closs hat geschrieben: 1) Man übersetzt ein Wort mit "Generation" (Assoziation: ca. 25 Jahre), dabei ist damit "Geschlecht/Volk" gemeint. - Damit wird die Bedeutung "Euer Volk wird noch bestehen, wenn ich zurückkomme" umgebaut in "Solange ihr noch lebt, werde ich kommen" - das wäre dann wirklich Naherwartung.
So ist es. Jesus wendet sich aber noch in direkter Rede an seine Jünger:
(Mk 9,1): "Und er sprach zu ihnen (den Jüngern): Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie sehen das Reich Gottes kommen mit Kraft."
aber auch:
(Mt 10,23): "Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so flieht in eine andere. Wahrlich, ich sage euch (den Jüngern): Ihr werdet (mit eurer Mission) mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen, bis der Menschensohn kommt."
So groß war Israel nun auch nicht, als daß man 2000 Jahre für die Missionierung gebraucht hätte.
closs hat geschrieben: 3) Es gibt Zitate, aus denen ersichtlich wird, dass das Himmelreich nah ist - da ist selbstverständlich kein zeitlicher Bezug gemeint (Du guckst ja auch nicht auf die Uhr, wenn Du zu Deiner Tochter sagst, dass sie Dir nah ist), wird aber so interpretiert (= "Ich komme bald zurück")
Ich würde eher sagen, daß alles andere als zeitliche Nähe eine falsche Interpretation ist.
(Hebr 10,37): "Denn nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben. ..."
(Jak 5,8): "Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe."
(1. Petr 4,7): "Es ist aber nahe gekommen das Ende aller Dinge. So seid nun besonnen und nüchtern zum Gebet."
siehe auch:
http://www.bibelkritik.ch/bibel/g28.htm
closs hat geschrieben: 4) Von K.Barths übergeordneter Deutung (die ich sehr gut nachvollziehen kann) ganz abgesehen, die all diese Zitate in einen geistigen Kontext stellt (was bei der Bibel eigentlich nicht überraschen dürfte)
Einem Glaubensdogmatiker fehlt der ganzheitliche Blick. Er fokussiert sich auf seine Glaubensperspektive und schaut nicht recht und links. Das ist old fashioned, nicht mehr zeitgemäß.
closs hat geschrieben: Und dann gibt es 5) zwischendrin tatsächlich vereinzelte Zitate, aus denen man schließen muss, dass Paulus tatsächlich eine Naherwartung hatte. - Das wiederum würde ich unter "Kontaminierung" einordnen - er hat einfach nicht gecheckt, was sein Chef gemeint hat (was ja öfter der Fall ist - "und sie verstanden ihn nicht").
Das ist wiederum verständlich. Er hat Jesus persönlich nicht gekannt, geschweige denn ein Wort mit ihm gewechselt. Die Naherwartung war aber so weit verbreitet und fester Glaubensbestandteil, daß er das gar nicht in Frage stellen mußte. Das Versprechen einer nahen Verbesserung der Lebensumstände war doch das Kerngeschäft der vielen Wanderprediger, Messiasse und Heilsverkünder.
Es gab auch radikale Heilsverkünder, die Aufstände organisierten und von den Römern blutig niedergeschlagen wurden.
Eins ist doch klar: wer sich eine Verbesserung seiner Lebensumstände erhofft, der will das möglichst zeitnah selbst noch erleben und nicht erst in 2000 Jahren oder noch länger. Mit solchen wagen Versprechen hätten Wanderprediger keinen Erfolg gehabt.