Theodizee

Rund um Bibel und Glaube
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Münek
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#751 Re: Theodizee

Beitrag von Münek » Fr 7. Okt 2016, 13:49

closs hat geschrieben:Historisch-kritisch hast Du natürlich recht - aber das ist nun wirklich keine sensationelle Einsicht. - Man muss "historisch-kritisch" und "geistig-inhaltlich" kategorial trennen - beides bezeichnet völlig Unterschiedliches. - Das ist doch der Grund, warum man mit der HKM äußerliche Abläufe gut nachzeichnen kann - es ist ihr Job. - Aber was INNERLICH authentisch ist, läuft nicht auf HKM-Ebene ab - das ist NICHT ihr Job.
Die Jesus-Forschung befasst sich mit historischen Abläufen. Da sie auf streng wissenschaftlicher Basis die überlieferten Bibeltexte untersucht, befasst sie sich nicht mit berichteten Eingriffen Gottes in die Geschichte und mit Wundererzählungen, wie beispiels-
weise die Auferweckung eines bereits verwesten Leichnams.


Die überlieferten Worte Jesu in seiner Gottesreichs-Botschaft halten die Neutestamentler, aber auch beispielsweile Theologen wie Karl Rahner und Bischof Kasper allerdings für authentisch, d.h. für tatsächlich-historische Aussprüche und nicht für Erfindungen der Urgemeinde oder der Evangelisten. Die Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Gottesherrschaft auf Erden - da sind sich alle Exegeten einig - stand im Zentrum der jesuanischen Botschaft, die er und seine Jünger landauf landab unters Volk brachten.

Sein Irrtum und der seines Vorgängers Johannes dem Täufer bestanden nun darin, dass die als nah angesagte Gottesherrschaft ausblieb - bis heute. Ihre Prophezeiungen haben sich nicht erfüllt. Diese Feststellung - über die in der neutestamentlichen Wissenschaft ein breiter Konsens besteht - schmerzt natürlich viele Gläubige. Sie können und wollen nicht glauben, dass sich Jesus dermaßen getäuscht hat. Zu diesen Gläubigen gehörst auch Du.

Nun hilft in dieser historischen Frage der persönliche Glaube nicht weiter. Mit Glauben können historischen Ereignisse nicht ungeschehen gemacht werden. Es zeugt lediglich von trotzig-naiver Hilflosigkeit, wenn Du dennoch als Laie versuchst, die einvernehmlichen Ergebnisse der Jesusforschung mit an den Haaren herbeigezogenen, unausgegorenen, "spirituellen" Begründungen als falsch hinzustellen.

closs
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#752 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Fr 7. Okt 2016, 13:59

Münek hat geschrieben:Die Jesus-Forschung befasst sich mit historischen Abläufen.
Wenn sie diese beobachtet und beschreibt, ist das genau ihr Terrain.

Münek hat geschrieben:Die überlieferten Worte Jesu in seiner Gottesreichs-Botschaft halten die Neutestamentler, aber auch beispielsweile Theologen wie Karl Rahner und Bischof Kasper allerdings für authentisch
Das ist die Beobachtung - jetzt wäre der nächste Schritt: Was ist inhaltlich mit "nahes Gottesreich" seitens Jesu gemeint - und dazu ist für die Antwort nicht eine historische, sondern eine theologische Wissenschaft zuständig.

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Halman
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#753 Re: Theodizee

Beitrag von Halman » Fr 7. Okt 2016, 14:05

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die überlieferten Worte Jesu in seiner Gottesreichs-Botschaft halten die Neutestamentler, aber auch beispielsweile Theologen wie Karl Rahner und Bischof Kasper allerdings für authentisch
Das ist die Beobachtung - jetzt wäre der nächste Schritt: Was ist inhaltlich mit "nahes Gottesreich" seitens Jesu gemeint - und dazu ist für die Antwort nicht eine historische, sondern eine theologische Wissenschaft zuständig.
Ganz meine Meinung, aber dies WOLLEN die User hier nicht akzeptieren.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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sven23
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#754 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Fr 7. Okt 2016, 17:00

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Der Verfälschungsprozess ist ganz gut belegt.
So wie Du es meinst, glaube ich Dir das unbesehen. - Nur: Was haben Rezeptions-Entwicklungen in den Quellen mit "gut" und "böse" zu tun?
Das sagt ja niemand. Man kann aber nicht hingehen, und die Lehre eines Sektengurus verfälschen und sich gleichzeitig immer wieder auf ihn berufen. Das ist unredlich.

closs hat geschrieben: Historisch-kritisch hast Du natürlich recht - aber das ist nun wirklich keine sensationelle Einsicht. - Man muss "historisch-kritisch" und "geistig-inhaltlich" kategorial trennen - beides bezeichnet völlig Unterschiedliches. - Das ist doch der Grund, warum man mit der HKM äußerliche Abläufe gut nachzeichnen kann - es ist ihr Job. - Aber was INNERLICH authentisch ist, läuft nicht auf HKM-Ebene ab - das ist NICHT ihr Job.
Wenn man wirkliches Interesse am historischen Jesus hat, führt kein Weg an der historischen Jesusforschung vorbei. Alles andere ist Vergötzung eines literarischen Kunstprodukts.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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sven23
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#755 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Fr 7. Okt 2016, 17:12

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die überlieferten Worte Jesu in seiner Gottesreichs-Botschaft halten die Neutestamentler, aber auch beispielsweile Theologen wie Karl Rahner und Bischof Kasper allerdings für authentisch
Das ist die Beobachtung - jetzt wäre der nächste Schritt: Was ist inhaltlich mit "nahes Gottesreich" seitens Jesu gemeint - und dazu ist für die Antwort nicht eine historische, sondern eine theologische Wissenschaft zuständig.
Das hat die historische Jesusforschung sehr präzise herausgearbeitet. Gerd Theißen bringt es zusammenfassend für die Forschung auf einen Punkt:

„Als Jesus den gegenwärtigen Beginn der Gottesherrschaft verkündigte, rechnete er mit deren Kommen während seines Lebens.“

Was die kanonische Exegese daraus macht, steht auf einem völlig anderen (Glaubens-) Blatt. Sie will alles so hinbiegen, dass die Intention der frühen Kirche, nämlich die Vergottung des Wanderpredigers, bestätigt wird. Ihr Leitmotiv ist also das, was die Kirche nachträglich aus den Evangelien in ihrem Sinne umgeformt hat.
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#756 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Fr 7. Okt 2016, 18:59

sven23 hat geschrieben:Man kann aber nicht hingehen, und die Lehre eines Sektengurus verfälschen und sich gleichzeitig immer wieder auf ihn berufen.
Was ist "verfälschen"? - Wenn man einen Text verändert wiedergibt, kann man das historisch-kritisch als "verfälschen" bezeichnen (ein redlicher HKM-ler würde erst mal nüchtern von "verändern" sprechen. - Geistig-inhaltlich dagegen prüft man, ob eine Veränderung in der Rezpetions-Abfolge sinn-entstellend oder sinn-fördernd ist.

sven23 hat geschrieben:Wenn man wirkliches Interesse am historischen Jesus hat, führt kein Weg an der historischen Jesusforschung vorbei.
Das ist ok - inhaltliche Interpretationen sind das Problem.

sven23 hat geschrieben:Das hat die historische Jesusforschung sehr präzise herausgearbeitet. Gerd Theißen bringt es zusammenfassend für die Forschung auf einen Punkt
So nackig, wie es hier da steht, ist Theißen zu kritisieren, weil er es ja nur historisch-kritisch meinen kann, es aber absolut klingt. Die HKM hat immer die Kondition zu haben: "Wenn wir es nach der Regel historisch-kritisch durchspulen, dann hatte Jesus eine Naherwartung - anders können wir es nicht beurteilen."

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sven23
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#757 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Fr 7. Okt 2016, 19:07

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Man kann aber nicht hingehen, und die Lehre eines Sektengurus verfälschen und sich gleichzeitig immer wieder auf ihn berufen.
Was ist "verfälschen"? - Wenn man einen Text verändert wiedergibt, kann man das historisch-kritisch als "verfälschen" bezeichnen (ein redlicher HKM-ler würde erst mal nüchtern von "verändern" sprechen. - Geistig-inhaltlich dagegen prüft man, ob eine Veränderung in der Rezpetions-Abfolge sinn-entstellend oder sinn-fördernd ist.
Vieles ist nun mal als sinn-entstellend identifiziert worden. Das ist doch der Grund, warum z. B. Nietzsche schon dem Paulus die Krätze an den Hals wünschte. Von späteren Verfälschungen ganz zu schweigen.


closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Das hat die historische Jesusforschung sehr präzise herausgearbeitet. Gerd Theißen bringt es zusammenfassend für die Forschung auf einen Punkt
So nackig, wie es hier da steht, ist Theißen zu kritisieren, weil er es ja nur historisch-kritisch meinen kann, es aber absolut klingt. Die HKM hat immer die Kondition zu haben: "Wenn wir es nach der Regel historisch-kritisch durchspulen, dann hatte Jesus eine Naherwartung - anders können wir es nicht beurteilen."
Die Prämisse ist: Wenn man überhaupt authenthisches von nicht-authentischem unterscheiden kann, dann gehört die Naherwartung eindeutig zum authentischen.
Andere Möglichkeit: alles ist frei erfunden.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#758 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Fr 7. Okt 2016, 20:04

sven23 hat geschrieben:Vieles ist nun mal als sinn-entstellend identifiziert worden.
Im Bezug worauf? Auf die älteren Quellen oder auf Jesus?

sven23 hat geschrieben:Wenn man überhaupt authenthisches von nicht-authentischem unterscheiden kann, dann gehört die Naherwartung eindeutig zum authentischen.
Aber doch nur bei entsprechender Interpretation aus heutiger Sicht.

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Münek
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#759 Re: Theodizee

Beitrag von Münek » Sa 8. Okt 2016, 00:23

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die Jesus-Forschung befasst sich mit historischen Abläufen.
Wenn sie diese beobachtet und beschreibt, ist das genau ihr Terrain.
Sie macht selbstverständlich viel mehr. Sie beurteilt und interpretiert die überlieferten Texte (Exegese = Auslegung = Interpretation).

EXEGESE ist das analytische Bemühen, durch Anwendung philologischer und historischer Methoden die kanonischen Schriften des Alten und des Neuen Testaments zu verstehen. Als Leitmethode wissenschaftlicher Bibelauslegung bemüht sich die "historisch-kritische Exegese" zu ermitteln, welchen SINN ein biblischer Text zur Zeit seiner Abfassung hatte. Sie berücksichtigt dabei, dass sich dieser Sinn durch Erweiterungen und Veränderungen gewandelt haben kann.

(Quelle: Bibelwissenschaft.de)

Die historisch-kritische Methode hat zum Ziel, einen biblischen Text in seinem damaligen historischen Kontext zu verstehen und schließlich auszulegen. Dabei spielen die Rekonstruktion der vermuteten Vor- und Entstehungsgeschichte des Textes und seine Einbindung in das damalige Geschehen eine besondere Rolle. Wichtige Teildiziplinen der HKM sind die Textkritik, die Textanalyse, die Redaktions-, Literar-, Form- und die Traditionskritik.

(Quelle: Wiki)


Nochmal extra für Dich:

HISTORISCH ist diese Methode insofern, als sie davon ausgeht, dass die zu untersuchende Textgestalt eine lange, teils mündliche, teils schriftliche Vorgeschichte hat. Außerdem soll speziell das historische und theologische Umfeld des Autors zur Zeit des Schreibens erhellt werden, also etwa die im betreffenden biblischen Buch zum Ausdruck kommende Theologie.

KRITISCH, also unterscheidend, ist diese Methode, weil ein großer Unterschied zwischen den ursprünglichen Ereignissen und den biblischen Berichten vermutet wird, und weil der Betrachter beim Ermitteln der Vorstufen des Textes enorme Fähigkeiten des Unterscheidens (was ist ursprünglich, und was wurde - aufgrund welcher Theologie - verändert?) benötigt.

(Quelle: Wiki)

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#760 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Sa 8. Okt 2016, 00:55

Münek hat geschrieben:Sie macht selbstverständlich viel mehr. Sie beurteilt und interpretiert die überlieferten Texte (Exegese = Auslegung = Interpretation).
Ja - aber wo ist hier der theologische, heilsgeschichtliche Aspekt? - Oder vielleicht deutlicher: Wo wird hier diskutiert, welche Rezeption zu welcher Zeit dem entspricht, was Jesus gemeint hat - unter dem christlichen Aspekt, dass Jesus göttlich ist?

Wir kriegen folgendes Problem nicht weg:
DEINE Darstellung ist wirklich glaubhaft, wenn Jesus nur ein Wanderprediger war - dann hat die HKM mit größter Wahrscheinlichkeit recht. - Sie ist NICHT hinreichend, wenn Jesus göttlich ist - dann nützen all die methodischen Rafinessen der HKM nichts.

"Wissenschaftliche Exegese" in "Deinem" Sinne funktionier nur dann, wenn Jesus NICHT göttlich ist.

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