Was ist eigentlich "Aufklärung"?

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Halman
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#31 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von Halman » Di 5. Jul 2016, 18:42

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Will heißen, der Mensch war sich Jahrhunderte lang gewohnt, von der Obrigkeit des Adels und der Kirchen unterdrückt zu werden. Mit der Aufklärung erhielt der Mensch zum ersten Mal in seiner Geschichte die Möglichkeit sich von dieser Bevormundung zu befreien.
Zeitgenössisch spielt das mit rein - ich würde lieber über das Zeitlose sprechen - also das, was heute genauso aktuell ist wie zu allen Zeiten.

Was aber ist nun "aufgeklärt"? Wenn man sich nicht von der Obrigkeit unterdrücken lässt? Dann wäre auch Bischof Dyba aufgeklärt gewesen, der sich zu seiner Zeit ziemlich vehement gegen staatliche Obrigkeit gestellt hat. - Aber eine solche Definition reicht doch nicht.
Natürlich nicht. Zur Aufklärung über den Begriff Aufklärung wäre zu sagen:
Der Begriff Aufklärung, auch für das „Aufklären“ beliebiger Sachverhalte verwendet, bezeichnet seit etwa 1700 das gesamte Vorhaben, durch rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen zu überwinden. ...
Als wichtige Kennzeichen der Aufklärung gelten die Berufung auf die Vernunft als universelle Urteilsinstanz, der Kampf gegen Vorurteile, die Hinwendung zu den Naturwissenschaften, das Plädoyer für religiöse Toleranz und die Orientierung am Naturrecht.
Kant appelliert also dazu, seine eigene Vernunft zu benutzen.
Ganz allgemein ist Aufklärung die Klärung eines Sachverhalts, hier die Klärung, was denn eigentlich Aufkärung ist. Es geht also im Information, Wissen und den eigenverantwortlichen Gebrauch der Vernunft. Damit ist jeder gefordert, sich selbst zu informieren und so Wissen anzueignen, also eigenverantwortlich zur Selbstaufklärung beizutragen. Dies schließt natürlich nicht die Aufklärung anderer aus.

Allerdings ist nicht überall Vernunft drinnen, wo "Vernunft" drauf steht. Im Namen der Culte de l'Être suprême wurden im Verlauf der Entchristianisierung "cirka 300 Geistliche ermordet" (s. Die église réfractaire).
Ein weiteres Beispiel der Fall von Madame Rolande
Zitat aus Der Atheimsus-Wahn v. Alister McGrath (Seiten 103):
Die franzöische Schriftstellerin Madame Rolande wurde 1792 zur Guillotine geführt, um dort aufgrund von falschen Anschuldigungen hingerichtet zu werden. Während sie sich auf ihren Tod vorbereitete, verbeugte sie sich spöttisch in Richtung Freiheitsstatue, die auf dem Platz der Revolution stand und sagte jene Worte, die siche nciht in Vergessenheit gerten ließen: „Oh Freiheit, welche Verbrechen werden in deinem Namen begangen“. Alle Ideale, seien sie göttlichen, transzendenten, menschlichen oder erfunden Ursprungs, können missbraucht werden. Das entspricht der Natur des Menschen. Und weil wir das wissen, müssen wir etwas tun, um dies zu verhindernn, nicht einfach nur unreflektiert gegen das Phänomen an sich vorgehen.
Pierre Victurnien Vergniaud sagte treffend: „Die Revolution ... frisst ihre eigenen Kinder!“
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
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#32 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von closs » Di 5. Jul 2016, 21:21

Pluto hat geschrieben:Aufklärung ist das Bemühen der Menschheit zu zeigen was wirklich ist, und nicht blind den Dogmen der vor 500 Jahren allein herrschenden (bestimmenden) Kirche zu vertrauen.
So isoliert gesagt, stimme ich Dir zu.

Demnach wäre heute jemand aufgeklärt, wenn er nicht blind den Maximen des Materialismus folgt? Wäre logisch.

Pluto hat geschrieben:Nicht umsonst nennt man den Beginn der Aufklärung auch die kopernikanische Wende.
Ich vermute, dass es in den nächsten Generationen eine ähnliche Wende gibt, die sich dann gegen den Materialismus/Naturalismus wendet.

Halman hat geschrieben:Der Begriff Aufklärung, auch für das „Aufklären“ beliebiger Sachverhalte verwendet, bezeichnet seit etwa 1700 das gesamte Vorhaben, durch rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen zu überwinden.
Ich würde hier einen Schritt weitergehen und ergänzen: " ... und sich im Klaren darüber zu sein, was Fortschritt ist". - Wie soll man eigentlich dem Verdacht begegnen, dass "Aufklärung" heute ein Büttel-Wort für Materialismus und Naturalismus ist?

Halman hat geschrieben:Ganz allgemein ist Aufklärung die Klärung eines Sachverhalts, hier die Klärung, was denn eigentlich Aufkärung ist.
Genau das ist der entscheidende Punkt. - Diesbezüglich glaube ich, dass unsere Zeit NICHT aufgeklärt ist. - Was glaubt Ihr?

Pluto
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#33 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von Pluto » Di 5. Jul 2016, 22:59

closs hat geschrieben:Demnach wäre heute jemand aufgeklärt, wenn er nicht blind den Maximen des Materialismus folgt? Wäre logisch.
Man sollte keiner Maxime trauen, sondern diese immer hinterfragen. Dies gilt ganz besonders für die Dogmen und Maximen des Glaubens.

closs hat geschrieben:Ich vermute, dass es in den nächsten Generationen eine ähnliche Wende gibt, die sich dann gegen den Materialismus/Naturalismus wendet.
Das glaube ich nicht. Jedenfalls nicht gegen den Naturalismus. Wenn, dann höchstens gegen das Wachstumsdenken.

closs hat geschrieben:Wie soll man eigentlich dem Verdacht begegnen, dass "Aufklärung" heute ein Büttel-Wort für Materialismus und Naturalismus ist?
Das halte ich für einen Irrglauben.
Man kann den Fortschritt nicht aufhalten.

closs hat geschrieben:Genau das ist der entscheidende Punkt. - Diesbezüglich glaube ich, dass unsere Zeit NICHT aufgeklärt ist. - Was glaubt Ihr?
Ich denke unsere Zeit IST aufgeklärter als noch vor 500 Jahren. Die Welt wird sich weiter verändern, aber ganz sicher nicht zurück zum mittelalterlichen System.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

2Lena
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#34 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von 2Lena » Di 5. Jul 2016, 23:03

Pluto hat geschrieben:Mit der Aufklärung erhielt der Mensch zum ersten Mal in seiner Geschichte die Möglichkeit sich von dieser Bevormundung zu befreien.
... damit er sich in die nächsten Bevormundungen hineinstürzen könnte?
Es stimmt im Prinzip was du sagst. Pluto, du nennst die kopernikanische Wende, den Bruch mit den alten Traditionen der Kirche. Doch hier ist viel Werbung mitgemischt worden. Du nennst einen Sündenbock, weil dir ein paar Prozesse von "verbotenen Büchern" und Gezetere aus der Kirchengeschichte bekannt sind.

Die meisten Pfarrer beschäftigten sich nicht mit Astronomie. Warum ein Kopernikus - ein Angriffsfeld darstellte, wird nie "logisch"! Das Weltbild der Griehen und Römer übernahm die Kirche als Ausbildungsstand. Das wurde seit Aristoteles als Erzieher Alexander des Großen eine Form ergab - eine Art Dogma und bestimmte einen kleinen Teil unserer Kultur. Doch schon davor gab es große Denker, wie Solon, ein großer Gesetzgeber. Jesus gab völlig neue naturwissenschaftlichen Lehren und offenbarte Wissen um die Heilkunst. Das wissen wir nicht direkt über die unmittelbaren Geschichten, sondern kennen nur die Wundererzählungen. Erstaunlich ist es, dass jeder Zweig der Wissenschaften zu jenem Zeitpunkt eine gewaltige Wende genommen hat. Auch Apollonius von Tyana legte das beste Weltbild zurecht. Weshalb ist da eigentlich so ein Zwist um die Weltanschauungen entstanden?

"Fehler" entstehen laufend, indem Überlieferungen weitetgehend ungeprüft von einem zum anderen über Jahrhunderte weiter erzählt wurden - bis halt mal einer ein ordentlich großes Fernroh gebastelt hat ... Schon konnten sich ein paar Fähige alles besser vorstellen.

Pluto
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#35 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von Pluto » Di 5. Jul 2016, 23:09

2Lena hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Mit der Aufklärung erhielt der Mensch zum ersten Mal in seiner Geschichte die Möglichkeit sich von dieser Bevormundung zu befreien.
... damit er sich in die nächsten Bevormundungen hineinstürzen könnte?
Nein. Um sich von den alten "Zöpfen" und Strukturen zu befreien.

2Lena hat geschrieben:Es stimmt im Prinzip was du sagst. Pluto, du nennst die kopernikanische Wende, den Bruch mit den alten Traditionen der Kirche.
Die kopernikanische Wende war natürlich mehr als das. Es war der Beginn freiheitlichen Denkens in der westlichen Welt.
Halman hat Recht wenn er sagt, die französische Revolution sei der Höhepunkt der Aufklärung. Für mich war sie noch viel mehr: Sie war der Wendepunkt schlechthin, ab dem es kein Zurück mehr gab.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#36 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von closs » Di 5. Jul 2016, 23:41

Pluto hat geschrieben:Man sollte keiner Maxime trauen, sondern diese immer hinterfragen.
Dann wären also Christen, die den Materialismus/Naturalismus hinterfragen, "aufgeklärt"?

Pluto hat geschrieben:Die Welt wird sich weiter verändern, aber ganz sicher nicht zurück zum mittelalterlichen System.
Das glaube ich auch nicht - wenn, dann nach vorne (geht ja gar nicht anders). - Die eigentliche Frage ist: Wie wird "Aufklärung" in 100 Jahren verstanden? Als naturalistische oder als spirituelle Aufklärung? (Selbstverständlich habe ich keine Antwort - möglich ist aus meiner Sicht beides)

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#37 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von 2Lena » Di 5. Jul 2016, 23:55

Pluto hat geschrieben:Um sich von den alten "Zöpfen" und Strukturen zu befreien.
Schau mal, wieviel alte Zöpfe bereits wieder in der Medizin und in eigentlich allen Wisensgebieten rumhängen ...

Pluto
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#38 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von Pluto » Do 7. Jul 2016, 16:17

2Lena hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Um sich von den alten "Zöpfen" und Strukturen zu befreien.
Schau mal, wieviel alte Zöpfe bereits wieder in der Medizin und in eigentlich allen Wisensgebieten rumhängen ...
Kannst du Beispiele nennen?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

JackSparrow
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#39 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von JackSparrow » Do 7. Jul 2016, 23:18

2Lena hat geschrieben:Schau mal, wieviel alte Zöpfe bereits wieder in der Medizin und in eigentlich allen Wisensgebieten rumhängen ...
Bei medizinischen Lehrbüchern gibts alle paar Jahre eine neue Auflage, damit man immer auf dem aktuellen Stand der Forschung bleibt. Bei Moses wartet man seit zweieinhalb Jahrtausenden vergeblich auf eine Modernisierung. Da steht sogar die Entdeckung der Zelle noch aus.

closs
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#40 Re: Was ist eigentlich "Aufklärung"?

Beitrag von closs » Fr 8. Jul 2016, 00:57

Wir waren bei der Feststellung stehen geblieben, dass "Aufklärung" vorhanden sei, wenn sich jemand unter Berufung ohne fremde Anleitung seines Verstandes bedient. - Meine Frage bleibt:

Ist dann Ratzinger ebenfalls aufgeklärt, wenn er sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen bedient und zu SEINEN Ergebnissen kommt?

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