Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Rund um Bibel und Glaube
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Bastler
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#1 Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von Bastler » Di 4. Nov 2014, 19:22

Thema abgetrennt aus: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?


Pluto hat geschrieben:Ich bin sprachlos und entrüstet zugleich. ;)
Kommst daher, und erklärst perfekt die historisch-kritische Exegese, und sagst dann dass du nicht dran glaubst. :roll:
Pfui! :D
Die historisch-kritische Exegese hat einen grundlegenden Fehler: Sie kann uns nur Wissen geben, aber keinen Glauben.
Und das Wissen ist (eben weil sie historisch arbeitet) auch noch immer unsicher.

Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?
Wenn man irgendwann den Kopf voller Wissen hat, wird man dadurch keineswegs automatisch glücklich. Es gibt sehr vielwissende Menschen, die trotz ihres vielen Wissens (manchmal sogar: wegen ihres vielen Wissens) unglücklich sind. Nur eines wissen sie nicht: Wie man zu einer Fülle des Lebens kommt. Diese kann man nämlich nicht durch noch so viel Wissen herbeiführen.
Dann können die Vielwisser zwar prima auf die Nixwisser und Nixblicker herabsehen. Aber wenn das der einzige Glücksweg ist, dann geben sie eine doch eher traurige Figur ab.

Wissen macht nicht glücklich. Glauben dagegen schon. Nicht dass ihr mich missversteht: Ich meine jetzt nicht nur den Glauben an diesen oder jenen Inhalt, also daran glauben, dass Maria Jungfrau war, dass Gott existiert, dass Jesus auferstanden ist. Diese Glaubensform ist eher eine "Fortsetzung des Wissens mit anderen Mitteln". Man meint, mehr zu wissen, als die Wissenden, weil man nichtwissbare Inhalte für wahr hält.
Der Glaube, der glücklich macht, läuft ganz anders. Er entsteht nicht durch ein Fürwahrhalten oder durch ein Wissen, sondern indem man sich von einer unbedingten Wirklichkeit angesprochen spürt. Wenn etwas so wahr ist, dass man es nicht verstehen will, sondern dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Natürlich kann einem dazu Wissen ein ganz gutes Hilfsmittel oder Vehikel sein. Auch Riten, Gebete, Bibellesung oder Kirchenaussagen können behilflich sein. Aber die wahren Momente des Glaubens-Schöpfens sind auch durch all diese netten Hilfsmittel nicht machbar.

Es sind Momente, in denen einem klar wird, warum man lebt, welches Ziel man hat (so sehr, dass man alles andere opfern könnte), dass man sich geborgen fühlen kann.

Ich habe vor ein paar Jahren eine etwa vierzigjährige Schweizerin kennen gelernt. Die hat nichts von der Bibel, nichts von Jesus und nichts von Kirche gewusst. Sie wurde krank und lag ein gutes Vierteljahr auf der Intensivstation im Wechsel zwischen Komaphasen und sehr, sehr schmerzhaftem Wachphasen. Und die hat mir gesagt: Sie wäre noch nie so dankbar für ihr Leben gewesen, wie in dieser Zeit. Obwohl alles furchtbar war und die medizinische Lage hoffnungslos erschien, fühlte sie sich seltsam geborgen.
Das ist kein Wissen. Sie wird auch niemals eins zu eins erklären können, wie sie zu dieser Einstellung gekommen ist. Und alle medizinischen Erklärungen können zwar die Umstände und Zusammenhänge klären: Aber das ist nicht dasselbe, wie dieser Glaube, den sie in jener Zeit erfahren hat.

Diese Art von Glauben meine ich, wenn ich kontrastiere "Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?"

Und das alles ist so meilenweit von der Wissensfrage entfernt, wann nun genau der Tempel zerstört wurde, wann das Lukasevangelium geschrieben wurde, und ob die Evangelisten und Jesus hellsehen konnten. Darum bin ich an solchen Datierungsfragen (und Wissensfragen) nur begrenzt interessiert. Sie sind für mich höchstens Vehikel, nie aber Ziel.

R.F.
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#2 Re: Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von R.F. » Di 4. Nov 2014, 20:36

Bastler hat geschrieben: - - -
Da der Weltuntergang nicht stattgefunden hat, den man im Urchristentum sehr wohl erwartete...
- - -
Die haben tatsächlich den Weltuntergang erwartet? Schau an, man lernt nie aus... :P

R.F.
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#3 Re: Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von R.F. » Di 4. Nov 2014, 20:45

Bastler hat geschrieben: - - -
Die historisch-kritische Exegese hat einen grundlegenden Fehler: Sie kann uns nur Wissen geben, aber keinen Glauben.
Und das Wissen ist (eben weil sie historisch arbeitet) auch noch immer unsicher.
Wenn’s den auch wirklich “ Wissen” wäre. Die Brüder haben den ersten Knopf ihrer Jacke in das falsche Loch gesteckt...

Pluto
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#4 Re: Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von Pluto » Di 4. Nov 2014, 21:47

Bastler hat geschrieben:Diese Art von Glauben meine ich, wenn ich kontrastiere "Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?"

Und das alles ist so meilenweit von der Wissensfrage entfernt, wann nun genau der Tempel zerstört wurde, wann das Lukasevangelium geschrieben wurde, und ob die Evangelisten und Jesus hellsehen konnten. Darum bin ich an solchen Datierungsfragen (und Wissensfragen) nur begrenzt interessiert. Sie sind für mich höchstens Vehikel, nie aber Ziel.
Insgesamt eine sehr schöner tiefschürfender Beitrag! :clap:

Das wovon du schreibst ist ein sehr abstrakter aber dennoch nachvollziehbarer Glaube. Eigentlich könnte man es ein Glaube an sich selbst und an die eigene innere Kraft nennen. So ähnlich meine ich es auch, wenn ich sage, auch wenn das Leben keinen Sinn hat, sind wir verpflichtet uns Ziele im Leben zu setzen, an die wir uns festhalten können, so wie deine Bekannte aus der Schweiz, in ihren schweren Stunden an ihr Leben festhielt und überlebte.

Du hast gesagt, sie hat geglaubt. Meintest du damit sie ist Christ geworden?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Hemul
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#5 Re: Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von Hemul » Di 4. Nov 2014, 22:31

Bastler hat geschrieben: Wissen macht nicht glücklich. Glauben dagegen schon. Nicht dass ihr mich missversteht: Ich meine jetzt nicht nur den Glauben an diesen oder jenen Inhalt, also daran glauben, dass Maria Jungfrau war, dass Gott existiert, dass Jesus auferstanden ist. Diese Glaubensform ist eher eine "Fortsetzung des Wissens mit anderen Mitteln". Man meint, mehr zu wissen, als die Wissenden, weil man nichtwissbare Inhalte für wahr hält.
Ob jeder Glaube glücklich macht-kann ich nicht sagen. Gem. Römer 10:1+2 führt aber nicht jeder Glaube, mag er noch so eifrig sein zu Gott hin:
1 Liebe Geschwister, ich wünsche von Herzen und flehe zu Gott, dass die Angehörigen meines Volkes gerettet werden. 2 Denn ich kann ihnen bezeugen, dass sie sich mit großem Eifer für Gott einsetzen. Doch was ihnen fehlt, ist die richtige Erkenntnis.
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

closs
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#6 Re: Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von closs » Di 4. Nov 2014, 23:07

Bastler hat geschrieben:Auch hier weise ich auf die Frage hin: Welche Bedeutung für den Glauben spielt es denn, ob Jesaja eine Einzelperson, ein Paar, eine Frau, fünf Frauen oder eine Community war?
Genau die richtige Frage. - Entweder die Aussagen sind geistig schlüssig oder nicht. - Für die Antwort auf diese Frage hilft es nicht, zu wissen, ob Jesaja eine Einzelperson, ein Paar, eine Frau, fünf Frauen oder eine Community war. - Man sollte Bibel-Wissenschaft und geistige Bibel-Deutung als zwei unabhängige Disziplinen verstehen.

Hemul
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#7 Re: Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von Hemul » Di 4. Nov 2014, 23:12

closs hat geschrieben:
Bastler hat geschrieben:Auch hier weise ich auf die Frage hin: Welche Bedeutung für den Glauben spielt es denn, ob Jesaja eine Einzelperson, ein Paar, eine Frau, fünf Frauen oder eine Community war?
Genau die richtige Frage. - Entweder die Aussagen sind geistig schlüssig oder nicht. - Für die Antwort auf diese Frage hilft es nicht, zu wissen, ob Jesaja eine Einzelperson, ein Paar, eine Frau, fünf Frauen oder eine Community war. - Man sollte Bibel-Wissenschaft und geistige Bibel-Deutung als zwei unabhängige Disziplinen verstehen.
Bei Micky-Maus mag das zutreffen. Gem. Pauli Aussage in Römer 10:2 aber nicht auf die Bibel:

. 2 Denn ich gebe ihnen Zeugnis, dass sie Eifer für Gott haben, aber nicht mit rechter Erkenntnis.
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

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Bastler
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#8 Re: Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von Bastler » Di 4. Nov 2014, 23:23

Pluto hat geschrieben:Das wovon du schreibst ist ein sehr abstrakter aber dennoch nachvollziehbarer Glaube. Eigentlich könnte man es ein Glaube an sich selbst und an die eigene innere Kraft nennen. So ähnlich meine ich es auch, wenn ich sage, auch wenn das Leben keinen Sinn hat, sind wir verpflichtet uns Ziele im Leben zu setzen, an die wir uns festhalten können, so wie deine Bekannte aus der Schweiz, in ihren schweren Stunden an ihr Leben festhielt und überlebte.

Du hast gesagt, sie hat geglaubt. Meintest du damit sie ist Christ geworden?
Ich glaube nicht, dass sie Christin geworden ist. Unsere Bekanntschaft dauerte nur ein paar Monate, dann haben wir uns aus den Augen verloren. Ich halte die Art, wie sie vom Glauben gesprochen hat und wie sie den Glauben entdeckt hat, für ziemlich unchristlich. Wahrscheinlich ist sie nicht einmal Theistin. Ihre Art von Glauben braucht keinen Gott. Erst, wenn sie konsequent weitergefragt hätte, was dieses Gefühl von "es ist alles gut, auch wenn alles katastrophal ist" bedeutet, könnte sie auf die Idee kommen, dass es "jemanden" geben muss, der auch in der größten Katastrophe noch trägt (ohne die Katastrophe dabei abzuwenden. Sondern eben anders.)

Sie war - um ein Bild zu bemühen, das ich schon erwähnt habe - auf einem anderen Vehikel unterwegs. Ihr Vehikel waren nicht die biblischen Geschichten oder die Glaubensaussagen einer Religionsgemeinschaft. Nicht einmal eine Gottesvorstellung war ihr Vehikel zum Glauben. Für sie war es ganz einfach die erstaunliche Erfahrung, sich mitten im größten Schlamassel geborgen zu fühlen und das Leben auch unter diesen Umständen lieben zu können.

Diese Vehikel spielen allerdings - Helmul hat sich bereits so ähnlich geäußert - eine wichtige Rolle. Er meinte, dass nicht jeder Glaube (und ich vermute, dass er mit diesem Wort eigentlich eine Glaubenslehre oder einen Glaubensinhalt meint, also das Vehikel) zum Guten führe. Und da hat er Recht. Der Glaube eines Selbstmordattentäters ist gewiss stark - aber er führt nicht unbedingt zum Guten.

Ohne die Vehikel bleibt der Glaube zunächst mal "abstrakt". Ein völlig abstrakter Glaube ist wahrscheinlich sogar undenkbar. Irgendein Vehikel braucht's.
Es gibt Vehikel, die die Glaubensstärke ungemein puschen - wie z.B. den Selbstmordattentäterglauben. Dennoch nicht gut.
Es gibt Vehikel, die sind entsetzlich klapprig - damit meine ich zum Beispiel Lebenslügen, mit denen man sich selber in die Tasche lügt. Eine Weile lang kann man die absurdesten Gedanken als Glaubensvehikel benutzen. Um so schlimmer, wenn diese Lebenslügen irgendwann durchschaut werden. Dann ist das Vehikel futsch - und ob man dann noch das Vertrauen aufbringt, sich eben auf ein anderes Vehikel zu setzen? Viele sind frustriert und leiden unter ihrer Glaubenslosigkeit. Wenn man am Ende an gar nichts mehr glauben kann, hilft nicht einmal mehr der Suizid. Denn dazu müsste man noch daran glauben, dass er hilft. (Achtung, das war mal wieder flapsig.)

Die Religionen haben eigentlich die Aufgabe, ihren Gläubigen gute Vehikel an die Hand zu geben. Gute Gedanken und Erklärungen, Anleitungen zum guten und ethischen Leben, Riten, Lieder, Gebets- und Versenkungshilfen, Texte, Bewältigungsstrategien ... all dies kann zum Glaubensvehikel werden. Und man sollte durchaus prüfen, ob dieses Vehikel haltbar ist und ob es in ein gute Richtung steuert.

ThomasM
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#9 Re: Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von ThomasM » Do 6. Nov 2014, 12:44

Bastler hat geschrieben: Der Glaube, der glücklich macht, läuft ganz anders. Er entsteht nicht durch ein Fürwahrhalten oder durch ein Wissen, sondern indem man sich von einer unbedingten Wirklichkeit angesprochen spürt. Wenn etwas so wahr ist, dass man es nicht verstehen will, sondern dass es einem die Tränen in die Augen treibt.
Danke Bastler für diese Zeilen.

Als jemand, der sein Lebtag nach Wissen gestrebt hat und dem Wissen immer noch enorm wichtig ist, finde die Wahrheit in diesen Worten fast schmerzhaft.
Und tröste mich, dass viele Menschen nicht in diesem Augenblick verharren, sondern beginnen, das Erlebte zu verarbeiten, verstehen zu wollen. Manche sind so überwältigt, dass sie die Regeln des Wissens über Bord werfen und durch blindes Glauben ersetzen wollen. Mein Weg ist eher, die Begrenztheit des Wissen-könnens anzuerkennen und diese Grenzen nach Möglichkeit auszuloten.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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Naqual
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#10 Re: Weißt Du noch? Oder glaubst Du schon?

Beitrag von Naqual » Do 6. Nov 2014, 18:25

ThomasM hat geschrieben:
Bastler hat geschrieben: Der Glaube, der glücklich macht, läuft ganz anders. Er entsteht nicht durch ein Fürwahrhalten oder durch ein Wissen, sondern indem man sich von einer unbedingten Wirklichkeit angesprochen spürt.
Danke Bastler für diese Zeilen.
Schließe mich zustimmend an! :thumbup:

Interessant fand ich auch den Vergleich mit einem "Vehikel".
Ob Moses nun das Meer geteilt hat oder nicht, ist unerheblich für uns heute.
Entscheidend ist, was eine Episode einem persönlich hilfreich sagen kann. Da muss schon was für mich selbst im eigenen Leben praktisch Nachvollziehbares da sein. Eben: "Vehikel".
In der Konsequenz bedeutet dies aber auch: "Glaube" ist etwas im eigenen Leben Überprüfbares. Wirkt es? Verändert es etwas im meinem Leben, meinem Fühlen und Denken, meiner Ausrichtung, wie ich durchs Leben gehe?
Die Alternative zum "Glauben als Vehikel" ist das Fürwahrhalten von dogmatischen Aussagen.
Was es für mich gedanklich kompliziert macht ist, dass "Vehikel" und "Fürwahrhalten" keine echten Gegensätze sind, weil Fürwahrhalten auch wieder zum guten Vehikel werden kann. Sogar losgelöst vom Wahrheitsgehalt.

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