Thaddaeus hat geschrieben: ↑Di 15. Okt 2019, 17:50
Andreas hat geschrieben: ↑Di 15. Okt 2019, 14:24
Ich fragte nach Markus und nicht nach Mt, Lk oder Paulus und da gibt es nicht viel, wie man sieht.
Ja eben. Um die übergeordnete Frage zu beantworten, welche Bedeutung es für die frühe Christenheit hatte, dass Jesus Jude und Rabbi war und sich vermutlich gar nicht zu irgendwelchen Heiden gesandt sah, darf man sich nicht allein auf Mk. fokussieren.
Was die Auslegung von Markus angeht, zählt nur die Zeit bis zur Abfassung des Markusevangeliums (maximal bis zur Zeit der späteren Markusschlüsse). Dass Jesus Jude und Rabbi war, wusste jeder. Dass Jesus zu allen Menschen gesandt war, glaubte damals mindestens jeder Christ. Wir wissen nicht, ob Markus ein Jude war oder ein Ex-Heide, aber wir wissen sicher, dass er ein Christ war, als er sein Evangelium schrieb.
Deine Idee, dass Jesus in der Dekapolis eine persona non grata gewesen sei, unterstellt, dass Jesus dort predigen wollte. Jesus wollte vermutlich an vielen Orten nicht predigen, zum Beispiel in den größeren Städten in Galiläa. Dass diese Erzählung sich nicht historisch so zugetragen haben kann, hast du dargelegt, auch dass sie aus verschiedenen Traditionsstücken aufgebaut sein könnte. Woher dann deine Sicherheit in der Annahme, dass sie sich wirklich zugetragen haben sollte, und dann auch noch auf "heidnischem" Gebiet?
Alle jüdisch bewohnten Gebiete die hier eine jüdische Rolle spielen, waren römisches Hoheitsgebiet. Die Römer haben sich sicher nicht den jüdischen Speisegeboten unterworfen oder sich ihnen aus Höflichkeit angepasst, sondern Schweine gehalten und gegessen, wenn ihnen danach war. Wenn sich Juden fanden um für die Römer als Zöllner und Steuereintreiber tätig zu sein, warum dann nicht auch, um mit Schweinen Geld zu machen? Dazu mussten sie diese ja nicht essen. Es werden sich auch am Hungertuch nagende Tagelöhner gefunden haben, um die Drecksarbeit bei der Schweinehaltung zu machen.
Auf der anderen Seite steht die Tatsache, dass Jesus auf solche Widerstände nicht viel gab - jedenfalls wusste der markinische Jesus angeblich, dass ihm die größten Widerstände in Jerusalem bevorstanden, die ihn das Leben kosten würden. Drei mal ist das im Mk zu lesen und er ließ sich nicht davon abhalten, genau das zu tun, was er wollte, nämlich trotz der Widerstände dort zu predigen. Das wusste "die frühe Christenheit". Das ist natürlich nachösterliches Gedankengut, das Jesus da in den Mund gelegt wurde (vaticinia ex eventu), um Jesus die Fähigkeit der Prophetie zu verleihen.
Dass Jesus letztendlich durch Heiden zu Tode, war offensichtlich der Heidenmission nicht abträglich. Und als letztes Argument, darf ich noch anfügen, dass es im Markusevangelium ein Heide, noch dazu der Heide war, der das Todesurteil an Jesus vollstreckte, den Markus sagen lässt. "Wahrlich, dies war Gottes Sohn".
Thaddaeus hat geschrieben: ↑Di 15. Okt 2019, 17:50
Da gilt es das gesamte NT unter die Lupe zu nehmen. Und Paulus spielt da eben auch eine Rolle. Man kann sich sogar auf den Standpunkt stellen, dass Paulus die Lehre Jesu komplett gegen dessen Absicht verändert hat, als er die Heidenmission initiierte.
Es wurde zwischen Paulus und Petrus hart darum gestritten, ob Heiden beschnitten werden müssen, wenn sie ins Himmelreich gelangen wollen!
Dagegen Paulus in die Diskussion zu deiner Perikope ins Spiel zu bringen, ist nichts einzuwenden, da es gut möglich ist, dass Markus die paulinische Briefliteratur kannte. Dann müsste man mal schauen, in wie weit, das Mk von Paulus beeinflusst sein könnte. Möglicherweise stecken im Mk mehr oder weniger versteckte Zustimmungen aber vielleicht auch mehr oder weniger versteckte Ablehnungen der paulinischen Theologie. Spannende Frage.
Thaddaeus hat geschrieben: ↑Di 15. Okt 2019, 17:50
Andreas hat geschrieben: ↑Di 15. Okt 2019, 14:24
Ja was jetzt? "Berichterstattung" oder Literatur: [...] Deswegen sprach ich den manchmal schwarzen Humor des Markus an und nicht von einem Frauen beleidigenden oder witzereißenden Jesus, den niemand kennt.
Wie kommst du darauf, dass Mk. schwarzen Humor an den Tag gelegt haben sollte?
Wenn er die Syrophynizierin praktisch als Hund anspricht, dann ist das etwa so, als sagtest du zu mir:
"Du Abschaum einer Argentinierin, sprich mich nicht an!"
Eben wegen dieser ungewöhnlichen Schärfe im Ton halten die Exegeten dieses Jesuswort für
echt.
Weiß man's? Einerseits, legst du sehr detailliert klar, dass sich unsere Perikope historisch nicht so abgespielt haben kann, wie es die Synoptiker berichten. Allein damit ist doch die Bibel als "Zeugnis irrtumsloser Berichterstattung" gegessen. Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung ist wahrlich keine rühmliche in der historischen Theologie, da wurde mehr zurückgenommen als am Ende herausgefunden wurde. Wo stehen wir da heute? Das letzte was ich mitbekommen habe, war der vierte Anlauf (Fourth Quest), weil von den ersten dreien, keiner wirklich der Hit war.
Dass Markus schwarzen Humor hat, lässt sich an einigen Stellen zeigen.
Hier und noch dazugehörig
hier habe ich das mal zugegeben etwas flappsig dargestellt. "Leider werden die Anführungszeichen immer noch nicht in allen älteren Beiträgen richtig angezeigt, was solche Stellen leider etwas unansehlich macht.)
Thaddaeus hat geschrieben: ↑Di 15. Okt 2019, 17:50
Der jüdische Glaube ist bis heute extrem exklusiv. Israel ist das von Gott JHWH auserwählte Volk aus allen Völkern. Alle anderen sind NICHT auserwählt.
Folgendes ist grundsätzlich wissenswert, wenn man das Umfeld Jesu verstehen möchte:
Frauen gelten wegen ihrer Menstruation als unrein. Ein Rabbi sollte zur Zeit Jesu weder mit Frauen sprechen und sich schon gar nicht von ihnen berühren lassen, insbesondere nicht in der Zeit ihrer Blutungen. Beobachtete eine Frau ein Verbrechen, konnte sie trotzdem nicht als Zeugin auftreten. Es war egal, ob sie etwas gesehen hatte oder nicht. Nur Männer konnten bezeugen. Frauen konnten sich nicht von ihren Männern scheiden lassen, aber Männer jederzeit wegen nichtiger Anlässe mit einem Scheidebrief von ihrer Frau, die sie nicht weiter verorgen mussten. Ein Mann konnte sich scheiden lassen, auch, wenn die Frau nur das Essen hatte anbrennen lassen o.ä.
Schweine sind unreine Tiere und sie zu essen ist Juden (wie auch Muslims) bis heute verboten. Hunde sind noch unreiner als Schweine. Kinder sind vom sozialen Status so wertlos wie Frauen. Sie bleiben nach einer Scheidung bei den Müttern, die Mutter darf nicht mehr heiraten. Geschiedenen Frauen blieb praktisch nichts anderes übrig, als sich zu prostituieren, wenn sie (mit ihren Kindern) irgendwie überleben wollten. Damit waren sie gesellschaftlich allerdings nicht nur wertlos, sondern auch noch geächtet.
Zweifellos hast du damit Recht, dem würde ich nie widersprechen. Das Mk ist aber nicht geschrieben worden um den jüdischen Glauben zu verbreiten, sondern den Christlichen, weshalb es auch in griechisch und nicht in hebräisch verfasst wurde. Als primäre Adressaten des Mk sieht man in der historischen Wissenschaft Heiden und nicht Juden an, wenn ich mich nicht irre.