Parusieverzögerung

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Savonlinna
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#1581 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Savonlinna » Sa 16. Mai 2015, 16:25

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Weil man davor die Texte so las, als seien sie keine Texte, sondern historische Aussagen.
OK - aber dann heisst es doch umgekehrt: Wenn die kritisch-historische Exegese die Bibel-Texte so liest, als seien sie KEINE historischen Texte: Wie kann man dann überhaupt auf die Idee kommen, daraus zu schließen, dass der historische Jesus eine Naherwartung hatte. - Das ist doch ein Widerspruch par excellence.
Das verstehe ich jetzt überhaupt nicht, was Du sagst.
Wie kommst Du darauf, dass die kritisch-historische Methode die Texte nicht als historische Texte liest?
Da habe ich doch gerade lang und breit das Gegenteil geschrieben?

Anton B.
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#1582 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Anton B. » Sa 16. Mai 2015, 16:47

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Wo liegt das Problem?
Nicht in der Methode, sondern in der Schlussfolgerung. - Wenn man die Bibel-Texte als "Fiction" versteht, kann man nicht gleichzeitig historische Schlussfolgerungen daraus ziehen (wie: "Jesus hatte selbst eine Naherwartung").
Die "kritisch-historische Methode" betrachtet die Texte aber doch nicht als Fiktion. Sie trüge dann wohl auch nicht das "historisch" in ihrem Namen. Aufgabe der Historiker ist es, aus Dokumenten begründete und -- ja, da sind wir wieder bei Antons Lieblingsthema -- potentiell falsifizierbare Modelle zu extrahieren. Deshalb werden auch andere Texte, sei es der Atlantisbericht Platons, die Herkunft der Franken durch Gregor von Tours, die Germania des Tacitus usw. nicht einfach als offizielle Geschichte übernommen.

Die Texte werden historisch verwertet, nur eben nicht "unkritisch".
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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sven23
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#1583 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von sven23 » Sa 16. Mai 2015, 17:24

closs hat geschrieben: Auch meine Anfragen in den letzten Wochen bei Theologen evangelischer und katholischer Provenienz haben allseits Abwinken ausgelöst - ja, die Urchristen hätten tatsächlich an eine schnelle weltliche Wiederkunft Jesu geglaubt, weil sie einfach noch nicht gelernt hätten, verinnerlicht zu denken. - Die Beschneidung des Herzens wurde noch nicht kapiert, sondern nur die äußere Beschneidung. - Insofern scheint es "in der Theologie" mitnichten Einigkeit zu dieser Frage zu geben.
Dir ist schon bewußt, daß es einen Unterschied zwischen Fundamentaltheologie und historisch kritischer Methode gibt.
Fundamentaltheologen werden immer aus ideologischen Gründen versuchen, alles nieder zu exegieren, was ihr Weltbild gefährden könnte. Das ist bis auf den heutigen Tag so.

closs hat geschrieben: Danals weiss ich nicht - heute auf Anhieb.
Tja, der Pathologe ist immer schlauer. ;)

closs hat geschrieben: Deshalb ist es historisch-kritisch (!) angebracht, dies auch auf die Naherwartung zu übertragen, zu der es innerhalb der Texte so widersprüchliche Äußerungen gibt.
Im Grunde sagst du: Jesus hat sich nur mit Null-Checkern umgeben. Die Frage wäre: geschah das in Ermangelung von Alternativen, hatte er eine Vorliebe für geistig minderbemittelte oder war er selber einfach unfähig, seine Botschaft zu vermitteln. Denn nach deiner Theorie merkte er ja noch nicht mal, daß er in Bezug auf die Naherwartung nicht verstanden wurde, sonst hätte er den Irrtum korrigieren können. Du unterstellst im quasi, daß er entweder selber ein Null-Checker war oder seine Anhänger absichtlich im Irrtum beließ.
Da halte ich es für viel wahrscheinlicher, daß er selber an die Naherwartung glaubte, die er ja selbst predigte.
Das interessante ist doch, daß Petrus nicht widerspricht, daß Jesus vom nahen Gottesreich gesprochen haben soll. Er erfindet nur die Ausrede vom anderen göttlichen Zeitmaß, was wiederum ein Beleg für die Parusieverzögerung ist.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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Savonlinna
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#1584 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Savonlinna » Sa 16. Mai 2015, 17:32

Anton B. hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Wo liegt das Problem?
Nicht in der Methode, sondern in der Schlussfolgerung. - Wenn man die Bibel-Texte als "Fiction" versteht, kann man nicht gleichzeitig historische Schlussfolgerungen daraus ziehen (wie: "Jesus hatte selbst eine Naherwartung").
Die "kritisch-historische Methode" betrachtet die Texte aber doch nicht als Fiktion.
Wieso?
Es ist zumindest eine Herangehensweise.
Da keiner der Evangelisten dabei war, haben sie fiktionale Werke verfasst, in Erzählform.

Anton B. hat geschrieben:Sie trüge dann wohl auch nicht das "historisch" in ihrem Namen.
Doch! Das "historisch" bezieht sich darauf, dass der Text in seiner historischen Entwicklung untersucht wird.
Ich zitiere noch einmal Wikipedia dazu:

Anton B. hat geschrieben:Die Bezeichnung Historisch-kritisch verweist auf eine Kombination zweier Grundannahmen dieser hermeneutischen Methoden:

Historisch ist diese Methode, weil sie davon ausgeht, dass die zu untersuchende Textgestalt eine Geschichte hat. So kann z. B. eine Sage über Jahrhunderte mündlich überliefert worden sein und dabei zahlreiche Veränderungen erlebt haben. Diese Sage wird vielleicht von zwei verschiedenen Schriftstellern notiert. Die Drucklegung erlebt mehrere Auflagen, bei denen korrigierend oder aus anderen Gründen in den Text eingegriffen wurde. Der Text, der aktuell in einer Sagensammlung erscheint, ist nicht in dieser Form ursprünglich, sondern er hat eine Geschichte.
Kritisch ist die Methode, weil sie davon ausgeht, dass es allgemein einsichtige Kriterien für die wissenschaftliche Untersuchung der historischen Textgestalt gibt. Das bedeutet keineswegs, dass jeder Wissenschaftler mit seinen Untersuchungen zum gleichen Ergebnis kommen muss. Jeder einzelne Untersuchungsschritt muss aber dennoch für andere nachvollziehbar sein; ob er tatsächlich nachvollzogen wird, ist eine Frage der Qualität des Argumentes. Unterschiedliche Bewertungen von Details zeitigen wie in anderen wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedliche Resultate
http://de.wikipedia.org/wiki/Historisch ... he_Methode

Hemul
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#1585 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Hemul » Sa 16. Mai 2015, 18:19

--------
Zuletzt geändert von Hemul am Sa 16. Mai 2015, 18:26, insgesamt 1-mal geändert.
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

Hemul
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#1586 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Hemul » Sa 16. Mai 2015, 18:22

Hemul hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:
Hemul hat geschrieben: Dort wartet er, bis Gott ihm seine Feinde als Schemel unter die Füße legt.[/color]
Paulus hielt nicht viel von Jesu Feindesliebe.
Warum jammerst Du genau wie Dein Kumpel Pluto? Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass Gott sich bis in alle Ewigkeit von Leuten wie Euch ins Gesicht spucken lässt? ;)
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

Anton B.
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#1587 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Anton B. » Sa 16. Mai 2015, 18:29

Savonlinna hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Die "kritisch-historische Methode" betrachtet die Texte aber doch nicht als Fiktion.
Wieso?
Es ist zumindest eine Herangehensweise.
Da keiner der Evangelisten dabei war, haben sie fiktionale Werke verfasst, in Erzählform.
Ja, gut. Ich hätte schreiben müssen:
Anton B. hat geschrieben:Die "kritisch-historische Methode" betrachtet die Texte aber doch nicht als in sich sinnfreie, im historischen Kontext nicht interpretierbare Fiktion.
Denn so hatte ich clossens Einwurf verstanden.

Savonlinna hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Sie trüge dann wohl auch nicht das "historisch" in ihrem Namen.
Doch! Das "historisch" bezieht sich darauf, dass der Text in seiner historischen Entwicklung untersucht wird.

... und in seinem historischen Kontext ...

Bekannt ist sie vor allem aus der biblischen Exegese. Sie hat zum Ziel, einen (biblischen) Text in seinem damaligen historischen Kontext zu verstehen und schließlich auszulegen, wobei die Rekonstruktion der vermuteten Vor- und Entstehungsgeschichte des Textes und seine situative Einbindung in das historische Geschehen eine besondere Rolle spielt. -- Wiki
... mit gegebenenfalls historisch validen Schlussfolgerungen:
Die historische oder historisch-kritische Jesusforschung (Frage nach dem historischen Jesus, früher: Leben-Jesu-Forschung) forscht in den Schriften des Urchristentums und anderen Quellen der Antike nach Jesus von Nazaret. Mit historisch-kritischen Methoden versucht sie, Grundzüge und Einzelheiten seines öffentlichen Wirkens zu rekonstruieren. --
Wiki
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sven23
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#1588 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von sven23 » Sa 16. Mai 2015, 18:31

Hemul hat geschrieben: Warum jammerst Du genau wie Dein Kumpel Pluto?
Ich jammere nicht, lieber Hemul, ich weise lediglich auf den Widerpruch von Paulus und Jesus hin.
Dazu kannst du dir mal den folgenden Bericht zu Gemüte führen:
http://www.theologe.de/theologe5.htm
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#1589 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von closs » Sa 16. Mai 2015, 19:19

Savonlinna hat geschrieben:Wie kommst Du darauf, dass die kritisch-historische Methode die Texte nicht als historische Texte liest?
OK - in Deiner Zugabe ("Das 'historisch' bezieht sich auf darauf, dass der Text in seiner historischen Entwicklung untersucht wird") verstehe ich Dich - was ja heisst, dass nicht der Text selber historischer Natur sein muss, sondern auch als Fiktion in seiner historischen Bedeutung untersucht wird.

Anton B. hat geschrieben:Denn so hatte ich clossens Einwurf verstanden.
Und damit komme ich auf meine bereits formulierte Frage zurück: Wie kann man als historisch-kritisch Forschender die apodiktisch erscheinende Aussage bringen, Jesus habe selber eine Naherwartung gehabt, wenn man sich auf Text-Quellen beruft, die man bei anderer Gelegenheit als fiktional bezeichnet?

Gäbe es einen Gerichts-Prozess, dessen stenografierte :angel: wörtliche Mitschrift in einem vollkommen neutralen Schriftstück mit anderen Mitschriften in einem römischen Archiv gefunden werden würde, wäre das etwas anderes. - Wenn da Jesus zitiert werden würde mit "Ich gehe davon aus, dass ich in den nächsten 20 bis 30 Jahren leibhaftig wieder erscheinen werde und die weltliche Macht übernehmen werde", müsste man ins Grübeln kommen.

Aber doch nicht anhand von Stille-Post-Schriftstücken, die möglicherweise mehr im Sinne der Zeit als im Sinne Jesu verfasst sind. - UND heute noch vollkommen unterschiedlich interpretiert werden (Stichwort: "Göttliches Reich" als politische Machtübernahme oder als inneres Reich, etc.).

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sven23
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#1590 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von sven23 » Sa 16. Mai 2015, 19:36

closs hat geschrieben:Und damit komme ich auf meine bereits formulierte Frage zurück: Wie kann man als historisch-kritisch Forschender die apodiktisch erscheinende Aussage bringen, Jesus habe selber eine Naherwartung gehabt, wenn man sich auf Text-Quellen beruft, die man bei anderer Gelegenheit als fiktional bezeichnet?
Wie immer bei solchen Texten muß man davon ausgehen, daß es ein Mischmasch aus historischen Fakten und fiktionalen Geschichten ist. Das auseinander zu fieseln ist die schwierige Aufgabe. Anhand der Texte kommt die historisch-kritische Methode eben mehrheitlich zu dem Schluß, daß Jesus eine Naherwartung gehabt hat, was ich auch absolut nachvollziehen kann.
Ober der "echte" Jesus mit dem biblischen identisch ist, kann niemand mangels Quellen sagen. Auch "geistig" ist da nichts zu machen, wie du immer behauptest. Wir haben nur die biblischen Quellen.



closs hat geschrieben: Aber doch nicht anhand von Stille-Post-Schriftstücken, die möglicherweise mehr im Sinne der Zeit als im Sinne Jesu verfasst sind. - UND heute noch vollkommen unterschiedlich interpretiert werden (Stichwort: "Göttliches Reich" als politische Machtübernahme oder als inneres Reich, etc.).
Stille Post beschreibt die Entstehung des NT ganz gut. Es gibt aber nichts anderes. Mag ja sein, daß der echte Jesus völlig anders war, aber wer will behaupten, er wüsste, wie er war?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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