Pluto hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Nun, ich habe "Verstärkung" mitgebracht, weil ich mich alleine nicht traue - nicht mit Volldampf. Bitte hört Euch doch den Vortrag von Prof. Siegried Zimmer an und teilt mir mit, was ihr darüber denkt.
Zimmer ist, wie wir wissen, ein großartiger und auch sehr geschickter Redner.
Was mich stört, ist, dass alle seine Beispiele auf die
angebliche Boshaftigkeit von Menschen zurückzuführen sind (z.B. die Frau die wochenlang in Mexiko gefoltert wurde).
Er umgeht aber elegant die Folgen der großen Naturkatastrophen, die uns heute treffen.
Wirklich?
Pluto hat geschrieben:Das sind alles aus meiner Sicht bedeutungslose Entschuldigungen im Nachhinein. Wenn es einen Schöpfer gibt, warum hat er den Menschen auf eine so labile Erde gesetzt? Wenn wir schon Gott danken, dass er den einen oder anderen verschont hat, warum verschließen wir uns der Frage, wieso mussten so viele Menschen sterben? Seien wir doch ehrlich, liegt das nicht auch in der Verantwortung Gottes?
Diese Fragen stellen sich und die darf man auch nicht verbieten. Es sind wichtige Fragen, aber leider so schwer, dass ich sie nicht zufriedenstellend zu beantworten vermag.
Wie kann Gott das Leid zulassen? Mit dieser Frage hatte sich Nathalie Schöps in ihrer Jahresarbeit beschäftigt. Darin ist auch eine Umfrage zu diesem Thema enthalten.
Vermutlich kann sich zu diesem Thema am Besten jemand äußern, der selbst Leid erfahren hatte. Da denke ich an die
Texte von Dietrich Bonhoeffer, seine
Briefe an einen Freund, insbesondere seine Aufzeichnungen aus der Haft im Gefängnis in Tegel vom 16.7 und 18.7 1944, die eine ganz andere Perspektive aufzeigen:
Zitat von Dietrich Bonhoeffer (16.7.44 aus Tegel):
... Gott als moralische, politische, naturwissenschaftliche Arbeitshypothese ist abgeschafft, überwunden; ebenso aber als philosophische und religiöse Arbeitshypothese (Feuerbach!). Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, diese Arbeitshypothese fallen zu lassen bzw. sie so weitgehend wie irgend möglich auszuschalten. Ein erbaulicher Naturwissenschaftler, Mediziner etc. ist ein Zwitter.
Wo behält nun Gott noch Raum?, fragen ängstliche Gemüter, und weil sie darauf keine Antwort wissen, verdammen sie die ganze Entwicklung, die sie in solche Notlage gebracht hat. Über die verschiedenen Notausgänge aus dem zu eng gewordenen Raum habe ich Dir schon geschrieben. Hinzuzufügen wäre noch der salto mortale zurück ins Mittelalter. Das Prinzip des Mittelalters aber ist die Heteronomie in der Form des Klerikalismus. Die Rückkehr dazu aber kann nur ein Verzweiflungsschritt sein, der nur mit dem Opfer der intellektuellen Redlichkeit erkauft werden kann. Er ist ein Traum nach der Melodie: »O wüßt ich doch den Weg zurück, den weiten Weg ins Kinderland.« Diesen Weg gibt es nicht - jedenfalls nicht durch den willkürlichen Verzicht auf innere Redlichkeit, sondern nur im Sinne von Matth. 18,3, d.h. durch Buße, d.h. durch letzte Redlichkeit.
Und wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, daß wir in der Welt leben müssen - »etsi deus non daretur«. Und eben dies erkennen wir - vor Gott! Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. So führt uns unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigen Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen, daß wir leben müssen, als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt (Markus 15,34)! Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns. Es ist Matth. 8,17 ganz deutlich, daß Christus nicht hilft kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens!
Hier liegt der entscheidende Unterschied zu allen Religionen. Die Religiosität des Menschen weist ihn in seiner Not an die Macht Gottes in der Welt, Gott ist der deus ex machina. Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen. Insofern kann man sagen, daß die beschriebene Entwicklung zur Mündigkeit der Welt, durch die mit einer falschen Gottesvorstellung aufgeräumt wird, den Blick freimacht für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt. Hier wird wohl die »weltliche Interpretation« einzusetzen haben.
Zitat von Dietrich Bonhoeffer (18.7.44 aus Tegel):
Ob wohl durch die Münchener Angriffe manche Briefe verloren gegangen sind? Bekamst Du den mit den beiden Gedichten? Er war gerade abends unterwegs und enthielt noch einiges Vorbereitende zum theologischen Thema. Das Gedicht über »Christen und Heiden« enthält einen Gedanken, den Du hier wiedererkennen wirst. »Christen stehen bei Gott in seinem Leiden«, das unterscheidet Christen von Heiden. »Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?« fragt Jesus in Gethsemane. Das ist die Umkehrung von allem, was der religiöse Mensch von Gott erwartet. Der Mensch wird aufgerufen, das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitzuleiden.
Er muß also wirklich in der gottlosen Welt leben und darf nicht den Versuch machen, ihre Gottlosigkeit irgendwie religiös zu verdecken, zu verklären; er muß Â»weltlich« leben und nimmt eben darin an dem Leiden Gottes teil; er darf »weltlich« leben, d.h. er ist befreit von den falschen religiösen Bindungen und Hemmungen. Christsein heißt nicht in einer bestimmten Weise religiös sein, auf Grund irgendeiner Methodik etwas aus sich machen (einen Sünder, Büßer oder einen Heiligen), sondern es heißt Menschsein, nicht einen Menschentypus, sondern den Menschen schafft Christus in uns. Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben.
Das ist die »Metanoia«, nicht zuerst an die eigenen Nöte, Fragen, Sünden, Ängste denken, sondern sich in den Weg Jesu Christi mithineinreißen lassen, in das messianische Ereignis, daß Jes. 53 nun erfüllt wird! Daher: »glaubet an das Evangelium« bzw. bei Joh. der Hinweis auf das »Lamm Gottes, das der Welt Sünden trägt« (Joh. 1,29). (Nebenbei: A. Jeremias hat kürzlich behauptet, »Lamm« sei im Aramäischen auch durch »Knecht« zu übersetzen. Ganz schön im Hinblick auf Jes. 53!)
Dieses Hineingerissenwerden in das messianische Leiden Gottes in Jesus Christus geschieht im Neuen Testament in verschiedener Weise: durch den Ruf der Jünger in die Nachfolge, durch die Tischgemeinschaft mit den Sündern, durch »Bekehrungen« im engeren Sinne des Wortes (Zachäus), durch das (ohne jedes Sündenbekenntnis sich vollziehende) Tun der großen Sünderin (Luk. 7), durch die Heilung der Kranken (s. o. Matth. 8,17), durch die Annahme der Kinder. Die Hirten wie die Weisen aus dem Osten stehen an der Krippe, nicht als »bekehrte Sünder«, sondern einfach, weil sie, so wie sie sind, von der Krippe her angezogen werden (Stern). Der Hauptmann von Kapernaum, der gar kein Sündenbekenntnis ablegt, wird als Beispiel des Glaubens hingestellt (vgl. Jairus). Den reichen Jüngling »liebt« Jesus. Der Kämmerer (Apg. 8), Cornelius (Apg. 10) sind alles andere als Existenzen am Abgrund. Nathanael ist ein »Israelit ohne Falsch.« (Joh. 1,47); schließlich Joseph von Arimathia, die Frauen am Grabe. Das einzige, ihnen allen Gemeinsame, ist das Teilhaben am Leiden Gottes in Christus. Das ist ihr »Glaube«.
Nichts von religiöser Methodik, der »religiöse Akt« ist immer etwas Partielles, der »Glaube« ist etwas Ganzes, ein Lebensakt. Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion, sondern zum Leben. Wie sieht nun aber dieses Leben aus? Dieses Leben der Teilnahme an der Ohnmacht Gottes in der Welt? Davon schreibe ich das nächste Mal, hoffentlich.
Heute nur noch dies: Wenn man von Gott »nichtreligiös« sprechen will, dann muß man so von ihm sprechen, daß die Gottlosigkeit der Welt dadurch nicht irgendwie verdeckt, sondern vielmehr gerade aufgedeckt wird und gerade so ein überraschendes Licht auf die Welt fällt. Die mündige Welt ist gottloser und darum vielleicht gerade Gott-näher als die unmündige Welt.
Verzeih, es ist alles noch furchtbar schwerfällig und schlecht gesagt, ich spüre das deutlich ... Wir stehen hier fast allnächtlich um halb 2 Uhr auf. Das ist eine schlechte Zeit und beeinträchtigt die geistige Arbeit etwas.
Wie denkst Du über diese Gedanken?