Paulus - ein Heiliger?

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Ruedi
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#51 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von Ruedi » So 15. Nov 2020, 10:10

sven23 hat geschrieben:
So 15. Nov 2020, 07:43
Ruedi hat geschrieben:
Sa 14. Nov 2020, 20:35
Auch wenn der Einzug in Jerusalem überzogen ist.
Als Pharisäer hatte er sicherlich die Tempelaktion mitbekommen.
Wahrscheinlich ist der triumpfahle Einzug sogar frei erfunden, denn wer hätte in der "Großstadt" Jerusalem den unbekannten Nobody aus der Provinz überhaupt kennen sollen?

Und dann noch mit Palmwedel an Pessach :biggrin:

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sven23
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#52 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von sven23 » Sa 21. Nov 2020, 12:17

Ruedi hat geschrieben:
Di 10. Nov 2020, 08:18
JackSparrow hat geschrieben:
Di 10. Nov 2020, 08:10
Ruedi hat geschrieben:
Di 10. Nov 2020, 07:07
- Weshalb wurde der Deserteur und Verräter Saulus nicht verfolgt oder angeklagt?

Schon damals war dies ein Kapitalverbrechen, und wäre niemals toleriert worden. Weder vom Hohen Priester noch vom König. Von den Römern, wollen wir gar nicht erst sprechen.
Historisch belegt ist der Fall eines gewissen Josef ben Matthias, aufgewachsen in Jerusalem, jüdischer Priester und General im Kampf gegen die Besatzer.

Im Jahre 67 wird er von den Römern gefangengenommen. In der Gefangenschaft hat er die Erleuchtung, dass Kaiser Flavius Vespasian der wahre Messias sei.

Er nimmt an der Zerstörung Jerusalems teil, bekommt das römische Bürgerrecht, wird von der kaiserlichen Familie adoptiert und lebt fortan als Geschichtsschreiber unter dem Flavius Josephus.

Richtig, es gibt auch Gelehrte die daraus schliessen, dass Josephus unter dem Namen Paulus schrieb.
Das ist eher unwahrscheinlich, denn da müßte es mehr stilistische Übereinstimmungen geben. Das "Testimonium Flavianum" ist ja von der Forschung als spätere christliche Einfügung in den Josephustext entlarvt worden.
Josephus ewähnt Jesus nur indirekt in einem Nebensatz und Paulus überhaupt nicht. Wenn er eine Mission verfolgt hätte, dann hätte er das sicher geschickter und aussagekräftiger tun können.
Die Erklärung für die dürftige Quellenlage ist eigentlich ganz simpel: Sowohl Jesus als auch Paulus waren zu Lebzeiten den meisten eher unbekannt. Erst lange nach ihrem Tod begann man deren Existenz literarisch und legendarisch aufzubereiten. Die Bedeutung, die sie dadurch posthum erfuhren, hatten sie zu Lebzeiten nie erreicht.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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SilverBullet
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#53 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von SilverBullet » Mi 2. Dez 2020, 13:23

Hallo sven23,
unsere Unterhaltung, rund um die historischen Gestalten des NT wurde durch die Geschehnisse im Forum etwas gestört.
Wenn du möchtest, könne wir sie gerne wieder aufnehmen, ich lege mal vor:

sven23 hat geschrieben:Die Erklärung für die dürftige Quellenlage ist eigentlich ganz simpel: Sowohl Jesus als auch Paulus waren zu Lebzeiten den meisten eher unbekannt. Erst lange nach ihrem Tod begann man deren Existenz literarisch und legendarisch aufzubereiten. Die Bedeutung, die sie dadurch posthum erfuhren, hatten sie zu Lebzeiten nie erreicht.
Es mag für dich "ganz simpel" klingen aber es ist doch sehr weit hergeholt, denn Unbedeutende sollen nach ihrem Tod eine gewisse Zeit (wie lange?) in der Erinnerung (von wem?) überdauert haben und dann soll es zu einem Hype (wie, wo, was?) gekommen sein, so dass diese Gestalten literarisch verklärt wiedergegeben wurden.
Man doktert hier lediglich an der Wunder-Legende herum, der man es gestattet, dass sie sich in der Vergangenheit positioniert.
Einem Wunder-Text sollten wir aber rein gar nichts zugestehen.

"Paulus" ist eine Rahmenfigur für Texte, die aus Blöcken zusammengewürfelt sind und unter dem Gesichtspunkt von "Briefen" eingeordnet werden sollen.

Nun sind aber "Briefe" als literarisches Stilmittel auch anderweitig bekannt -> die Apologien. Das sind Texte, die an römische Kaiser gerichtet sein sollen, aber tatsächlich nur eine unendlich langweilige Ausführung des christlichen Glaubens enthalten. Ein römischer Kaiser hat sich damit zu keiner Zeit beschäftigt. Das Adressieren an den Kaiser ist ein Stilmittel, um dem Leser Qualität vorzugaukeln.
Warum sollte dies bei den "Paulus-Breifen" nicht genauso sein?
Texte, die unter dem Gesichtspunkt einer "echten Anwendung für Gemeinden" verbreitet werden, haben ein ganz anderes Flair, als das neu aufgesetzte Schreiben eines Autors, den keiner kennt und noch niemand gelesen hat.

Wie wird der Brief-Einsatz dieser Texte begründet?
Wie wurden diese Texte gesammelt, wenn sie Briefe sind? Da ist wohl einer hinterhergerannt und hat all die Schreiben wieder zusammengesammelt oder wohl eher langwierig abgeschrieben, wobei er sich keinen Millimeter für die Gemeinden selbst, ihre Reaktionen und die Auswirkungen der Texte zu interessieren scheint - eine wundervolle Leistung.
Ich sage: ich will viel auf dem Tisch haben, bevor ich diese Texte als Briefe akzeptiere.

Die "Paulus"-Figur selbst wird wohl hauptsächlich in der Apostelgeschichte beschrieben - was, wenn diese Geschichte zu den Zeloten, also exakt zu den Geschehnissen "ihrer Zeit", derartige Fehler enthält, dass sie nur lange danach, als die Erinnerungen nicht mehr wirklich vorlagen, geschrieben wurde -> Erfindung.

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sven23
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#54 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von sven23 » Fr 4. Dez 2020, 17:47

SilverBullet hat geschrieben:
Mi 2. Dez 2020, 13:23
Hallo sven23,
unsere Unterhaltung, rund um die historischen Gestalten des NT wurde durch die Geschehnisse im Forum etwas gestört.
Wenn du möchtest, könne wir sie gerne wieder aufnehmen, ich lege mal vor:
Hallo SilverBullet,
schön, dass du den Weg zurück ins Forum gefunden hast.
Deine Ausführungen in Richtung Zelotentum waren sehr interessant. Möglicherweise wird dem Thema in der Mainstream-Forschung zu wenig Beachtung geschenkt.
Ich halte es durchaus für denkbar, dass man Jesu Leben genau so umgedeutet, bzw. umgedichtet hat, wie dies Paulus mit seinem Tod gemacht hat.
Die Hinrichtung durch die Römer würde exakt zu einer Anklage wegen Aufruhr oder Anstiftung zur Aufruhr passen.


SilverBullet hat geschrieben:
Mi 2. Dez 2020, 13:23
sven23 hat geschrieben: Die Erklärung für die dürftige Quellenlage ist eigentlich ganz simpel: Sowohl Jesus als auch Paulus waren zu Lebzeiten den meisten eher unbekannt. Erst lange nach ihrem Tod begann man deren Existenz literarisch und legendarisch aufzubereiten. Die Bedeutung, die sie dadurch posthum erfuhren, hatten sie zu Lebzeiten nie erreicht.
Es mag für dich "ganz simpel" klingen aber es ist doch sehr weit hergeholt, denn Unbedeutende sollen nach ihrem Tod eine gewisse Zeit (wie lange?) in der Erinnerung (von wem?) überdauert haben und dann soll es zu einem Hype (wie, wo, was?) gekommen sein, so dass diese Gestalten literarisch verklärt wiedergegeben wurden.
Man doktert hier lediglich an der Wunder-Legende herum, der man es gestattet, dass sie sich in der Vergangenheit positioniert.
Einem Wunder-Text sollten wir aber rein gar nichts zugestehen.
Sehr bald nach dem Tod des Wanderpredigers setzte sicher die Legendenbildung ein. Und es gab sicher über Jahre eine mündliche Überlieferung, die im Stil der stillen Post immer weiter ausgeschmückt und weiter gesponnen wurde. Bis die Geschichten eines Tages literarisch begabten Schreibern zu Ohren kamen, die das Potential der Geschichten erkannten.



 
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#55 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von SilverBullet » Fr 4. Dez 2020, 19:20

sven23 hat geschrieben:Ich halte es durchaus für denkbar, dass man Jesu Leben genau so umgedeutet, bzw. umgedichtet hat, wie dies Paulus mit seinem Tod gemacht hat.
:-) guter Einstieg :-)
Ich bin natürlich total dagegen, bei "Jesus" als historischer Person sowieso und ich habe auch "Paulus" im Visier.

(ist nicht schlimm, die Unterhaltung soll ja auch Spass machen)

sven23 hat geschrieben:Die Hinrichtung durch die Römer würde exakt zu einer Anklage wegen Aufruhr oder Anstiftung zur Aufruhr passen.
Diese Hinrichtungsart gab es bei den zelotischen Anführern, einschliesslich Martyrium sehr oft.
Das Bild der Hinrichtung "Jesus in der Mitte von zwei Räubern" ("Räuber" wird hier sehr wahrscheinlich auf Zeloten hindeuten) ist schon sehr symbolträchtig: "Die Legende, eingebettet in die Vergangenheit".
Wozu diese beiden anderen am Kreuz?

Aber hier soll es ja eher um "Paulus" gehen.

sven23 hat geschrieben:Sehr bald nach dem Tod des Wanderpredigers setzte sicher die Legendenbildung ein. Und es gab sicher über Jahre eine mündliche Überlieferung, die im Stil der stillen Post immer weiter ausgeschmückt und weiter gesponnen wurde. Bis die Geschichten eines Tages literarisch begabten Schreibern zu Ohren kamen, die das Potential der Geschichten erkannten.
"Wie war das Wetter damals?" :-)

Du hast es sicherlich beim Schreiben gemerkt, dass der Faden ganz dünn ist und plötzlich im "Potential" endet,
bei dessen Aufbereitung es dann "Wumm" gemacht haben soll und jeder hat es geglaubt, vor allem haben Heiden "Juhu" geschrien,
als sie "Paulus" getroffen haben, der ihnen erzählt hat, dass er (auf den Kopf) gefallen sei und fortan knallharte Regeln für die Erlösung durch "Jesus", dem er nie begegnet ist, zu berichten weiss.

Mir ist maximal mulmig, dass hier ein Märchen konstruiert wird und ich denke, du bist auch nicht weit davon entfernt.

Wenn man sich die Konstellation "Jesus" <-> "Paulus" ansieht, dann ist dies ein unglaublich sonderbarer Fall.
"Paulus" hat mindestens so viel Gewicht, wie "Jesus" (bei klaren Aggressionunterschieden), steht aber vollständig als "normaler Mensch" daneben und ist nur über eine "Vision" verbunden.
Das ist explizit von der Qualität "wir schneiden einen Wolf auf, legen ihm Steine in den Bauch, nähen ihn zu und wenn er aufwacht, hat er Durst".
Hier stimmt gewaltig etwas nicht. Es ist so ungewöhnlich, dass jede andere Erklärung besser ist, als die Legende.

Wenn man sich ganz unabhängig davon die Vorgänge im ersten/zweiten Jahrhundert anschaut, dann gibt es das flächendeckende Aufkommen der "starken Messias-Betonung", es gibt aggressive Glaubensauflagen, es gibt das gewaltsame Vorgehen, es gibt die Niederlagen, es gibt den Totalverlust von Tempel, von heiligem Land und von der Messias-Grundlage.
Das sind gigantische Vorgänge in einem nicht gerade bevölkerungsarmen Anteil der damaligen Welt.
Es ist nicht weit hergeholt, dass es Flüchtlinge gab, die sich im Mittelmeerraum verteilt haben.
Es ist nicht weit hergeholt, dass sich hier irgendetwas radikal im Denken, in der Kultur, in der religiösen Ausrichtung verändert haben muss.

Wenn man nun der Legende einen "dünnen Faden" durchs erste Jahrhundert zugesteht, dann ergibt sich das Problem, dass sich diese radikale Umstellung nirgendwo mehr finden lässt.
Die "Lösung" der "Forschung" lautet: "alle Zeloten sind beim Fall Jerusalems umgekommen" - dadurch brauchen die "Forscher" keine radikale Umstellung, denn es soll ja niemand mehr da gewesen sein.
Das Dumme ist aber, bis 135 n.Chr gab es die Messias-Aufstands-Idee und die sollte schon noch irgendjemand nach dem Fall Jerusalems gehabt haben und ausserdem soll es ja das "unsichtbare Christentum" geschafft haben, zu fliehen.
Den Zeloten wird von der "Forschung" keine Flucht zugestanden, aber den Christen soll dies so elegant gelungen sein, dass es noch nicht einmal Geschichten dazu gibt.

Am Ende des Tages schmerzt es schon ganz beträchtlich, wenn man nach einer radikalen Veränderung sucht, eine neue Religion im Mittelmeerraum vorliegen hat, aber genau daran vorbei denken und leer-dastehen soll.
Das ist wie dieser Indianerpfeil, der "durch" den Schädel geht :-)

Ich würde eher so an die Sache herangehen: wenn es auch nur den Hauch einer Möglichkeit gibt, an eine "radikale Umstellung" heranzukommen, dann sollte man dies eher verfolgen, als dass man sich eine unsichtbare, hach dünne Entstehungsspur zu einer, im ganzen Mittelmeerraum ansässigen Religion erdichtet.

Den eigenartigen Charakter der "Paulus-Breife" und die sonderbare Apostelgeschichte stelle ich erst einmal zurück, das wird sicherlich nochmal angesprochen werden.

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sven23
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#56 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von sven23 » Sa 5. Dez 2020, 14:15

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 4. Dez 2020, 19:20
sven23 hat geschrieben: Die Hinrichtung durch die Römer würde exakt zu einer Anklage wegen Aufruhr oder Anstiftung zur Aufruhr passen.
Diese Hinrichtungsart gab es bei den zelotischen Anführern, einschliesslich Martyrium sehr oft.
Genau, und ich halte es für durchaus möglich, dass man die Zelotenverfolgungen später auf das Christentum projiziert hat. Es sind also wieder mal die berühmten Rückprojektionen.


SilverBullet hat geschrieben:
Fr 4. Dez 2020, 19:20
Das Bild der Hinrichtung "Jesus in der Mitte von zwei Räubern" ("Räuber" wird hier sehr wahrscheinlich auf Zeloten hindeuten) ist schon sehr symbolträchtig: "Die Legende, eingebettet in die Vergangenheit".
Wozu diese beiden anderen am Kreuz?
Hier kommt wieder das literarisch aufbereitete Glaubensthema zum Tragen. Der eine Räuber glaubt, der andere nicht. Der Gläubige wird ja laut Jesu Aussage noch am gleichen Tag mit ihm im Paradies sein. Man muss das sicher auch als literarische Erfindung der Schreiber werten.

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 4. Dez 2020, 19:20
sven23 hat geschrieben: Sehr bald nach dem Tod des Wanderpredigers setzte sicher die Legendenbildung ein. Und es gab sicher über Jahre eine mündliche Überlieferung, die im Stil der stillen Post immer weiter ausgeschmückt und weiter gesponnen wurde. Bis die Geschichten eines Tages literarisch begabten Schreibern zu Ohren kamen, die das Potential der Geschichten erkannten.
"Wie war das Wetter damals?" :-)

Du hast es sicherlich beim Schreiben gemerkt, dass der Faden ganz dünn ist und plötzlich im "Potential" endet,
bei dessen Aufbereitung es dann "Wumm" gemacht haben soll und jeder hat es geglaubt, vor allem haben Heiden "Juhu" geschrien,
als sie "Paulus" getroffen haben, der ihnen erzählt hat, dass er (auf den Kopf) gefallen sei und fortan knallharte Regeln für die Erlösung durch "Jesus", dem er nie begegnet ist, zu berichten weiss.
Das Damaskuserlebnis kann eine literarische Erfindung sein, um überhaupt eine Verbindung zu Jesus herstellen zu können.
Manche halten es für möglich, dass Paulus an Epilepsie litt und er einen Anfall hatte, der ja auch oft mit Halluzinationen verbunden ist. Das würde auch die Krankheit (Stachel im Fleisch), von der Paulus spricht, aber nicht näher beschreibt. Er rät ja auch Leuten mit seinem Leiden davon ab, zu heiraten. Epilepsie könnte auch das erklären, denn Impotenz ist oft eine Begleiterscheinung. Andere halten Homosexualität für möglich.

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 4. Dez 2020, 19:20
Mir ist maximal mulmig, dass hier ein Märchen konstruiert wird und ich denke, du bist auch nicht weit davon entfernt.
Wir sind uns sicher einig, dass es sich bei der Bibel zum größten Teil um unhistorische Märchen handelt.
Der Unterschied besteht wohl darin, dass ich an einen historischen Bezug in Form des Wanderprediger glaube (wie die Forschung auch).
Sein Leben und seinen Tod hat man allerdings posthum umgeschrieben, bzw. umgedeutet. Das brachte dann viele Glaubwürdigkeitsprobleme mit sich, die ich ja schon öfter angesprochen habe.

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 4. Dez 2020, 19:20
Die "Lösung" der "Forschung" lautet: "alle Zeloten sind beim Fall Jerusalems umgekommen" - dadurch brauchen die "Forscher" keine radikale Umstellung, denn es soll ja niemand mehr da gewesen sein.
Das Dumme ist aber, bis 135 n.Chr gab es die Messias-Aufstands-Idee und die sollte schon noch irgendjemand nach dem Fall Jerusalems gehabt haben und ausserdem soll es ja das "unsichtbare Christentum" geschafft haben, zu fliehen.
Dass es nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels keine Zeloten mehr gab, ist genau so glaubwürdig, wie, daß es nach 1945 keine Nazis mehr gab.
Der Diaspora-Aufstand im Jahr 115 n. Chr. und der Bar-Kochba Aufstand im Jahr 132 n. Chr. zeigen ja, dass der Widerstand gegen die römische Fremdherrschaft nicht gebrochen war.
Was mich mal interessieren würde: Spricht Josphus in seinen Texten explizit von Christenverfolgungen oder nur von Räubern/Zeloten?
Denn ich habe irgendwo gelesen, dass man bis zum Bar-Kochba Aufstand gar nicht zwischen Christen und Juden differenziert hat. Für die Römer waren Christen nur eine von vielen jüdischen Sekten.




 
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#57 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von SilverBullet » Mo 7. Dez 2020, 11:10

sven23 hat geschrieben:Wir sind uns sicher einig, dass es sich bei der Bibel zum größten Teil um unhistorische Märchen handelt.
Wir sind uns bestimmt ganz schnell einig, dass man eine Vorstellung über die Vergangenheit nicht alleinig auf einem Wundertext aufbauen darf.

Leider ist dies aber genau der Vorgang, der hier stattfindet, wenn man behauptet, dass es einen historischen Anteil geben soll.

sven23 hat geschrieben:Der Unterschied besteht wohl darin, dass ich an einen historischen Bezug in Form des Wanderprediger glaube (wie die Forschung auch).
Ich finde diese Formulierung nicht schlecht: du glaubst es und die "Forscher" glauben es auch.
Es ist im Grunde religiöser Glaube - die "Forschung" bietet eine neue christliche Konfession an.

Hierzu ist es tatsächlich richtig, dass ich das nicht mache, da haben wir einen Unterschied.

Die Motivation der "Forscher" zu diesem Glauben sehe ich in ihrer religiösen Einstellung (viele starten als christlich Gläubige) und
später, wenn sie z.B. "Neutestamentler" sind, wird es schlicht ihre Lebensgrundlage sein, sich mit dem "Geschichtsbuchanteil der Bibel" zu befassen.

Was würde passieren, wenn es diese "Forscher" auf den Punkt brächten, dass es keinen Geschichtsbuchanteil gibt?
Sie wären arbeits- und religionslos.

sven23 hat geschrieben:Was mich mal interessieren würde: Spricht Josphus in seinen Texten explizit von Christenverfolgungen oder nur von Räubern/Zeloten?
Denn ich habe irgendwo gelesen, dass man bis zum Bar-Kochba Aufstand gar nicht zwischen Christen und Juden differenziert hat. Für die Römer waren Christen nur eine von vielen jüdischen Sekten.
Josephus ist keine Quelle für "Jesus"-Christen.
Josephus ist eine Quelle im Sinne von Messias-Anhänger -> Zeloten.

Genau hierin liegt ja der eigentliche Witz:
Die Bezeichnung "Christen" deutet nur aus viel späterer Interpretationssicht auf "Jesus"-Christen hin.
Damals waren Christen einfach nur Messias-Anhänger und diese waren ganz klar die Feinde Roms -> Zeloten.

Es gibt keine ausserbiblischen Quellen zu einer friedlichen Messias-Bewegung.
Selbst wenn man sich der Illusion auf historische "Jesus"-Hinweise hingeben möchte, eine friedliche Messias-Bewegung, also die eigentliche Substanz des "Jesus"-Christentums findet man nirgendwo und die ersten Machtverdichtungen (Konzil zu Nicäa) haben sich in keiner Weise durch Liebes- und Friedensverhalten ausgezeichnet,
sondern durch Ausgrenzung und Verfolgung.

Römer werden sicherlich sehr schnell zwischen Juden und Messias-Anhänger (Zeloten) unterschieden haben.
Aus jüdischer Sicht sind Messias-Anhänger als "Eiferer" ("Übertreiber") zu bezeichnen, denn das Judentum enthält ja schon die Messias-Idee.
Aus römischer Sicht war dieser kleine Unterschied bestimmt nicht griffig genug.
Die Römer haben der "neuen Gruppe" sicherlich eine Bezeichnung gegeben, mit der sie die Hauptbedeutung abdeckten -> "Messias-Leute", "Christus-Leute" -> "Christiani"
(da steckt aber nirgendwo der Name "Jesus" drin!)

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#58 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von JackSparrow » Mo 7. Dez 2020, 20:30

sven23 hat geschrieben:Was mich mal interessieren würde: Spricht Josphus in seinen Texten explizit von Christenverfolgungen oder nur von Räubern/Zeloten?
Josephus erwähnt keine Christen.

Übrigens auch keinen Gesalbten, keinen Messias und keine Messias-Anhänger.

Was er erwähnt sind sieben unterschiedliche Personen namens Jesus. Aber auch wieder keinen, der Ähnlichkeiten mit dem Bibel-Jesus hätte.

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#59 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von SilverBullet » Di 8. Dez 2020, 12:54

JackSparrow hat geschrieben:Übrigens auch keinen Gesalbten, keinen Messias und keine Messias-Anhänger.
Warum hätte er das schreiben sollen?
Es gab in der Zeloten Zeit (und auch danach) keinen Messias.

Die Bezeichnung "Christen" geht aus meiner Sicht auf das Erwarten eines Messias/Messias-Reiches zurück.
Es ist der wesentliche Charakterzug der neuen Religionsbetonung -> Unterstützung Gottes beim eingeleiteten Befreiungskampf.

Für mich ist die grosse Diskrepanz (wenn es um Zeloten geht) in den Josephus-Texten, dass sie auf der einen Seite
einen eher schlechten Bandencharakter ("Räuber") haben sollen, auf der anderen Seite über eine funktionierende (weil das Volk einigende) religiöse Strategie, samt achtenswertem Märtyrerverhalten verfügen sollen.
Abwertung und Bewunderung sind wohl nicht weit weg voneinander.

Das Ziel der Zeloten war ein jüdisch religiöser Staat (im "heiligen Land") der mit Gott-Unterstützung zustande kommt - es dürfte ihnen schon klar gewesen sein, dass Rom "etwas stärker" war, als sie selbst, aber als "auserwähltes Volk Gottes" setzten sie auf eine andere Art der Hilfe.
Hier ist automatisch enthalten, dass die Anführer (die zum Teil sogar beachtliche Erfolge hatten und bejubelt wurden) messianische Ansprüche hatten. Es ist nicht vorstellbar, dass ein Zeloten-Anführer beim Einzug in Jerusalem verkündet hat "es kommt noch ein Messias".

Wie oben gesagt, aus meiner Sicht ist der Begriff "Christen" -> "Messias-Anhänger" keine schlechte Charakterisierung des apokalyptischen Vorgehens der Zeloten -> Gott-Unterstützung.

JackSparrow
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#60 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von JackSparrow » Di 8. Dez 2020, 14:57

SilverBullet hat geschrieben:
Di 8. Dez 2020, 12:54
Die Bezeichnung "Christen" geht aus meiner Sicht auf das Erwarten eines Messias/Messias-Reiches zurück.
In diesem Fall mag man Flavius Josephus wohl selbst als einen Christen bezeichnen, der seinen Messias inklusive Reich bereits gefunden hatte.

Was aber die Juden am meisten für den Krieg begeisterte, das war ein doppelsinniger Prophetenspruch, der sich ebenfalls in den heiligen Schriften vorfindet und besagt, dass um jene Zeit aus dem Lande der Juden ein Herrscher der Welt hervorgehen werde. Dieses Wort haben nun die Juden von einem der Ihrigen ausgelegt, so dass selbst viele weise Männer mit ihrem Urtheile hier fehlgegangen sind, während doch der Gottesspruch nur die Erhebung des Vespasian zur Kaiserwürde, die in Judäa durch das Heer erfolgte, hat andeuten wollen. (Jüdischer Krieg, Buch 5, Kapitel 5)

Für mich ist die grosse Diskrepanz (wenn es um Zeloten geht) in den Josephus-Texten, dass sie auf der einen Seite
einen eher schlechten Bandencharakter ("Räuber") haben sollen, auf der anderen Seite über eine funktionierende (weil das Volk einigende) religiöse Strategie, samt achtenswertem Märtyrerverhalten verfügen sollen.
Sucht man in den Josephus-Texten nach Zeloten, findet man heterogene Gruppierungen wie "die dem Eleazar unterstellten Zeloten" oder "die Zeloten des Manaim", die sich meist gegenseitig bekämpfen und jeweils ganz eigene Vorstellungen davon haben, wer in Judäa an die Macht kommen soll.

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