SilverBullet hat geschrieben: ↑Sa 27. Mär 2021, 20:15
Anders gefragt: wie viel Liebe und Frieden liegt in der Messias-Idee? (ist sie der "Nächstenliebe" dienlich?)
Die Messias-Idee würde Jesus als Führer des "Heiligen Volkes" verstehen. Das würde ich erst einmal nicht mit Nächstenliebe zusammen sehen. Tendenziell besteht eher die Gefahr, dass eine Gruppe sich als etwas Besonderes fühlt und wenn dies auf Kosten anderer geht... dann ist eher das Gegenteil von Nächstenliebe der Fall. (Man betrachte in diesem Zusammenhang 2000 Jahre alte Gebietsansprüche für ein Volk auf Kosten eines anderen Volkes. Das wäre jetzt allerdings eine sehr lange Diskussion.)
Jesus als Gott, im Zentrum eines kirchlich-christlichen Personenkults: Wenn diese Vorstellung der Förderung der Nächstenliebe dient, müsste man dies irgendwo großflächig feststellen können.
Also wo sehen wir, dass im christlichen Kulturkreis der westlichen Hemisphäre etwas in Richtung Nächstenliebe besser läuft als bei anderen religiösen Kulturkreisen? Dann müsste im christlichen Kulturkreis z.b. die Verbrechensquote geringer sein, oder auch die Quote der Vergehen und Kleindelikte. Dann müsste der Umgangston zwischen Menschen in unsrem Kulturkreis von Hause aus liebevoller, herzlicher und freundlicher sein als anderswo. Wer schon mal weiter weg war und sei es bloß im Urlaub, wird dies so nicht bestätigen können. Oftmals sogar das Gegenteil.
Eine Besonderheit haben wir in der westlichen Welt, den es in anderen Kulturkreisen meines Wissens im größeren Stil nicht gibt: "den Sozialstaat". Aber bei genauer Betrachtung ist der natürlich nicht von den Kirchen eingeführt worden, sondern war eine unmittelbare Folge des Humanismus (der einen religiösen Glauben nicht benötigt).
Wenn man von der Spätantike bis in die heutige Zeit die Geschichte von Kriegen anschaut, stellt man fest, dass in der Aggression gegenüber anderen Gebieten Christen und Moslems schlicht führend sind. MIt einer kleinen Einschränkung: die Religion wird von ganz irdischen Herrschner für ihre eigenen egoistischen Ziele instrumentalisiert. Aber alleine die Instrumentalisierbarkeit zeigt eine Lücke darin, wie man im einzelnen Nächstenliebe "wachsen lässt". Würde die Vorstellung psychologisch stark genug wirken, dürfte die machtpolitische Vereinnahmung gar nicht erst entstehen können.
Wie wenig die Nächstenliebe kirchenmachtpolitische Großambitionen neutralisieren konnte, kann man der ganzen Kirchengeschichte entlang sehen. Da werden europaweit flächendeckend Konkurrenten militärisch ausgeschaltet (z.B. Gnostiker), da wird ein ganzer Kreuzzug in Südfrankreich geführt, Zehntausende umgebracht um die Leute auf Linie zu bringen. Schließlich haben wir einen ganzen Kontinent, bei dem nur noch eine Religion zulässig ist. Da war sogar das Antike Rom toleranter. Solange man den Imperator Imperator sein ließ, ließ der einen auch in Ruhe und es existierten konkurriende Religionen gleichzeitig.
Andererseits - man muss hier fair sein - gab es immer einzelne Christen, die sich abhoben aus dem gerade beschriebenen Umfeld. Was die im einzelnen konkret geglaubt haben ist uns aber nicht zugänglich. Zum einen weil abweichende Positionen zu äußern gefährlich war und, naja, Geschichte ist Geschichte der Sieger. Und die bewahrten nichts gegen sie selbst.
Meine persönliche Meinung in Bezug auf die "mangelnde Wirksamkeit" der Jesus-Vorstellung besteht darin, dass die Kirchen das ursprüngliche Bild von Jesus völlig uminterpretiert haben und man dies im NT nachweisen kann. Jesus sah sich selbst als Vorbild (Weg). Man möge ihm nachfolgen, nacheifern. Später wurde daraus ein kaltherziger Opfertod, den man ganz egoistisch strukturiert annehmen muss (die eigene Schuld jemand anderem anlasten). Da geht keine Kraft mehr von aus für die Nächstenliebe. Da bewegt und beeinflusst selbst "Romeo und Julia" mehr und auf einer tieferen Ebene.
Als zielführender in Sachen "Nächstenliebe" sehe ich den Buddhismus mit seinem Denkystem um "Mitgefühl" und besonderer Achtung anderen Lebens. Genaugenommen ist der Buddhismus aber keine Religion (in der Frage ob es Gott gibt verhält er sich erstaunlich neutral), sondern tatsächlich eher eine "Do-it-yourself"-Psychologie.