Savonlinna hat geschrieben:Im ersten Zitat sagst Du, dass es nicht darum geht, dass man die Gedanken anderer lesen kann, und im zweiten Teil sagst Du das Gegenteil
Moment: Man kann NIE Gedanken lesen - aber man kann mit der Zeit ein Gefühl dafür bekommen, wie jemand denkt und tickt.
Savonlinna hat geschrieben:Und dann passt meine Analogie dann ja doch: dass man noch aus Knochen Gedanken rauspressen will, die man nicht mal zu Lebzeiten hätte erfahren können.
Wenn man' drauf anlegt, ja. - Aber eigentlich ist das nicht das Ziel der Sache - siehe nächster Absatz:
Savonlinna hat geschrieben:Andererseits bist Du es ja selber, der „geistig“ lesen will, was eben ja nun genau das heißt: Das eigene heutige Verstehen als Maßstab zu nehmen und die historische Person die historische Person sein zu lassen.
Siehst Du - und da glaube ich eben, dass es ein universales Denken gibt, dass zwar durch die jeweilige Zeit koloriert ist, aber substantiell zu allen Zeiten verstanden wird - eben weil es universal ist.
Ich bin überzeugt: Wenn es möglich wäre, Shakespeare, Bach, Goethe, Plato, etc. an einen Tisch zu setzen, würden sie sich universal auf Anhieb verstehen (selbst dann, wenn sie sich nicht leiden könnten).
Savonlinna hat geschrieben:WER genau hat das behaupetet, dass die Quelle entsorgt werden soll?
Niemand - aber es kommt manchmal so durch, als seien Quellen Anregungs-Größen für das eigene Universum und sonst nichts.
Savonlinna hat geschrieben: Für mich sind es überlieferte literarische Werke. Für Dich offenbar dann doch eine historische Person
Sowohl als auch. - Die Primär-Quelle ist der Ursprung dessen, was literarisch rezipiert wird.
Savonlinna hat geschrieben:Du benutzt den schwammigen Begriff „Geistiges“ darum auch hier, weil Du selber schwimmst.
Das Sich-Bewegen in unkontrollbaren Gewässern darf man durchaus als "Schwimmen" bezeichnen - aus meiner Sicht besser, als wenn man sich auf selbstgeschaffene Systeme beschränkt und methodische Sicherheit getrost nach Hause trägt. - Mir ist es lieber, Zweiter in Rom als Erster in einem Alpendorf zu sein.
Savonlinna hat geschrieben:aus Gehörtem „Geistiges“ - zu entwickeln“, habe ich nicht gemeint, auch nicht gesagt.
Was anderes ist es, wenn man die eigene Entwicklung im Auge hat?
Savonlinna hat geschrieben:denn de facto suchst Du ja nach dem historischen Jesus.
Nee - ich suche nach dem Universalen, was in ihm chiffriert ist.
Savonlinna hat geschrieben:Du sprichst nämlich die ganze Zeit von dem Vergangenen, das Du verstehen möchtest.
Moment - meine Perspektive ist ein ganz andere: Mir geht es darum, eigene Rezeption nicht komplett abzukoppeln von dem, was der Grund der Rezeption ist. - Die Tatsache, dass der Grund der Rezeption (die Primär-Quelle) nicht und gar prinzipiell nicht erschlossen werden kann, heisst doch nicht, dass es sie nicht gibt.
Savonlinna hat geschrieben:Wenn es so wäre, wie Ernst Bloch es zumindest vom Ansatz her formuliert: dass das Mythische eine innewohnende Ahnung von konkreter und also realisierbarer Utopie ist, also in den physischen Bereich eintreten kann
Das klingt zwar sehr allgemein, aber gut. - Jetzt wäre die nächste Frage: Woher käme es, dass etwas innewohnte?
Savonlinna hat geschrieben:Für wahrscheinlich halte ich es aber nicht. - Zum einen nicht, weil die Strahlkraft auf mich zum Beispiel nicht wirkt. MEINE Utopie realisiert sich nicht in der überlieferten Jesus-Gestalt.
Muss auch nicht - bei Dir wirken andere Chiffren, die bei Dir andocken können. - Das sagt inhaltlich erst mal nichts - Du könntest unterm Strich dasselbe meinen, obwohl Du ganz anders "ver-dockt" bist als ich.
Savonlinna hat geschrieben:Zum anderen nicht, weil die Art der Überlieferung dagegen spricht. Der Endpunkt, den wir erreichen können, liegt im Dichtertum einiger Evangelisten und in dem Visionären des Paulus. Insofern halte ich die Gestalt, um die es geht, für eine, die mit den Jahrhunderten und Jahrtausenden „geboren“ wird.
"Gestaltet" wäre aus meiner Sicht besser - "geboren" klingt so, als wüsstest Du, dass es sie ursprünglich nicht gab.
Savonlinna hat geschrieben:Denn die Erstentwürfe dieser Figur, die das Göttliche in sich schon geboren hat, sind für mich nicht überzeugend.
Das wäre jetzt ausschließlich eine geistige

Frage. - Im Grunde geht es um die Frage, ob und wie es eine Person wie Jesus im Sinne der RKK geben kann - was steckt dahinter, dass man es postuliert.
Savonlinna hat geschrieben:Da die Wortzusammenstellung "geistiges Denken" nur von Dir alleine stammt, wäre es hilfreich, wenn ich verstehen könnte, wie so etwas aussieht.
Unter "Geist" verstehe ich die exklusiv menschliche Eigenschaft, bewusst oder unbewusst verbunden zu sein mit dem "Woher komme ich?" und "Wohin gehe ich?" - in diesem Sinne ist "geistiges Denken" immer metaphysisches Denken.
Dass dieser Definition ein Weltbild vorausgeht, ist klar - aber das wird bei anderen Definitionen auch so sein. - Christlich gesprochen sind "geistiges Denken/Empfinden" eng mit dem Begriff "Ebenbildlichkeit" verbunden - will heißen: Der Mensch als Ableitung göttlicher Wesensart in niederer Dimension - einfach gesagt: Authentischer Schatten einer Kugel.
Savonlinna hat geschrieben:Ich meine schlicht das, was man ahnt, aber was noch nicht umgesetzt ist.
Das ist ok - woran dann Ahnung hängt, ergibt sich irgendwann von selbst.
Closs hat geschrieben: Die nächste Frage wäre dann: Durch wen "real gemacht"?
Savonlinna hat geschrieben: Wie wir es oben beschrieben haben:
durch die jahrtausendelange Arbeit von Menschen an diesem inneren Bild.
Hier wäre zu klären, ob "machen" bedeutet, dass man etwas primär schafft, oder dass man Primäres gestaltet.