Dann sollten wir wieder auf den christlichen Terrorismus zurückkommen.
Es wird niemanden hier wundern, wenn ich freimütig gestehe, dass mich mit der bedeutendsten Mathematikerin und Philosophin der Antike, dem "erleuchteten Kind der Vernunft", wie sie ein Philosoph ihrer Zeit nannte, der unvergleichlichen Hypathia, eine besondere Beziehung verbindet und ich sie als eine Art Seelenverwandte ansehe. Simone de Beauvoir und sie waren schon als junges Mädchen meine treuen Weggefährtinnen. Zu beiden schaue ich auf.
Der Tod Hypathias war grausam und ihre Mörder waren fanatische Christen, woran es historisch keinen Zweifel gibt, denn der Tod Hypathias ist sehr gut belegt. Es gibt abweichende Darstellungen ihres Todes, aber jede dieser Varianten ist grausam.
Natürlich will ich durch die Schilderung ihres Todes an dieser Stelle nicht allen damals und heute lebenden Christen vorwerfen, Verbrecher zu sein und einer Verbrecherbande anzugehören, die nur so tun, als handelten sie nach einer Liebesethik, die aber in Wahrheit in ihrer Geschichte nur Unheil angerichtet haben. Das wäre Quatsch, denn es wäre unrichtig. Selbst die parabalani in Alexandria haben auch Gutes getan und wie Claymore richtig bemerkt, hatte das Christentum entscheidenden Anteil daran, den wichtigen moralischen Gedanken zu verbreiten, dass alle Menschen gleich sind. Wieviel Aufklärung in der Ethik des modernen katholischen und protestantischen Christentums steckt, darüber kann man sich allerdings trefflich streiten. Ich denke beispielsweise: sehr viel Aufklärung.
An einem Märztag des Jahres 415 verließ Hypatia wie immer ihr Haus, um zur Arbeit zu fahren, als sich ihr plötzlieh »eine Ansammlung Gottesfürchtiger« in den Weg stellte und sie zwang, vom Wagen zu steigen.* Da sie erfahren hatte, wie es ihrem guten Freund Orestes kürzlich ergangen war. wird ihr der Ernst der Lage bewusst gewesen sein. Doch sie kann unmöglich geahnt haben, wie ernst sie war.
Sobald sie auf der Straße stand, wurde die Heidin von den parabalani und ihrem Anführer, einem Kirchenmagistraten namens Petrus, der »ein in jeder Hinsicht vollkommener Anhänger Jesu Christi«** war, umringt und ergriffen. Dann schleiften die Männer Alexandrias größte lebende Mathematikerin durch die Straßen bis zu einer Kirche. Im Inneren der Kirche rissen sie ihr die Kleider vom Leib und schnitten ihr mit den Scherben zerbrochener Tontöpfe die Haut herunter. Manche sagen, die Angreifer hätten ihr die Augen ausgestochen, während sie noch nach Luft schnappte. Als sie schließlich tot war, rissen sie ihren Leichnam in Stücke und verbrannten das, was von dem »erleuchteten Kind der Vernunft« übrig war, auf einem Scheiterhaufen.*** [Catherine Nixey, Heiliger Zorn, München: 2017, S. 202+203]
*Johannes von Nikiu, chronicon, 84.100.
** ebenda
***Die Berichte über die Angriffe variieren: Sokrates Scholastikos, die verlässlichste Quelle, gibt an, sie sei mit »Keramik« ermordet worden - vermutlich meint er damit scharfkantige Scherben von Töpferware. Johannes von Nikiu (chronicon, 84.87) schreibt, sie sei durch die Straßen geschleift worden, bis sie tot war; bei Damaskios (fr. 43) werden ihr die Augen ausgestochen. Laut Hesychios, zit. nach Dzielska (1995), 93, wurden ihre Körperteile über die Stadt verstreut.
Wer sich für die Vorgänge in Alexandria 391 n.Chr. und die Figur der Hypathia interessiert, sei auf den Film "Agora – Die Säulen des Himmels" , Spain, 2009, verwiesen. 391 n.Chr. beginnt die Geschichte des Films, aber der Tod Hypathias war erst 415 n.Chr., wie man rekonstruieren kann (darum die Abweichung in der Datierung). Dramaturgisch ist der Film ein kompletter Reinfall geworden, denn er ist sterbenslangweilig. Aber die Recherche der historischen Umstände und die historische Darstellung dessen, was damals geschehen ist sowie das Setting des Films, sind ausgezeichnet. Will man einen spannenden Film sehen, ist "Agora – Die Säulen des Himmels" die falsche Wahl. Will man etwas über die historisch korrekten Geschehnisse in Alexandria 391 n.Chr. erfahen, ist der Film gut.
Der Trailer zum Film ist besser geraten, als der Film selbst. Aber dafür werden Trailer gemacht, um auch missratene Filme zu pushen.
Im Film ist der Tod Hypathias weit gnädiger. Man konnte den Zuschauern die Darstellung ihres tatsächlichen Todes nicht zumuten, zumal er dann eine FSK 16- oder 18-Klassifizierung bekommen hätte.