Ich selbst wuchs in einer sehr strengen Gemeinde auf, die irgendwann eine falsche Richtung einschlug, also verließen wir die Gemeinde. Mir war ein extremer, lebensfeindlicher Fundamentalismus beigebracht worden, etwa nach dem Motto: "Da, wo du dir dein Leben als Christ schwerer machen kannst, da hast du das zu tun, egal ob das Sinn mach oder nicht."
In den darauffolgenden Jahren musste ich vieles überdenken und revidieren und ich lernte in verschiedenen Internetforen ganz andere Christen kennen. Es waren viele dabei, die körperlich und/oder psychisch krank sind oder waren. Ein älteres Paar in England - sie hatte früher Bulimie, er Depressionen. Eine Frau mittleren Alters in den USA, deren Körper durch ihre Magersucht und Bulimie so zerstört wurde, dass sie über eine Magensonde rernährt werden muss. Eine alleinstehende Mutter von zwei Töchtern, die zwischenzeitlich ihre Probleme hatten, die Mutter hat eine Angststörung und ist pleite.
Darüber bin ich barmherzig geworden und tolerant. Ich kann nicht einfach jemandem den Glauben absprechen oder Mitchristen verurteilen, die Dinge anders machen oder anders sehen als ich es für richtig halte, denn jeder von diesen Menschen hat eine ganz eigene Geschichte und hat sich den Glauben bzw. das Festhalten an Jesus hart erkämpft und kämpft manchmal noch immer darum, gerade wenn andere Christen sagen, wer seinen Körper durch Magersucht zestört hat, könne kein richtiger Christ sein.
Ich selbst mache auch manches anders oder sehe manches anders, als ich das früher tat. Weil ich früher Dinge gemacht habe, um zu der Gruppe von Christen dazuzugehören, um nur nicht kritisiert, sondern gemocht zu werden und bei anderen Christen nicht anzuecken. Irgendwann ging das nicht mehr, es ist ja mein Leben und ich muss mich dafür vor Gott verantworten und kann meinen Glauben nicht drehen wie ein Fähnchen im Wind nach dem Christen, der gerade am lautesten ruft und mich am strengsten verurteilt. Jeder hat seine eigene Gesichte mit Gott und die hast du sicher auch.
Was solche Dinge anbelangt:
Da las ich mal einen Blog (finde den leider nicht wieder) in dem eine Frau (überzeugter Christ) schrieb, man müsse das so nicht verteidigen. Es ist erlaubt, als christ zu sagen, dass man das als grausam empfindet und nicht versteht. Du kannst Gott ohnehin nie vollkommen verstehen und das weiß er doch. Wenn du gewisse Dinge in der Bibel problematisch oder unglaubwürdig findest, bring sie vor Gott. Ich finde es sogar in Ordnung, Nichtchristen gegenüber zuzugeben, dass man diese Dinge nicht versteht. Das ist glaubwürdig und ehrlich und man kann Gott durchaus vertrauen, auch wenn man nicht alles versteht.Nach dem Motto: Gott befahl das Volk auszurotten, also hatte es einen Sinn, also nehmen wir das so hin, also gibts da nix zu meckern.
Darüberhinaus retten nicht die Werke. Ich habe das lange genug probiert, soweit, dass ich mir selbst teilweise das Leben fast zur Hölle gemacht habe, nachdem Motto: Je aktiver ich bin und je mehr ich dabei angegriffen werde und leide, desto lieber hat mich Gott und desto eher bin ich gerettet.
Das einzige, was ich bisher als Christ gut drauf habe, ist die Demut, zu sehen, dass ich mich gar nicht selbst erretten kann, dass ich nichts habe, was ich Gott geben kann, außer mein sehr unperfektes Leben. Das ist eine Erleichterung und anstatt mich in blindem Aktivismus zu vergraben, werde ich offen für das, was Gott von mir wirklich will.