Parusieverzögerung II

Themen des Neuen Testaments
Benutzeravatar
Savonlinna
Beiträge: 4300
Registriert: So 2. Nov 2014, 23:19

#751 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Savonlinna » Sa 30. Mai 2015, 11:19

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:die Verwechslung von selbstaufgestellten Dogmen mit absolut geltenden Dogmen dient de facto dazu, das eigene Ego als Maßstab zu nehmen.
Das kann auch passieren - deshalb ist "Demut" so wichtig - will heißen: Ich GLAUBE, das x wahr ist. - Deshalb ist auch die "Pastorale" so wichtig: "Egal, was ich für wahr halten und andere für falsch halten - das Gebot darüber ist die Caritas".
Warum aber "passiert" es Dir dann immer wieder bei Deiner Systemkonstruktion?

Schau hier, darauf hatte ich mich bezogen ->
Savonlinna hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben:Eigentlich erschafft sich jeder Mensch seine Welt, seinen Kosmos selbst
"Eigentlich" gerade nicht - aber seine Wahrnehmung lässt ihn dies wähnen.
Das ist eine leere Behauptung, closs, und Gott sei Dank ist sie leer. Denn aus solchen Behauptungen ist ein groß Teil menschlichen Elends entstanden, und das ist auch der Grund, warum ich immer wieder auf diese Deine Behauptung eingehe.

Denn hier passiert genau das, was Queequeg angedeutet hat:
die Verwechslung von selbstaufgestellten Dogmen mit absolut geltenden Dogmen dient de facto dazu, das eigene Ego als Maßstab zu nehmen.
So oft Du auch versuchst, rein mathematisch das Ego in solchen Aussagen wie Deiner obigen zu leugnen - de facto steckt das Ego dahinter.
Das Ego bläht sich auf zum Definierenkönnen der EINEN großen Wahrheit und bildet sich ein, damit der EINEN großen Wahrheit eine Stimme gegeben zu haben.

Angenommen nur mal, "Gott" offenbare sich in der Art jeglicher Wahrnehmung.
Dann wärest Du ein permanenter Gottesleugner, weil Du die Wahrnehmung kategorial von Gott unterscheidest.
Das Ego holt einen dann gerade da ein, wo man es per Kategorialbildung ausschließen will.

Ich bin da sehr viel mehr auf der Seite von Hegel, wo die These in der Synthese "bewahrt" und gewürdigt wird: als notwendige Stufe, deren Extrakt wertvoll und aufbewahrenswert ist, auch wenn die Stufe überwunden ist. Nichts war umsonst, alles ist - und bleibt - Teil der Erkenntnis.

closs hat geschrieben:
savonlinna hat geschrieben: Jeder kann sich jeden beliebigen Begriff ausdenken - zum Beispiel die Hölle -, und schon soll das ein Nachweis sein, dass sie existiert?
Überhaupt nicht - ich bin immer wieder überrascht, wenn dieses Argument kommt.
Ich wollte nur aufzeigen, dass auch Deine Begrifflichkeiten, die Du Dir ausdenkst, dadurch nicht automatisch Realität haben.

closs hat geschrieben:Also: Begriffe für Inhalte sagen erst mal nur aus, dass man etwas thematisiert - dadurch wird es selbstverständlich NICHT "Realität". - Die Frage ist vielmehr, was dafür spricht, dass etwas Begriffs-Thematisiertes "Realität" sein könnte.
Okay. Das wäre eine gute Basis.
Du hast aber, wenn ich das richtig verstanden habe, allein aus der Tatsache, dass es für "Ego" und "Selbst" zwei verschiedene Begriffe gibt, geschlussfolgert, dass "unsere Zeit" damit angemessen beschrieben wird.
"Ego" hast Du als "Narzismus" umschrieben.
Das sind bereits inhaltliche Aussagen, die Du als Realität dargestellt hast, und zwar mit diesem negativem Unterton. So habe ich es zumindest verstanden, weil Du ja öfter schreibst, dass "unsere Zeit" moralisch gesunken sei.

Damit wird aber ausgeschlossen, dass die Herausbildung des "Ich" ein wichtiger Punkt in der Entwicklung ist.
Angenommen, es sei "Gottes Plan", dass der Mensch über die Ego-Bildung - also dem Enstehen des individuellen Bewusstseins - "Gott" finde, dann wird durch die Verteufelung des Egos die Gottes-Erkenntnis verhindert.

closs hat geschrieben:
savonlinna hat geschrieben: Was meinst Du, wie oft ich diesen unseligen Satz fast wörtlich von einer bestimmten ideologischen "Gemeinschaft" gehört habe
Was will man dagegen tun? Nichts. - Deshalb sollte man sich der Aussage selber widmen - egal, ob viele nicken oder nicht.
Meine Aussage war, dass ich solche fertigen Gedankenbausteine als unreflektiert empfinde. Diese vorgefertigten "Mustersätze" machen mich immer stutzig.
Die gibt es auf allen ideologischen Seiten, wie es aussieht, nur mit unterschiedlichen Inhalten. An solchen Fertigbauteilen meine ich immer erkennen zu können, ob jemand einfach nur eine Weltsicht hat oder eine festgefügte Ideologie, deren Richtigkeit man behaupten will.
Ich bezog mich konkret auf diesen Deinen Satz:
closs hat geschrieben:Unsere "aufgeklärte" Zeit fährt voll auf der Schiene des Ego, weil sie das Ich zum Maßstab macht - also das Gegenteil von "con-scientia".
So ein Satz kann nur ideologisch sein, weil da lauter Setzungen sind, die praktisch unbegründbar sind. Und sie werden als Wahrheit dargestellt.
Wenn so ein Satz - vom Gehalt her - bei bestimmten Menschen immer wieder ganz ähnlich formuliert wird, dann ist das eine Art "Erkennungsmarke", mit der man sich in eine bestimmte Ideologie einordnet.
Dieser Satz wird nicht mehr hinterfragt, sondern er gehört zur "Basisausrüstung" einer bestimmten Welterklärung.

Das ist das, was ich dabei wahrnehme, und ich formuliere es immer in der Hoffnung, dass ich das falsch verstanden habe.

closs hat geschrieben:
savonlinna hat geschrieben:Ein freies Ich ist nicht so leicht instrumentalisierbar.
Das stimmt auch. - Wer aber kann das "Frei-Sein" für sich beanspruchen? - Wenn Du Christen fragst, wirst Du oft hören, dass sie endlich "frei" sind. - Wenn Du Agnostiker fragst, wirst Du oft hören, dass sie "frei" seien, weil sie keine Christen sind. ;) - Die Sprache ist aus dem Lot.
Mein Punkt war, dass Du gegen die Freiheit des Individuums anzudiskutieren scheinst, indem Du "Ego" und "Selbst" in der Weise unterscheidest, dass heute das Ego herrsche.

savonlinna hat geschrieben:Wenn jemand die Aufklärung rund-um ablehnt - also nicht dialektisch denkt, sondern in Schwarz-Weiß-Kategorien denkt -, dann verteidigt er die Macht gegen das Recht des Individuums auf freie Entscheidung gegen Manipuliertwerden.
Das Christentum versteht sich selber als extrrem aufgeklärt ("Lux") - der Begriff "Aufklärung" ist sehr heterogen besetzt. - Allein zwischen der Früh-Aufklärung vor 300 Jahren und der heutigen Meinungs-Gesellschafts-Aufklärung liegen Welten.
Es ging mir ja um DEINE Begrifflichkeit.
Aber Du hast oben "aufgeklärt" in Anführungszeichen gesetzt, das hatte ich als Rundumablehnung verstanden. Kann natürlich auch so von Dir gemeint sein, dass Du zwei Auffassungen von "Aufklärung" unterscheidest.
Insofern meine Frage neu:
Welche Art von Aufklärung akzeptierst Du, welche nicht?

Benutzeravatar
sven23
Beiträge: 23476
Registriert: Fr 10. Mai 2013, 15:55

#752 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von sven23 » Sa 30. Mai 2015, 11:22

closs hat geschrieben: Wenn Du schon einverstanden bist, dass es beides gibt, inwendiges und äußeres Reich: Welchen Sinn macht das überhaupt, ein inwendiges Reich für "weniger als eine Generation" zu verkünden? - So lange könnte man sich auch gedulden.
Jetzt kommst du langsam auf den richtigen Trichter.
Eben weil es keinen Sinn macht, zeigte Weiß, daß mit der Naherwartung nicht das innere Gottesreich gemeint sein kann.


closs hat geschrieben: Aber bestimmt nicht wegen des inwendigen Verständnisses. - Oder was würde Thomas darunter anderes verstehen, als wir hier besprechen?
Doch, doch, der gnostische Ansatz hat schon damit zu tun. Im Thomasevangelium knüpft Jesus an die alte griechische Weisheit der Selbsterkenntnis an. Danach trägt jeder den Schlüssel zum Reich Gottes selbst in sich. Eine Priesterschaft als Vermittler wird nicht mehr benötigt. Das hat der Kirche natürlich von Anfang an nicht gefallen.


closs hat geschrieben: Und in die nächste Fall tappt. - Nochmals: Wenn man unter "historisch-kritisch" nicht nur versteht, dass Aussagen der Jünger/Schreiber authentisch zu sein haben (weil man sonst nichts hat, worauf man sich berufen kann), ...

Es ist aber umgekehrt auch höchst seltsam, daß man die Nicht-Authentizität der Schreiber hervorheben muß, um die Glaubwürdigkeit der Bibel zu erhöhen.
Aber im Falle der 2. Petrusbriefes oder des 2. Paulusbriefes-die heute als Fälschung gelten- könnte das sogar zutreffen, denn sie zeigen, wie sehr man bemüht war, das ursprüngliche Bild der Naherwartung durch Jesus zu relativieren und umzudeuten.
Auch Fälschungen können eine hohe Aussagekraft haben, denn sie werden immer mit einer bestimmten Absicht verbunden.
Deshalb darf man den Gesamtkontext nie aus den Augen verlieren.
Zuletzt geändert von sven23 am Sa 30. Mai 2015, 12:12, insgesamt 1-mal geändert.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Benutzeravatar
Savonlinna
Beiträge: 4300
Registriert: So 2. Nov 2014, 23:19

#753 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Savonlinna » Sa 30. Mai 2015, 11:36

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Die vier Punkte sollten durchreflektiert werden - von wem diese "ontologische Differenz" begrifflich stammt.
Diesen Begriff gibt es wahrscheinlich tatsächlich erst seit Heidegger - UND (Du hast recht): Er verwendet ihn ursprünglich in der "Horizontalen" - also in einem Kontext, in dem "Sein" und "Seiendes" auf EINER Ebene sind - nämlich im Dasein. - Später glaube ich erlesen zu haben, dass er sein Modell auch "vertikal" zwischen Hier-Sein und Dort-Sein (Diesseits/Jenseits) ansetzt.

Trotzdem - Du hast recht: Ich zitiere ich NICHT Heidegger, sondern verwende seinen Ausdruck in einem anderen Kontext, weil dieser Ausdruck einfah so genial ist. - Mit meiner Aussage "Man könnte es so nennen" ist eigentlich nur gemeint: "Wer diesen Gedanken versteht, erspart viele weitere Erklärungen, weil damit alles gesagt ist". - Also der Versuch einer Abkürzung.

Unabhängig davon: Selbstverständlich ist das Motiv dieser Differenz hoch-biblisch und hoch-theologisch - allein dadurch, dass man Gott als grundsätzlich NICHT mit eigenem Maßstab verstehbar definiert. - Das Buch "Hiob" hat diesen Gedanken geradezu als Leitmotiv - "Eure Gedanken sind nicht meine Gedanken" is zwar (aus dem Gedächtnis) Jesaja, kommt aber auch im NT vor. - Thomas von Aquin sagt, dass man Gott nicht erkennen könne, allenfalls erkennen könne, was Gott NICHT ist.

All das kann man mit dem Begriff "ontologische Differenz" universal zum Ausdruck bringen - allerdings außerhalb der engen Rezeptions-Geschichte dieses Wortes. - Verstehe es als kreativen Akt, einen Begriff in andere Bereiche hinein zu transponieren.
Der Spaß hört bei mir da auf, wo man im Namen Heideggers - und neuerdings auch im Namen Hegels - seine eigene Philosophie beglaubigen lässt und damit Heidegger und Hegel grundlegend verfälscht.

Ich sehe es doch, wie die User hier Deine Bezüge zu den beiden Philosophen unkritisch schlucken.
Sie laufen nun mit der Vorstellung von Hegel rum, als hätte dieser die ontologische Differenz so verstanden, wie - meines Wissens - außer Dir überhaupt niemand.
Du schreibst aber "man" verstehe die ontologische Differenz so.
Damit verfälschst Du die ontologische Differenz, indem Du sie komplett umbaust und behauptest, so würde das allgemein verstanden werden.

Benutzeravatar
Savonlinna
Beiträge: 4300
Registriert: So 2. Nov 2014, 23:19

#754 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Savonlinna » Sa 30. Mai 2015, 13:13

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Mir ging es darum, dass Du Dir einen beliebigen Begriff ausdenkst und deren Wahrheit behauptest.
Bei Dir klingt es für mich immer so, als könne man nichts "finden", sondern nur "erfinden". - Als sei jegliches Denken ein "Aus-Denken".
Auf jeden Fall danke für dieses Feedback. Dann kann ich besser erkennen, woran es hakt.

Nein, auf keinen Fall ist für mich jegliches Denken ein "Aus-Denken".
Ich unterscheide aber für mich - und dadurch auch bei anderen -, ob sie mit dem Denken etwas formulieren wollen, was vor dem Denken schon da ist, oder ob die Denkoperation sich auf nichts weiter bezieht als auf das Denken.

Ich habe das früher hier im Forum mal mit "ungedecktem Scheck" bzw. "gedecktem Scheck" bezeichnet.
Was ich damit meine, verstehst Du, glaube ich; wir haben in anderem Zusammenhang darüber schon mal geredet:
Es ist wie bei einem Schauspieler, der innere Zustände nur vorgaukelt - er schlägt sich aufs Herz, wenn er Liebe beteuert -, sie aber nicht glaubhaft erspielen kann.
Das eine ist Pose, das andere bezieht sich auf reale Erfahrungen mit der Liebe, also auf "Wahrgenommenes", auf konkrete Erfahrung.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Interessiert es Dich überhaupt nicht, was andere an Deinen apodiktischen Behauptungen für sinnleer halten?
Andere verstehen es - es hat etwas mit dem zugrundeliegenden Weltbild zu tun. - Welches Weltbild, das einer hat, wird denn NICHT behauptet?
Ich habe jetzt blau markiert, was Du überlesen hast. Es gibt durchaus Weltbilder, die nicht apodiktisch behauptet werden. Und auch Kategorieneinteilungen, die nicht als apodiktisch behauptet werden.

Versteh mich nicht falsch: ich weiß, dass Du tolerant bist und tolerant denkst.
Aber Dein "System" stellst Du, seit ich dieses Forum kenne, als "absolut" dar und forderst vom anderen, dass sie Dein System immer auch als Möglichkeit ins Auge fassen sollen.
Wer das nicht tut, wird von Dir korrigiert.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: statt dass Du einfach mal eine andere Schiene fährst und davon ablässt
Woher kommt mein Gefühl, dass ein Ablassen in den schieren Solipsismus führen würde? - Ernsthafte Frage!
Dein Gefühl KÖNNTE daher kommen, dass Solipsismus für Dich eine Gefahr bedeutet, gegen die Du einen Damm bauen musst.
Könnte, sage ich, ich antworte Dir mit einer Vermutung, die aber nicht so abwegig ist.
Falls die Vermutung halbwegs stimmt, muss man dann wohl tatsächlich alles auf Abstand halten, was danach riecht.

Ich kenne so etwas in anderen Zusammenhängen. Manche Gedanken denke ich nicht, weil sie mich in einen Abgrund ziehen würden. Ich denke sie erst, wenn ich aus dieser Gefahrenzone heraus bin. Dann kann ich diese Dämme abbauen.

Trotzdem: Wenn ich sage, dass Schecks "gedeckt" sein müssen, folgt daraus kein Solipsismus - ich kann sogar gar nicht begreifen, wie man darauf kommen könnte. Mir geht es um die "Erdung":
Es gibt Begriffe, die sind der - inneren - Erfahrung abgerungen, selbst wenn sie unzulänglich sind.
Und es gibt Begriffe, die keiner Erfahrung zu entsprechen scheinen, sondern ausgedacht sind und nur zur Ideologie taugen, nicht zur Weltsicht.
Meist erkenne ich letzteres daran, dass man nicht bereit ist, von seinen Begrifflichkeiten abzurücken. Dann scheinen sie selber das Wesentliche zu enthalten - und nicht das, wozu die Begriffe nur eine Krücke sind.

Ich lasse mich da aber immer eines Besseren belehren.

closs hat geschrieben:Aus meiner Sicht benutze ich Ergebnisse anderer, weil sie schon da sind. - Meine Vorstellungen können falsch sein, sind aber primär - ich habe die Bibel bspw. erst gelesen, NACHDEM ich gedanklich eine geistige Struktur hatte. - Und dann "findet" man "wieder".
Das würde mich nicht stören - solange man nicht behauptet, dass die geistige Struktur, die man herausgearbeitet hat, sich auch in der Bibel befindet.
Trotzdem hat man das Recht, die Bibel nach der eigenen geistigen Struktur zu lesen.
Andere, die zwar keine geistige Struktur ausgearbeitet haben, lesen aber dennoch die Bibel ebenfalls auf der Basis ihres Weltbildes.
Und behaupten oft, das "stehe" so in der Bibel.
Du oder sie "finden" dann das, was sie schon vorher zumindest latent in sich hatten.

Das stützt ja aber gerade das, was ich sagte: dass das Individuum mit seinem ganz eigenen und ganz speziellen Entwicklungspotential die Dinge reflektiert und niemals Absolutheit beanspruchen kann - auch nicht in der Form, dass es einen absoluten Gott GIBT oder geben KÖNNE, den man nur nicht erkenne. Denn auch das ist eine ganz spezielle, vom Individuum abhängige Sicht.

closs hat geschrieben:Ich suche bei Dir nach wie vor nach einem Aufhänger, der aus dem Ich als einzigem Universum herausführt. - Ich spüre etwas Monadisches - als seien Menschen geistig in sich geschlossene Wesen, von denen jeder "seine" Welt hat, die es zu entwickeln gäbe. - Und da glaube ich gemäß meines Weltverständnisses tatsächlich, dass dieses Individuelle eben nicht monadisch ist, sondern "nach oben" universal offen ist. - Ich weiss jetzt nicht, ob ich diesen Gedanken ausreichend verständlich machen kann.
Seltsam ist, dass ich gerade Deine Gedanken extrem monadisch - "monadisch" in Deinem Gebrauch; Leibniz benutzt ihn anders - empfinde. Ich sagte ja schon öfter, dass sie bei mir die Assoziation von "Gefängnis" wecken. Als seien die behaupteten Kategorien Gefängnisse, in die die Menschen eingesperrt werden.
"Begriffe" haben für mich immer was mit "Greifen" und auch "Vergreifen" zu tun.

Um konkret auf das, was "aus dem Ich als einzigen Universum herausführt", einzugehen:
Es gibt viele Iche. Ihre Vielfalt ist das Universum, oder ein Teil des Universums.
Nichts ist ohne Zusammenhang. Macht der eine eine These, macht der andere die Antithese. Beides zusammen - schon in diesem kleinen Rahmen - macht schon mehr die Wahrheit aus als nur der eigene Standpunkt.

Anton B.
Beiträge: 2792
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 16:20

#755 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Anton B. » Sa 30. Mai 2015, 13:39

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:In dem Fall aber halt "Du, wie closs" und nicht "ihr, wie mit der historisch-kritischen Methode" arbeitende Theologen/Historiker.
Moment - die Aussage, dass Jesus KEINE Naherwartung hat, ist historisch-kritisch genauso gut begründbar wie das Gegenteil.
Aber sicher doch. Schade nur, dass Du die historisch-kritische Methode nicht verstehst. Hast Du Dir die Literaturempfehlung besorgt?

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Bevor ich mich dazu äußere, müsste ich wissen, was die "text-kritische Arbeit" denn als Konsens darüber vertritt.
Du willst VORHER wissen, worüber es Konsens gibt? - Kann man die Sache nicht undemokratisch inhaltlich angehen?
Du meinst nach Methode "closs": Ohne sich richtig informiert zu haben, aufgrund des eigenen Vorstellungsvermögens loszulaufen. Nein, bitte nicht. Erstmal ordentliche Positionsidentifizierung und -zuweisung, dann Betrachtung und Auseinandersetzung mit der Position.

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Was meinst Du?
Ich kenne den wissenschaftlichen Stand nicht.
Geschenkt! Aber diskutieren geht immer.

closs hat geschrieben: - Ich kann nur wiedergeben, was x-beliebige Theologen vom Pfarrer bis zum promovierten Froscher recht homogen sagen, die mir vor die Flinte kommen: "Insgesamt in der Theologie überhaupt keine Thema - das inwendige Gottesreich ist eine Standard-Feststellung, um die man biblisch nicht rum kommt - die Historisch-Kritischen simulieren den Fall, zu welchen Ergebnissen man unter historisch-kritischen Bedingungen kommen kann".
In etwa so, wie die Wissenschaften den Fall simulieren, zu welchen Ergebnissen man unter wissenschaftlichen Bedingungen kommen kann?

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Ich habe mir auch noch mal von 2 guten Bekannten (Diakone, rk, Bistum Köln, Theologiestudium Bonn) bestätigen lassen, dass in der Tat die Naherwartung des historischen Jesus als Wissensstand im Studium vermittelt wird.
Das ist exakt das Gegenteil dessen, was ich höre. - Sehr merkwürdig.

Vielleicht müsste man mal klären, unter welchem Aspekt der Begriff "historisch-kritisch" vermittelt wird - als Methode, als deren Ergebnis eine historische Tatsache steht - oder als Methode, die ohne jeglichen geistigen Kontext versucht zu simulieren, was dabei herauskommt.
Richtig. Unter anderem. Aber das hättest Du zu Beginn der Diskussion machen sollen, bzw. bevor Du aufgrund Deines eigenen Vorstellungsvermögens die Methode auf was bestimmtes festnagelst.


closs hat geschrieben:Denn eines ist klar: Die Inwendigkeit des Reiches Gottes durch Jesus selbst ist theologische Standard-Erkenntnis - einfach weil's textlich oft genug in der Bibel steht. - Das sehr viel passieren muss, bis mit dem "äußeren" Wiederkommen Jesu zu rechnen sei, auch. - Dass Jesus vom "nahen Gottesreich" spricht, das man im Sinne einer Naherwartung interpretiert, ist ebenfalls belegt.
Dann ist ja fast alles aufgelöst und wir dürfen mit dem Segen des closs von einer "Naherwartung Jesu" sprechen. Und was die konkrete Ausprägung, bzw. besser Ausprägungen, der Naherwartung betrifft, da lese bitte den empfohlenen Text. Ebenfalls hilfreich sind die Darlegungen des Users "dagegen" hier im Forum. Die solltest Du vielleicht auch einmal mit den Aussagen z.B. des Katechismus der Katholischen Kirche vergleichen. Danach erst kannst Du die Aussagen zur Naherwartung aus dem historisch-kritischen Kontext auch in Beziehung zu Glaubensausprägungen setzen.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#756 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von closs » Sa 30. Mai 2015, 13:59

Savonlinna hat geschrieben:Angenommen nur mal, "Gott" offenbare sich in der Art jeglicher Wahrnehmung. Dann wärest Du ein permanenter Gottesleugner, weil Du die Wahrnehmung kategorial von Gott unterscheidest.
Sehe ich genau umgekehrt: WEIL ich MEINE "Wahrnehmung von Gott" von "Gott selbst" unterscheide, kann ich Gott überhaupt als Mensch gerecht werden - denn sonst wäre Gott nicht mehr als meine Wahrnehmung - das wäre Blasphemie pur. - Das ist genau das Thema in Buch "Hiob".

Savonlinna hat geschrieben:Ich bin da sehr viel mehr auf der Seite von Hegel, wo die These in der Synthese "bewahrt" und gewürdigt wird: als notwendige Stufe, deren Extrakt wertvoll und aufbewahrenswert ist, auch wenn die Stufe überwunden ist. Nichts war umsonst, alles ist - und bleibt - Teil der Erkenntnis.
Da sind wir uns wieder einig. - Jede gott-"gefällige" Handlung des Menschen ist aufhebbar ("bewahrt") in Gott. - "Erlösung" im christlichen Sinne ist die "Aufhebbar-Machung" des Menschen in Gott.

Ich rätsele, warum Du einerseits "Gott" und "Wahrnehmung von Gott" kategorial NICHT getrennt haben willst, gleichzeitig aber zwischen "These" und "Synthese" unterscheidest.

Savonlinna hat geschrieben:Ich wollte nur aufzeigen, dass auch Deine Begrifflichkeiten, die Du Dir ausdenkst, dadurch nicht automatisch Realität haben.
Selbstverständlich haben sie es dadurch nicht - Sprache ist Versuch, Sein authentisch zu benennen. - Wenn es kein Sein zur Benennung gibt, ist es ein Fehlschlag.

Savonlinna hat geschrieben:Das sind bereits inhaltliche Aussagen, die Du als Realität dargestellt hast, und zwar mit diesem negativem Unterton.
Stimmt - ich habe versucht, mit den Begriffen "Ego" und "Selbst" die positiven und negativen Apsekte des Ichs zu benennen. - Wenn ich mich recht erinnere, ist dies ein großes Thema in der Mystik (Meister Eckart & Co). - Für mich persönlich ein Kernmotiv menschlichen Daseins seit Adam und Eva.

Savonlinna hat geschrieben:Angenommen, es sei "Gottes Plan", dass der Mensch über die Ego-Bildung - also dem Enstehen des individuellen Bewusstseins - "Gott" finde, dann wird durch die Verteufelung des Egos die Gottes-Erkenntnis verhindert.
Wir haben echte Begriffs-Probleme, denn: Du hast selbstverständlich recht. - Die Entwicklung des Eigen- (Ich-) Bewusstseins ist geradezu der Grund, warum es den Baum der Erkenntnis überhaupt gibt - aber das wäre schon wieder ein anderes Thema. - Das sprachliche Problem liegt jetzt darin, dass man einerseits "Ego" als wertfreies Synonym für "Ich" verstehen kann - oder eben "Ego" und "Selbst" wertend als negative und positive Ausprägungen des "Ich" verstehen kann.

Savonlinna hat geschrieben:und ich formuliere es immer in der Hoffnung, dass ich das falsch verstanden habe.
Das ist gut möglich, muss aber weder an Dir noch an mir liegen. - Der Mensch baut sich im Leben einen Wortschatz auf, bei dem im Einzelfall völlig unterschiedliche Konnotationen rauskommen.

Meinen von Dir zitierten Satz habe ich tatsächlich so gemeint - mit dem, was ICH halt mit verbinde. (Das Thema "con-scientia" wäre ein eigenes). - Platt gesagt: Sätze wie "Alles, was zählt, bin ich" genießen medialen und gesellschaftlichen Idol-Charakter - Pseudo-Religions-Charakter. - UNTER der Oberfläche dieser offiziellen Wirklichkeit gibt es (gottseidank) ganz andere Strömungen: der gläubigen einfachen Menschen, gerade in ländlicher Gegend, schütteln den Kopf und bleiben sich nach wie vor treu.

Savonlinna hat geschrieben:Mein Punkt war, dass Du gegen die Freiheit des Individuums anzudiskutieren scheinst, indem Du "Ego" und "Selbst" in der Weise unterscheidest, dass heute das Ego herrsche.
Aus meiner Sicht ist die geistige Freiheit des heutigen durchschnittlichen Menschen - wohlwollend gesagt - nicht größer als im Mittelalter. - Ich denke schon, dass einer ziemlich üblen Art der Freiheit das Wort geredet wird.

Umgekehrt: Warum hört man so viele Christen sagen: "Seitdem ich glaube, bin ich frei" ---???--- Es scheint also sehr unterschiedliche Arten der Freiheit zu geben. - Halten wir trotzdem fest: Die äußere Freiheit in unserer westlichen Kultur ist erfreulich hoch.

Savonlinna hat geschrieben:Welche Art von Aufklärung akzeptierst Du, welche nicht?
Ich akzeptiere die Aufklärung, die Klarheit sucht. - Im Naturalismus ist es die Naturwissenschaft, die dies leistet. - In geistigen Dingen sind es Systeme, die den Menschen erkennen lassen und innerlich befreien - letzteres kann ich im gesellschafts-konformen Zungenschlag des Wortes "Aufklärung" nicht deutlich erkennen.

Savonlinna hat geschrieben: und damit Heidegger und Hegel grundlegend verfälscht
Begriffs-Aufnahmen und folgende Begriffs-Veränderungen gibt es ständig in der Geistes-Geschichte - das halte ich nicht für unredlich. - Es geht hier auch nicht um die Frage, Heidegger und Hegel gerecht zu werden, sondern deren Begriffs-Bildungen in neuem Kontext (falls es überhaupt ein neuer Kontext ist) zu verwenden.

Vorsichtig formuliert: Wenn man, wie es mir ging, beim Lesen einzelner Texte von Hegel und Heidegger eine Klarheit spürt, die einen geradezu ansaugt, wäre es eher ein Zufall, dass man weit weg von den beiden Herren ist, wenn man deren Kern-Aussagen auf theologische Fragen anwendet und diese wie die Faust aufs Auge passen. - OK - Zufälle gibt es, aber ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich.

Savonlinna hat geschrieben:Du schreibst aber "man" verstehe die ontologische Differenz so.
Es kann auch anders formuliert werden: "Wer weiss, was ontologische Differenz ist, versteht auch, wenn man sie theologisch anbringt" - selbst wenn es ein Transfer ist.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#757 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von closs » Sa 30. Mai 2015, 14:11

sven23 hat geschrieben:Eben weil es keinen Sinn macht, zeigte Weiß, daß mit der Naherwartung nicht das innere Gottesreich gemeint sein kann.
Was ist denn DAS für eine Logik?

Szenario: Die Jünger haben erst mal keine Erwartung - dann sagt Jesus, sie könnten in Kürze mit dem Reich Gottes rechnen - Jesus meint es inwendig - die Jünger verstehen es (in "guter" AT-Tradition) äußerlich. - Du unterstellst jetzt Weiß folgendes:

Da die Offenbarungs-Erscheinung nah ist (= Fakt) und das innere Reich inwendig schon da ist (so richtig?), kann sich Naherwartung nur auf ein nahes äußeres Kommen Jesu beziehen. - "Rembrandt malte dieses Bild im Jahr 1650. Wie hieß der Maler dieses Bildes? - Forschungen zeigen, dass es Rembrandt war". :o

sven23 hat geschrieben:Doch, doch, der gnostische Ansatz hat schon damit zu tun. Im Thomasevangelium knüpft Jesus an die alte griechische Weisheit der Selbsterkenntnis an. Danach trägt jeder den Schlüssel zum Reich Gottes selbst in sich. Eine Priesterschaft als Vermittler wird nicht mehr benötigt. Das hat der Kirche natürlich von Anfang an nicht gefallen.
Das "inwendige Reich Gottes" hat doch nichts mit Selbsterlösung zu tun. :o

sven23 hat geschrieben:denn sie zeigen, wie sehr man bemüht war, das ursprüngliche Bild der Naherwartung durch Jesus zu relativieren und umzudeuten.
Richtig! - Aber wer sagt denn, dass sie die Naherwartung durch Jesus relativiert haben? - Es kann doch genauso die falsche Jesus-Rezeption gewesen sein (wovon ich persönlich im AT-NT-Kontext überzeugt bin).

sven23 hat geschrieben:Deshalb darf man den Gesamtkontext nie aus den Augen verlieren.
Wie wahr. ;)

Benutzeravatar
Savonlinna
Beiträge: 4300
Registriert: So 2. Nov 2014, 23:19

#758 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von Savonlinna » Sa 30. Mai 2015, 14:22

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Du schreibst aber "man" verstehe die ontologische Differenz so.
Es kann auch anders formuliert werden: "Wer weiss, was ontologische Differenz ist, versteht auch, wenn man sie theologisch anbringt" - selbst wenn es ein Transfer ist.
Das macht es nicht besser. Denn Du verallgemeinerst immer noch Deine persönliche Umdeutung, als stamme sie von anderen und sei allgemein bekannt.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#759 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von closs » Sa 30. Mai 2015, 14:39

Anton B. hat geschrieben:Schade nur, dass Du die historisch-kritische Methode nicht verstehst.
Wir haben relativ wenig historisch-kritisch gearbeitet, das stimmt (mehr textkritisch) - aber eines ist uns NIE passiert: Dass wir aus einem Text der 2. Hälfte des 19. Jh. ÜBER Goethe eine Tatsachen-Aussage über Goethe abgeleitet haben - und genau dieser Anschein wird hier erweckt. Dafür hätte es die Höchstrafe gegeben. - Bei uns hätte es NICHT geheißen "Goethe WAR ein Chauvinist", sondern "Goethe war aus Sicht der 2. Hälfte des 19. Jh. ein Chauvinist.

Anton B. hat geschrieben:Erstmal ordentliche Positionsidentifizierung und -zuweisung, dann Betrachtung und Auseinandersetzung mit der Position.
NEIN - erst einmal eine eigene Position aufgrund der vorliegenden Quellen (das wären hier die Textstellen sowie die Bibel als Kontext-Geber). Danach kann man sich immer noch korrigieren, wenn man etwas übersehen hat.

Anton B. hat geschrieben: Aber diskutieren geht immer.
Ja - über Inhalte - und nicht nur über Positionen anderer. - Wie willst Du ein Gefühl für Inhalte bekommen, wenn Du Dir dieses Gefühl durch Konnotationen Dritter von vorneherein versaust?

Anton B. hat geschrieben:In etwa so, wie die Wissenschaften den Fall simulieren, zu welchen Ergebnissen man unter wissenschaftlichen Bedingungen kommen kann?
Verstehe Dich nicht ganz. - Nochmal: Ich halte es für möglich, dass man die Bibel so untersucht, als bestünden sie aus historischen Texten, UND dass man weiterhin den Text-Erstellern aus methodischen Gründen Glaubwürdigkeit zugesteht. - Und dann kann man gucken, was dabei rauskommt. - Das meine ich mit "Simulieren" - also Ausprobieren eines spezifischen methodischen Ansatzes.

Anton B. hat geschrieben:bevor Du aufgrund Deines eigenen Vorstellungsvermögens die Methode auf was bestimmtes festnagelst.
Moment - jetzt drehst Du's auf den Kopf: Festnageln tun die Naherwartungs-Verfechter, indem sie den Eindruck erwecken, die Aussage "Jesus hatte selbst eine Naherwartung" gleichsam als wissenschaftliche Tatsachen-Feststellung erscheinen lassen - als hätte der Jesus, den wir treffen würden, wenn wir uns 2000 Jahre zurück-beamen ließen, sicher eine eigene Naherwartung gehabt. - DAS nenne ich Festnageln.

Meine Position ist da viel offener:
1) Die äußere Naherwartung Jesu ist bei entsprechender wissenschaftlicher Perspektive und Interpretation bibel-textlich belegbar.
2) Die äußere Naherwartung Jesu ist bei anderer wissenschaftlicher Perspektive und Interpretation bibel-textlich widerlegbar.

Anton B. hat geschrieben: Danach erst kannst Du die Aussagen zur Naherwartung aus dem historisch-kritischen Kontext auch in Beziehung zu Glaubensausprägungen setzen.
Wenn wir uns darauf einigen könnten, dass sich eine belastbare historisch-kritische Aussage nur auf den Text, DESSEN Zeit und DESSEN Verfasser beziehen kann, ist dieses Problem eh gelöst.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#760 Re: Parusieverzögerung II

Beitrag von closs » Sa 30. Mai 2015, 15:00

Savonlinna hat geschrieben: Denn Du verallgemeinerst immer noch Deine persönliche Umdeutung, als stamme sie von anderen und sei allgemein bekannt.
Eigentlich wäre es ja wurscht, von wem etwas stammt. - Ich sehe es viel pragmatischer: Warum 12 Seiten theoretische Ableitung schreiben, wenn es das Ergebnis als Begrifflichkeit gibt, die man con variazione einsetzen kann?

Es gibt jetzt prizipiell 2 Möglichkeiten:
1) Man definiert alles Kommende sauber im Voraus - das ist typisch deutsch: Mein englischer Prof hat mir damals gesagt: "Deutsche Veröffentlichungen erkennt man auch dann, wenn sie übersetzt wurden, sofort als deutsch, weil der Vorspann länger ist als der eigentliche Inhalt".
2) Man führt einen Begriff ein, der halbwegs gängig wird, sich aber erst im Lauf der Zeit begrifflich stabilisiert. - Mein englischer Prof hat dazu gemeint: "Die Leute kriegen mit der Zeit mit, was gemeint ist - jedenfalls dauert es nicht so lang, als den ganzen Vorspann zu lesen, den es hier ja nicht gibt". ;)

Savonlinna hat geschrieben:Es ist wie bei einem Schauspieler, der innere Zustände nur vorgaukelt - er schlägt sich aufs Herz, wenn er Liebe beteuert -, sie aber nicht glaubhaft erspielen kann.
Verstehe ich. - Du darfst bei mir davon ausgehen, dass ich ausschließlich von dem spreche, was vor dem Denken schon da ist. - Das Problem ist die Übersetzung in Verständnis.

Savonlinna hat geschrieben:Wer das nicht tut, wird von Dir korrigiert.
Ich tue mir nach wie vor schwer, es überhaupt für möglich zu halten, dass man "Sein"/"Realität" und "Wahrnehmung"/"Messung" NICHT kategorial unterscheiden könnte. - Es macht mich ratlos, dann vor einem Ragout zu stehen.

Savonlinna hat geschrieben:Dein Gefühl KÖNNTE daher kommen, dass Solipsismus für Dich eine Gefahr bedeutet, gegen die Du einen Damm bauen musst.
Psychologisch möglich. - Aber jetzt die Frage: Hältst Du Solipsismus für den richtigen Ansatz? - Und wenn ja: Was würde das bedeuten?

Savonlinna hat geschrieben:Meist erkenne ich letzteres daran, dass man nicht bereit ist, von seinen Begrifflichkeiten abzurücken.
Als Diagnostikum nicht so sehr geeignet. - Gerade die großen Philosophen haben versucht, ihre "gedeckten Schecks" in Strukturen abzubilden.

Savonlinna hat geschrieben:Andere, die zwar keine geistige Struktur ausgearbeitet haben, lesen aber dennoch die Bibel ebenfalls auf der Basis ihres Weltbildes.
Jeder, wie er kann. - Der christliche Gedanke, dass es verschiedenen heilsgeschichtliche Phasen gibt (phylogenetisch wie ontogenetisch), ist schon nicht schlecht - man kann auf vielfache Weise der Wahrheit nahekommen. - Das erinnert an Schillers "Demetrius", in dem der tragische Held seine einfache Lodoiska verlassen muss und sie so beneidet, dass sie sich "im kleinen Kreis erfüllen" kann.

Savonlinna hat geschrieben:Beides zusammen - schon in diesem kleinen Rahmen - macht schon mehr die Wahrheit aus als nur der eigene Standpunkt.
Gibt es für Dich absolute Orientierungs-Punkte? - So wie dem Seemann der Nordstern?

Antworten