Mk 1,12-15
Konrad Huber - Professor für Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die zweite Aussage nennt als Kern der Botschaft Jesu und zentralen Inhalt des „Evangeliums Gottes“ den Anbruch der Königsherrschaft Gottes. Für das Markusevangelium (und für die synoptischen Evangelien insgesamt) ist die Rede von der βασιλεία, von der „Herrschaft“, dem „Reich“ bzw. dem „Königsein“ Gottes, der bestimmende Hauptinhalt der Verkündigung Jesu und begegnet dort fast ausschließlich im Munde Jesu. Der Begriff selbst lässt das schon vom Alten Testament her vertraute und zur Zeit Jesu lebendige Heils- und Hoffnungsbild vom Königtum Gottes anklingen und aktualisiert es. Wie beispielsweise bei Jesaja das Kommen Gottes als König und damit verbunden seine heilvolle und rettende Zuwendung zu den Menschen als Inhalt der Ankündigung des endzeitlichen Freudenboten beschrieben sind (vgl. Jes 52,7-10), so findet sich in vielfacher Weise diese Vorstellung und Erwartung von Gottes Königsein auch in zahlreichen anderen Texten aus allen Teilen des Alten Testaments zum Ausdruck gebracht. Ist die Vorstellung von der βασιλεία τοῦ θεοῦ also keineswegs neu, so liegt das Besondere an der Verkündigung Jesu in der Ansage der definitiven Nähe, ja des beginnenden Anbruchs der (endzeitlichen) Herrschaft Gottes. Dabei deutet die Perfektform „nahegekommen ist“ (ἤγγικεν, Perf. von á¼Î³Î³Î¯Î¶Ï‰, „sich nähern“, „nahe herankommen“) einerseits an, dass das Reich Gottes schon jetzt nahe, ja gekommen ist, dass es andererseits aber noch nicht ganz und vollendet da ist. Die Gottesherrschaft ist auf geheimnisvolle Weise (vgl. Mk 4,11) zugleich gegenwärtig und endzeitlich, sie ist anfanghaft und zeichenhaft angekommen und sie beginnt, sich von jetzt ab durchzusetzen. Diese Nähe und anfanghafte Wirklichkeit der Basileia ist im Verständnis des Markusevangeliums aber erst eigentlich greifbar und nicht anders erfahrbar als im Wirken und in der Person Jesu selbst. In ihm zeigen sich jetzt schon in der Gegenwart die Art und Weise der Königsherrschaft Gottes und ihre heilvollen Auswirkungen auf die Menschen. Das von Jesus verkündete Evangelium vom Nahegekommen-Sein der Basileia birgt in sich also eine deutlich christologische Komponente, ist untrennbar verbunden mit seiner Person. Als Verkünder des Evangeliums Gottes ist er zugleich auch dessen Inhalt (vgl. Mk 1,1).
Gegenwärtig andringende und zum vollendeten Gottesreich hindrängende Gottesherrschaft erfordert und ermöglicht Antwort und Entscheidung von Seiten des Menschen. Das thematisieren schließlich die beiden folgenden Imperative in Mk 1,15, die ihrerseits inhaltlich eng aufeinander bezogen sind. Es gilt, seinen Sinn zu ändern (μετανοÎω; vgl. Mk 1,4; 6,12), d.h. umzukehren, angesichts erfüllter Gnadenzeit und der Heilszusage der Basileia eine radikale Lebenskehre zu vollziehen und sich neu auf Gott hin zu orientieren, sich zu ihm hinzuwenden. Und es gilt – geradezu als Konkretisierung dieser Sinnesänderung –, zu glauben (πιστεÏω), sich konsequent und voller Vertrauen auf das Evangelium, diese Frohbotschaft einzulassen und damit letztlich dem Wort und dem Wirken Jesu Glauben zu schenken. Die Frohbotschaft der nahegekommenen Basileia zieht aber nicht einfach nur diese Forderung nach sich, sie ist vielmehr gleichsam der „Raum“, innerhalb dessen Sinnesänderung und Glaube entsprechend möglich gemacht sind und als Antwort auf die Zusage Realität werden können. Die auffällige Schlusswendung mit á¼Î½ + Dativ (glauben „aufgrund“ der frohen Botschaft) legt ein derartiges Verständnis nahe: „glaubt, weil es das Evangelium gibt und es euch zu diesem Glauben befähigt“ (H.-J. Klauck 98).