lovetrail hat geschrieben:Okay, nehmen wir noch folgenden Text aus dem Römerbrief hinzu. Dann wird es hoffentlich klarer, dass die enge Deutung mit "Sexsklaven" nicht hinreicht.
OK, nehmen wir uns das Textlein ein „wenig zur Brust“…
Zu Erinnerung – der Beitrag mit dem Text
Röm.1,18-32; Elb.
Analyse:
1. „der Schreiber“ erstellt einen Text in Briefform an „Jemanden“
2. in dem Text schreibt „er“ über „Jemanden“ (offensichtlich sollen dies Männer sein, denn die Betroffenen sollen Frauen haben).
3. „Er“ beschreibt, dass „Gott(?) sie verändert haben soll“ -> „unnatürlicher Verkehr“, „Schande treiben“
4. „Er“ schreibt
nicht exakt, um was es dabei gehen soll. „Ihm“ ist die Behauptung, dass „die Situation“ eine „festgelegte“ Folge des „Nichtanerkennens von Gott(?)“ wichtiger.
Nun ist es entscheidend, die richtigen Fragen zu stellen:
1. Warum beschreibt „er“ nicht, um was es genau gehen soll?
2. Um welche „Situation“ dreht sich dieser Text?
3. An wen schreibt „er“ den Text?
4. In welcher Situation ist der Schreiber?
Antwort zu 1.: Warum beschreibt „er“ nicht, um was es genau gehen soll?
Es ist ganz simpel: die „Leser“/“Zuhörer“ wissen, um was es geht. „Der Schreiber“ muss sie gar nicht davon überzeugen, dass ein Problem existiert, sie wissen es und sollen durch den Text eine Art „Begründung“ bekommen.
Also stellt sich die Anschlussfrage: Was wissen diese Leute damals über gleichgeschlechtliche Sexualität.
Hier ein
Wikitext, der genauen Aufschluss bringt (es geht um die Antike im Gebiet des römischen Reichs):
“ Die aktuelle Altertumswissenschaft verweist darauf, dass die Vorstellung anlagebedingter Homosexualität als phänomenologisches Identitätsmerkmal einer Gruppe von Menschen im Sinne des modernen Theoriezusammenhangs des 19. bis 21. Jahrhunderts der Ordnung des Geschlechtslebens in der Antike fremd war, da die diesem Konzept zugrunde liegenden sexualwissenschaftlichen, medizinischen und psychologischen Erkenntnisse – seit dem 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika entstanden – in antiker Zeit noch unbekannt waren.[1] Zwar kennen einzelne klassisch-griechische bzw. hellenistisch-griechische Philosophen des vierten bis ersten Jahrhunderts v. Chr. (Platon, Aristoteles, Pseudo-Aristoteles, Ptolemaios) die Idee einer möglicherweise naturellbasierten Neigung des Menschen zu Personen des eigenen Geschlechts, doch lässt sich diese Vorstellung keineswegs gänzlich mit der neuzeitlichen Auffassung von Homosexualität im Sinne des sexualwissenschaftlich-psychologischen Theoriezusammenhangs des 19. Jahrhunderts zur Deckung bringen.[2][1] Zudem sind diese „platonisch-aristotelischen“ Sexualvorstellungen, die überdies im Unterschied zum modernen Konzept der Homosexualität bei den oben genannten Philosophen nicht auf sämtliche Erscheinungsformen gleichgeschlechtlichen Verhaltens abzielen, sondern lediglich auf die griechische Päderastie Anwendung finden, im römischen Quellenkorpus nur selten erkennbar. In den römischen Quellen kommen i. d. R. davon unterschiedliche Termini und Darstellungsmuster zum Tragen.“
Es ist also
falsch, wenn wir uns heutige Homosexuelle „händchenhaltend“ und in „privaten Bereichen verschwindend“ vorstellen, denn das Verständnis einer sexuellen Ausrichtung gab es nicht
=> damit kann sich der Text also gar nicht befassen.
=> es muss also um eine Gesamtsituation gehen, die jeder kennt (siehe nächster Abschnitt)
Antwort zu 2.: Um welche „Situation“ dreht sich dieser Text?
Weiter heisst es im
Link:
“ Der sozialkonzeptionelle Rahmen, in den die Ordnung des Geschlechtslebens in Rom eingebettet war, ist geprägt durch die Kategorien von Aktivität versus Passivität beziehungsweise Freiheit (römische Bürger, freie Provinziale) versus Unfreiheit (Sklaven, Freigelassene): „Die zentrale Differenz, die das gesamte Geschlechtsleben bestimmt – zumindest in seiner diskursiven Repräsentation – ist deshalb die zwischen Herrschaft und Unterwerfung, Macht und Ohnmacht, Aktivität und Passivität. Diese Differenz ist für die römische Mentalität bedeutsamer als die Geschlechterdifferenz. So erscheinen passiv alle Sklaven beiderlei Geschlechts, der Jüngere, der Ärmere und der, der sich bezahlen lässt.“
Es herrschte also eine ganz andere Grundlage für die sexuellen Handlungen, um die es im Text gehen soll. Es war eine Situation der Unfreiheit, Unterdrückung und die sexuellen Aktivitäten sollten genau dies zur Schau stellen. Die „aktiven Männer“ demonstrierten ihre Macht, Dominanz, Stellung und ihr „Können“ durch die Sexualität.
=> Es gab also einen kulturellen Rahmen, der für die „passiven Sex-Teilnehmer“ einen Zwang bedeutete. Interessant ist, dass Gleichgeschlechtlichkeit in Ordnung war, wenn sie von freien Bürgern auf Unfreie gerichtet war, also entlang der Machtverhältnisse ging, aber nicht zwischen Bürgern. Gleichgeschlechtlichkeit zwischen Frauen wurde wohl generell als suspekt angesehen und sogar streng geahndet, was auch darauf hindeutet, dass es sich hier um „kulturelle Regeln einer Männlichkeitsglorifizierung“ dreht.
Antwort zu 3.: An wen schreibt „er“ den Text?
Die Zeit, der Textentstehung lässt darauf schliessen, dass die frühen Christen immer weniger Zugang zu jüdischen Synagogen hatten, sie wurden nicht mehr geduldet. Der „Römerbrief“ soll also Gruppen ansprechen, die sich "parallel-/alternativ-gesellschaftlich" entwickelten.
Hier wiederum ein
Wiki-Link:
“Der Gemeinde, an die Paulus schrieb, gehörten sowohl Juden- als auch Heidenchristen an. Die Kirche muss schon eine beachtliche Größe erreicht haben und war auf mehrere, vermutlich voneinander unabhängige, Hausgemeinden verteilt (Röm 16,5.10f.14f.). Dass ein Drittel der namentlich Angesprochenen Frauen sind, wie beispielsweise die Apostelin Junia, könnte ein Indiz für die wichtige Rolle sein, die Frauen in der frühen Kirche Roms spielten. Die Tatsache, dass die Gemeindeglieder Steuern zahlen mussten (Röm 13,6 EU), und die größtenteils nicht typisch römischen Namen lassen darauf schließen, dass die meisten keine römischen Bürger waren, sondern peregrini, Freigelassene oder Sklaven“
Es ging also wohl hauptsächlich um „Freigelassene und Sklaven“, also eine Personengruppe, die innerhalb des kulturellen Sexverhaltens den „passiven Part“ übernehmen
mussten.
Das ist der Grund, warum „der Schreiber“ keine Details nennt: es waren alles Betroffene, die sämtliche Details täglich erleben
mussten.
Antwort zu 4.: In welcher Situation ist der Schreiber?
Auch hier wieder der
Wiki-Link:
“Im Gegensatz zu den Adressaten seiner anderen Briefe hatte Paulus die römische Gemeinde nicht gegründet und kannte sie auch nicht. Einzelne Mitglieder wie Prisca und Aquila, die aufgrund des Edikts von Claudius Rom verlassen hatten, waren ihm aber schon aus Griechenland bekannt. Da er beabsichtigte, auf einer weiteren Missionsreise, die den westlichen Mittelmeerraum zum Ziel hatte, auch Rom zu besuchen (Röm 15,24 EU), diente der Brief der Vorbereitung dieses Besuchs. Auf spezielle Probleme der Gemeinde ging er weniger ein, als es in den anderen Briefen der Fall ist. Stattdessen stellte er seine Theologie ausführlich dar.“
„Der Schreiber“ kannte die „Leser“ also nicht, hatte mit ihrer Gruppenbildung gar nichts zu tun, plante einen direkten Kontakt aufzubauen und wollte diesen durch den Text „einleiten“.
=> Hier geht es um Politik zum Aufbau einer grösseren Gemeinschaft.
Es ist somit nicht erstaunlich, dass „der Schreiber“ ein wesentliches Problem der „Leser“ aufgereift und dieses unter dem Deckmantel seiner religiösen Ansichten bewertet, zumal die Bewertung den Betroffenen gefallen musste – hier versucht sich ein Stimmungspolitiker einen ersten Bonus in einem neuen Bezirk zu sichern.
Zusammenfassung
Entscheidend ist, dass der Text die sexuelle Handlung selbst, als Folge eines eigentlich verursachenden Umstandes darstellt: dem „nicht Anerkennen von Gott(?)“. Hierbei beschimpft und verurteilt der Text die „Aktiven“ und gerichtet ist er an die „Passiven“, wobei dies nur eine Beschimpfung unter vielen ist.
Dies soll „dem Schreiber“ als Wegbereiter für seinen Plan dienen, eine weitere Glaubensgruppierung zu integrieren.
Der Text benutzt die „erzwungene Homosexualität“, um eine kulturelle Abgrenzung aufzubauen.
Fazit
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was heutige „Gläubige“ durchführen, wenn sie diesen Text heutigen Homosexuellen vorhalten?
=> naja, besonders sinnvoll ist es wohl eher nicht…