Aus der Werkstatt des Theologen

Themen des Neuen Testaments
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sven23
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#41 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von sven23 » Fr 4. Okt 2019, 14:02

closs hat geschrieben:
Fr 4. Okt 2019, 13:51
sven23 hat geschrieben:
Fr 4. Okt 2019, 11:00
Nein, sag jetzt nichts.
Nein - wie ich sagte: Viel später.

sven23 hat geschrieben:
Fr 4. Okt 2019, 11:00
Verdirb nicht das Niveau, das so anspruchsvoll begonnen hat und zum Mitlesen einlädt.
Diese Gefahr besteht nicht - im Gegenteil: Thaddäus erinnert hier auf angenehme Weise an das, was wir in den Literaturwissenschaften, insbesondere der Mediävistik gemacht haben . - Sie macht das sehr gut und auf Seminar-Niveau - echt schön. - Das ist HKM.

Ich werde erst eingreifen, wenn es um Schlussfolgerungen interpretativer Natur geht. - Aber lass Thaddäus doch erstmal ihr Ding zu Ende führen und quake hier nicht quer rein.

Du hast zuerst gequakt, schon wieder vergessen?
Aber bitte im Tochterthread weiterquaken. ;)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
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#42 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von closs » Fr 4. Okt 2019, 15:13

sven23 hat geschrieben:
Fr 4. Okt 2019, 14:02
Du hast zuerst gequakt, schon wieder vergessen?
Das ist falsch - und jetzt ist mal Schluss.

Edelmuth
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#43 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Edelmuth » Fr 4. Okt 2019, 19:30

Thaddeus hat geschrieben:
Edelmuth hat geschrieben:
Do 3. Okt 2019, 12:10
Hallöle liebes Tanzgirl. :wave: Was hält die holde Maid von folgender Aussage des weisen König Salomo in Prediger 12:9-14?

9 Der Lehrer war ein weiser Mann und er gab seine Erkenntnisse an die Menschen weiter. Er vertiefte sich in die Lehre und forschte darin. Auch verfasste er viele Sprüche. 10 Er versuchte, einprägsame Worte zu finden und nur das zu schreiben, was der Wahrheit entspricht. 11 Die Worte eines weisen Lehrers sind wie ein spitzer Stock, mit dem ein Hirte sein Vieh antreibt. Die gesammelten Worte gleichen fest eingeschlagenen Nägeln: Sie sind uns von dem einen Hirten gegeben. 12 Im Übrigen lass dich warnen, mein Sohn*: Es werden stets neue Bücher geschrieben - dein Körper wird müde, wenn du zu viel in ihnen forschst. 13 Als Ergebnis dieser ganzen Gedanken will ich dir Folgendes mitgeben: Bring Gott Achtung entgegen und tu das, was er in seinen Geboten fordert! Das gilt für jeden Menschen. 14 Gott wird über alle unsere Taten Gericht halten - seien sie gut oder böse - selbst über die Taten, die im Verborgenen liegen.
Ich vermute nicht viel-gelle? ;)
Da vermutest du richtig ...
Christliche Glaubensfanatiker und Glaubensideologen versuchen bereits seit fast 2000 Jahren den Menschen in ihrer Umgebung einzureden, es sei schädlich für sie und brächte sie geradewegs in die Hölle, wenn sie die heiligen Schriften, aber auch die Naturzusammenhänge oder philosophische Zusammenhänge oder die Geschichte des Menschen und vieles vieles mehr erforschen, um den Dingen auf den Grund zu gehen, die Wahrheit herauszufinden und sich dadurch WISSEN anzueignen. Den religiösen Fanatikern und Ideologen aller Religionen (denn das haben sie tatsächlich alle gemeinsam) war Forschung und Wissen immer schon ein Gräuel, denn es macht aus naiven und leichtgläubigen Tölpeln, wissende und klug nachfragende Menschen, die den so oft augescheinlichen Unsinn und Widersinn, den sie von selbsternannten, listigen Glaubensdespoten vorgesetzt bekommen, nicht mehr willfährig herunterschlucken.
Meine Güte ist das Tanz Mariechen aber sauer? :o 1. bin ich kein Glaubensfanatiker der mit irgendeiner unbiblischen Lehre wie z.B. der Hölle-die es gar nicht gibt- droht, u. 2. bin ich der Wissenschaft überhaupt gar nicht abgeneigt wenn diese der Bibel nicht widerspricht-Punkt aus. Ich bemühe mich aber Menschen davor zu warnen nicht auf die geschwollenen Reden jener hereinzufallen-selbst wenn diese promovierten Damen oder Herren im Besitz eines Doktorhütchen sind, oder als Professor oder Professorin einen Lehrstuhl nachweisen können. Hier habe ich übrigens schon die tollsten Dinge erlebt. ;) Lange Rede kurzer Schluss. Abschließend möchte ich es aber nicht versäumen auf folgende Warnung des Apostel Paulus in Kolosser 2:8 hinzuweisen, damit niemand auf die geschwollenen Reden irgendeines dicke Backen machenden Philosophen hereinfällt:
8 Gebt wohl acht, daß niemand euch einfängt durch die Philosophie und eitle Täuschung, die sich auf menschliche Überlieferung, auf die Elemente der Welt, gründet und mit Christus nichts zu tun hat.
:wave:

:
Doch wenn eintrifft, was du ihnen angekündigt hast – und es wird ganz sicher eintreffen –, dann werden sie erkennen, dass ein Prophet unter ihnen gelebt hat.«
Hesekiel 33:33
            

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Münek
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#44 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Münek » Sa 5. Okt 2019, 00:12

Edelmuth hat geschrieben:
Fr 4. Okt 2019, 19:30
Abschließend möchte ich es aber nicht versäumen auf folgende Warnung des Apostel Paulus in Kolosser 2:8 hinzuweisen, damit niemand auf die geschwollenen Reden irgendeines dicke Backen machenden Philosophen hereinfällt:
8 Gebt wohl acht, daß niemand euch einfängt durch die Philosophie und eitle Täuschung, die sich auf menschliche Überlieferung, auf die Elemente der Welt, gründet und mit Christus nichts zu tun hat.
In der Tat war unser lieber Paulus kein kleiner Dummkopf.

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#45 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von R.F. » Sa 5. Okt 2019, 14:54

Münek hat geschrieben:
Sa 5. Okt 2019, 00:12
Edelmuth hat geschrieben:
Fr 4. Okt 2019, 19:30
Abschließend möchte ich es aber nicht versäumen auf folgende Warnung des Apostel Paulus in Kolosser 2:8 hinzuweisen, damit niemand auf die geschwollenen Reden irgendeines dicke Backen machenden Philosophen hereinfällt:
8 Gebt wohl acht, daß niemand euch einfängt durch die Philosophie und eitle Täuschung, die sich auf menschliche Überlieferung, auf die Elemente der Welt, gründet und mit Christus nichts zu tun hat.
In der Tat war unser lieber Paulus kein kleiner Dummkopf.
Trotz dieser Einsicht glaubst Du Paulus Worten nicht, mein lieber Heinz, zum Beispiel folgenden:

Römer 1,19-20 (Luther):
Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart.
20 Denn sein unsichtbares Wesen – das ist seine ewige Kraft und Gottheit – wird seit der Schöpfung der Welt, wenn man es wahrnimmt, ersehen an seinen Werken, sodass sie keine Entschuldigung haben
Weitaus mehr als Paulus gelten Darwin und Einstein als Heilige.

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Thaddaeus
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#46 Aus der Werkstatt des Theologen - Fortsetzung der Exegese

Beitrag von Thaddaeus » Sa 5. Okt 2019, 19:37

Exegese von Mk. 5,8-13 (Mt.8,29-32 + Lk.8,28-33)

Text Mk. 5,8-13
6 Und (kaum) hatte er Jesus von weitem gesehen, lief er und warf sich vor ihm nieder, 7 und schreiend mit gewaltiger Stimme sagt er: Was (ist zwischen) mir und dir, Jesus, Sohn Gottes, des Höchsten? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht! 8 Denn gesagt hatte er ihm: Fahre aus, du Geist, du unreiner, aus dem Menschen!

9 Und er fragte ihn: Was (ist) dein Name? Und er sagt ihm: Legion (ist) mein Name, denn viele sind wir.
10 Und er ersuchte ihn dringend, daß er sie nicht aussende außerhalb des Landes.
11 Es war aber dort am Berg eine gewaltige Herde Schweine, die weidete. 12 Und sie ersuchten ihn und sagten: Schicke uns in die Schweine, damit wir in sie hineinfahren. 13 Und er gestattete es ihnen. Und aus fuhren die Geister, die unreinen, und fuhren hinein in die Schweine, und (da) stürzte sich die Herde den Abhang hinunter in das Meer, etwa zweitausend, und sie ertranken im Meer. (Mk.5,8-13)

Text Mt.8,29-32
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29 Und siehe sie schrien, indem sie sagten: Was (ist zwischen) uns und dir, Sohn Gottes? Kamst du hierher, vor der Zeit uns zu quälen?

30 Es war aber fern von ihnen eine Herde von vielen Schweinen, die weidete. 31 Die Dämonen aber ersuchten ihn und sagten: Wenn du uns austreibst, sende uns aus in die Herde der Schweine. 32 Und er sprach (zu) ihnen: Hinweg mit euch! Die aber fuhren aus und fuhren in die Schweine. Und siehe, (da) stürzte sich die ganze Herde den Abhang hinunter in das Meer, und sie kamen um in den Wassern. (Mt.8,29-32)

Text Lk.8,28-33
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28 Aber (kaum) hatte er Jesus gesehen, schrie er auf, fiel vor ihm nieder, und mit gewaltiger Stimme sprach er: Was (ist zwischen) mir und dir, Jesus, Sohn Gottes, des Höchsten? Ich bitte dich, quäle mich nicht! 29 Denn eingeschärft hatte er dem Geist, dem unreinen, auszufahren von dem Menschen. Denn seit langer Zeit hatte er ihn gepackt, und er wurde gefesselt mit Ketten und Fußfesseln, zur Bewachung, und er sprengte die Fesseln und wurde getrieben vom Dämon in die Wüsteneien. 30 Es fragte ihn aber Jesus: Was ist dein Name? Der aber sprach: Legion. Denn hineingefahren waren viele Dämonen in ihn. 31 Und sie ersuchten ihn, daß er ihnen nicht gebiete, in den Abyssus zu fahren.

32 Es war aber dort eine Herde von zahlreichen Schweinen, die weidete auf dem Berg. Und sie ersuchten ihn, daß er ihnen gestattete, in jene hineinzufahren. Und er gestattete es ihnen. 33 Es fuhren aber aus die Dämonen und fuhren hinein in die Schweine, und (da) stürzte sich die Herde den Abhang hinunter in den See und ertrank. (Lk.,8,28-33)

Eine haarspalterische, grammatische Detailanalyse über von Dämonen besessene Menschen:
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Wir hatten bereits festgestellt, dass es einigermaßen verwirrend werden kann, wenn man über einen Mann schreibt, der von einem Dämon besessen ist, der in Wahrheit aber viele Dämonen ist und der sich mit jemand unterhält. Mit wem der "Vielen" unterhält man sich denn gerade?
Wir sahen bereits, wie Mt. die 1. Person Dativ Singular ("mir) des Markus in Mk.,5,7 in das Reflexivpronomen der 3.Person Dativ Plural "uns" verbessert (Mt.8,29), weil er auf die vielen Dämonen hinweisen will, die von dem Mann Besitz ergriffen haben.

Auch bei Lk., geht es ein bisschen durcheinander:

Denn seit langer Zeit hatte er ihn gepackt, und er wurde gefesselt mit Ketten und Fußfesseln, zur Bewachung, und er sprengte die Fesseln und wurde getrieben vom Dämon in die Wüsteneien. 30 Es fragte ihn aber Jesus: Was ist dein Name? Der aber sprach: Legion. Denn hineingefahren waren viele Dämonen in ihn. 31 Und sie ersuchten ihn, daß er ihnen nicht gebiete, in den Abyssus zu fahren.
Wen fragt Jesus eigentlich, den Mann oder den Dämon? "Was ist dein Name"? Der Dämon, der offenbar auch für die vielen anderen spricht, antwortet jedenfalls: "Legion". Oder ist es doch der Mann, der antwortet? Denn nun fährt Lk. fort mit: "Denn hineingefahren waren viele Dämonen in ihn. Ups, - in wen sind die Dämonen gefahren?
Grammatisch korrekt eigentlich in den Dämon, der gerade gesprochen hat, aber natürlich ergibt es inhaltlich nur Sinn, wenn sie in den Mann gefahren sind und nicht in ihren Dämonengenossen. Geht man von einer Verbalinspiration der Schrift aus, muss man schlussfolgern, dass der, der da inspiriert (Gott/heiliger Geist) grammatisch überfordert ist. Eine Schlussfolgerung, die einem gewiss nicht gefallen wird, wenn man deshalb eine Verbalinspirationshypothese vertritt, weil man die Autorität Gottes/des hl. Geistes nicht infrage gestellt sehen möchte. Aber da wird einem schon nicht gefallen haben, dass der Inspirator sich nicht entscheiden kann, ob es ein oder zwei Besessene sein sollen ...

Mt. greift - womöglich exakt wegen dieses ganzen Durcheinanders - zu einer radikalen Lösung: er streicht seine Vorlage radikal zusammen auf gerade einmal 3 Verse und eliminiert dabei alles, was missverständlich ist.

Diese grammatisch-haarspalterisch-kleinteilige Betrachtung soll lediglich verdeutlichen, dass es in der Tat auf jedes Jota ankommen kann und manchmal darauf, ob Pronomen im Griechischen im Singular oder Plural stehen, wie der grammatische und inhaltliche Bezug ist und wie das dann korrekt übersetzt werden muss. (Wir verstehen nun, was Übersetzer in die Verzweiflung treiben kann.)

Die Konfrontation Jesu mit dem Dämon bzw. den Dämonen, die von dem Gerasener Besitz ergriffen haben, ist in jeder Hinsicht bemerkenswert.

Zwischenruf: Die noch nicht entzauberte Welt:
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In einer Welt, in der die Götter die Geschicke dieser Welt beeinflussen und Naturkatastrophen auslösen können; in der man an Quellen Nymphen begegnen kann und böse Dämonen hinter jeder Ecke lauern, um vor allem den Geist zu befallen und einen verrückt zu machen; in der vor allem viele römische Soldaten dem Gott Mithras Opfer darbringen in kleinen Kapellen in geheimen Zeremonien und andere Gläubige in anderen Gegenden dem Gott Dionysos in rauschenden Feiern huldigen; in der man ins Heiligtum des Asklepios geht und etwas opfert, um wieder gesund zu werden von einer Krankheit; in der man jederzeit von einem bösen Fluch getroffen werden kann oder auch von einem Liebeszauber, den ein abgewiesener Freier in Auftrag gegeben hat; in der Propheten das nahe Ende der Welt prophezeihen und "göttliche Männer" versuchen dem wüsten Treiben der dämonischen Kräfte Einhalt zu gebieten; in einer solchen Welt, in der sich zumindest kein einfacher Stadt- oder Landbewohner über all dies wundert, trifft Jesus auf einem Mann, von dem gleich viele Dämonen Besitz ergriffen haben, wie es die Evangelisten berichten.

Der von den Dämonen besessene Mann läuft Jesus wie magisch angezogen entgegen und wirft sich bei Mk. und Lk. vor Jesus nieder. Diese Geste der Unterwerfung soll natürlich demonstrieren, dass Jesus mächtiger ist als die Dämonen. Auffällig ist die Art und Weise, in der Jesus von den Dämonen angesprochen wird: Sie sprechen ihn nämlich dogmatisch korrekt an mit: "Was (ist zwischen) mir (uns) und dir, Jesus, Sohn Gottes, (des Höchsten)?" (Mk.,5,7 - Mt.,8,29 - Lk.,8,28)

Mit dieser Anrede bekennt ausgerechnet ein Dämon (und dabei für die vielen Dämonen sprechend) Jesus nicht etwa als den Messias, wie man es allenfalls erwarten würde, sondern gleich als Jesus, Sohn Gottes, des Höchsten. Die nachträglich konstruierte, literarische Funktion dieser dogmatisch etwas zu sauber passenden Anrede kann offensichtlicher nicht sein, und viel zu offensichtlich erfüllt der Dämon bzw. erfüllen die Dämonen hier eine literarische Pflicht, die ihnen von einem Redaktor auferlegt wird.

Die Dämonen als Geisterwesen, die aus einer transzendenten Wirklichkeit stammen, sollen die doppelte, irdisch-transzendente Natur Jesu, der schon zu diesem Zeitpunkt als auf Erden wandelnder Gottessohn gezeichnet werden soll, glaubwürdig offenbaren und bekennen. Wenn schon diese Geisterwesen die wahre transzendente Natur des wanderpredigenden Rabbis aus Nazareth erkennen - und sie müssen es wissen, sind sie doch selbst transzendente Wesen -, wer sollte dann noch daran zweifeln, dass Jesus immer schon Gott und niemals nur ein einfacher Tischler aus Nazareth war?

Die dahinter stehende Absicht ist jedenfalls deutlich, denn erst viel später wird die Gemeinde Jesus als Sohn Gottes, des Höchsten (und nicht "nur" als Messias) verehren. Die nachträgliche Legitimation dieser Verehrung findet sich u.a. an dieser Stelle (vgl auch Jesu Taufe sowie das Bekenntnis des römischen Soldaten nach dem Tode Jesu, dass hier wahrlich Gottes Sohn gestorben sei.)
Die literarische und dogmatische Funktion des Dämons/der Dämonen in der Geschichte zeigt sich an einer weiteren, bemerkenswerten Stelle: der Dämon sagt nämlich: "Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!" Hat man so etwas schon gehört? Ein Dämon, der bei Gott beschwört, also bei dem genauen Wesensgegenteil seiner selbst. Auch hier ist die Absicht dahinter deutlich erkennbar: so groß ist die Macht des Gottessohnes, dass er Dämonen dazu zwingen kann, ihn bei Gott zu beschwören, dass er sie nicht quälen möge, denn er könnte es leicht.

Die doppelte Natur Jesu:
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Praktisch alle neutestamentlichen Exegeten gehen davon aus, dass der jüdische, apokalyptische Wanderprediger Jesus sich selbst keinesfalls als Gottes Sohn und daher als selbst göttlich (und schon gar nicht als Teil der erst viel später Dogma gewordenen göttlichen Trias Gott-Sohn-Heiliger Geist) verstanden hat und verstanden haben kann. Die genauen exegetischen Gründe dafür hier detailiert mit allen Argumenten für und wider anzugeben, sprengt freilich den Rahmen.

Im Mk.-Ev. spricht Jesus von sich selbst zumeist als "Menschensohn", was eine in der jüdischen Tradition verankerte Bezeichnung ist und Jesus war Jude und nicht der erste Christ. Als Jude, soviel ist klar, gibt es jedenfalls keine größere Blasphemie, als sich selbst für wesensgleich mit JHWH zu halten. Es wäre die größte Sünde gegen JHWH, die einem Juden denkbar ist.

Dafür, dass der historische Jesus sich selbst als Sohn Gottes verstand, fehlen jedoch direkte Anhaltspunkte. Zwar deuten die Rahmenhandlungen der Wunderberichte diese Heiltaten als Zeichen seiner Sohnschaft; auch die Sündenvergebung und Toraauslegung verweisen auf diese Vollmacht. Doch in Eigenaussagen Jesu verwendet dieser vor allem den Titel des Menschensohns, und nur manchmal in Gesprächen bestätigend den Titel Gottes Sohn. (Mk 14,61–62 EU, Joh 10,36 EU).
Quelle
Wie dem auch sei: geht man gegen den exegetischen Konsens davon aus, dass Jesus sich selbst bereits als Gottessohn verstanden hat, ändert sich am Verständnis der ganzen Szenerie nichts, und Jesus spricht mit dem Dämon/den Dämonen eben als der Gottessohn, als der er auch von dem Dämon/den Dämonen angeredet wird.

Geht man dagegen davon aus, dass Jesus erst nachösterlich zum Sohn Gottes theologisch erhöht wurde, dann ist die obige Anrede durch den Dämon/die Dämonen eine spätere Hinzufügung, die eben gerade nachträglich bestätigen soll, dass Jesus immer schon Gottes Sohn und wesensgleich mit JHWH bzw. einem abstrakt-philosophisch-katholischen Gott nach neuplatonischem Verständnis war.

Ein weiteres Element in dieser Szene zeigt die starke literarische bzw. redaktionelle Bearbeitung des Gespräches Jesu mit dem Dämon/den Dämonen sehr schön auf: es ist die Frage Jesu nach dessen Namen. Seitdem wissenschaftlich arbeitende Exegeten diese Wundergeschichte der Heilung des besessenen Geraseners untersuchen, zerbrechen sie sich über dieses wunderliche Detail den Kopf, denn es ist und bleibt mysteriös.

9 Und er fragte ihn: Was (ist) dein Name? Und er sagt ihm: Legion (ist) mein Name, denn viele sind wir. 10 Und er ersuchte ihn dringend, daß er sie nicht aussende außerhalb des Landes. (Mk.5,9+10)

30 Es fragte ihn aber Jesus: Was ist dein Name? Der aber sprach: Legion. Denn hineingefahren waren viele Dämonen in ihn. 31 Und sie ersuchten ihn, daß er ihnen nicht gebiete, in den Abyssus zu fahren. (Lk.8,30+31)

Mt. streicht Frage und Antwort komplett und verkürzt damit einmal mehr die Vorlage. Der Grund hierfür ist vielleicht seine Einführung eines zweiten Besessenen. Er müsste beide nach ihren Namen fragen, beide oder auch nur einer müsste(n) antworten, wenn nur einer, dann der für den anderen mit usw. Heißen dann beide "Legion" oder nur einer ...? Das Ganze würde erzählerisch etwas unübersichtlich. Gute griechische oder lateinische Literaten und Dramatiker hätten diese Gestaltungsaufgabe vermutlich bravourös gemeistert, Mt. aber nicht. Seine literarischen Fähigkeiten sind - wie die des Mk. - doch eher übersichtlich.

Über Sprache und Stil der Evv.
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Ein Nebeneffekt der gründlichen, literaturkritischen Exegese der Synoptiker ist die Erkenntnis ihrer begrenzten literarischen Fähigkeiten. Wir sind es gewohnt die Texte des neuen Testaments mit Ehrfurcht und großer Zurückhaltung in Übersetzungen zu lesen und deren altertümlich anmutenden, für uns typisch biblischen Stil mit stilistischer Hochwertigkeit zu verwechseln. Tatsächlich können sich aber das simple Koine-Griechisch und vor allem die stilistischen (Un-)Fähigkeiten der Synoptiker mit klassischer griechischer und auch lateinisch-römischer Hochliteratur nicht im Entferntesten messen. Die klassisch gebildete, griechische und römische Oberschicht dürfte die Stirne gerunzelt haben über die Schlichtheit zumindest des mattheischen und markinischen Evangeliums, denen buchtsäblich Vers und Maß fehlen. Zwar ist der sprachliche Anspruch, den ein Text bieten können sollte natürlich vornehmlich eine Frage der Textgattung, die bedient wird, dennoch hätte etwas mehr Stilvirtuosität und etwas weniger parataktischer Satzbau den Evv. gut getan. Einzig Lk. kann halbwegs mit den literarischen Ansprüchen gebildeter Griechen und Römer mithalten.

Jesus fragt also nach dem Namen des Dämons, mit dem er spricht. Nach dem Namen von jemanden zu fragen bedeutet zunächst, ihn zu individuieren, ihn ansprech-bar und zu einer konkreten Person zu machen. Zudem hat der Name immer schon Bedeutung, denn er wird von den Eltern ausgesucht und zu allen Zeiten wurde der Name mit der Persönlichkeit eines Menschen in Verbindung gebracht, mit dessen Wesen. Kennt man den Namen von jemand oder etwas, offenbart dies mindestens einen Teil seines Wesens (auch Namenszusätze wie "der Starke", "der Dicke", "der Kluge" etc.). Der Name wurde zu Zeiten Jesu in der Regel mit der Abstammung genannt ("Sohn des ..." oder "Tochter des ...") und/oder mit dem Ort, aus dem jemand stammte ("Paulus aus Tarsus" usw.). Den Namen von jemanden zu kennen wurde ebenfalls damit in Verbindung gebracht, in gewisser Weise Macht über ihn zu haben ("Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!" (Jes.43,1)

Der Dämon antwortet Jesus im Grunde ausweichend: "Legion (ist) mein Name, denn viele sind wir" (Mk.5,9) und "Der aber sprach: Legion. Denn hineingefahren waren viele Dämonen in ihn." (Lk.8,30)
Der Dämon heißt also "Legion". Dies scheint allerdings nur eine Art Sammenlname für alle Dämonen zu sein, die den armen Gerasener gerade heimsuchen, denn der Dämon begründet den Namen mit: "... denn viele sind wir" und "Denn hineingefahren waren viele Dämonen in ihn."
Offenbar muss "Legion" hier also mit "viele" übersetzt werden. Das ist nun nicht wirklich ein origineller Name für einen Dämon (aber es sind ja auch viele und wenn jeder seinen eigenen Namen hat und die erst hätten aufgezählt werden müssen, hätte Jesus seinen Exorzismus wohl bis heute nicht vollbracht).

Die Exegeten rätseln bis heute, warum genau der Name des Dämons in dieser Wundererzählung mit "Legion" angegeben wird? Denkbar ist, dass "Legion" aramäisch-umgangssprachlich als Synonym für eine große Menge, also "viele", verwendet wurde. Das ergibt insofern Sinn als eine römische Legion zwischen 3000 und 6000 Soldaten + Reiterei stark war, also eine große Menge darstellte.
Möglicherweise ist der Namen auch eine Anspielung auf eine ganz bestimmte römische Legion, nämlich die Legio X Fretensis. Zumindest von der Symbolik her würde das passen, denn die Legio X Fretensis hatte zu dieser Zeit einen Eber als Standartensymbol.

Standarte der Legio X Fretensis
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Der historische Laie mag sich wundern, warum in einem neutestamentlichen Ev. eine Anspielung auf eine bestimmte römische Legion vorkommen sollte, aber im Jahre 70 n.Chr., also im Jahre der vermuteten Abfassung des Mk.-Ev., begann besagte Legio X Fretensis zusammen mit den Legionen V Macedonica, XII Fulminata und Legio XV Apollinaris die 5-monatige Belagerung von Jerusalem, um den Aufstand in Judäa gegen die römische Besatzung endgültig niederzuschlagen. Legio X Fretensis hatte ihr Lager auf dem Ölberg aufgeschlagen und erwarb sich offenbar außerordentlichen Ruhm "durch den wirkungsvollen Gebrauch ihrer verschiedenen Kriegsmaschinen". (Quelle) Während der Belagerung litt die Bevölkerung Hunger und nach kombinierten Angriffen aller Legionen wurde Jerusalem eingenommen. Danach wurden V Macedonica, XII Fulminata und XV Apollinaris abgezogen, während Legio X Fretensis in Jerusalem stationiert wurde.
Im Jahre 72 n.Chr. war X Fretensis unter Lucius Flavius Silva bei der Belagerung der Festung Masada dabei, wo die letzten zelotischen Aufständischen dabei zusehen mussten, wie die römischen Pioniere eine gewaltige Rampe zu ihrer auf einem Berg gelegenen Festung über Monate aufschütteten, um schweres Kriegsgerät an die Mauern zu bringen. Die Rampe ist heute noch zu sehen, und die Zeloten in der Festung begingen nach dem Fall der Festungsmauer kollektiven Suizid, um nicht in die Hände der Römer zu fallen.

Zur Zeit der Abfassung des Mk.-Ev. gab es also große, berichtenswerte Ereignisse in Palästina und Jerusalem und höchstwahrscheinlich großen, nachvollziehbaren Hass auf die römischen Soldaten und Besatzer. Insofern wäre eine Anspielung auf römische Legionäre, die der Verfasser unserer Geschichte oder Mk. als Redaktor aus Verachtung in Schweine fahren lässt, zumindest nicht abwegig, auch wenn diese Erklärung natürlich spekulativ ist.

Die Dämonen bitten Jesus, sie in eine nahebei weidende Schweineherde fahren zu lassen und sie nicht "aus dem Land" bzw. "aus der Gegend" oder "in den Abyssos" zu schicken. Warum die Dämonen nicht aus dem Land bzw. aus der Gegend vertrieben werden wollen, bleibt ein weiteres Rätsel, weshalb Lk. Land/Gegend durch den "Abyssos" ersetzt, was soviel bedeutet wie eine bodenlose Tiefe (ἄβυσσος = grundlos ‚unermesslich). Das ist jedenfalls ein passender Ort für Dämonen. Wie auch die Schweine ein passender Ort für die Dämonen sind, denn Schweine gelten den Juden damals wie heute als unreine Tiere, in die dann passend die unreinen Geister fahren können.

Jesus erweist sich als erstaunlich freundlich gegenüber den Dämonen, gestattet er diesen doch, in die Schweineherde zu fahren, die aus etwa zweitausend Schweinen besteht, woraus haarscharf geschlossen werden kann, dass die Anzahl der Dämonen, die den Besessenen Gerasener befallen hatten, ebenfalls etwa zweitausend gewesen sein müssen (geht man davon aus, dass jeder Dämon in ein Schwein fährt). Das erscheint nun wahrhaftig etwas übertrieben zu sein, obwohl man sich natürlich lange darüber streiten können mag, wie viele Dämonen in einem einzigen Menschen passen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Zahl "etwa zweitausend Schweine" eher etwas mit der Ursprungsgeschichte der Schweineepisode zu tun hat. Die Anzahl der Dämonen ergibt sich sozusagen sekundär aus der überlieferten Anzahl von Schweinen einer ursprünglich ganz anderen Geschichte um eine Schweineherde. Aber die Anzahl der Schweine ergibt sich nicht sekundär aus der Anzahl der Dämonen, die irgendwer in dem Besessenen vermutet hat.

Die Dämonen dürfen also in die Schweine fahren und die ganze Herde stürmt los und stürzt sich unerwartet einen Abhang hinunter direkt in den See Genezareth, wo alle Schweine elendiglich ersaufen.

Und aus fuhren die Geister, die unreinen, und fuhren hinein in die Schweine, und (da) stürzte sich die Herde den Abhang hinunter in das Meer, etwa zweitausend, und sie ertranken im Meer. (Mk.5,13)

Die aber fuhren aus und fuhren in die Schweine. Und siehe, (da) stürzte sich die ganze Herde den Abhang hinunter in das Meer, und sie kamen um in den Wassern. (Mt.8,32)

Es fuhren aber aus die Dämonen und fuhren hinein in die Schweine, und (da) stürzte sich die Herde den Abhang hinunter in den See und ertrank. (Lk.,8,28-33)
Es ist nun an der Zeit, die Bombe platzen zu lassen und die zu Anfang der Exegese versprochene Überraschung einzulösen.

Jesus befindet sich nach Mk. und Lk. in der Nähe der damals unbedeutenden Stadt Gerasa. Dort heilt er den Besessenen - im Land der Gerasener - und lässt die Dämonen in die Schweinherde fahren. Diese rennt los - und rennt - und rennt - und rennt ganze 67,6 km, bis sie sich in den See Genezareth stürzen kann, denn genau so weit liegt der See Genezareth - heute und auch schon zur Zeit Jesu(!) - von Gerasa entfernt. Auch von Dämonen besessen ist zu vermuten, dass keines der armen Schweine jemals am See Genezareth angekommen wäre, weil sie schon vorher an Erschöpfung und Herzversagen verendet wären.

Wegen dieser offensichtlichen, völligen Unkenntnis der örtlichen Gegebenheiten des Mk. und des Lk. können beide nicht aus der Gegend kommen, sondern müssen woanders gelebt und ihre Evv. woanders verfasst haben (Mt. vermutlich in Antiochia, vom Lk.-Ev. weiß man schlicht nicht, wo es verfasst worden sein könnte. Da ist jede Vermutung spekulativ.)

Mt. erkennt den geograpischen Fehler und verlegt die ganze Geschichte nach Gadara (Mt.8,28), das zwar näher am See Genezareth liegt, aber immer noch 21,1 km entfernt. Zudem wären die Schweine dann am Südufer des Sees angekommen und dort gibt es weder ein Steilufer, noch einen Abhang.

Welche Konsequenzen diese Tatsache auf die Einschätzung unserer Perikope hat, werden wir am Ende in der historisch-kritischen Gesamtbetrachtung untersuchen.

Fortsetzung folgt ...

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abc
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#47 Re: Aus der Werkstatt des Theologen - Fortsetzung der Exegese

Beitrag von abc » So 6. Okt 2019, 12:36

Hallo Thaddaeus,

ich verfolge diesen Thread mit großem Interesse. Deine exemplarische Ausarbeitung ist für mich eine wahre Fundgrube - vielen Dank!

Ich habe mich immer gefragt, warum es den "Dämonen" so wichtig war, in die Schweineherde einziehen zu dürfen und warum Jesus das gestattete. Dein Querverweis auf die römische Legion (Legio X Fretensis) und deren Standarte eröffnet mir ganz neue Einsichten (Überlegungen dazu). Auch deine erste Auflösung (die geographische Differenz betreffend) war mir dahin nicht bekannt - große Klasse!

Grüße
abc

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Thaddaeus
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#48 Re: Aus der Werkstatt des Theologen - Fortsetzung der Exegese

Beitrag von Thaddaeus » So 6. Okt 2019, 20:56

abc hat geschrieben:
So 6. Okt 2019, 12:36
Hallo Thaddaeus,

ich verfolge diesen Thread mit großem Interesse. Deine exemplarische Ausarbeitung ist für mich eine wahre Fundgrube - vielen Dank!

Ich habe mich immer gefragt, warum es den "Dämonen" so wichtig war, in die Schweineherde einziehen zu dürfen und warum Jesus das gestattete. Dein Querverweis auf die römische Legion (Legio X Fretensis) und deren Standarte eröffnet mir ganz neue Einsichten (Überlegungen dazu). Auch deine erste Auflösung (die geographische Differenz betreffend) war mir dahin nicht bekannt - große Klasse!

Grüße
abc
Vielen Dank, ich freue mich, wenn jemand das ebenso spannend finde wie ich und damit etwas anfangen kann oder es ihm dabei hilft, besser zu verstehen, was er warum glauben und was er besser skeptisch sehen sollte.
Die Standarte der Legio X Fretensis ist aber natürlich nur eine Rekonstruktion, wie sie ungefähr ausgesehen hat. Über originale Standarten verfügen wir 2000 Jahre später selbstverständlich nicht mehr. Wie der Eber ausgesehen haben könnte, kann man aber aus Sigelabdrücken der X Fretensis erahnen.

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Thaddaeus
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#49 Re: Aus der Werkstatt des Theologen - Korrektur einer missverständlichen Stelle

Beitrag von Thaddaeus » Mo 7. Okt 2019, 08:54

Thaddaeus hat geschrieben:
Sa 5. Okt 2019, 19:37
Die literarische und dogmatische Funktion des Dämons/der Dämonen in der Geschichte zeigt sich an einer weiteren, bemerkenswerten Stelle: der Dämon sagt nämlich: "Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht!" Hat man so etwas schon gehört? Ein Dämon, der bei Gott beschwört, also bei dem genauen Wesensgegenteil seiner selbst. Auch hier ist die Absicht dahinter deutlich erkennbar: so groß ist die Macht des Gottessohnes, dass er Dämonen dazu zwingen kann, ihn bei Gott zu beschwören, dass er sie nicht quälen möge, denn er könnte es leicht.
Da es wie ein Widerspruch aussieht, der mir unterlaufen zu sein scheint, möchte ich diese missverständliche Stelle präzisieren. Ich schreibe hier: Hat man so etwas schon gehört? Ein Dämon, der bei Gott beschwört, also bei dem genauen Wesensgegenteil seiner selbst.
Vorher habe ich aber geschrieben, der besessene Mann laufe Jesus wie magisch angezogen entgegen, weil die Dämonen die Wesensähnlichkeit zwischen sich und der göttlichen Natur Jesu erkennen, weshalb sie sehr gut dafür verwendet werden können, Jesu göttliche Natur zu offenbaren und zu bezeugen.

Der Widerspruch ist in der Tat nur ein scheinbarer: Wesensähnlich sind sich die Dämonen und Jesus in seiner göttlichen Natur, insofern beide dem Verständnis nach einer transzendenten Sphäre entstammen. Beschwört ausgerechnet der Dämon Gott oder die göttliche Natur Jesu, dann schwört er gleichwohl bei seinem "Wesensgegenteil", insofern die Dämonen in der Polarität von guten und schädlichen, transzendenten Mächten, der Seite der schädlichen zurechnet werden und Jesus eben der Seite der guten Mächte.

Die Vorstellung übrigens, Dämonen seien stets und von Natur aus dem abgründig Bösen zugehörig, ist erst durch die christliche Verkündigung in diese Eindeutigkeit gebracht worden. Es exitieren nämlich durchaus antike Texte mit Geschichten, in denen Dämonen eine überraschend positive Rolle spielen. Ich werde demnächst vielleicht eine hier vorstellen, weil es ganz spannend ist, so etwas einmal zu lesen.
Sokrates wurde unter anderem der angeblichen Einführung fremder Götter wegen angeklagt. Er sprach davon, dass ihm eine innere Stimme zuweilen sagen würde, was er tun solle. Diese Stimme nennt Sokrates "daimon".

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abc
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#50 Re: Aus der Werkstatt des Theologen - Fortsetzung der Exegese

Beitrag von abc » Mo 7. Okt 2019, 13:41

Thaddaeus hat geschrieben:
So 6. Okt 2019, 20:56
abc hat geschrieben:
So 6. Okt 2019, 12:36
Hallo Thaddaeus,
ich verfolge diesen Thread mit großem Interesse. Deine exemplarische Ausarbeitung ist für mich eine wahre Fundgrube - vielen Dank!
Vielen Dank, ich freue mich, wenn jemand das ebenso spannend finde wie ich und damit etwas anfangen kann oder es ihm dabei hilft, besser zu verstehen, was er warum glauben und was er besser skeptisch sehen sollte.
Hallo Thaddaeus, ich habe mir die betreffenden Erzählungen (Mk, Mt, Lk) nochmal vor Augen geführt und verstehe nicht so ganz, warum man das Geschehen der Wunderheilung in Stadt- und nicht in Seenähe (Genezareth) unterzubringen sucht, zumal alle Evangelisten davon sprechen, Jesus hätte den Besessenen getroffen, kaum sei er aus dem Boot ausgestiegen. Was dafür spricht, daß sich die Ereignisse nicht unweit vom See abgespielt haben.

Darüberhinaus verstehe ich die geographisch-namentlichen Hinweise nicht als punktuelle Fingerzeige auf eine Stadt, sondern als Verweise auf eine Region. Demnach hätte sich doch alles am See, im Einzugsgebiet der Gardarener, abgespielt haben können ...

Doch ich erinnerte mich an deinen Schluß, der mich erneut ins Grübeln brachte. Siehe Auszug:

Thaddaeus hat geschrieben:
Sa 5. Okt 2019, 19:37
Mt. erkennt den geograpischen Fehler und verlegt die ganze Geschichte nach Gadara (Mt.8,28), das zwar näher am See Genezareth liegt, aber immer noch 21,1 km entfernt. Zudem wären die Schweine dann am Südufer des Sees angekommen und dort gibt es weder ein Steilufer, noch einen Abhang.

Daraufhin schaute ich mir erneut die Texte an und ging den geographischen Verhältnissen nach - und siehe da: möglicherweise habe ich eine Lösung gefunden.

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