Was genau ist denn Geist?

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Savonlinna
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#141 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Savonlinna » Do 20. Nov 2014, 07:46

closs hat geschrieben:In der Funktion als Naturwissenschaftler muss er dem Gebot des methodischen Atheismus folgen - alles andere wäre (buchstäblich) un-diszipliniert. - Sobald er als "nach Feierabend" den Wissenschafts-Kittel auszieht, bildet er sich eine Meinung, die nicht dem Gebot des methodischen Atheismus unterliegt.
Bezüglich des von Dir vermutlich Gemeintem gebe ich Dir Recht.
Aber mit dem Begriff "methodischer Atheismus" bin ich nicht einverstanden. Ich sehe keinen Grund, eine Weltanschauung - Atheismus - überhaupt begrifflich in eine Methode hineinzunehmen. Ich bin keine Sekunde Atheist - auch nicht methodisch -, wenn ich Brötchen backe - wozu ich selbstverständlich nicht Weltanschauler sein muss - oder wenn ich ein Fernrohr auf den Mond richte - wozu ich auch kein Weltanschauler sein muss.
Ich bin ganz einfach Bäcker oder Wissenschaftler. Es bedarf dazu keines Adjektivs, das einen Atheismus in der Methode betont. Methoden sind eben nie innerhalb der Wissenschaft weltanschaulich.

closs hat geschrieben:Kommt er zum Ergebnis, dass das naturwissenschaftliche Bild gleichzusetzen sei mit seinem Weltdeutungs-Bild,
Auch hier möchte ich auf die semantische Nuance hinweisen, dass in meinen Ohren der Ausdruck "das naturwissenschaftliche Bild" schon zu sehr beeinflusst scheint von weltanschaulichen Diskussionen zwischen Christen und Atheisten bezüglich Bibel-Auslegung.

Die Naturwissenschaft hat kein "Bild" von den Dingen. Sondern sie beschreibt nur Teile von den Dingen. Wenn ich den Drucksatz eines Buches untersuche, habe ich damit - hoffentlich - nicht ein Bild von dem Buch, dass der Drucksatz sein Wesentliches ist. Ich muss mich da nicht einmal selber mit dem "methodischen Atheismus" überlisten, damit ich nicht aus Versehen mein Teilgebiet mit dem Ganzen verwechsele.

closs hat geschrieben:ist er Naturalist/Materialist/etc.. - Kommt er aus geistigen Weltdeutungs-Erkenntnissen zum Ergebnis, dass das naturwissenschaftliche Bild nur einen Ausschnitt des Seins/der Realität betrifft, ist er bspw. Christ. - Wärest Du damit einverstanden?
So formuliert wäre ich damit einverstanden.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Auf jeden Fall würde ich sie nicht "Naturwissenschaft" nennen...
Bingo. - Ich würde es "Ontologie" nennen - die Lehre vom Sein an sich - ganz wertfrei: "Was kann Sein sein". - Jedenfalls wäre es eine philosophische Disziplin.
Ja, genau. Ontologie ist ein Bereich der Philosophie, und kein methodischer Bereich, sondern ein inhaltlicher. Darum taugt Ontologie für mich nicht als Metawissenschaft, denn sie ist stark weltanschaulicher Natur. "Sein" ist so ein schwammiger Begriff letztendlich, sprachlich auch fragwürdig, dass sie im abendländischen Denken zu einer Unmenge von Scheinfragen geführt hat.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Metawissenschaft ... Sie untersucht die Bedingungen alles dessen, was "erscheint" - vielleicht?
Sie untersucht, welche Aussage über "Realität" welcher Prämissen bedarf.
Das finde ich perfekt. :clap:

Und da wäre für mich das Absprungbrett auch für die Threadfrage: "Was genau ist denn Geist"`

Obwohl ich da immer - bei allen Fragen, was ein Begriff bedeutet - die sprachliche Untersuchung vorschalten würde:
Ist der Begriff ein abstractum oder konkret?
Bei einem Abstraktum wie "Hilfsbereitschaft" zum Beispiel kann ich nicht fragen, ob Hilfsbereitschaft aus Atomen besteht. Abstrakte Begriffe sind nur Kürzel, die haben nur sprachliche Realität.

"Geist" ist darum für mich auch kein Ding, wo ich fragen kann: Existiert er?
Ich muss erst gucken, wofür dieses Abstraktum steht. Wovon das Wort also abstrahiert.

Deinen Romantik-Exkurs habe ich, glaube ich, in seiner Aussage verstanden, teile so in etwa auch die Beschreibung der Folgen bis in die literaturhistorischen Lösungsversuche und Resignationen.

ThomasM
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#142 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von ThomasM » Do 20. Nov 2014, 09:24

Christof hat geschrieben: Meine Frage an Thomas war: Was hat Materie mit der Ewigkeit zu tun? Oder warum muss Gott immer mit Materie in Verbindung sein? Kann Gott ohne Materie existieren?
Ewigkeit ist ohne Materie nicht denkbar. Und auch nicht ohne Zeit.
Gott ist ohne Materie nicht denkbar. Es muss nicht die Art der Materie sein, die wir kennen, d.h. die Gesetze, die dieser Materie zugrunde liegen, müssen nicht die bekannten sein.

Ewigkeit als Wort ist ohne Zeitbegriff Unsinn. Ewigkeit bedeutet "unendlich lange Zeit". Ohne Zeit gibt es keine Ewigkeit.
Zeit ist nur möglich, wenn man etwas hat, was misst, wie die Zeit vergeht. Das bedeutet Materie.

Wenn Gott handelt, dann bedeutet das zweierlei. Es gibt ein vor dem Handeln und ein nach dem Handeln (Zeit) und es gibt Dinge, an denen er handelt und mit denen er handelt (Materie). Selbst das Sein ist undenkbar ohne einen Träger für das Sein. Der Träger mag austauschbar sein, es mag möglich sein, das Sein zwischen verschiedenen Trägern zu transportieren, aber einen Träger braucht man.

Das heisst für mich, dass auch Gott eine Basis für sein Sein hat. Der Ort, an dem das ist, nennt man Gottes Reich. Die Bibel stellt sich Gottes Reich ganz konkret, ganz materiell vor. Auch Jesus war nach seiner Auferstehung erfahrbar, erkennbar, konnte essen, konnte sprechen. Sein Auferstehungsleib war materiell.

Die Geisteswissenschaftler machen es sich hier ziemlich einfach. Sie schreiben Gott bzw. dem Geist Eigenschaften zu und sagen einfach, das sei "immateriell". Dabei haben sie Bilder im Kopf, wie "die Luft, die von dort kommt und nach dort geht und niemand weiß etwas davon". Wobei sie ignorieren, dass Luft ein höchst materielles Phänomen ist. Genauso wie Licht, genauso wie Energie, wie Kraft, wie...

Wir können hier übrigens von den Bemühungen der Physiker profitieren, die sich seit ein paar Jahrzehnte bemühen, ein Modell des Seins zu entwerfen, in dem es keine Zeit gibt. Die Idee ist, dass Zeit eine Illusion ist und nur durch Projektion auf einen Teil der Wirklichkeit zustande kommt. Eine höchst faszinierende Idee, die bislang aber an einem Grundproblem scheitert. Es ist unmöglich, auch nur die winzigste Dynamik zu haben, wenn es keine Zeit gibt. Und ein statisches Sein ist einfach nur - nichts (jedes Verb, das man hier einsetzen könnte, würde Zeit voraussetzen).

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

Samantha

#143 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Samantha » Do 20. Nov 2014, 09:36

ThomasM hat geschrieben: Ewigkeit ist ohne Materie nicht denkbar. Und auch nicht ohne Zeit.
Gott ist ohne Materie nicht denkbar.
Ewigkeit braucht keine Materie. Materie und Zeit gehören zusammen.


Ewigkeit als Wort ist ohne Zeitbegriff Unsinn. Ewigkeit bedeutet "unendlich lange Zeit". Ohne Zeit gibt es keine Ewigkeit.
Ewigkeit ist zeit"los". Zeit ist ein Begriff innerhalb der Ewigkeit und durch Materie bedingt.

ThomasM
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#144 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von ThomasM » Do 20. Nov 2014, 10:00

Samantha hat geschrieben: Ewigkeit ist zeit"los". Zeit ist ein Begriff innerhalb der Ewigkeit und durch Materie bedingt.
Sehe ich nicht so. Zeit-los ist Zeit-los.
Ewigkeit impliziert einen Zeitfluss, der eben nicht endet.

Wenn Ewigkeit Zeit-los ist, dann kann Zeit nichts sein, was innerhalb der Ewigkeit ist. Denn Ewigkeit hat ja dann nichts mit Zeit zu tun, die beiden sind dann vollkommen unabhängig.
Das, was du als Ewigkeit zu denken scheinst, ist Statik. Statik ist etwas Unbewegtes, nicht Veränderliches. Statik IST.
Wenn man etwas Statischen die Zeitkomponente hinzufügt, dann erhält man Dynamik. Ewigkeit ist ein Begriff, in dem Dynamik stattfindet.

Gruß
Thomas
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Lena
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#145 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Lena » Do 20. Nov 2014, 10:31

ThomasM hat geschrieben: Ewigkeit ist ein Begriff, in dem Dynamik stattfindet.

Ohne Sonnenuntergang gibt es nicht mehr Tag und Nacht. Ewigkeit ist immerwährende Gegenwart. Bestimmt findet Dynamik statt, ist doch der Ewige Schöpferkraft und da wird etwas gemacht.
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

closs
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#146 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von closs » Do 20. Nov 2014, 10:33

ThomasM hat geschrieben:Ewigkeit ist ein Begriff, in dem Dynamik stattfindet.
Wäre dem so, hätten wir einen unendlichen Regress im Sinne von: Wer hat Gott erschaffen - wer hat den erschaffen, der Gott erschaffen hat - wer hat den geschaffen, der den erschaffen hat, der Gott erschaffen hat - etc.

Nein - ich glaube wirklich, dass "Ewigkeit" weder aionisch noch Zeit ist, sondern Zustand - der Begriff "Visio Beatifica" käme dem vielleicht nahe. - Ich glaube an die Über-Zeitlichkeit Gottes, also irgend etwas, was Zeit und Dynamik dialektisch aufhebt. - Das, was Pierre de Chardin und Frank Tipler (aus vollkommen unterschiedlichen Perspektiven) "Omegapunkt" nennen, erscheint mir (bei allen möglichen Irrtümern) der richtige Ansatz zu sein.

ThomasM hat geschrieben:Ewigkeit ist ohne Materie nicht denkbar.
Warum belassen wir es denn dann nicht einfach beim Dasein?

Pluto
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#147 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Pluto » Do 20. Nov 2014, 11:04

Lena hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben: Ewigkeit ist ein Begriff, in dem Dynamik stattfindet.
Ohne Sonnenuntergang gibt es nicht mehr Tag und Nacht. Ewigkeit ist immerwährende Gegenwart. Bestimmt findet Dynamik statt, ist doch der Ewige Schöpferkraft und da wird etwas gemacht.
Ja. Sobald etwas geschieht, läuft die Zeit; ohne Ereignisse hält die Zeit an. Nur Ereignislosigkeit ist auch Zeitlosogkeit. Wenn als Gott Zeitlos wäre, dann könnte er nichts bewirken.

Zu Tag und Nacht...
Der Normalzustand im Universum ist Dunkelheit. Licht entsteht nur durch Energiezufuhr. Wenn die Energie verbraucht ist, erlischt jedes Licht.
Frage: Woher soll die Energie für die Ewigkeit kommen? Eine ewig währende Lichtquelle ist also unlogisch, weil sie das Energierhaltungsprinzip verletzt.

Diese Überlegungen sind nicht neu.
Ich vermute solche Gedanken gingen auch Descartes durch den Kopf, als er über die Allmacht Gottes sinnte. Er dachte, nur Gott könne mit seiner Allmacht über der Logik stehen. Als Descartes erkannte, dass mit der Idee eines allmächtigen Gottes, der selbst unlogisches tun kann (z. Bsp. einen Würfel ohne Ecken und Kanten bauen), sein "cogito" kippen würde, verwarf er diese Gedanken gleich wieder.

Wie denkt ihr darüber?
Muss selbst der Allmächtige sich den Gesetzen der Logik beugen, wie Descartes glaubte, der steht er über der Logik?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Pluto
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#148 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Pluto » Do 20. Nov 2014, 11:18

closs hat geschrieben:Warum belassen wir es denn dann nicht einfach beim Dasein?
Das frage ich mich auch immer. :)
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#149 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von Rembremerding » Do 20. Nov 2014, 11:18

closs hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:Ewigkeit ist ohne Materie nicht denkbar.
Warum belassen wir es denn dann nicht einfach beim Dasein?
@closs, der Begriff Holon, das (heile) Ganze, ist Dir stets wichtig.
Wie könnte es etwas Ganzes geben, wenn nicht auch Materie ihrer Erlösung bedürfe und auch erlöst wurde?

Die Ewigkeit wird tatsächlich für die Schöpfung ein Zustand sein, aber Gott wird weiterhin Schöpfer sein, er ist weiterhin Kraft (Dynamik), Weisheit und Bewegung. Gott steht "über" der Ewigkeit, genau in dem Bereich, den wir als Geschöpfe niemals sehen und begreifen werden. Er ist der Geist, der durch ein Wort schöpft.
Der Mensch wird in der Ewigkeit den Zustand beibehalten, den er im Dasein bevorzugt und "eingeübt" hat, wie er sein Wesen gestaltete. Dies kann er nur mit seinem durch Glauben erlösten (oder eben nicht) Leib "erleben", der ganz zu seinem Wesen gehört. Und weil Gott diesen wesenhaften Zustand bereits vor der Schöpfung jedes einzelnen Menschen voraus wußte (aber nicht voraus plante!) wird alles ganz, Heil, dadurch, dass jeder den Platz, den Zustand einnimmt, den er sich selbst in seinem Willen und dem Grad seiner Liebe zu Gott wesentlich zuweist.

Ich sehe darin eine Evolution der überzeitlichen Heilsgeschichte: Die Engelsgeschöpfe hatten nur einmal die Möglichkeit sich für oder gegen die Liebe (Gott) zu entscheiden und können diesen Zustand "nur" mit ihrem Geist erleben. Der Mensch jedoch erhielt eine Zeitlichkeit, damit er millionenfach im Dasein jene Augenblicke erhält, sich erstmals, erneut oder endgültig für die Liebe (Gott) zu entscheiden. Und diese Liebe, so ist der Plan Gottes, kann der Mensch in der Ewigkeit als Zustand samt Seele und Leib erleben, eine weitaus intensivere Möglichkeit, als es den Engeln gegeben. Deshalb wird der Mensch in der Ewigkeit nicht ein Engel sein, sondern wie ein Engel, nämlich Geist, aber auch mehr sein, weil er auch einen erlösten und verherrlichten Leib und Seele besitzt. Deshalb ist es ihm sogar gegeben, die Engel zu richten, zu rechten.

Servus :wave:
Dieser katholische User ist hier dauerhaft inaktiv

ThomasM
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#150 Re: Was genau ist denn Geist?

Beitrag von ThomasM » Do 20. Nov 2014, 11:21

Pluto hat geschrieben: Wie denkt ihr darüber?
Muss selbst der Allmächtige sich den Gesetzen der Logik beugen, wie Descartes glaubte?
Die eigentliche Frage ist:
Können wir jenseits der Logik die uns beherrscht, eine Denk-Möglichkeit finden?
Wenn Gott sich diesen Gesetzen nicht beugt, dann können wir uns ihn nicht vorstellen.

Die Punkte, die ich bebracht habe, beruhen ja auf einem "ich kann mir nicht vorstellen".
Vielleicht bin ich zu dumm.
Was dann ein Problem ist, denn ich kann mir ja noch nicht einmal vorstellen, dass es etwas jenseits meiner Dummheit gibt.

Gruß
Thomas
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