Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Rund um Bibel und Glaube
closs
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#161 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von closs » Sa 9. Mär 2019, 11:07

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Wäre mir neu, dass Philosophie Glaubensbekenntnisse fordert.
Nein - aber wie jeder andere auch hermeneutische Vorannahmen. - Du täuscht Dich wieder mal selber, indem Du "hermeneutische Vorannahmen" in "Glaubenbekenntnisse" umtaufst und damit eine irreführende sprachliche Situation hervorrufst.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Die historisch-kritische Methode ist die Methodik.
Ja - aber die HKM ist nicht die HKE (selbst wenn wir - auch ich - damit schlampig umgehen).

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Ach so, jetzt lehrt die Theologie ihren Studenten auch noch was falsches. :roll: Kannst du diese Behauptung auch belegen?
Nicht "falsch", sondern mit anderen hermeneutischen Grundlagen. - Natürlich kann man das belegen. es gibt viele Professoren, die Theologie von der säkularen Seite her aufziehen (Ausgangspunkt dafür ist die Bultmann-Rezeption) und geistige Texte nicht mehr spirituell, sondern säkular entschlüsseln. - Das ist an sich ok, wird aber dann zum Trojanischen Pferd, wenn man es unter dem Begriff "Theologie" tut. - Da scheint Th. bei ihrem Studium reingeraten zu sein.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Aber Lindemann steht mit seiner Aussage gar nicht mal alleine da: Es geht nicht darum, ob Jesus der Sohn Gottes war, sondern um das Bekenntnis, dass er der Sohn Gottes ist.
Das ist ein mindestens sehr missverständlicher Satz - so, wie er beim normalen Publikum ankommen MUSS, ist er falsch.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Im Grunde sagte schon Bultmann das gleiche, wohlwissend, dass aus dem historischen Jesus nicht mehr rauszuquetschen ist.
Wer, wie Bultmann, einen ungebrochenen naturalistischen Wirkungszusammenhang der Geschichte postuliert, knallt eine Vorannahme rein, die jegliches spirituelle Verständnis der Bibel mindestens torpediert. - Ob er es so gemeint hat, wie er zitiert und rezipiert wird, weiß ich allerdings nicht - da kenne ich ihn zu wenig. - Das Wenige, was ich kenne, klang anders.

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Münek
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#162 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von Münek » Sa 9. Mär 2019, 14:32

closs hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 09:45
Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 03:43
Klar hat Dir Thaddäus den Unterschied klar gemacht.
Sie hat IHRE Auffassung dazu referiert - das ist doch was ganz anderes.
Sagen wir es so: Thaddäus hat Dir klaren Wein eingeschenkt und in überzeugender Art und Weise Deine Defizite aufgezeigt.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 03:43
Die Menschen auf diesem Planeten haben keine "hermeneutischen Vorannahmen". Sie leben ihr Leben
Die Tiere auf diesem Planeten reden nicht über Biologie. Sie leben ihr Leben.
Richtig erkannt. :thumbup: Nicht nur Menschen, auch Tiere leben ihr Leben ohne Abhängigkeit von Vorannahmen.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 03:43
Dieser tiefgläubige Menschenfreund hat lediglich die unmittelbar bevorstehende Gottesherrschaft auf Erden verkündigt, das endzeitliche Eingreifen Gottes in dieser Welt. Das hat er sich sehnlichst gewünscht, das hat er geglaubt.
"Und hat sich getäuscht", hast Du vergessen. - Ja - das ist eine Version, zu der man bei entsprechenden Grundlagen kommen kann.
Fest steht, dass sich seine endzeitlichen Erwartungen nicht erfüllt haben. Das von ihm als nahe bevorstehend verkündigte "Reich Gottes" kam nicht. Diesen Irrtum kann man nicht dadurch aus der Welt schaffen, indem man in die Trickkiste greift und den Begriff "Basileia tou theou" (= griech. "Königsherrschaft Gottes") uminterpretiert.

Mindestens drei Versionen (!) sind Dir bekannt. Suche Dir eine aus. :thumbup: Es dürfte auf der Hand liegen, dass seriös arbeitende Wissenschaftler bei diesen Spielchen nicht mitspielen.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 03:43
Als wissenschaftliche Diziplin wird sie sich hüten, sich auf irgendwelche Vorannahmen (Setzungen) zu stützen.
Verständnis-Fehler
Jawoll. :)

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Münek
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#163 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von Münek » Sa 9. Mär 2019, 14:45

closs hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 11:07
sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Im Grunde sagte schon Bultmann das gleiche, wohlwissend, dass aus dem historischen Jesus nicht mehr rauszuquetschen ist.
Wer, wie Bultmann, einen ungebrochenen naturalistischen Wirkungszusammenhang der Geschichte postuliert, knallt eine Vorannahme rein, die jegliches spirituelle Verständnis der Bibel mindestens torpediert.
In der Tat - das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.

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#164 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von closs » Sa 9. Mär 2019, 15:13

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 14:32
Thaddäus hat Dir klaren Wein eingeschenkt und in überzeugender Art und Weise Deine Defizite aufgezeigt.
Du redest parteiisch auf einem Feld, das Du nicht überschaust. - Th. und ich haben beide einen "Bachelor" in Philosophie und vertreten unterschiedliche Schulen/Epochen der Philosophie (der "Bachelor" ist dabei egal - aber vielleicht nützt es bei Dir was).

Konkret: Ich bin über meinen damaligen Mentoren stark auf das 19. Jh. eingeschworen (Klassik/Romantik/etc), während Th. das 20./21. Jh. vertritt. - BEIDE Seiten meinen, das anspruchsvollere Feld zu besetzen - sage ich hier ganz neutral - und können es begründen. - Das sind ganz normale akademische Auseinandersetzungen, die von Th. etwas aggressiver geführt wurden als von mir - vielleicht weil sie jünger ist oder weil sie eingebleut bekommen hat, dass zeitliches Fortschreiten einer Epoche gleichzeitig qualitativer Fortschritt sei - was von mir in aller Entschiedenheit zurückgewiesen wird.

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 14:32
Nicht nur Menschen, auch Tiere leben ihr Leben ohne Abhängigkeit von Vorannahmen.
Auf der Alltagsebene sind solche Fragen nicht bewusst - viele kommen nie soweit, überhaupt solche Fragen stellen zu KÖNNEN. Kein Problem. - Aber es GIBT diese Fragen, soweit man die Liga wechselt.

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 14:32
Fest steht, dass sich seine endzeitlichen Erwartungen nicht erfüllt haben.
Nein - diese Erwartungen in DEINER Interpretation haben sich nicht erfüllt.

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 14:32
Mindestens drei Versionen (!) sind Dir bekannt. Suche Dir eine aus. :thumbup: Es dürfte auf der Hand liegen, dass seriös arbeitende Wissenschaftler bei diesen Spielchen nicht mitspielen.
Nein - das liegt NICHT auf der hand. - Hier diskutieren vielmehr Wissentschaftler unterschiedlicher hermeneutischer Vorannahmen über ihre unterschiedlichen Ergebnisse und streiten auch darüber. - Normal.

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 14:45
In der Tat - das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Irrelevant . - Die Frage ist: Bezieht man sie in seine heremeutischen Vorannahmnen ein, weil sie geistig möglich sind? - Oder lässt man sie weg, weil man andere Vorannahmen vorzieht? - Das ist alles sehr viel nüchterner, als Du denken magst.

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Andreas
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#165 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von Andreas » Sa 9. Mär 2019, 15:18

PeB hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 09:42
Papias schreibt hier, dass er Nachfolger nach den Aussagen der Presbyter gefragt hat; im letzten Satz erklärt er, dass er (wen auch immer) danach gefragt hat, was Ariston und Johannes sagen (Präsenz). Er KÖNNTE sie also selbst befragt haben, statt nur ihr Umfeld. Und hätte er hier etwas Falsches gesagt, könnten Ariston und Johannes noch zu Lebzeiten widersprechen.
Über Aristion (Ariston?) bin ich nicht recht im Bilde. Da müsste ich recherchieren. Was "den Johannes" bei Papias angeht, blicke ich auch nicht so recht durch, weil bei Papias von zwei unterschiedlichen "Johannes" die Rede ist, und der Begriff "Presbyter" sowohl für Apostel (Jünger des Herrn) als auch für "normale" Älteste Verwendung findet. Weißt du da diesbezüglich mehr?

Manchmal ist eindeutig der Apostel Johannes gemeint, wie an diesen beiden Stellen:
Pap 20,1 Argumentum secundum Iohannem hat geschrieben:Das Johannesevangelium ist den Gemeinden von Johannes, als er noch am Leben war, offenbart und gegeben worden, wie Papias, genannt der Hierapolitaner, ein lieber Schüler des Johannes, in seinen exoterischen, das heißt in den allerletzten fünf Büchern berichtet hat. Er schrieb sogar das Evangelium nach dem Diktat des Johannes fehlerfrei auf. Indessen ist der Ketzer Marcion, der von ihm [= Papias?] verworfen wurde, weil er die Gegensätze wahrnahm, [auch] durch Johannes widerlegt worden. Er [= Marcion?] hat ihm [= Johannes?] nämlich Schriften oder Briefe von den Brüdern mitgebracht, die in Pontus lebten.
Pap 21,2 Catena Patr. Graec. in S. Iohannem, Prooemium hat geschrieben:Als letzter von ihnen hat Johannes mit dem Beinamen Donnersohn, als er schon in recht hohem Alter war, wie uns sowohl Irenäus als auch Eusebius und andere glaubwürdige Historiker, die in der [apostolischen] Sukzession stehen, berichten, da zu jener Zeit entsetzliche Ketzereien aufkamen, das Evangelium seinem redlichen Schüler Papias, dem Hierapolitaner, diktiert, um diejenigen zu ergänzen, die vor ihm das Wort den Völkern auf der ganzen Erde verkündigt hatten.
Der Beiname Boanerges (Donnersöhne) wird nur im MkEv für die Söhne des Zebedäus Johannes und Jakobus erwähnt.

Pap 5,5-9 Euseb v. Cäsarea, HE III 39 hat geschrieben:Hier ist beachtenswert, daß er den Namen Johannes zweimal aufzählt; den ersten zählt er mit Petrus und Jakobus und Matthäus und den übrigen Aposteln auf, womit er offenbar den Evangelisten bezeichnen will, den anderen Johannes rechnet er in einem neuen Satzteil zu anderen, von den Aposteln verschiedenen [Männern], stellt ihm den Aristion voran und bezeichnet ihn ausdrücklich als Presbyter.
Und daher ist schon hierdurch erwiesen, daß der Bericht derer zutreffend ist, die erzählt haben, es habe in Asien zwei mit dem gleichen Namen [Johannes] gegeben, auch seien zwei Gräber in Ephesus, und jedes werde bis heute [Grab] des Johannes genannt. Auch darauf hat man seine Aufmerksamkeit zu richten, denn es ist wahrscheinlich, daß der zweite, oder wenn man will, der erste, die Offenbarung geschaut hat, die unter dem Namen des Johannes in Umlauf ist.
Auch erklärt der soeben von uns vorgestellte Papias, die Lehren der Apostel zwar von denen empfangen zu haben, die ihnen gefolgt sind, er habe aber, so sagt er, Aristion und den Presbyter Johannes selbst gehört. In seinen Büchern führt er deshalb Überlieferungen von ihnen an, wobei er sie häufig mit Namen erwähnt.
Auch das Folgende sei von uns nicht nutzlos erzählt. Es ist angebracht, den angeführten Aussprüchen des Papias andere seiner Ausführungen anzuschließen, in denen er gewisse merkwürdige Dinge und anderes, was ihm gewissermaßen aus der Überlieferung zugekommen ist, erzählt.
Daß sich Philippus der Apostel zusammen mit seinen Töchtern in Hierapolis aufgehalten habe, wurde bereits oben erwähnt. Nun ist noch anzumerken, daß Papias, der zu ihren Zeiten lebte, erwähnt, er habe von den Töchtern des Philippus eine wunderbare Erzählung empfangen. Er erzählt nämlich, daß zu seiner Zeit eine Totenauferstehung stattgefunden habe, und ferner eine andere merkwürdige Begebenheit von Justus mit dem Beinamen Barsabas. Er habe nämlich ein offenkundiges Gift getrunken, aber durch die Gnade des Herrn keinen Schaden davon zurückbehalten.
Interessant sind auch die Töchter des Philippus, denn auf diese beriefen sich die Prophetinnen Prisca und Maximilla die mit Montanus als Gründer der häretischen Bewegung des Montanismus gelten. Dem Montanismus schloss sich Tertullian später an, weil ihm "die Kirche" zu lasch erschien. Ich erwähne das deshalb, weil das wieder so ein Beispiel dafür ist, wie hierarchische Strukturen und Autoritäten maßgeblich unsere Theologie beeinflusst haben. Tertullian ist christlich, solange er sich gegen den Häretiker Marcion und dessen Kanon des NT wendet, wird aber zum Kirchenfeind wenn er von anderen Autoritäten einen in der Praxis konsequenteren Glauben einfordert, sich aber damit nicht durchsetzen kann. "Christliche" Schriften von Tertullian in denen er sich gegen viele Häresien wendet sind überliefert, "häretische" Schriften die er wohl als Montanist verfasste sind mir zumindest unbekannt, vermutlich sind sie "verschwunden". Unwahrscheinlich, dass er das Schreiben als Herätiker aufgegeben hat.

Man sieht jedenfalls immer wieder in der alten Kirche, dass sich unterschiedliche theologische Schulen mit Berufung auf dieselben Quellen gebildet haben und autoritäre Strukturen dabei eine große Rolle spielten - so, wie heute eben auch. Ich nehme dieses Phänomen ganz wertfrei zur Kenntnis. Das sind Dinge, die man wissen kann.

Welche Schlüsse man für den Glauben aus solchem Wissen zieht, ist nicht mehr die Sache der Wissenschaft, die sich der historisch-kritischen Methode bei der Textanalyse bedient. Ab da sind dann andere theologische Disziplinen mit anderen Methoden dran, ihre jeweiligen Dogmatiken, Glaubensbekenntnisse und Lehren zu vertreten. Die einen versuchen die wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihre Lehre zu integrieren, andere ignorieren oder bekämpfen diese wissenschaftlichen Erkenntnisse, und machen ihr Ding auf andere Weise. Alle Seiten leben in diesem theologischen Pluralismus, sollten in der Lage sein, diesen auszuhalten, in einem einigermaßen fairen und anständigen Dialog miteinander zu bleiben und sich nicht gegenseitig zu verteufeln.

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Münek
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#166 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von Münek » Sa 9. Mär 2019, 16:56

closs hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 15:13
Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 14:32
Fest steht, dass sich seine endzeitlichen Erwartungen nicht erfüllt haben.
Nein - diese Erwartungen in DEINER Interpretation haben sich nicht erfüllt.
Nicht nur nahezu alle historisch-kritisch arbeitenden Theologen, sondern auch Nicht-Exegeten wie die renommierten Theologen Bultmann, Rahner und Küng vertreten die Auffassung, dass sich Jesus in seiner Endzeiterwartung geirrt hat.

"Jesus kündete das Reich Gottes an und gekommen ist die Kirche" (katholischer Theologe und Historiker Alfred Loisy - er wurde von der alleinseligmachenden Mutter Kirche exkommuniziert).

Zu Jesu Irrtum gesellte sich später der Irrtum der ersten Christengenerationen, die fest von der nahen Ankunft des richtenden Menschen-
sohnes überzeugt waren. Sie allen wurden enttäuscht.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 14:32
Mindestens drei Versionen (!) sind Dir bekannt. Suche Dir eine aus. :thumbup: Es dürfte auf der Hand liegen, dass seriös arbeitende Wissenschaftler bei diesen Spielchen nicht mitspielen.
Nein - das liegt NICHT auf der hand. - Hier diskutieren vielmehr Wissentschaftler unterschiedlicher hermeneutischer Vorannahmen über ihre unterschiedlichen Ergebnisse und streiten auch darüber. - Normal.
Was redest Du da für einen Unsinn? Hast Du vergessen, dass innerhalb der Exegetenzunft ein Konsens über Jesu Irrtum besteht, dem die Kirche offiziell nie widersprochen hat? Die polemischen Gegenstimmen von Berger ("Bibelfälscher") und Ratzinger ("Antichrist") nimmt niemand ernst.

Ratzingers Auffassung vom "Reich Gottes" (= Jesus in Person) wird übrigens von Berger widersprochen. Da herrscht zwischen beiden keine Einigkeit.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 14:45
In der Tat - das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Irrelevant . - Die Frage ist: Bezieht man sie in seine heremeutischen Vorannahmnen ein, weil sie geistig möglich sind? - Oder lässt man sie weg, weil man andere Vorannahmen vorzieht? - Das ist alles sehr viel nüchterner, als Du denken magst.
Eine hermeneutische Vorannahme ist KEIN Zauberstab, mit dem man Simsalabim durch "Setzung" Realitäten verändern kann. Ich mach´mir meine Welt, wie sie mir gefällt, ist nur in Pippi Langstrumpfs märchenhaften Taka-Tuka-Land möglich, jedoch nicht im wirklichen Leben.

Man kann jedoch vor der Realität die Augen verschließen und sich etwas vormachen (Verstoß gegen das Gebot der intellektuellen Redlichkeit, Selbsttäuschung).

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sven23
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#167 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von sven23 » Sa 9. Mär 2019, 17:38

closs hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 11:07
sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Wäre mir neu, dass Philosophie Glaubensbekenntnisse fordert.
Nein - aber wie jeder andere auch hermeneutische Vorannahmen. - Du täuscht Dich wieder mal selber, indem Du "hermeneutische Vorannahmen" in "Glaubenbekenntnisse" umtaufst und damit eine irreführende sprachliche Situation hervorrufst.
Nee, es ist ein Riesenunterschied zwischen einem Glaubensbekenntnis und der Annahme, dass die biblischen Texte wie alle anderen antiken Texte zu behandeln sind.

closs hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 11:07
sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Die historisch-kritische Methode ist die Methodik.
Ja - aber die HKM ist nicht die HKE (selbst wenn wir - auch ich - damit schlampig umgehen).
Jede Exegese, die sich der historisch-kritischen Methode bedient, darf sich auch historisch-kritische Exegese nennen. Dabei ist darauf zu achten, dass kein Etikettenschwindel betrieben wird durch Einschleusung von Glaubensbekenntnissen.

closs hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 11:07
sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Aber Lindemann steht mit seiner Aussage gar nicht mal alleine da: Es geht nicht darum, ob Jesus der Sohn Gottes war, sondern um das Bekenntnis, dass er der Sohn Gottes ist.
Das ist ein mindestens sehr missverständlicher Satz - so, wie er beim normalen Publikum ankommen MUSS, ist er falsch.
Es ist der verzweifelte Versuch, noch zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Wenn Historie keine Rolle mehr spielt, dann kann man jede Fantasyfigur zur Religion erheben. Im Grunde tut man das ja auch.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 10:41
Im Grunde sagte schon Bultmann das gleiche, wohlwissend, dass aus dem historischen Jesus nicht mehr rauszuquetschen ist.
Wer, wie Bultmann, einen ungebrochenen naturalistischen Wirkungszusammenhang der Geschichte postuliert, knallt eine Vorannahme rein, die jegliches spirituelle Verständnis der Bibel mindestens torpediert. - Ob er es so gemeint hat, wie er zitiert und rezipiert wird, weiß ich allerdings nicht - da kenne ich ihn zu wenig. - Das Wenige, was ich kenne, klang anders.
[/quote]
Nö, was man dir schon 100 mal zitiert hat, klingt immer noch so:

„Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.“
– Rudolf Bultmann: Neues Testament und Mythologie. 1941, 18

„Voraussetzungslose Exegese kann es nicht geben. … Unabdingliche Voraussetzung aber ist die historische Methode in der Befragung der Texte. Exegese ist ja als Interpretation historischer Texte ein Stück Geschichtswissenschaft.“
(Ist voraussetzungslose Exegese möglich?, 1957, S. 410)

„Die historische Methode schließt die Voraussetzung ein, daß die Geschichte eine Einheit ist im Sinne eines geschlossenen Wirkungs-Zusammenhangs, in dem die einzelnen Ereignisse durch die Folge von Ursache und Wirkung verknüpft sind. … Diese Geschlossenheit bedeutet, daß der Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens nicht durch das Eingreifen übernatürlicher, jenseitiger Mächte zerrissen werden kann, dass es also kein 'Wunder' in diesem Sinne gibt. … Während z.B. die alttestamentliche Geschichtserzählung vom handelnden Eingreifen Gottes in die Geschichte redet, kann die historische Wissenschaft nicht ein Handeln Gottes konstatieren, sondern nimmt nur den Glauben an Gott und sein Handeln wahr.
(Ist voraussetzungslose Exegese möglich?, 1957, S. 411f.)

Und da hat Bultmann recht. Die Naturgesetze sind universal, weder an einen geografischen Ort oder eine Zeit gebunden. Warum sollte das jemals anders gewesen sein, nur um ein Glaubenskonstrukt begründen zu können?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#168 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von closs » Sa 9. Mär 2019, 20:07

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 16:56
Nicht nur nahezu alle historisch-kritisch arbeitenden Theologen, sondern auch Nicht-Exegeten wie die renommierten Theologen Bultmann, Rahner und Küng vertreten die Auffassung, dass sich Jesus in seiner Endzeiterwartung geirrt hat.
Ja und? - Du weißt doch genauso gut wie ich, dass es innerhalb der RKK einen Kampf zwischen fundamental denkenden und im Sinne des 20. Jh. fortschrittlich denkenden Theologen gibt. - Das ist ein theologischer Kampf.

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 16:56
Zu Jesu Irrtum gesellte sich später der Irrtum der ersten Christengenerationen, die fest von der nahen Ankunft des richtenden Menschen-
sohnes überzeugt waren. Sie allen wurden enttäuscht.
Die urchristen haben das in der tat geglaubt - aber das heißt doch nicht, dass Jesus es so gemeint hat. - Vergiss nicht das Motiv: "Und sie verstanden ihn nicht".

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 16:56
Hast Du vergessen, dass innerhalb der Exegetenzunft ein Konsens über Jesu Irrtum besteht, dem die Kirche offiziell nie widersprochen hat?
Es ist nicht die "Exegeten"-Zunft, sondern ein Großteil der HK-Exegeten - was auf Basis ihrer Bedingungen verständlich ist. - Ob es eine offizielle Äußerung der Kirche zur naherwartung gibt, weiß ich nicht - ich weiß sehr wohl, dass dieses Thema seit ca. den 70er Jahren in der Theologie gegessen ist - und zwar in BEIDEN großen Konfessionen. - Als Startpunkt mag man, wenn man will, folgendes Buch nehmen: Das Ende der historisch-kritischen Methode, Gerhard Maier, 1975.

Die HKE spielt hier innerhalb der Theologie eine Außenseiterrolle, weil sie über ihren Auftrag der Kommission (wichtig ZUM Verständnis) missversteht in Richtung "Unser Verständnis". - Das lässt die Theologie bei geistigen Fragen nicht zu.

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 16:56
Ratzingers Auffassung vom "Reich Gottes" (= Jesus in Person) wird übrigens von Berger widersprochen. Da herrscht zwischen beiden keine Einigkeit.
Möglich - sie ziehen insgesamt am selben spirituellen Strang und sind sich bei manchem uneinig - das ist üblich unter Wissenschaftlern.

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 16:56
Eine hermeneutische Vorannahme ist KEIN Zauberstab, mit dem man Simsalabim durch "Setzung" Realitäten verändern kann.
Nach wie vor richtig. - Diesen Satz habe ich als erster gesagt - er gilt sowohl für die THeologie wie für die HKE.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 17:38
es ist ein Riesenunterschied zwischen einem Glaubensbekenntnis und der Annahme, dass die biblischen Texte wie alle anderen antiken Texte zu behandeln sind.
Inhaltlich richtig, funktional falsch. - Es hat dieselbe Funktion der Präjudizierung, ob man sagt
1) Jesus war auch göttlich, oder
2) Wir werden doch Zeus oder Jesus nicht so interpretieren, als sei er wirklich Gott.
Dass INNERHALB dieser Präjudizierung ERgebnissoffenheit herrscht, ist klar - aber eben nur da. - Erinnerung: Wenn Du blut abnimmst, misst der EINE die Entzündungswerte und der andere die Zuckerwerte - jeweils ergebnisoffen. - Aber sie messen nur das und nichts anderes. - So ist es auch mit unterschiedlichen hermeneutischen Annahmen, egal ob sie "Glaubensbekenntnis" oder "antiker Text" heißen.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 17:38
Jede Exegese, die sich der historisch-kritischen Methode bedient, darf sich auch historisch-kritische Exegese nennen. Dabei ist darauf zu achten, dass kein Etikettenschwindel betrieben wird durch Einschleusung von Glaubensbekenntnissen.
Macht doch keiner. - Woher kommt Deine Phobie, dass Kanonik oder Kerygmatik oder biblisch-kritische Exegese etwas in die HKE einschleusen wollen? Das wollen sie doch schon allein DESHALB nicht, weil sie etwas anderes sein wollen - sonst könnten sie doch gleich in die HKE eintreten. - Absurd.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 17:38
Es ist der verzweifelte Versuch, noch zu retten, was nicht mehr zu retten ist.
Ich will nicht ausschließen, dass er missverstanden wurde - sonst nichts.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 17:38
Wenn Historie keine Rolle mehr spielt, dann kann man jede Fantasyfigur zur Religion erheben.
Aber sie spielt doch eine Rolle - deshalb fragen doch auch Kanonik und Kerygmatik auf ihre, von der HKE nicht abdeckbaren Weise, was Jesus vor 2000 jahren in der Geschichte gedacht und gemeint hat.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 17:38
Und da hat Bultmann recht.
Nein - da sind massive Fehler drin.

sven23 hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 17:38
Die Naturgesetze sind universal
Wenn es Gott gibt, ist er darüber - das müsste Bultmann als theologe wissen.

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#169 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von Münek » Sa 9. Mär 2019, 23:26

closs hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 15:13
Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 14:32
Thaddäus hat Dir klaren Wein eingeschenkt und in überzeugender Art und Weise Deine Defizite aufgezeigt.
Du redest parteiisch auf einem Feld, das Du nicht überschaust. - Th. und ich haben beide einen "Bachelor" in Philosophie und vertreten unterschiedliche Schulen/Epochen der Philosophie (der "Bachelor" ist dabei egal - aber vielleicht nützt es bei Dir was).
Erzähl doch nix. Es ging in Eurem Disput doch gar nicht um unterschiedliche philosophische Schulen/Epochen.

Neben ihrer berechtigten Kritik an Deinem Ausweichmanövern bei kritischen Argumenten hat Matthäus u.a. versucht, Dir klar zu machen, was "historisch-kritische Exegese" eigentlich ist, bedeutet und leistet. Sie hat Deine diesbezüglichen Defizite/Unkenntnis offen gelegt und knallhart benannt.

closs
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#170 Re: Historisch-kritische Exegese und ihre Folgen

Beitrag von closs » So 10. Mär 2019, 00:27

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 23:26
Es ging in Eurem Disput doch gar nicht um unterschiedliche philosophische Schulen/Epochen.
Letztlich schon. - Es geht Klassik/Romantik gegen Materialismus/Kritischer Rationalismus.

Münek hat geschrieben:
Sa 9. Mär 2019, 23:26
Dir klar zu machen, was "historisch-kritische Exegese" eigentlich ist, bedeutet und leistet. Sie hat Deine diesbezüglichen Defizite/Unkenntnis offen gelegt und knallhart benannt.
Nein - Klassik/Romantik gegen Materialismus/Kritischer Rationalismus. - Das ist ein Weltbild-Streit - ein Kultur-Streit.

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