. Jan 2017, 16:50

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Der Paradigmenwechsel Jesu bestand in einer punktuellen Thoraverschärfung und im Glauben an das unmittelbar bevorstehende Gottesreich.
So, wie Du "Naherwartung" verstehst: grottenfalsch.
Nicht nur ich, sondern die neutestamentliche Forschung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Der Paradigmenwechsel der Schreiber und der Kirche bestand in einer Abkehr von Jesu Lehre
Auf diese Idee kann man kommen, wenn man Jesu Lehre so versteht, wie Du es tust. - Aber Deine Ansicht scheint verbreitet zu sein.
Es bedarf keiner besonderen intellektuellen Leistung, die Verfälschung seiner Lehre nachzuvollziehen. Die Frage wäre, ob die unverfälschte Ethik Jesu überhaupt gesellschaftlich praktikabel wäre. Vermutlich nicht, deshalb war sie eine Art Interimsethik bis zur Herrschaft Gottes, die ja unmittelbar bevorstand.
Paulus legte mit der Abänderung der Lehre zwar den Grundstein für den Erfolg des Christentums, aber auch für die Unheilsgeschichte desselben.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Du kannst Homophobie auch als dekadent bezeichnen.
Homosexualität als "dekadent" zu bezeichnen, ist in sich blödsinnig
Du hast Homophobie als dekadent bezeichnet.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Es geht hier aber mehr um die biologisch-evolutionäre Bedeutung von Sexualität
Womit Du "Sexualität" und "Vermehrung" in einem Atemzug nennst.
Es ist doch eine Errungenschaft, dass Sex nicht zwangläufig an Vermehrung gekoppelt ist. Gerade die Entkoppelung hat zu mehr Freiheitsgraden geführt.
Die Bonobos wußten schon lange um die aggressionsmildernde und gemeinschaftsfördende Wirkung von Sex. :lol:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#840 Re: Homosexualität und Christsein

Beitrag von Pluto » So 15. Jan 2017, 17:08

sven23 hat geschrieben:Es ist doch eine Errungenschaft, dass Sex nicht zwangläufig an Vermehrung gekoppelt ist. Gerade die Entkoppelung hat zu mehr Freiheitsgraden geführt.
Man könnte geradezu als Fortschritt in der Emanzipation bezeichnen.

sven23 hat geschrieben:Die Bonobos wußten schon lange um die aggressionsmildernde und gemeinschaftsfördende Wirkung von Sex. :lol:
Nicht nur.
Auch die Wale und Delfine wissen davon.
Ich finde es eine interessante Beobachtung, wie spielerischer Sex sehr gut mit Intelligenz korreliert. Je intelligenter eine Art, umso mehr spielerische Elemente findet man im Akt der Fortpflanzung.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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