Spice hat geschrieben: ↑Fr 10. Jan 2020, 14:15
Wenn die menschliche Seele unsterblich ist - wovon alle Religionen und idealistischen Philosophien ausgehen
Falsch:
Für den Buddhismus gibt es keine unsterbliche Seele,
ja, nicht einmal eine sterbliche.
Beschäftige dich mal mit der
anatta-Lehre.
Spice hat geschrieben: ↑Fr 10. Jan 2020, 14:15
Das wundert mich jetzt, dergleichen von Dir zu hören. Strebt denn der Buddhismus, wie auch das Christentum, nicht die Aufhebung des Leidens an?
Das
richtige Leben führt doch schon im Hier und Jetzt zum Nirvana in Samsara.
Doch, klar. Aber das der Existenz innewohnende Leiden wie Alter, Krankheit und Tod, kann zeit des Lebens nicht aufgehoben werden. Auch Siddhattha Gotama litt unter Rückenschmerzen und starb (vermutlich an einer giftigen oder verdorbenen Nahrung).
Es werden zwei Aspekte des Nirvana gelehrt:
a) Das Nirvana mit einem Daseinsrest (kilesa-nibbana)
Der Geist des vollständig erwachten Menschen leidet nicht mehr unter der Leidunterworfenheit seiner Existenz (durch Befreiung von selbstsüchtiger Begierde und Aversion gegenüber dem Leben). Ich nenne dies das "psychologische Nirvana".
b) Das Erlöschen des Daseinsrestes (alles Körperliche und Geistige, das den Menschen konstituierte; khandha-nibbana), dies tritt ein beim Tode des erwachten Menschen.
Siehe
Nibbana.
Spice hat geschrieben: ↑Fr 10. Jan 2020, 14:15
Und der Buddhismus hat ja mit dem Christentum gemeinsam, dass die Verlorenheit an die Dinge dieser Welt leidauslösend ist, und man deshalb diese Anhaftungen und Bestrebungen
loslassen soll.
Genau. Siehe oben a): Die Identifikation (Ich-machen) und Inbesitznahme (Mein-machen) von irgendwelchen körperlichen oder unkörperlichen Aspekten des Seins führt zu Begehren und Aversion und
ist Leiden (oder zeigt die Unzufriedenheit mit dem auf, was ist). Jedes Loslassen eines konkreten Ich- und Mein-Anspruchs wird als befreiend erlebt (was wir sicher alle schon erlebt haben): was losgelassen wird löst keine leidvolles und leisverursachendes Begehren oder Hassen mehr aus. Dazu gibt es eine kurze und tiefgründige Darlegung des Buddha, die den so angesprochenen laut Überlieferung sogleich das psychologische Nirvana erleben liess:
So kannst du dich üben:
Gesehenes gelte dir nur als Gesehenes,
Gehörtes nur als Gehörtes,
mit den anderen Sinnen Wahrgenommenes nur als mit den anderen Sinnen Wahrgenommenes,
Erkanntes nur als Erkanntes.
So kannst du dich üben.
Wenn dir Gesehenes nur als Gesehenes,
Gehörtes nur als Gehörtes gelten wird,
mit den anderen Sinnen Wahrgenommenes nur als mit den anderen Sinnen Wahrgenommenes,
Erkanntes nur als Erkanntes,
dann bist du nicht dort,
dann ist das nicht deine Sache,
dann bist du weder hier noch jenseits noch dazwischen:
Das eben ist das Ende des Leidens
Spice hat geschrieben: ↑Fr 10. Jan 2020, 14:15
Würde es anders sein, dann würde der leichteste Weg der Befreiung der Selbstmord sein. Aber Buddha wusste eben, dass das überhaupt nichts bringt, sondern das Problem verschärft!
Da gibt es unterschiedliche Interpretationen. Tatsache ist, dass das, worum es wirklich geht, mit dem "psychologischen Nirvana" verwirklicht wird.
Und mit dem Tod des Menschen, der das realisiert hat, erlöschen Geist-und-Körper (nama-rupa) und damit ist die völlige Leidfreiheit verwirklicht.
Im Palikanon wird von erwachten Menschen berichtet, die sich aufgrund körperlicher Krankheit und starker Schmerzen für den Suicid entschieden haben. Da wurde kein Problem verschärft, sondern eines definitiv gelöst.
In der "Rede an die Kalamer" sagte der Buddha in Bezug auf das "psychologische Nirvana" und auf Karma und Wiedergeburt:
Von Begierde und Übelwollen befreit, unverwirrt, wissensklar und achtsam, durchdringt der edle Jünger mit einem von Güte – von Mitleid – von Mitfreude – von Gleichmut erfüllten Geiste die eine Himmelsrichtung, ebenso die zweite, ebenso die dritte, ebenso die vierte.
So durchdringt er oben, unten, quer inmitten, überall, allerwärts, die ganze Welt mit einem von Güte, Mitleid, Mitfreude oder Gleichmut erfüllten Geiste, einem weiten, umfassenden, unermesslichen, von Hass und Übelwollen befreiten.
Mit einem derart von Hass und Übelwollen freien, also unbeschwerten, also geläuterten Geiste ist dem edlen Jünger noch bei Lebzeiten Trost gewiss:
‚Gibt es eine andere Welt und gibt es eine Frucht, ein Ergebnis guter und schlechter Taten, so ist es möglich, dass ich beim Verfall des Körpers, nach dem Tode, auf glücklicher Daseinsfährte erscheine, in himmlischer Welt’ – dieses Trostes ist er gewiss.
‚Gibt es aber keine andere Welt und gibt es keine Frucht, kein Ergebnis guter und schlechter Taten, so lebe ich eben hier in dieser Welt ein leidloses, glückliches Leben, frei von Hass und Übelwollen’ – dieses Trostes ist er gewiss.
Mit einem derart von Hass und Übelwollen freien, also unbeschwerten, also geläuterten Geiste ist dem edlen Jünger noch bei Lebzeiten dieser Trost gewiss.
Kann ein Mensch also den Weg des Buddha gehen ohne Glaubensinhalte, wie zum Beispiel den Glauben an die Wiedergeburt, zu übernehmen? Meine Überzeugung (und die Überzeugung von säkularen Buddhisten wie z.B.
Stephen Batchelor) ist: Ja er kann, denn (so habe ich vor einiger Zeit meine gegenwärtige Anschauung diesbezüglich formuliert):
Wer Buddhas Weg geht findet nicht zum illusionären Glauben an die Wiedergeburt, sondern zur befreienden Erkenntnis der Nichtwiedergeburt.
Wer Buddhas Weg geht, erkennt den Wert und die Bedeutung dieses einen und einzigartigen Lebens und lebt es im Bewusstsein der Endlichkeit.
Wer Buddhas Weg geht, hofft nicht auf ein Paradies, weder auf ein irdisches noch auf ein himmlisches, sondern lebt hier und jetzt.
Wer Buddhas Weg geht, sieht kein Ich oder Selbst, das den Weg geht, sondern geht ihn selbstlos aufgrund der Bedingungen.
Wer Buddhas Weg geht, macht sich keine Illusionen über gestern und morgen, über Zeit und Ewigkeit, und auch nicht über die Gegenwart.
Wer Buddhas Weg geht, lebt nicht in rosaroten Träumen und auf himmelblauen Wolken, sondern in der dem Leiden und dem Tod unterworfenen Wirklichkeit des Seins.
Wer Buddhas Weg geht, sucht nicht Wellness und Happy Samsara, sondern das Erwachen aus dem Albtraum.
Wer Buddhas Weg geht, geht ihn im vergänglichen, leidunterworfenen, selbstlosen und bedingten Sein.
Wer Buddhas Weg geht, lässt das vergängliche, leidunterworfene, selbstlose und bedingte Sein sein wie es ist.
Wer Buddhas Weg geht nimmt das Körperliche an wie es ist, nimmt die Gefühle an wie sie sind, nimmt die Geisteszustände an wie sie sind, nimmt die Geistinhalte an wie sie sind.
Wer Buddhas Weg geht, geht ihn so.