Ich grabe noch etwas tiefer, wenn ich darf, lieber Rem.
Rembremerding hat geschrieben:Andreas hat geschrieben:Außerdem zitiert der Gesetzeslehrer schlampig.
Dies fällt tatsächlich auf. Zudem stellt er die Verse des AT in einem Satz gleich. Ich gehe davon aus, dass er bewusst so gelesen hat, weil es ihm einzig darum ging Jesus die Frage nach dem Nächsten zu stellen. Man trifft Christen, auch hier im Forum, die Gottes Wort so lesen, damit andere damit bloßgestellt werden, damit man sein egoistisches, liebloses Ziel erreicht, ja, damit man seinen Zorn in Bibelverse gepackt loswerden kann. Man kann also heilige Worte dadurch pervertieren, in dem man sie nicht in dem Geiste gebraucht, in dem sie aufgeschrieben. Nichts anderes tat Satan in der Versuchungsgeschichte Jesu.
Der "Verstand" ist wohl beim Gesetzeslehrer unter dem Einfluss des Hellenismus jener Zeit hinzugetreten. So wird in jeder Zeit die Lebenswirklichkeit und die Geistesströmung das Lesen des Wortes beeinflussen. Dies ist nicht unbedingt schädlich, soweit man immer den Hl. Geist und seine Eigenschaften als Maßstab beobachtet, der das Wort uns schenkt.
Außerdem werden in dieser Perikope zwei unterschiedliche griechischen Worte für "Leben" verwendet.
Jesus sagt nicht, dass er so das ewige Leben erben wird, denn dazu gehört mehr und dieses "mehr" versucht Jesus ihm (und uns) durch sein Wort im folgenden Gleichnis zu verklickern... Jesus ist der "Samaritaner", der Fremde mit seiner neuen Lehre, der Andersgläubige, der unbequeme Reformator, keiner von ihnen, keiner aus dem jerusalemer Tempelbetrieb und noch dazu ausgerechnet aus Galiläa!
Hier wird die Homilie des Origenes interessant, der den Überfallenen, Ausgeplünderten als den gefallenen Adam und Jesus als den Samariter identifiziert, der für ihn bezahlt, damit er geheilt wird.
Auch an Origenes stellt Jesus seine Frage: Was liest du? Origenes interpretiert nach den hermeneutischen Regeln seiner Zeit, dem mehrfachen Schriftsinn, allegorisch und
seinem Christusbild entsprechend. Die Bezahlung des Wirtes deutet er
deswegen als Lösegeld. Aber was spricht im Text des Gleichnissen dafür, dass der Wirt mit Gott gleichzusetzen wäre, dem das Lösegeld zu bezahlen sei? Nichts. Andererseits passt zur Theologie des Lösegeldes nicht, dass der auferstandene Jesus noch einmal "zu Gott" zurückkäme und dann sozusagen die zweite Rate des Lösegeldes abliefern würde. Dieser Auslegung sperrt sich einiges im Text.
Also lasse ich mich noch einmal anfragen: Was steht da? Was liest du?
Was steht da?
Zu "liebe deinen Nächsten wie dich selbst" finde ich folgende Stellen - und nicht nur diese erste, die in den deutschen Bibelausgaben als Verweisstelle angegeben ist - das ist
nur das, was die Übersetzer
gelesen haben:
Lev 19,18 hat geschrieben:An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr.
Lev 19,34 hat geschrieben:Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.
Dtn 13,7-10 hat geschrieben:Wenn dein Bruder, der dieselbe Mutter hat wie du, oder dein Sohn oder deine Tochter oder deine Frau, mit der du schläfst, oder dein Freund, den du liebst wie dich selbst, dich heimlich verführen will und sagt: Gehen wir und dienen wir anderen Göttern - (wobei er Götter meint,) die du und deine Vorfahren noch nicht kannten,
unter den Göttern der Völker, die in eurer Nachbarschaft wohnen, in der Nähe oder weiter entfernt, zwischen dem einen Ende der Erde und dem andern Ende der Erde -,
dann sollst du nicht nachgeben und nicht auf ihn hören. Du sollst in dir kein Mitleid mit ihm aufsteigen lassen, sollst keine Nachsicht für ihn kennen und die Sache nicht vertuschen.
Sondern du sollst ihn anzeigen. Wenn er hingerichtet wird, sollst du als Erster deine Hand gegen ihn erheben, dann erst das ganze Volk.
Sir 7,21 hat geschrieben:Einen klugen Sklaven liebe wie dich selbst, verweigere ihm die Freilassung nicht!
Das ist das, was dasteht - und manches davon
liest man nicht so gerne, weil nicht alles davon
in der Freude des Heiligen Geistes mit "Barmherzigkeit" in Einklang zu bringen ist. Man kommt nicht drum herum aus allem, was man lesen sollte - weil es dasteht - auszuwählen und sich zu entscheiden, was man sich davon zu eigen macht.
Aus der Frage nach dem "was liest du" und dem folgenden, kann man ablesen - was Jesus liest und sich zu eigen gemacht hat. Ein Hinweis ist, dass in dem Gleichnis ein
Levit auftaucht und dass aus dem Buch
Levitikus zitiert wird ("Levitikon" in LXX). Besonders fällt dabei auf, dass hier auf
den Fremden Bezug genommen wird. Der Samaritaner im Gleichnis ist
ein Fremder im Judäa des Jahres 30 - und Jesus aus Nazareth ist in Jerusalem der Fremde. Galiläa liegt
von Jerusalem aus gesehen ja noch hinter Samaria. Deshalb wählt Jesus einen Fremden für sein Gleichnis. Ein einheimischer Schmied wäre auch als barmherziger Retter in der Not möglich gewesen, aber der hätte nicht auf die "ungelesene Stelle" mit dem Fremden verwiesen.
Was lese ich noch?
Den Kontext, in den dieses Gleichnis eingebunden ist:
Lk 10,21-24 hat geschrieben:In dieser Stunde rief Jesus, vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude aus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen.
Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.
Jesus wandte sich an die Jünger und sagte zu ihnen allein: Selig sind die, deren Augen sehen, was ihr seht.
Ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört.
Dann folgt das Gleichnis in dem der Sohn als Erzähler des Gleichnisses eben
das offenbart was den Weisen und Klugen, den Propheten und Königen verborgen war und fremd geblieben ist.
So gelesen, geht das zusammen genommen in eine ziemlich "trinitarische" Richtung, weil der Samaritaner dann nicht nur als der Sohn - Jesus in der Freude des Heiligen Geistes - sondern auch als der Vater zu verstehen wäre. Die Barmherzigkeit, welche die Not des beschädigten Menschen in den Mittelpunkt rückt, ist ein Wesensmerkmal aller drei - unabhängig davon, ob man sie trinitarisch versteht oder nicht.
Derjenige, dem dies offenbart wird, ist
der, der
liest und
versteht worum es Jesus im Wesentlichen geht. Jesus lehrt also nicht nur seine Botschaft sondern liefert den hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis der Botschaft gleich mit dazu: "Was steht da? Was liest du?" Wer achtlos über diese beiden unscheinbaren Pflänzchen auf dem Weg des Textes hinwegschreitet, sie beim flüchtigen Lesen überliest und diese nicht recht würdigt, versteht diesen Text nicht in seiner ganzen Tiefe. Meiner Meinung nach, die kann falsch sein. Das einzige was für die Richtigkeit dieser Interpretation spricht, ist, dass innerhalb der involvierten Texte eines zum anderen passt und nichts übrig bleibt, was sich dieser Interpretation sperrend widersetzen würde.
Die Frage des Gesetzeslehrers nach dem Nächsten wird in Jesu Antwort völlig auf den Kopf gestellt:
Lk 10,36-37 hat geschrieben:Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde? Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso!
Denn nicht
wen wir als Nächsten betrachten ist entscheidend um das ewige Leben zu erben, sondern
von wem wir als Nächste betrachtet werden. Unser Nächster ist immer zuerst derjenige, der uns halbtoten Menschen mit seiner Barmherzigkeit am nächsten steht: Jesus in der Freude des Heiligen Geistes und der Vater. In diesem Geheimnis leben wir nicht als Fremde sondern als Nächste. So nahe ist uns das Reich Gottes, auch wenn uns dieses Geheimnis noch fremd erscheinen mag. Darin ist unser Erbe des
ewigen Leben gegründet.
Damit ist nun schlussendlich auch die Eingangsfrage des Gesetzeslehrers beantwortet:
Lk 10,25b hat geschrieben:Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?
Du musst eigentlich nur verstehen,
von wem du, Mensch, mit barmherzigen Augen als Nächster angenommen bist. Wenn du dieser frohen Botschaft vertraust, wirst du deinen Nächsten barmherzig behandeln. Gott lässt sein Antlitz über seine Kinder leuchten. Sein Vermächtnis ist unser Erbe: Barmherzigkeit. Was liest du? Was davon gibst du weiter?