closs hat geschrieben:Ist es nicht so, dass das "Heil des Ganzen" gar nicht möglich ist, wenn das "Heil des Einzelnen" nicht "gerichtet" ist? - Genau darin sehe ich das "Ich aber sage Euch" begründet - und Allversöhnung ohnehin, nämlich wenn alles "gerichtet" ist, also heil ist.
Hier pendelst Du zwischen griechischen und hebräischen Denken. Ich argumentiere, bis jetzt, rein aus der hebräischen Sichtweise. Die Richtung ist hier diese: Aus einer ganzen, heilen Einheit heraus kann der Einzelne erst sein Heil erlangen. So findet man es dann auch, verfeinert, im NT: Nicht zuerst muss der Einzelne Heil sein, sondern er muss nach dem Heil insgesamt streben, also die Ganzheit mit Gott suchen (...trachtet erst nach dem Reich Gottes...), damit
Gott ihn dann als Einzelnen Heil macht. Alles andere wäre Selbsterlösung in der Allversöhnung oder in der Religion, Werkgerechtigkeit.
Christus Jesus war als Mensch Hebräer und sprach zu Hebräern in deren Weltbild. Was sie nicht erkannten war, dass ihr individuelles Opfer für das Heil des Ganzen von Christus Jesus übernommen wurde. Das "Opfer" konnte so von dem religiösen Äußeren ins Innere, ins Herz wandern. Der Vorhang war zerrissen, Gott bot jeden Menschen durch seinen Sohn, Christus Jesus, sein individuelles Heil an. Kurz: die Gemeinschaft mit dem nun ewigen Heil durch die Liebe suchen, um gerüstet zu werden für das individuelle Heil. Deshalb spricht man ab hier nicht mehr von einer Religion, sondern von einem Glauben, ein Vertrauen darin, dass einen einzig Christus Jesus erlöst und man in der Kraft des Hl. Geistes lebt, wenn man Ja zu ihm, seinem Opfer und seiner Auferstehung sagt.
Im Griechischen war in der Götterlehre Hesiods Δίκη DikÄ“ 'das Recht' eine Göttin. Hintergrund war die Auffassung, dass Recht unabhängig von menschlichen Urteil und Handeln ist, also nicht nur das, was ein Gesetzgeber verordnet und ein Richter für Recht erkannt hat. Es ging also schon nicht mehr um das Ganze, das Heil, sondern man war Göttern (mit menschlichen Zügen) unterworfen.
Dieses Wort δίκη dikÄ“ hatte später zwei Bedeutungen: Einerseits bezeichnet es einen vorgegebenen Zustand, quasi die Norm, nach der wir etwas beurteilen (aus einer zu urteilenden Göttin wurde eine abstrakte Norm!), andererseits das Urteil des Richters, der etwas für Recht oder Unrecht erklärt und den Schuldigen bestraft.
Gerechtigkeit, δικαιοσÏνη dikaiosýnÄ“ wich später noch mehr von der ersten Bedeutung ab und wurde nun zu einer individuellen Tugend, also kein offiziell festgestellter Zustand mehr. Mit anderen gottgegebenen Zuständen geschah dasselbe: Sie wurden zu individuellen Tugenden "degradiert".
Durch ein solches "Mischmasch", wie Du es auch bezeichnest, wanderte in das Denken einiger Christen wieder der Gedanke einer Art Selbsterlösung ein, weil sie nun meinten, zuerst selbst eine Tugend (hier: Gerechtigkeit) erwerben zu müssen, anstatt einfach das von Gott angebotene Heil (durch seinen Sohn) mit einem Ja anzunehmen. Dieser Gedanke entstand durch die Gnosis, daraus die AV hervorging, beides also aus dem griechischen Denken.
closs hat geschrieben:Wer oder was hat entschieden, was im Einzelnen am Heil oder am Unheil orientiert war? Sicherlich doch nicht, was man con-scientia = Mit-Wissen, Ge-Wissen, Bewusstsein genannt hat - oder?
Im griechischen Denken, siehe oben: Die Tugend, also der Einzelne selbst.
closs hat geschrieben:Rembremerding hat geschrieben:Auch Gott muss "gerechtfertigt" werden, indem man sein Urteil als gerecht anerkennt.
Spontan würde ich da NEIN sagen. - Es sei denn, man verstünde unter "gerecht" das Vertrauen darin, dass Gott jeden (auch unter Schmerzen) gesund-"richtet".
Lies den ganzen Psalm 51, er ist darin sehr klar. Und da Gott die Liebe ist, dürfen wir ihm ganz vertrauen, dass auch angenommenes Leid uns oder durch uns andere Heil macht. Nichts anderes geschah in der Passion Christi, wobei Passion nicht nur Leidensweg bedeutet, sondern eben auch Leidenschaft, aus der Liebe geboren.
closs hat geschrieben:Rembremerding hat geschrieben:Solange die Vorwürfe nicht widerlegt sind, ist Ijob nicht gerechtfertigt.
Das ist aber eine wenig nachvollziehbare Umkehrung der Beweislast. - Ich werfe Dir 17 Frauenmorde vor, weshalb Du erst dann gerechtfertigt bist, wenn Du diese Vorwürfe widerlegt hast? - Das wäre das Gegenteil von "Unschuldsvermutung".
Aber @closs, nun sprichst Du aus "aufklärerischen Denken". Genau so lief die Rechtssprechung bis in die Frühzeit ab: Man musste sich Recht verschaffen, auch bei Anschuldigungen. Bin ich ein armer Bauer ohne Geld und Macht, dann werde ich für diese 17 Frauenmorde, die ich nicht getan habe, verurteilt werden, wenn ich nicht das Gegenteil beweise, mir Recht verschaffe. Ich stimme dieser Auffassung ja nicht zu, aber so war nun mal die damalige Rechtssprechung aus dem vorherrschenden Weltbild heraus.
Servus